Freitag, 31. Mai 2019

Meine Satire zu Proust

2011 hatte ich begonnen, Proust zu lesen. Am 31.05.2012 hatte ich zu ihm eine kleine Satire geschrieben, die ich hier als sechsten Eintrag reinkopieren werde, nach dem Facebook diesen Post als eine Erinnerung wieder hoch geladen hatte, den ich völlig vergessen hatte. 2012 hatte ich gerade mal BD 3 gelesen. Immer nahm ich das Buch zu mir ins Bett.

Eine Proust – Satire
Morgen beginnt das Wochenende und ich bin eine Woche lang mit Marcel Proust verabredet. Er schläft dann auch bei mir im Bett und begleitet mich überall hin. Er wird mir ein guter, treuer Gesellschafter werden. Manchmal langweilt er mich ein wenig, aber Freundschaft bedeutet, dies geduldig zu ertragen, solange er mir nicht den Geist volldröhnt, dass es mich fast besoffen macht. Viele neue aber auch alte Themen werden zwischen uns auszutauschen sein. Bin gespannt und freue mich sehr...

Marcel Proust ist ein wenig anstrengend und man muss gut drauf sein, um seine Gegenwart zu ertragen. Auch fit muss man sein, denn sonst kann es passieren, dass man in seinem Beisein regelrecht einschläft... . Er ist ein Träumer, ein Melancholiker, jemand, dem nicht zu langweilig ist, sich mit zu vielen Details zu befassen. Proust ist süchtig nach Gesellschaft.

Besonders kritisch zeigt er sich dem französischen Bürgertum (Bourgeoisie) gegenüber, was ich durchaus verstehen kann, aber er zieht seine Beobachtungen oftmals arg in die Länge, besonders, wenn wir private, gesellschaftliche Veranstaltungen besuchen, und er mich dorthin mitnimmt, damit ich mir auch selbst mein Urteil bilden kann. Er nimmt jedes Individuum dermaßen unter die Lupe, und zeichnet daraus eine Karikatur. Ich möchte gar nicht wissen, wie er mich sieht ... . Und dann muss ich mir jeden Tratsch und Klatsch anhören und ertragen. Man glaubt es nicht, aber diese gut bürgerlichen Leute sind so wohlhabend, dass sie nicht arbeiten müssen und verbringen ihre Zeit mit so viel Nutzlosem, dass es mich regelrecht schüttelt. Selbst ihre Bücher vernachlässigen sie, denn sie besitzen üppige Privatbibliotheken, Vorzeigebibliotheken?, wirken aber alles andere als belesen ...  Hier passt das Thema ausgesprochen gut, die Suche nach der verlorenen Zeit. Denn diese Menschen verfügen über so viel Zeit, ohne sie sinnvoll zu füllen. Sie sollten sich alle einen Job suchen. Sie geben im Wechsel zu allen Tageszeiten Gesellschaften. Welch eine Blamage für dieses Bourgeoisie-Volk, wenn sie erkennen müssen, dass ihre Zeit verloren ist. Wobei der letzte Band der Recherche zeigt, wie Proust seine Zeit wiedergefunden hat. Er hat vor allem aus den Fehlern anderer gelernt.

Und die Liebe, das Thema Liebe, oh je, ich mag Liebesthemen überhaupt nicht, entweder sind sie schnulzig, oder kompliziert, aber Proust schont mich nicht und wird mich erneut mit diesen Liebesthemen konfrontieren, und zeigt mir, wie schwach das Männergeschlecht ist, ei das weiß ich doch schon längst, denn wenn er verliebt ist, und er seine Eifersucht nicht in den Griff bekommt... Oder wenn das Geschlecht nicht das Gegengeschlecht liebt, wie sich´s aus der Sicht einer angepassten Gesellschaft gehört, und sich eher für das gleiche Geschlecht interessiert ... . Vor allem Ende des 19. Jhd. war das ein enormes Problem für die hetero und für die homosexuellen Verliebten. Vor allem Marcel zeigte enorme Probleme, sich für eine Art der Sexualität zu entscheiden und probierte alles aus.

Ob Proust selber lieben kann? Auch wenn er bei mir im Bett schläft, ist er recht verkrampft. Ich glaube nicht, dass er lieben kann, denn dazu ist er zu sehr damit beschäftigt, im Kopf seine Bilder zu verarbeiten, und sie schriftlich in Worte zu fassen ... .



Dienstag, 28. Mai 2019

Ian McEwan / Maschinen wie ich

Klappentext 
Aus dem Englischen von Bernhard RobbenCharlie ist ein sympathischer Lebenskünstler Anfang 30. Miranda eine clevere Studentin, die mit einem dunklen Geheimnis leben muss. Sie verlieben sich, gerade als Charlie seinen ›Adam‹ geliefert bekommt, einen der ersten lebensechten Androiden. In ihrer Liebesgeschichte gibt es also von Anfang an einen Dritten: Adam. Kann eine Maschine denken, leiden, lieben? Adams Gefühle und seine moralischen Prinzipien bringen Charlie und Miranda in ungeahnte – und verhängnisvolle – Situationen. 
Autorenporträt
Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt bei London. 1998 erhielt er den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung. Seit seinem Welterfolg ›Abbitte‹ ist jeder seiner Romane ein Bestseller. Zuletzt kamen Verfilmungen von ›Am Strand‹ (mit Saoirse Ronan) und ›Kindeswohl‹ (mit Emma Thompson) in die Kinos. Ian McEwan ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts und der American Academy of Arts and Sciences.

Meine ersten Leseeindrücke
Bisher habe ich 180 Seiten geschafft. Aus Zeitgründen komme ich nur langsam voran.

