Sonntag, 26. Januar 2020

Mein Jahresrückblick 2019


Und wieder ist ein Lesejahr verstrichen. Mal schauen, was es mir rückblickend gebracht hat. 

Ein wenig Statistik
Das Jahr 2019 war mit 34 gelesenen Büchern das leseärmste Jahr von den letzten neun Jahren. Das muss ich so hinnehmen, da meine Zeit einfach nicht mehr hergeben hat.
Das sind in Zahlen geschrieben im Vergleich die gelesenen Bücher der letzten neun Jahre:

Gelesene Bücher 2019: 34
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Diese Bücher habe ich 2019 gelesen

1. John Irving: Lasst die Bären los
2. Clarence Day: Unser Herr Vater
3. Dörte Hansen: Mittagsstunde
4. Rosemarie Marschner: Das Bücherzimmer
5. Kent Haruf: Abendrot
6. Markus Zusak: Nichts weniger als ein Wunder
7. Paolo Cognetti: Sofia trägt schwarz
8. Rana Ahmad: Frauen dürfen hier nicht träumen
9. Han Kang: Deine kalten Hände
10. Ferdinand von Schirach: Verbrechen
11. Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall
12. Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist
13. Fatima Farheen Mirza: Worauf wir hoffen
14. Robert W. Haas: Der Tierheiler
15. Charles Lewinsky: Der Stotterer
16. Lucy Fricke: Töchter
17. Lukas Hartmann: Der Sänger
18. Grandin Temple: Ich sehe die Welt wie ein glückliches Tier
19. Erich Kästner: Der Gang vor die Hunde
20. Ian McEwan: Maschinen wie ich
21. Elke Söllner: Die heilende Kraft der Katzen
22. Gary Shteyngart: Willkommen in Lake Success
23. Astrid Lindgren: Ronja Räubertochter
24. Henning Mankell: Die italienischen Schuhe
25. Andrej Kurkow: Graue Bienen
26. Henning Mankell: Die schwedischen Gummistiefel
27. Juli Zeh: Unterleuten
28. Simone Lappert: Der Sprung
29. Tracy Barone: Das wilde Leben der Cherri Matzner
30. John Strelecky: Das Café am Rande der Welt
31. Marcel Proust Briefe, BD 1
32. Ulrich Ladurner, Der Fall Italien
33. Charles Dickens, Dombey und Sohn BD 1
34. Michi Brezel: Witzvorlagen / Cartoons

____________________________________

10394 gelesene Seiten
 

20900 gelesene Seiten von 2018.

10506 weniger Seiten als 2018.


Punktevergabe gelesener Bücher

34 Bücher gelesen
05 Bücher habe ich abgebrochen. Und vier bleiben ohne Bewertung.
14 Bücher haben von mir die Höchstpunktzahl (12 Punkte) erhalten.
04 Bücher haben elf Punkte erhalten.
02 Bücher haben 10 Punkte …
02 Bücher haben 9 Punkte ...
01 Buch ... 8 Punkte
03 Bücher ... 7 Punkte
01 Buch ... 4 Punkte

Am schlechtesten hat bei mir abgeschnitten
Lucy Fricke: Töchter


Abgebrochen habe ich

1.    John Irving: Lasst die Bären los
2.    Elke Söllner: Die heilende Kraft der Katzen
3.    Markus Zusak: Nicht weniger als ein Wunder
4.    Ferdinand von Schirach: Verbrechen (Toller Schreibstil, aber mir waren die kriminalistischen Fälle zu heftig)
5.    Lucy Fricke: Töchter

Was waren meine Highlights im Jahr 2019?
Bücher mit 12 und 11 Punkten.