Das Buch wird auf Whatchareadin in der Leserunde gelesen. Wer mich dort sucht, wird mich vergeblich suchen, da es mir derzeit unmöglich ist, im Forum lange und kritische Diskussionen zu führen. In der zweiten Jahreshälfte werde ich mich vom Forum ganz zurückziehen müssen, aber die letzten zwei Bücher, für die ich mich in der ersten Jahreshälfte noch angemeldet habe, möchte ich unbedingt noch lesen, werde aber eine Rezension schreiben und sie auch im Forum ablegen.

So richtig gut gefällt mir das Buch nicht, wenn mir auch die Botschaft des Autors schnell klar wurde, es aber noch zu früh ist, darüber zu schreiben. Es fällt mir allerdings eher schwer, einer humanoiden Maschine dieselben Rechte einzuräumen, die Menschen haben.

Ich könnte nur in einer Sache einen Roboter gebrauchen. Einer, der den Haushalt für mich regelt.

Ich bin gespannt, wie sich die Geschichte noch weiter entpuppen wird. 
Hier geht es zur Leserunde: 

Weitere Informationen zu dem Buch
·         Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
·         Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (22. Mai 2019)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 3257070683

Hier geht es zu der Verlagsseite von Diogenes.




Sonntag, 26. Mai 2019

Konfliktklärung mit Briefpartnern / Idealisierung

Seite 112 - 122             

September 1888 bis Okt. 1888 (17 Jahre alt)

Der junge Marcel Proust, ein leidenschaftlicher Briefeschreiber, verpasst keine Gelegenheit, sich Briefpartner zu suchen, um sich über sein reges Innenleben mitzuteilen. Er macht sich viele Gedanken über seine Mitmenschen, zieht dabei Literaturfiguren mit ein, dieses Mal aus Le Misanthrope von Molière. Hieraus Alceste, ein Idealist und Menschenfeind, der ohne Heuchelei den Menschen die Wahrheit ins Gesicht sagt. Diese Haltung würde aus einer lächerlichen und schlechten Gemütsverfassung entspringen … Proust schreibt auch immer wieder über die Konflikte, die er mit bestimmten Menschen hat und erschafft sich ein Gedankenkonstrukt, das er in zwei Variablen, x- und y, einteilt. Er schreibt von der Gesamtheit von Freundschaftsphänomenen x und von der Antipathie y.
Und so hat das Zerwürfnis nur die Bedeutung einer Laune, einer Prüfung oder einer Verstimmung, und alles kommt darauf an, sich wieder zu versöhnen. Ist es y, Antipathie, so bedeutet die Versöhnung nichts, und alles ist Zerwürfnis. (113)

Jede Menge Charakteranalyen entstehen dadurch. Er entschuldigt sich bei seinem Freund Robert Dreiyfus, dass er einen ganzen Brief gebraucht habe, um ihm darin seine Theorie darzulegen. Neben seinen tiefen Gedanken zeigt sich Marcel aber auch als ein Plauderer, der gerne über Freunde und aber auch über sich selbst ablästert, allerdings nicht als der Marcel Proust, sondern in dem Mantel einer (literarischen) Figur. Proust bittet Dreyfus, diesen Brief Daniel Halévys zu zeigen, s. u. . Obwohl er von Daniel nicht den Respekt erwiesen bekommt, den er verdient hätte? Angeblich soll ihn Daniel für mall und meschugge halten.

Proust nimmt Reitstunden, und überträgt Begriffe davon in seinen Jargon und erweitert dadurch gekonnt seinen Wortschatz:
Ich erlaube Dir, mein lieber Freund, diesen Brief D. H. zu zeigen, auch wenn er im allerschnellsten Galopp geschrieben ist, denn ich bin die ganze Zeit über von der Uhr vorangepeitscht worden, da ich noch zum Reitplatz muss. (117)

Interessant fand ich Prousts Brief an den neuen Philosophielehrer Alphonse Darlu, der mir ein wenig peinlich gewesen wäre. Gerade mal zwei Tage in der Klasse, wendet sich Marcel per Brief an ihn, da Darlu keine so erfreuliche Ansprache zu den jungen Menschen überbracht hatte. Marcel dagegen fühlt sich zu Darlu hingezogen, bewundert seinen philosophischen Geist und bittet ihn in seinem Brief um eine moralische Konsultation.
Ich habe in den letzten beiden Tagen eine so große Bewunderung für Sie empfunden, dass ich das unwiderliche Bedürfnis empfinde, Sie um einen großen Rat zu bitten, bevor ich das Studium der Philosophie aufnehme. (120)

Proust kehrt in diesem Brief dem Lehrer sein Innerstes heraus. Im Unterricht muss Darlu über eine Erkrankung gesprochen haben, von der nichts ahnend Proust betroffen ist. Dadurch teilt Proust ihm mit, dass er selbst an dieser Krankheit leidet und bittet um ein Gegenmittel. Des Weiteren lässt er den Lehrer wissen, dass er durch seine schwächliche Gesundheit unter einer Bewusstseinsspaltung leiden würde.
Aber mein Leiden ist, auch wenn es einen fast gänzlich anderen Charakter angenommen hat, nicht weniger lebhaft. Es hat sich intellektualisiert. Ich empfinde kein vollständiges Vergnügen mehr an dem, was mir früher ein Genuss war, an literarischen Werken. (120)

Weiter geht es in der Beschreibung seines anderen Ichs, Details sind dem Werk zu entnehmen, 120/121. Das Ende des Briefes fand ich dermaßen persönlich, das würde ich niemals einem Lehrer schreiben, auch wenn ich ihn mögen würde.
Sie werden, wie ich hoffe, Monsieur, meiner außerordentlichen Bewunderung und meiner unendlichen Begier, zu wissen, was Sie davon halten, die Absonderlichkeit und vielleicht auch die Indiskretion verzeihen, die darin besteht, einem Unbekannten derart intime Gedanken anzuvertrauen. (121)