12 Punkte

1.    Clarence Day: Unser Herr Vater
2.    Charles Lewinsky: Der Stotterer
3.    Dörte Hansen: Mittagsstunde
4.    Rosemarie Marschner: Das Bücherzimmer
5.    Kent Haruf: Abendrot
6.    Rana Ahmad: Frauen dürfen nicht träumen
7.    Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist
8.    Fatima Farheen Mirza: Worauf wir hoffen
9.    Robert W. Haas: Der Tierheiler
10.  Lukas Hartmann: Der Sänger
11.  Grandin Temple: Ich sehe die Welt wie ein glückliches Tier
12.  Erich Kästner: Der Gang vor die Hunde
13.  Andrej Kurkow: Graue Bienen
14.  Michi Brezel: Witzvorlagen

11 Punkte

1.    Astrid Lindgren: Ronja Räubertochter
2.    Simone Lappert: Der Sprung
3.    Tracy Barone: Das wilde Leben der Cheri Matzner
4.    Charles Dickens: Dombey und Sohn, BD 1

Weitere Highlights
Meine Highlights waren zudem auch meine zwei literarischen Reisen nach Irland und Schweden, die mir geholfen haben, meinen seelischen Stress abzubauen, um wieder meine innere Balance zu finden. Über diese Reisen habe ich auf meinem Blog ausführlich berichtet.

Bin ich zufrieden mit meinem Lesejahr 2019
Zufrieden bin ich, dass ich so viele Highlights hatte. Weniger zufrieden, dass ich so wenige Bücher geschafft habe.

Welche Bücher möchte ich im neuen Jahr unbedingt lesen?
1.    Meine Leseprojekte intensivieren
2.    SuB-Abbau
3.    Weiter Marcels Prousts Briefe mit Anne lesen

Rezensionsexemplare
Rezensionsexemplare habe ich deutlich eingeschränkt. Es befriedigt mich nicht, nur Rezensionsexemplare zu lesen. Ich finde es schön, wenn man Schwerpunkte hat, die sich auch auf meinem Blog zeigen lassen. Auch hier ist mein Wunsch, die Balance zu finden zwischen Rezensionsexemplaren und den eigenen Büchern. Mein Interessensgebiet ist sehr, sehr groß, wie man dies auf meinem Blog sehen kann. Sonst huscht man nur von einer Thematik in die nächste, ohne diese zu vertiefen. Und das liegt mir nicht.
Aber ich bin sehr dankbar, wenn ich Leseexemplare erhalte. Das weiß ich sehr zu schätzen. Es sind viele wunderbare Bücher darunter, die ich alle nicht missen möchte.

Veränderungen
Ich habe durch Anne ein neues Bücherforum gefunden, in dem ich mich recht wohl fühle. Hier werde ich auch meine Rezensionen weiter teilen.
Das Forum nennt sich Mojoreads. Es arbeitet mit einem ganz anderen System. Man bekommt für jede Aktivität Credits, die man später bei einer bestimmten Summe gegen Bücher eintauschen kann. Ich bin jetzt nicht darauf aus, viele Credits zu sammeln. Ich poste aus Freude, auch ohne Credits würde ich mich hier einbringen. Allerdings bin ich auch hier nicht so wahnsinnig aktiv, da mir dafür einfach die Zeit fehlt. Das finde ich sehr schade, da man auch Beziehungen zu anderen Leser*innen nicht so gut pflegen kann. Aber mit Anne hat sich eine tiefe Freundschaft entwickelt. Wir kennen uns mittlerweile schon zehn Jahre und haben uns in einem anderen Literaturforum kennengelernt, in dem ich richtig aktiv war, aber seit ich den Blog habe, schaffe es nicht, mich woanders mehr einzubringen.

Mein Lieblingsverlag
Hierbei muss ich nicht groß nachdenken, das ist auf jeden Fall der Diogenes – Verlag. Und das hat ideelle und materielle Gründe. 

Der ideelle Wert

-       Gutes Gespür auf der Autor*innen – Suche, dadurch sehr gute und sehr sympathische Autor*innen im System
-       Viele schöne und authentische Buchgeschichten
-       Der wunderbare Kontakt zwischen der Pressereferentin des Verlages und uns Blogger*innen. Auch gefällt mir, dass der Verlag bei jeder Buchmesse die Autor*innen einlädt, und man als Leser*innen diese live erleben darf. So viele interessante Autor*innen, die sich auf dem Bloggertreffen auch uns Blogger*innen persönlich hingewendet haben. Dadurch bekommt man die Möglichkeit, die Autor*innen persönlich kennenzulernen. Ein großes Dankeschön hierbei an Susanne Bühler, Philipp Keel und den wunderbaren und sympathischen Autor*innen.