Durch dieses stark Persönliche wirkt der Brief auf mich unheimlich. Weiter geht es im Text:
Aber ich glaube, Sie nach dem wenigen, was ich von Ihnen gehört habe, schon zu kennen. Ich flehe Sie an, in der Klasse nicht die leiseste Anspielung auf diesen Brief zu machen, der für mich so eine Art von Beichte ist. Ihr Schüler und aufrichtiger Bewunderer. (121)

Was ist das für ein Geschleime? Da kringeln sich mir sämtliche Fußnägel hoch. Aus der Fußnote ist zu entnehmen:
… (>>der bewundernswerteste Lehrer, den ich je gehabt habe, der Mann, der den größten Einfluss auf mein Denken ausgeübt hat (…)<<, doch notiert er einige Jahre später (…) >>Niemand außer Darlu hat Einfluss auf mich ausgeübt, und dieser Einfluss war schlecht.<<(122)

Wie in seiner Recherche kommt er mir auch hier sehr verschwatzt vor. Ein intellektuelles Lästermaul, das sich seelisch vor vielen Menschen nackt macht und sich dann aber wundert, wenn hintenrum über ihn geredet wird.

Telefongespräch mit Anne, Sonntag, 26.05.2019
Auch Anne war der Meinung, dass Proust gerne schwatzt. Sie war eigentlich die erste von uns beiden, die darauf aufmerksam gemacht hat. Ich selbst konnte diese Eindrücke in seinen Briefen erst nicht festmachen, obwohl ich sie gelesen habe, es ist aber so schwer, das Gelesene zu verinnerlichen, wenn einem so gar nicht die Antwortbriefe vorliegen. Nun aber, im zweiten Durchlauf, konnte dieser Charakterzug auch für mich an verschiedenen Textstellen deutlich gemacht werden. Proust kränkt in seiner Ausdrucksweise so manchen Kameraden, davon bleibt auch sein Freund Robert Dreyfus nicht verschont. Proust muss ihn so beleidigt haben, dass auch Robert ihn für recht blasiert hielt, sodass Proust sich genötigt sah, sich mit Schmeichelei und Lobeshymnen bei dem Freund zu entschuldigen. Er verfällt von einem Extrem ins andere. 

In den Briefen bittet er seine Gesprächspartner immer wieder darum, seine Depesche anderen Personen nicht weiterzureichen, sodass wir, Anne und ich, den Eindruck bekommen haben, dass er tief in seiner Seele sich nichts anderes wünscht, als dass sie weitergereicht werden.

Proust weiß, dass er ein fulminanter Schreiber ist und kokettiert mit sich selbst. Er scheint es zu genießen, sich selbst in Szene zu setzen. Ich glaube, er hat es ganz gerne, wenn andere über ihn reden, wenn seine Briefe hochgelobt werden.

Meine persönliche Meinung
Mir kommt Prousts Seele ein wenig hurenhaft vor. Jedem sein Innerstes preiszugeben, finde ich sehr peinlich. Und trotzdem verstehe ich ihn aber auch. Proust, der Vieldenker, er braucht ein Gegenüber, um sich literarisch und geistig entfalten zu können. Er saugt die Menschen auf wie ein Schwamm und macht daraus fiktionale Geschichten. Und das führt zu einem überaus regen Innenleben, dass es schwermacht, sich selbst zu ertragen. Nur die Art und Weise, wie er es tut, wirkt zudem noch sehr impulsiv und versnobt. Ich selbst habe auch in diesen jungen Jahren viel geschrieben. Ich habe über 25 Tagebücher verfasst, wovon ich die Hälfte vernichtet habe. Die andere Hälfte werde ich mit der Zeit noch entsorgen. Auch ich hatte in der Schule die eine oder den anderen Lehrer*in, für die ich geschwärmt habe, die ich ähnlich wie Proust innerlich idealisiert habe aber niemals würde ich meiner Lehrer*in eine Bewunderung dieser Art aussprechen, weil es seelisch gesehen mir viel zu peinlich wäre.

Aber ich hätte Lust, Molières Theaterstück Proust zuliebe ;-) ein zweites Mal zu lesen. Auch ich habe das Stück gelesen, weil ich mich in den Anfängen meiner 20er Lebensjahre mit dem Buchtitel identifizieren konnte. Auch ich hatte mich viele meiner jungen Jahre in der Literatur gesucht. Ich erinnere mich, dass ich mich allerdings am Ende des Stückes doch nicht mit dem Misanthropen habe identifizieren können. Aber die Details weiß ich nicht mehr, weshalb ich das Stück gerne noch einmal lesen würde.

Mein Fazit aus diesen zehn Seiten


Proust probiert sich aus. Literarisch, schauspielerisch (Theater) und sexuell. 


Sonntag, 19. Mai 2019

Konfliktklärung mit Mutter und Daniel Halèvy

Seite 102 - 112             

Mai 1888 bis Sept. 1888 (16 und 17 Jahre alt)

In diesen Briefen ist häufiger zu entnehmen, dass Marcel unter den verschiedenen Beziehungen leidet, die problembehaftet scheinen. Einmal mit seinem Freund Daniel Halévy und auch mit seiner Mutter. Mithilfe der Briefe versucht er, die Konflikte zu klären. Hier ein Auszug aus dem Brief an seinen Freund Daniel. 
Als ich anderntags sah, dass du nicht mehr mit mir sprichst, dachte ich, dass ich dich mit meinem Brief verärgert habe. Es war dumm von mir, ihn zu schreiben, ungeschickt von Dir, Dich darüber zu ärgern (…). Ich konnte Dir nichts sagen. Ich konnte nur darauf warten, dass deine schlechte Laune mir gegenüber verflöge (…). Aber Bizet sagt mir, dass du mir in Wirklichkeit aus einem viel ernsteren Grund, den er so wenig kennt wie ich, böse bist. (102)

Ich habe dann mal zurückgeblättert, zu dem vorletzten Brief, was Proust an seinen Freund geschrieben hat. Ich fand jetzt nichts Anstößiges, außer vielleicht die Thematik mit den Homosexuellen, die Proust versucht zu verteidigen. Wahrscheinlich hat der Freund sich abfällig über sexuell anders geartete Menschen geäußert. Für die damalige Zeit war die Homosexualität eine große Sünde. Die Antwort seines Freundes auf diesen Brief? Die bleibt leider aus. Lediglich in der Fußnote ist zu lesen, dass Daniel Tagebuch führt, und darin über Marcels Schreibstil sich ausgelassen hat. In Wirklichkeit denkt dieser Freund:
Dieser arme Proust ist vollkommen wahnsinnig – man schaue sich nur diesen Brief an (…) Das alles ohne eine einzige Durchstreichung. Dieser Wahnsinnige hat großes Talent, und ich kenne NICHTS, was trauriger wäre und wunderbarer geschrieben als diese beiden Seiten. (104)

Marcel empfindet eine starke sexuelle Affinität zu Jacques Bizet. Marcels Mutter bittet ihren Sohn, sich von dem Freund zu trennen. Als er sich weigert, verbietet sie ihm den Umgang. Es kommt zwischen Mutter und Sohn zu einem heftigen Disput.

Was mir nicht einleuchtet, ist, dass der Vater Marcel gebeten hat, wenigstens vier Tage mit dem Masturbieren aufzuhören. Der Vater soll ihn regelrecht angefleht haben.

Woher wissen die Eltern von seiner Masturbation? Macht er das nicht hinter verschlossener Türe?

Marcel fühlt sich aber nicht nur sexuell zu Bizet hingezogen, sondern auch vom Temperament und vom Geistigen her scheint er eine Seelenverwandtschaft in dem Freund gefunden zu haben.

Proust möchte nicht, dass Bizet in seinem Elternhaus nur als Geächteter toleriert wird. Er schreibt ihm:
Wenn ich es schaffe, (meinen Eltern) zu beweisen, dass Du ein kostbares Wesen bist – an diesem Tag wirst du zu mir kommen und umhegt werden. Und falls dieser Tag niemals kommt, nun, dann werde ich dich extra muros (außerhalb der Mauern, Anm. der Autorin) lieben. Und ich werde ein Café zu unser beider Domizil machen. (103)

In der weiteren Depesche an Bizet bewundert Marcel einerseits dessen Weisheit, die er gleichzeitig aber bedauert. Warum? Dies teilt er ihm darin auch mit. Er bestaunt nicht nur seine lebhaften Gedanken und schreibt ihm daraufhin, dass das Herz Gründe hat, die der Verstand nicht kennt.
Marcel ist aber selbst mit seinen noch 16 Jahren mit viel Weisheit gesegnet. Ich kann verstehen, dass er sich zu Bizet auch intellektuell hingezogen fühlt.

Auf Seite 105 schreibt Proust einen Brief an Robert Dreyfus. In seiner Recherche gibt es die Dreyfus – Affäre. Robert Dreyfus ist auch ein junger Mensch, der noch zur Schule geht. Es gibt auf der Schule einen Lehrerwechsel. Der Französischlehrer Maxime Gaucher verstarb Ende Juli 1888 in den Sommerferien. Hier war Marcel 17 Jahre alt. Der neue Lehrer Monsieur Dauphiné ersetzt den Kollegen am Lycee Condorcet. Dreyfus und Proust besuchen zwar dasselbe Gymnasium aber nicht dieselbe Klasse. Proust versucht, Dreyfus liebevolle Tipps zu geben, wie mit dem neuen Pauker umzugehen ist.

Auch dem Lateinlehrer Cuceval ist Proust aufgefallen. Aber leider eher negativ. Seine Schulaufgaben sahen nicht nach Schulaufgaben aus und wurde von dem Lateinlehrer als Verderber, als dekadent betrachtet, da seine Klassenkameraden es ihm gleichtaten. Aber wie genau sahen diese Hausaufgaben aus? Hat Proust einen Roman geschrieben? Wenn die Klassenkameraden es ihm gleichtaten, kann ich mir vorstellen, was der Lehrer mit Dekadenz gemeint haben könnte, da nicht jeder mit dieser fabulierfreudigen Begabung von Proust ausgestattet ist.

Proust kann sich nicht bremsen zu schreiben. Er entschuldigt sich bei Dreyfus für seine Orthografie und für seine Handschrift aber es dränge ihn wie die Fluten. (Was für ein schönes Bild.) Gegenstand der Diskussion waren zudem auch Literaturgespräche, Artikel von Paul Desjardins, dessen literarische Abhandlungen in der Literaturzeitschrift Revue blue erschienen sind.

Sept. 1888 schreibt Marcel einen Brief an seine Mutter. Der Bruder seiner Mutter namens George Weil, Marcels Onkel, war zu Besuch und Marcel schien dem Onkel auf dem Rückweg zum Bahnhof sein Herz ausgeschüttet zu haben. Ich musste hierbei lächeln, weil Marcel über einen so großen Gesprächsbedarf verfügte, dass er dafür sorgte, dass der Onkel zu spät an den Bahnhof gelangte, damit dieser den Zug verpassen konnte. Sein Herz hatte er aber auch seinem Großonkel, Louis Weil, ausgeschüttet. Hierbei ging es um die Probleme mit seiner Mutter, die er eigentlich lieben würde. Er fühlt sich von dem Großonkel allerdings nicht verstanden, der Marcels Kummer als Egoismus bezeichnet hatte. Verstanden würde sich Proust lediglich von den Bediensteten des Hauses fühlen. Marcel scheint sich ewiglich in dieser Schreib- oder Gesprächsnot zu befinden, dass er sein Herz auch dem Hauspersonal auszuschütten schien, und zeigt, dass er über ein reges Innenleben verfügt.  