Der materielle Wert

·        Das sind schlichtweg die Bücher, die alle in einem Format gedruckt werden, sodass man sie ganz leicht nebeneinander in das Bücherregal stellen kann. Dadurch strahlt es eine wunderbare Harmonie aus. Mir gefällt das einfach gut. 
·        In jedem Buchband befindet sich eine Postkarte mit einem wunderschönen kritischen Spruch zu Politik und / oder Gesellschaft. 
- 
Meine Art, Rezensionen zu schreiben
Meine Art, Rezensionen zu schreiben möchte ich gerne beibehalten. Ich mache mir über ein Buch immer sehr viele Gedanken, und ich finde es schade, wenn sie untergehen, nur damit man schön objektiv wirkt. Aber ich möchte nicht objektiv wirken, sonst kann ich gar nicht authentisch sein. Ich möchte mich in dem finden, in dem, was ich schreibe. Mir ist es wichtig, dass mein Verstand und meine Seele beim Schreiben mitschwingen. Dabei habe ich von einem unbekannten Autor einen wunderschönen Spruch gefunden, der just hätte auch von mir sein können.
                Intelligenz und Intuition sind zwei Freunde.
Ich mag das einseitige Intellektualisieren nicht. So oft kommen mir gute Gedanken, die ich aufschreibe, und ich mich dabei immer frage, ob ich das auch wirklich so meine, was ich so schöngeistig produziert habe? Deshalb frage ich mich ganz häufig, ob ich diese von mir formulierten Theorien auch in der wirklichen Welt lebe? Mir ist es wichtig, das, was ich denke auch spüren zu wollen. Deshalb habe ich meinem Blog den Titel Literatur zum Nachdenken und zum Nachfühlen gegeben. Außerdem möchte ich auch nicht das schreiben, was andere schreiben. Jeder Mensch ist ein Individuum, und das möchte ich auch beim Schreiben meiner Rezensionen bleiben. Und zwar schön persönlich, sodass man meine Besprechungen mit anderen nicht einfach austauschen kann.
Ich verbringe viel Zeit damit. Zeit, die vom Lesen abkommt, aber doch zum Lesen dazugehört.

Ich bekomme auch Rückmeldung von Autor*innen. Leider meistens nur via eMail. Eine schrieb mir zum Beispiel, dass sie sich mit meiner Buchbesprechung hundertprozentig verstanden gefühlt habe ... Welche eine Freude für mich, das zu lesen.
Ende des Jahres habe ich zum ersten Mal einen Kommentar von einem Autor auf meinem Blog erhalten, über den ich mich wahnsinnig gefreut habe. Ich habe mich auch hier so wertgeschätzt gefühlt.

Verrate ich in meinen Rezensionen zu viel?
Es gibt verschiedene Meinungen. Viele sagen, dass ich durch meine lange Rezension Neugier wecken konnte, und sie das Buch dann selbst lesen wollten. Andere sagen, sie lesen an meinen Rezensionen nur die Handlung, dann scrollen sie runter, um die Punktevergabe zu entnehmen. Wenn sie das Buch selbst gelesen haben, lesen sie meine ganze Rezension, um die Meinungen miteinander zu vergleichen. Andere sagen wiederum, dass sie meine Art zu schreiben wunderbar fänden, weil sie anders sei als die der anderen Leser*innen. Darüber freue ich mich, aber das ist auch alles nur Geschmackssache. 

Leserunden
Leserunden haben mich letztes Jahr sehr gestresst, sodass ich dieses Jahr damit aussetzen möchte. Ich tausche mich sehr gerne mit anderen aus, aber wenn man auch noch die vielen Kommentaren der Mitstreiter*innen lesen muss, bleibt mir dann gar keine Zeit mehr, selbst noch das Buch zu lesen. Letztes Jahr bin ich ganz schön ins Strudeln gekommen, dass mir die Freude am Austausch verloren gegangen ist. Angenehm finde ich einen Austausch von ein bis drei Personen. Was darüber ist, empfinde ich nur als Stress, wenn man abends einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich gebracht hat. Außerdem wird man doch zu sehr von den Meinungen anderer beeinflusst, bei denen es geradezu heraussprudelt, während ich oftmals mehr Zeit benötige, bis sich die Thematik in mir entfaltet hat. Ich habe nicht immer Lust, so schnell über ein Buch zu sprechen, weil ich die Situation einer Handlung und die Charaktere der Protagonist*innen stärker beobachten möchte, bevor ich mir darüber eine Meinung bilde. Und deshalb lese ich derzeit ganz gerne lieber im Stillen. 

Aber auf Diogenes Backlist habe ich gesehen, dass man dort auch über Gedanken eines Buches schreiben kann, selbst wenn dazu keine Leserunde stattgefunden hat. Das würde ich gerne fortsetzen. Ich fand den letzten Austausch über den neuen McEwan wahnsinnig bereichernd, ein kurzer Austausch mit nur zwei/drei Leuten. 

Literarische Reisen

Literarische Reisen möchte ich auch in diesem Jahr fortsetzen.
1.    Im April für ein Wochenende nach Paris, um auf den Spuren von Marcel Prousts zu wandeln. Paris ist mir nicht fremd. Ich war schon drei Mal dort, aber zu einer Zeit, in der mir Proust noch fremd war.
2.    Im Mai findet eine Bildungsreise mit Reiner Engelhard als Reiseleiter nach Auschwitz statt.

3.    August / September plane ich erneut eine Schwedenreise.  

Ich wünsche allen meinen Freund*innen, den Verlagen und meinen Besucher*innen ein schönes und friedliches buchiges Jahr 2020. 

Eure Mir(ell)a aus Darmstadt

Freitag, 24. Januar 2020

Leena Lander / Die Gesichter des Meeres

Klappentext  
Kingstown, Heiligabend 1895. Vor der Küste Irlands läuft ein Frachter auf Grund. Während die Schiffbrüchigen auf Hilfe warten, kommen die Seenotretter in den eisigen Wellen ums Leben. Die Bewohner der Hafenstadt sind traumatisiert. Der 13-jährige Matias, der an Bord des havarierten Frachters war, findet sich in den hilfsbereiten Händen der Einheimischen wieder – und mitten im Strudel der Ermittlungen…
Über 100 Jahre später, auf den Spuren ihrer Vergangenheit, offenbart sich einer Schriftstellerin aus Finnland ein unbekannter Teil ihrer Familiengeschichte.

Autorenporträt
Leena Lander, geboren 1955, ist eine der international bekanntesten und erfolgreichsten Schriftstellerinnen der finnischen Gegenwartsliteratur. Ihre Bücher wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und vielfach mit Preisen ausgezeichnet. Die Verfilmungen ihrer Romane »Die Insel der schwarzen Schmetterlinge« und »Die Unbeugsame« waren in Finnland große Erfolge. Leena Lander lebt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Hannu Raittila, im Südwesten von Finnland in der Nähe von Turku.

Meine ersten Leseeindrücke

Zu meinen ersten Leseeindrücken kann ich mich noch nicht entschließen. Ich habe ein wenig die Befürchtung, dass mir der rote Faden verloren geht. Aber ich gebe noch nicht auf, und warte noch etwas ab.

Ich bin mit diesem Buch überhaupt nicht zurande gekommen, sodass ich es abbrechen musste. 

Weitere Informationen zu dem Buch

·         Taschenbuch: 592 Seiten
·         Verlag: btb Verlag; Auflage: Deutsche Erstausgabe (9. Dezember 2019)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 344271883X

Hier geht es zu der Verlagsseite von btb, Randomhouse.