19.05.2019 Telefonat mit Anne
Wir sind beide der Meinung, dass es anstrengend ist, die Briefe zu lesen. Da man immer wieder im Lesefluss durch zu viele, wenn auch hilfreiche, Fußnoten unterbrochen wird. Es würde wenig hängen bleiben. Würde ich diese Impressionen nicht aufschreiben, würde ich auch schnell alles wieder vergessen. Mühsam ist auch, dass die Antwortbriefe fehlen, damit man die Eindrücke der Briefepartner*innen mitverfolgen könnte. Es sind also viele Lücken, die entstehen, die ich versuche durch Interpretationen zu ersetzen.

 Es gibt noch sehr viele Namen von Literaten, die uns nicht bekannt sind. Anne und ich befürchten, dass mit der Zeit die Briefe immer schwerer werden. Hoffentlich halten wir durch. Deshalb ist es gut, sich an den Wochenenden nur zehn Seiten vorzunehmen.

Wir haben uns auch über Alfred Dreyfuß, ein französischer Hauptmann jüdischen Glaubens, ausgetauscht, der später noch über die Dreyfußaffäre Thema werden wird.

Fazit
Sowohl Anne als auch mir scheint der junge Marcel ein offenes Buch zu sein. Ein Privatleben in seinem Inneren scheint es nicht zu geben. Selbst Intimitäten teilt er nicht nur seinen Eltern, Großeltern, u.a.m. mit, sondern auch dem Hauspersonal. Besaß er so etwas wie Schamgefühle?

Mittwoch, 15. Mai 2019

Erich Kästner / Der Gang vor die Hunde

Klappentext   
Fabian ist Erich Kästners Meisterwerk. Doch das Buch wurde vor seinem Erscheinen 1931 verändert und gekürzt, denn der junge Kästner hatte in seinem ersten Roman alle Register gezogen. Das machte das Manuskript für den Verlag zu einem Sprengsatz, den das Lektorat mit spitzen Fingern entschärfte. Das Buch erschien schließlich entgegen Kästners ursprünglicher Intention unter dem Titel Fabian. Jetzt liegt der Roman zum ersten Mal so vor, wie ihn Kästner geschrieben und gemein hat – unter dem Titel, den Kästner ursprünglich vorgesehen hatte: Der Gang vor die Hunde.

Autorenporträt
Erich Kästner, 1899 in Dresden geboren, begründete gleich mit zwei seiner ersten Bücher seinen Weltruhm: Herz auf Taille (1928) und Emil und die Detektive (1929). Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden seine Bücher verbrannt, sein Werk erschien nunmehr in der Schweiz im Atrium Verlag. Erich Kästner erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, u. a. den Georg-Büchner- Preis. Er starb 1974 in München.

Meine ersten Leseeindrücke

160 Seiten habe ich seit Sonntag gelesen. Mir gefällt das Buch recht gut, wobei ich auch die gekürzte Fassung Fabian vor mehreren Jahren gelesen habe. Manche Episoden kamen mir bekannt vor. Kästner besitzt genau den Humor, der zu meinem passt. Sehr satirisch geschrieben. Gefällt mir gut. Ich muss aber auch sagen, dass ich ein wenig Zeit gebraucht habe, bis ich in die Geschichte reingekommen bin. Mit dem ersten Band habe ich nicht so lange gebraucht. Aber egal, mir gefällt dieses Buch trotzdem gut.

Fabian habe ich im April 2013 gelesen und war auch davon sehr angetan. Auf meinem Blog gibt es hier dazu eine Buchbesprechung.

Und es werden zukünftig noch weitere Buchbesprechungen erfolgen, da ich Kästner auch zu meinem Leseprojekt, einer von vielen, gemacht habe. Ich liebe diesen Autor inbrünstig. Vielleicht, weil er meine Jugend mitgeprägt hat. Seine Kinderbücher fand ich faszinierend. So voller Liebe an die Jugend geschrieben. Nun bin ich erwachsen und beabsichtige seine Bücher zu lesen, die an Erwachsene gerichtet sind. 

Weitere Informationen zu dem Buch
·         Verlag: Atrium Verlag AG (10. Februar 2017)
·         Sprache: Deutsch, 12,- €
·         ISBN-10: 3038820016

Hier geht es zu der Verlagsseite von Atrium.

Kurze Buchbesprechung
Da ich schon Fabian gelesen und recht ausführlich besprochen habe, erspare ich mir hier die Rezension. Im Anhang habe ich entnommen, dass der Roman ein satirischer ist, so, wie ich ihn auch erlebt habe. Nicht jeder satirischer Roman erkenne ich als eine Satire an, bei Kästner war er für mich nicht zu übersehen. Hat mir Freude bereitet neben Fabian auch dieses Buch zu lesen, wenn auch die Menschenschicksale traurige und skurrile Figuren abgaben. Das Ende fand ich sehr dramatisch. Ebenso das Schicksal von Stephan Labuse fand ich ergreifend. Hierüber hätte ich Lust zu diskutieren, aber ich verzichte, denn sonst nimmt man anderen Leser'innen zu viel an Spannung ab. Vielleicht ergibt sich über die Kommantarfunktion eine Möglichkeit darüber zu sprechen. 
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Gelesene Bücher 2019: 19
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Sonntag, 12. Mai 2019

Jugend, Sexuelle Oerientierung, Schulerfolg

Seite 91 - 101   

Proust-Briefe, 1886 – 1888 (15-17 Jahre alt)
  • -       Geschichtsprüfung
  • -       Sexuelle Orientierung, Homosexualität
Es geht hier sehr politisch zu, die Details hierzu sind dem Buch zu entnehmen. Die Niederlage des Deutsch-Französischen Krieges, 1870/1871. Elsass und weite Teile Lothringen wurden an das Deutsche Kaiserreich abgetreten, das neu gegründet wurde. Napoleon wurde gefangengenommen ...