Montag, 20. Januar 2020

Ulrich Ladurner / Der Fall Italien (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Eine andere Form von Buchbesprechung, mehr ein Nachdenken, ein Diskutieren über verschiedene Gedanken und Fakten möchte ich hier hineinbringen, die ich mit Zitaten belegen werde. Ich zitiere nicht nur aus Ulrich Ladurners Buch, sondern auch ein Zitat aus dem Web.

Hier geht es zum Klappentext, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Das Buch hat mich lange beschäftigt und passt wunderbar zu dem Buch, das ich davor gelesen hatte. Ian McEwan, Die Kakerlake. Auch italienische Politiker sind nichts anderes als Kakerlaken. Sie scheinen für mich EU-weit die gefräßigsten Parasiten zu sein. 

Vieles, was der Autor hier in seinem Buch beschreibt, war mir schon bewusst, aber vieles ist mir auch neu, und so konnte mir Ulrich Ladurner zumindest auch die Frage beantworten, weshalb die Italiener wiederholt Berlusconi gewählt hatten. Und weshalb sie nach der Berlusconi-Ära weiterhin auf populistische Parteien zugegriffen haben? Alle Antworten werde ich hier der Länge wegen nicht liefern können, aber zumindest ein paar Anregungen.

Es gibt in Italien derzeit keine anderen Parteien. Der Wolf im Schafspelz, sie alle, die Politiker, versprechen dem Volk ein besseres Leben. Bessere Arbeitsplätze, günstigere Mieten, und wenn sie schließlich gewählt sind, zeigen sie ihr wahres Gesicht.

Ich wusste schon, dass Italiens Regierung korrupt ist, aber ich wusste auch, dass der italienische Mensch nicht die Regierung ist, selbst wenn diese ihre Politiker gewählt haben. Aber es gibt auch in Italien ein sehr differenziertes Wahlverhalten zwischen Passivwählern, Frustwählern, Nichtwählern, Protestwählern etc.

Das Buch hat mich sehr traurig gestimmt, traurig, wie die Gutmütigkeit eines Volkes benutzt und hinters Licht geführt wird, wie mit der Psyche der Menschen gespielt und manipuliert wird. Traurig, dass es keine sauberen Politiker in diesem Land zu geben scheint, keine sauberen Parteien, sodass viele Italiener es leid sind, die Politik meiden und den Zusammenhalt nur noch in der Familie suchen.

Ich habe wirklich die Sorge, dass in Italien erneut der Faschismus ausbrechen wird. Muss ein Krieg kommen, damit das Böse ausgemerzt wird? Das Buch hat mich schon etwas niedergedrückt, aber es beschreibt die Lage, so wie sie ist.

Italien ging es nicht immer schlecht. Italien feierte auch einen wirtschaftlichen und einen sozialen Aufschwung, und zwar nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der schnelle Aufstieg Italiens begann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die sechziger Jahre war geradezu ein rauschhaftes Jahrzehnt. Fünfzehn Jahre nach Kriegsende feierte das Land Erfolge auf allen Ebenen. Es begann mit der Olympiade 1960, bei der Italien 13 Medaillen gewann und damit hinter der Sowjetunion und der USA auf Rang drei landete. 1964 wurde die Autostrada del Sole (…) fertiggestellt, die den Norden mit dem Süden verband. (…) Die Wirtschaft boomte, und die Massen konnten sich Konsumgüter leisten. (…) Vergessen waren die Verherungen des Krieges, vergessen die Vereehrungen in den Faschismus. Die Zukunft war ein offenes Feld voller Verheißungen, man musste es nur entschlossenen Schrittes betreten. (2019, 17)

Damals wurden die Politiker noch in die „Schule“ geschickt. Es gab starke Gewerkschaften, große Parteien, eine mächtige Kirche, die ihren Mitgliedern Fortbildungen angeboten hatten, um sie auf die Politik vorzubereiten, doch leider konnte dieser Anspruch auf Dauer nicht aufrecht erhalten bleiben.
Allein zwischen 1945 und 1954 durchliefen 300 000 Mitglieder Ausbildungskurse, die Besten wurden ausgewählt und auf die Parteischule Frattocchie bei Rom geschickt. Aus ihr ging eine Reihe von später bekannt gewordenen Politikern hervor. Die Gewerkschaften hatten ihre eigenen Ausbildungszentren, die ebenfalls viele Persönlichkeiten hervorbrachten, die eine prägende Rolle in der italienischen Nachkriegsrepublik spielten. (18)

Diese stabilen und schönen Zeiten waren nicht von Dauer. In den späteren Jahren wurden die Italiener von ihren Politikern erneut enttäuscht und betrogen. Besonders in der ...
Gegenwart (hatte) kein führender Politiker mehr eine spezifische Ausbildung durchlaufen, die ihn hätte vorbereiten können, denn die Schulen der Parteien und der Gewerkschaften hatten sich fast alle aufgelöst. Es wird offenbar nicht mehr erwartet, dass der Politiker komplexe Probleme intellektuell durchdringt, sie verständlich darlegt und schließlich für Lösungen bei den Bürgern um Zustimmung wirbt. (20)

Das Volk entpuppte sich immer mehr zu einem Wutbürger, viele reagierten desillusioniert, viele sind nur noch misstrauisch, stehen den Medien missmutig gegenüber. Sie erlebten eine massive Deinstrualisierung, den Niedergang der Volksparteien, die Schwächung der Gewerkschaften.
Wer immer ihnen Nachricht überbringt, sie glauben ihm nicht. Sie fühlen sich hintergangen und umgeben von Lügnern und Betrügern. Das Misstrauen sitzt in ihren Knochen und macht sie schwer wie Blei. (22) 
Man fragt sich, wie Berlusconi es geschafft hat, an die Macht zu kommen? Für mich eine ganz klare Sache. Er hat die Medien, die in seiner Hand lagen, manipuliert, und sicher hat er als Milliardär mithilfe von Schmiergeldern Stimmen gekauft. Hier macht sich leider der Italiener, der sich hat kaufen lassen, mitschuldig an diesem politischen Verbrechen.
Als die Italiener 1994 Silvio Berlusconi zum Ministerpräsidenten wählten und ihn dreimal im Amt bestätigten, schüttelte das Ausland den Kopf. Wie konnte ein so kultiviertes Volk einem Illusionskünstler vom Schlage Berlusconis hinterherlaufen? Wie konnten die Italiener ihn immer wieder wählen, trotz seiner zahllosen Skandale und Affären? (22)

In dem Buch werden zudem noch mehrere Gründe benannt. Was ich nicht wusste, ist, dass bei der Einführung des Euros alle Italiener dafür zahlen mussten. Romani Prodi, damaliger Ministerpräsident, führte eine Eurosteuer ein.
Die Regierung zog direkt von den Bankkonten der Italiener Geld, um die Kriterien des Vertrags von Maastricht erfüllen zu können. Somit zahlten die Italiener aus eigener Tasche für den Beitritt zum Euro. Doch die Italiener waren bereit (…) zu zahlen, weil sie mit dem Euro viel Hoffnung verbanden. Europa verlangte es, und die Italiener wollten gute Europäer sein. Sie waren es aus Überzeugung und aus Notwendigkeit, denn sie hatten wenig Vertrauen in die Fähigkeiten der eigenen politischen Klasse. Brüssel sollte die Modernisierung vorantreiben. (23)