Auf den folgenden zehn Seiten erfährt man zu dem noch, dass Marcel im Juli 1887 nach Sorbonne reist, um an der Geschichtsprüfung teilzunehmen. Er hat in der Geschichtsklausur fünf Stunden ohne Pause geschrieben. Es scheint eine Generalprüfung gewesen zu sein, in der Schüler*innen sämtlicher Gymnasien sich hier in der Prüfung eingefunden hatten.
Marcels erhielt im Fach Geschichte und Geografie den zweiten Preis.

Sexuelle Orientierung
Im Mai 1888 schreibt Marcel seinem Großvater einen Brief und bittet ihn um 13 Francs. Zehn Francs benötigt er für den Besuch eines Bordells, damit er aufhören würde zu masturbieren und drei Francs für den Nachttopf, den er in seiner Aufregung zertrümmert hatte. Marcels Vater fordert von ihm einen neuen ein. Es war die Mutter, die ihm riet, den Großvater anzupumpen. (Schade, dass man nicht weiß, wie der Großvater auf das Geldanpumpen u.a. reagiert hat).

Im Juni 1888 schreibt er an seinen Freund Jaques, bittet um seine Freundschaft, da er sich von seiner Familie schlecht behandelt fühlen würde. Wenn ich traurig bin ist mein einziger Trost zu lieben und geliebt zu werden.
Ich umarme dich und liebe dich von ganzem Herzen. (99)

Dann folgt ein Brief, in dem Gespräche über Literatur und Theater entnommen werden können. Proust schlägt seinem Freund Daniel Halévy vor, mit ihm zusammen eine Kunstzeitschrift zu gründen ...
Gesprächsstoff Homosexualität (Pédéraste): Marcel findet an der Homosexualität nichts Unanständiges.

Es ist noch nicht klar, wie er sich selbst sexuell entscheiden wird, verteidigt aber homosexuelle Liebende.
Und doch obsiegt im Allgemeinen die Liebe, und sie masturbieren gemeinsam. Aber mach dich nicht lustig über sie, und denjenigen, von dem du sprichst, wenn er denn so ist. Sie sind, alles in allem, Verliebte. Und ich wüsste nicht, warum ihre Liebe unreiner wäre als die gewöhnliche Liebe. (101)

Telefongespräch mit Anne, 11.05.19
Anne und ich waren beide erstaunt über die schulische Leistung, die Marcel erbracht hatte. Auch haben wir uns über die Eltern ausgetauscht, dass die Eltern, oder der Junge selbst ganz offen über die Masturbation gesprochen hat. Wurde er dabei ertappt? Damals zählte das Masturbieren als eine Sünde. Das war sehr fortschrittlich von Eltern- und Großelternseite so offen darüber sprechen zu können.

Dass er die Homosexuellen verteidigt, liegt vielleicht daran, weil er selbst eine Neigung dazu hat, wie im oberen Brief gezeigt wird. Aus der Recherche erinnere ich mich, als der fiktive junge Marcel Männer nachspäht, sich unter das Fenster einer betroffenen Figur stellt, und belauscht das Paar, um herauszufinden, ob sie homosexuelle Praktiken nachgingen.
Die literarischen Gespräche fanden wir beide etwas schwierig, da uns die Autor*innen fremd sind.

Weiter geht’s es nächstes Wochenende.


Prousts Briefpartnerinnen und Briefpartner

Hiermit verlinke ich die Liste von Prousts Briefpartnerinnen. Anne hat sie als Fußnoten Frauen / Fußnoten Männer betitelt.

https://biografischerblog.blogspot.com/search/label/Fu%C3%9Fnoten%20-%20Frauen



Hier ist die Verlinkung zur Namensliste von Männern.

https://biografischerblog.blogspot.com/search/label/Fu%C3%9Fnoten%20-%20M%C3%A4nner


Um die Aktualisierung dieser Listen kümmert sich Anne. 


Freitag, 10. Mai 2019

Temple Grandin / Ich sehe die Welt wie ein frohes Tier (1)

Eine Autistin entdeckt die Sprache der Tiere    

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Mir hat das Buch recht gut gefallen. Ein Buch über Tiere, das diesmal nicht esoterisch besetzt ist, sondern rein naturwissenschaftlich, das auf viele empirische Studien aufgebaut ist. Jede Menge Forschungsergebnisse
von Labor und Feldstudien, verschiedene Ergebnisse im Bereich der Verhaltensforschung und viele mehr sind dem Band zu entnehmen. Viele Theorien, die ich auch in seriösen esoterischen Büchern gelesen habe, werden hier bestätigt. Grob gesagt, Tiere können sehr wohl denken und fühlen, Tiere sind Persönlichkeiten. Dies wissen alle Tierhalter*innen, die in der Lage sind, den Alltag mit ihren Haustieren auf Augenhöhe zu gestalten und nicht von oben herab.

Ich habe mir in dem Buch ganz viel Text angestrichen, obwohl ich nicht auf alles eingehen kann. Aber meine Bücher betrachte ich häufig als Nachschlagewerke, wenn ich Zitate zu einer bestimmten Thematik suche, finde ich sie schneller, wenn ich mich an die Markierungen halte.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorinporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Interessant ist auch, dass die Autorin Autistin ist, und sie sich mit Tieren identifizieren kann. Ihre Denkart ist ähnlich wie bei Tieren. Beide Wesensarten denken rein visuell. Und Grandin bezeichnet ihre Muttersprache als eine Bildsprache, die frei vom Verbalen ist. Deshalb hat sie es geschafft, sich in die Tiere einzufühlen, und hat viele Methoden entwickelt, wie Tiere, vor allem die, die in Schlachthäusern getötet werden, human behandelt werden.