Aber mit Europa wurde es nicht besser. Im Gegenteil, der Druck nahm durch Brüssel noch mehr zu und das nutzte der wiedergewählte Berlusconi aus und führte eine Antieuropa – Politik ein und stärkte das Volk, auf die nationalistischen Werte zu vertrauen. Zum Beispiel Italien gehöre den Italienern und nicht der EU. Berlusconi nutzte das geschwächte Selbstvertrauen seiner Landsleute aus.
Mit Ausbruch der Eurokrise 2010 zerstoben diese Hoffnungen. Italien geriet ins Hintertreffen: Die Arbeitslosigkeit stieg, die Kaufkraft sank, die Wettbewerbsfähigkeit ging verloren, der Anteil der Industrieproduktion am Bruttoinlandsprodukt schrumpfte. Es war ein bitteres Erwachen. Und aus Brüssel kamen die ständigen Ermahnungen zum Sparen, zu mehr Disziplin, zu mehr Reformen. Die Italiener sollten so werden wie die Deutschen – doch da das nicht möglich war, entstand das nagende Gefühl des ständigen Ungenügens. Die EU war wie ein strenger Schulmeister, der Italien ohne Unterlass schlechte Noten gab. (…) Erst Jahre später sollte man erkennen, dass Berlusconi keine Ausnahme war, sondern ein Vorläufer-ein frühes Modell von Donald Trump, der 2016 überraschend zum US-Präsidenten vor. Berlusconi lebte das Modell des radikalen politischen Narzissmus vor.  

Dass die Italiener 2002 für den Euro selbst zahlen mussten, das wusste ich nicht. Das erklärt natürlich, dass die Italiener auf Prodi wütend wurden und ihn abgewählt haben, weil sich an der politischen Lage nichts gebessert hatte. Dann die vielen Beschimpfungen aus Brüssel, das waren die Italiener leid. 
Seit der Eurokrise scheinen die Italiener aus deren Blickwinkel wie ungezogene Kinder, die nicht recht wissen, wie man mit Geld umzugehen hat. Sie schmeißen zum Fenster hinaus, was andere hart verdient haben. Diese Vorstellung hat sich, auch dank entsprechender Berichterstattung, tief in die Köpfe, insbesondere der Deutschen, eingenistet. Da ist viel Herablassung im Spiel, viel Besserwisserei und Ignoranz. Die strengen Sparmeister des Nordens sollten aber berücksichtigen, dass andere europäische Länder enorm von der Kreativität, dem Talent und dem Leistungswillen der italienischen Auswanderer profitieren. Es war in erster Linie der viel gescholtene italienische Staat, der diese Menschen ausgebildet hat, bevor sie ins Ausland gingen.

Und trotzdem steht Italien an vierter Stelle, was die Zahlung an die EU betrifft. Noch 2016 zahlte das Land 11,48 % des Bruttoinlandprodukts an die Europäische Union. An erster Stelle steht Deutschland, an zweiter Frankreich, an dritter England, dann kommt Italien. Das allerdings habe ich aus einer anderen Quelle herausfinden können, siehe hier.
Und es gibt noch einiges mehr, was in der Rede vom angeblichen liederlichen Italien untergeht: Laut einer Studie der Europäischen Zentralbank ist das durchschnittliche Vermögen der Italiener fast dreimal so groß wie das der Deutschen, nämlich 173 600 zu 51 400 €. Auch die Schulden in ihrer Gesamtheit – Staat, Familien, Unternehmen – sind geringer als die der Dänen oder Schweden. Der italienische Staat ist arm, die italienische Gesellschaft dagegen reich. Fakten wie diese spielen in der Debatte über Italien nur selten eine Rolle. Sie finden keinen Platz zwischen all den Vorurteilen, die sich längst zu Gewissheiten verfestigt haben. (Ladurner 218) 

Schuld daran sind auch die populistischen italienischen Politiker, die in Brüssel auf den Tisch hauen und so tun, als würden sie im Auftrag des Volkes so agieren. Dabei ist das Volk selbst ganz verzweifelt über die peinlichen Auftritte ihrer Politiker.
Europäische Politik ist eine heikle, mitunter explosive Angelegenheit, weil jede Nation ihre eigene Geschichte hat. (…) Nationalgefühle sind auch mehr als sechzig Jahre nach Gründung der Europäischen Union noch nicht abgekühlt. (219)