Herausgefunden hat sie auch die Formen der Intelligenz, die von Tier zu Tier verschieden sein soll, wie dies auch bei uns Menschen der Fall ist. Temple Grandin war in der Lage, auch mithilfe der Gehirnforschung Parallelen zwischen tierischer und menschlicher Intelligenz zu entdecken, die der normalen Tierforschung entgangen war. (2015, 13)

Die Autorin hat über vierzig Jahren mit Tieren zugebracht. Sie hat in Amerika und in Kanada Methoden entworfen, mit denen die Tiere in den Schlachthöfen so getötet werden, dass sie dabei nicht gequält werden und der Vorgang sich zügig abspielt. Sie hat sich schon in jungen Jahren mit Tierwissenschaft auseinandergesetzt. Sie ging an die Uni und studierte Tierpsychologie. Derzeit ist sie Professorin an der Colorado State University. Sie ist um die Welt gereist und hat sich viele Schlachthäuser angeschaut. Die Schlachthäuser in Europa wären katastrophal. Schlechte Behandlung, viele Tiere würden bei lebendigem Leib geschlachtet werden, wenn z. B. der Bolzenschuss versagt und die Tiere zeppelnd an den Haken hangen.

Sie konnte herausfinden, was Tieren Angst macht. Sie schafft es, sich auf die Ebene der Tiere zu begeben, um die Dinge aus deren Perspektive zu erschliessen.

Das sollte der Mensch nicht nur mit Tieren machen; Der Mensch sollte lernen, sich in sein menschliches Gegenüber hineinzuversetzen, um die Welt aus seiner Sicht besser erfassen zu können. Das nennt die Autorin auch empathisches Verstehen. Wie wollen Menschen Tiere verstehen, wenn sie nicht einmal in der Lage sind, Menschen zu verstehen, die anders denken und anders empfinden als der Durchschnitt es tut?

Interessant fand ich auch die Form der Wahrnehmung, die die Autorin beschreibt. Tiere und Autisten seien in der Lage, Details wahrzunehmen, die der „normale Mensch“ nicht kann.
Das liegt daran, dass das Nervensystem eines normalen Menschen unzählige Details vernachlässigt und die Lücken mit dem füllt, was er zu sehen erwartet. (303)

Grandin ging auch in die Hirnforschung und verglich das Gehirn von Menschen und das der Tiere. Darüber hat sich die Autorin über mehrere Kapitel ausgelassen, dass ich unmöglich auf die Details eingehen kann, werde aber ein Beispiel einbringen. Die Gehirne zwischen Mensch und Schwein würden zum Beispiel auf dem ersten Blick identisch aussehen. Unterschiede fand sie schließlich an dem Neokortex. Was ist ein Neokortex? Ist hier nachzulesen.

Hier sind die Gehirne ein wenig unterschiedlich, Mensch und Tier würden die Welt dadurch unterschiedlich wahrnehmen, aber Mensch und Tier hätten auch viele Gemeinsamkeiten. In dem Buch sind viele interessante Beispiele zur Gehirnforschung, Großhirn, Kleinhirn, etc. zu Mensch und Tier angegeben und so verweise ich Weiteres auf das Buch.

Aber Tiere hätten alle möglichen Rezeptoren, sog. Sinnesorgane, die die Menschen nicht haben würden, und die Tiere seien dadurch in der Lage, Dinge zu tun, die die Menschen wiederum nicht tun können.

Grandin spricht auch von Basisemotionen, die die Tiere gemeinsam mit den Menschen haben würden. Sexuelle Anziehung, Trennungsangst zwischen Muttertier und Kalb, Soziale Bindung, die Freude am Spielen und Herumbalgen. Wenn man Tierkinder beim Spielen beobachtet, dann ähneln sie dabei auch den Menschenkindern.

Was die wenigsten wissen, ist, dass
Die meisten Tiere >>übermenschliche<< Fähigkeiten haben. Tiere haben tierische Begabungen. Vögel sind Navigationsgenies, Hunde Geruchsgenies und Adler visuelle Genies – jedes Tier besitzt auf einem anderen Gebiet eine besondere Begabung.

Das soll aber nicht heißen, dass Hunde nur riechen können. Natürlich können sie wesentlich mehr, deshalb empfehle ich dieses Buch selbst zu lesen, um sich auch die Details vornehmen zu können.

Als besonders intelligent wurden Vögel bezeichnet.
Vögel benutzen für ihre Lieder dieselben Wechsel von Rhythmus und Tonhöhe wie menschliche Musiker und können sie auch in eine andere Tonart setzen. Vögel verwenden Accelerandos, Crescendos und Diminuendos und viele Tonleitern, die Komponisten auf der ganzen Welt verwenden. (280)

Wenigstens sind die Singvögel frei, sie landen in kein Schlachthaus und können ihr Potenzial in ihrem Umfeld völlig frei entfalten.

Interessant fand ich die These, dass Hunde von Wölfen abstammen, und durch die Domestizierung über den Menschen ist aus dem Wolf ein Haushund geworden. Bemerkenswert daran ist, dass nicht nur der Mensch den Hund domestiziert hat, sondern im Umkehrschluss auch der Hund den Menschen. Man fand durch Ausgrabungen heraus, dass vor etwa 10000 Jahren im Todesfall der Mensch zu seinem Hund bestattet wurde.

Am Ende des Buches habe ich mir die Frage gestellt, weshalb Temple Grandin als ein wirklich sehr tierliebender Mensch in der Lage war, in einer Fleischfabrik zu arbeiten? Wie schafft sie es, beim Schlachten zuzuschauen? Auch stellten ihr andere die Fragen. Darauf die Anrtwort der Autorin:
Ich weiß noch, wie ich nach der Entwicklung meines Schlachthofsystems den Blick über den Hof schweifen ließ, in dem hunderte von Tieren in den Gehegen standen. Ich fühlte mich ganz bedrückt, weil ich soeben eine hocheffektive Schalachtfabrik entworfen hatte. Und Kühe sind die Tiere, die ich am allermeisten liebe.
Damals wurde mir klar, dass keines dieser Tiere existieren würde, wenn sie der Mensch nicht gezüchtet hätte. Seitdem weiß ich, welche Verantwortung damit einhergeht: Wir schulden ihnen ein anständiges Leben und einen anständigen Tod. Ihr Leben sollte so unbelastet wie möglich sein, und genau das ist mein Job.
 Dieses Buch habe ich deshalb geschrieben, weil ich den Tieren mehr wünsche als nur ein unbelastetes Leben und einen schnellen schmerzlosen Tod. Ich will, dass sie auch ein schönes Leben haben und eine sinnvolle Beschäftigung bekommen. Ich glaube, das sind wir ihnen schuldig. (308)

Mich macht das jetzt nicht zu einer Fleischkonsumentin, Grandin selbst konnte nicht auf Fleisch verzichten, aber ihre Einstellung ist für mich nachvollziehbar. 

Die Natur ist grausam, aber wir müssen es nicht auch noch sein. 

Grandin beochtet in einer TV-Tierdokumentation, wie ein Löwe ein Beutetier jagt und zerlegt. Das hatte sie dermaßen erschreckt, dass sie persönlich, wäre sie das gejagte Tier, auch lieber in einem Schlachthaus getötet werden wolle, als die Eingeweide von einem Löwen herausgerissen zu bekommen. Deshalb spricht sie von einem humanen töten. Die Tiere bis zu dem Tod gut zu behandeln, einfach weil sie es verdient hätten gut behandelt zu werden, denn sie opfern sich für uns Menschen. (Zu entnehmen aus ihrem biografischen Film) 

Ich bin nach wie vor dafür, sämtliche Schlachthäuser zu schließen, denn auch glückliche Tiere leben gerne. Für mich selbst gibt es kein humanes Töten, gerade was die Art in unseren Schlachthäusern hierzulande betrifft. Die Tiere erleben schon vorher den Stress, wenn sie aus ihrem Umfeld herausgerissen werden. Die Kühe sehen, wie ihre Artgenossen vor ihnen niedergestreckt werden …

Mein Fazit?
Wie ich eingangs schon geschrieben habe, findet man in dem Buch wirklich viele interessante wissenschaftliche Untersuchungen, die mich alle sehr neugierig gestimmt haben, und mich in meinem Denken weitergebracht haben. Aber es sind sehr viele Fachbegriffe, die den einen oder anderen abschrecken könnten. Aber ich fand sie wichtig, weil sie ja auch dadurch das Naturwissenschaftliche unterstreichen, und ein Buch dadurch auch glaubwürdiger wird.

Und hier geht es zu dem biografischen Film Du gehst nicht allein auf Youtube, der sehr sehenswert ist, da es nicht nur um Tiere geht, sondern zusammen mit den Tieren steht auch der Autismus im Vordergrund. Den Film, den ich mir mehrmals angeschaut habe, gibt es auch bei Amazon auf DVD zu kaufen oder man kann sich den Film dort auch virtuell ausleihen.

Meine Gedanken zu dem Buch
Ich finde es sehr interessant, dass Temple Grandin sich mit den Tieren identifizieren konnte. Dass sie außerdem noch ihre Muttersprache als die visuelle bezeichnet und nicht als die Amerikanische, fand ich faszinierend. Sie bestätigt meine Theorie, dass die Identitätsentwicklung bei einem Menschen sehr unterschiedlich verlaufen kann und selten genetisch gesteuert wird. 

Ähnlich wie die Autorin kann auch ich mich mit meinen Haustieren identifizieren, nur habe ich nie darüber gesprochen, weil es so untypisch ist. Mein Kater Momo besaß Charaktereigenschaften, die sich absolut mit meinen gedeckt haben.

Trotzdem möchte ich einen Naturwissenschaftler hinzuziehen, der meine These deckt, damit auch ich glaubwürdig erscheine. Ein Zitat von Erik Erikson, deutsch-amerikanischer Psychoanalytiker, der die Identitätsentwicklung folgendermaßen beschreibt:
 (= I.) [engl. identity development], [EW, PER]Identität wird laut Erikson (1968) durch Interaktion mit anderen und im Kontext der eigenen Kultur gebildet. Sie umfasst u. a. versch. Bereiche der Selbstwahrnehmung wie bspw. Geschlecht, Gruppenzugehörigkeiten, persönliche Eigenschaften (Persönlichkeitsmerkmal) oder eigenen Kompetenzen, wird während der gesamten Entwicklung gebildet und ist somit als ein Prozess zu verstehen, der lebenslang dauert.
Wie man lesen kann, ist die Identitätsentwicklung ein lebenslanger Prozess, das heißt, dass sie niemals abgeschlossen ist, und sich bis zum Lebensende jederzeit neu wandeln kann. Nur nutzen das so wenige, und übernehmen ein Leben lang die Identität, die ihnen von den Eltern in die Wiege gelegt wurde, ohne sie jemals hinterfragt zu haben.

Welches Buch über Tiere wird das nächste sein? Die heilende Kraft der Katzen. Aber wann ich mir dieses Buch vornehmen werde, das weiß ich nicht, da ich noch andere Leseprojekte am Laufen habe, und ich gerne abwechseln möchte. Erschienen ist das Buch 2019 im Goldegg - Verlag. Auf jeden Fall möchte ich es mir zeitnah vornehmen. 
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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

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