Nun kommt ein ganz wichtiger Gedanke, den ich selbst auch habe, und den ich nun herausschreiben möchte, der aber auf alle Länder umgesetzt werden sollte, auf die im Norden geringschätzig geschaut wird:
Nicht nur, aber auch darum ist die Art, wie man übereinander redet, von größter politischer Bedeutung. Europäische Politik hat sehr viel mit gegenseitigem Respekt zu tun. Millionen Italiener fühlen sich in der Europäischen Union nicht respektiert, (…). Die Union, die sie erleben, ist nicht ihre Union, sondern ein Zwangsverein. (…) Es hätte gewiss nicht geschadet, wenn man den Millionen Italienern, die in den letzten Jahren verzweifelt gegen den Abstieg in die Armut kämpften, mit etwas mehr Großzügigkeit begegnet wäre. Es hätte nicht geschadet, wenn man in Brüssel wie auch in Berlin immer wieder darauf hingewiesen hätte, dass die Italiener den Europäern trotz all der Schwierigkeiten immer noch viel geben. Man muss bei solchen Reden die Probleme nicht verschweigen – sie liegen offen auf der Hand: Die Schwächen der Institutionen, die Unzulänglichkeit der politischen Klasse. Das sind die Kernprobleme Italiens. Das italienische Volk leidet darunter ebenso, wie Europa daran Schaden nimmt. (Ebd)

Wie schon gesagt, sollte man diesen Respekt, von dem der Autor spricht, allen Ländern entgegenbringen, die aus einer schwierigen Regierung kommen, und man sollte aufhören, die Menschen darin durch Arroganz und Besserwisserei zu bestrafen. Das hat stark diskriminierenden und rassistischen Charakter. Dass wir in einem Land geboren wurden, in dem es solche Probleme nicht gibt, dafür aber genug andere, ist nicht unserem Können geschuldet. Die Geburt eines Kindes ist wie ein Lotteriespiel. Niemand sucht sich sein Land und seine Eltern aus. Jeder Mensch muss in dem Land, in dem es geboren und seine Wurzeln geschlagen hat, bestmöglich klarkommen.

Probleme gemeinsam angehen, dann findet man auch wieder das Vertrauen der Menschen, die sich abgeurteilt fühlen.

Wieder zurück zu MacEwan und sein neustes Buch Die Kakerlake.
Wenn ich könnte, würde ich dem Schriftsteller Ian McEwan gerne einen Brief schreiben, aber der arme Mann hat sicher andere Sorgen, als sich mit den Sorgen der Italiener zu befassen. Sollen sich die Italiener doch selbst mit ihren Sorgen auseinandersetzen, würde er sicher antworten, und recht hat er. 

Es würde mir schon genügen, wenn Die Kakerlake ins Italienische übersetzt werden würde, deshalb erwähne ich ihn hier, und hoffe, den Italienern auf ihn aufmerksam machen zu können. 

Mein Fazit  
Ein sehr interessantes, bewegendes und ein nachdenkenswertes Buch, das mir viele Antworten liefern konnte. Es hatte mich zwar viele Tage über die politische Lage dieser Nation richtig betrübt, dann aber konnte ich diese Stimmung wieder überwinden und weiterlesen. Und immer wieder kommt mir McEwan mit seinem Buch Die Kakerlake in den Sinn. Wie gefräßig italienische Politiker sein können, wird hier in diesem Sachbuch noch viel deutlicher. Viele Textstellen konnte ich nur markieren, aber nicht herausschreiben, weil sie einfach zu heftig waren. Vieles habe ich aber auch nicht erwähnt, um eine Überlänge zu meiden. Ich empfehle das Buch auf jeden Fall weiter an Menschen, die sich auch für diese brisante Thematik interessieren.

Das Buch habe ich auf der Buchmesse 2019 entdeckt. Und bin recht froh darüber. Ohne die Buchmesse wäre es mir nie in die Hände gefallen.

Klare Leseempfehlung. 12 Punkte.
________________
Es geht nicht um den Verstand,
es kommt alles aus dem Herzen.
(Tracy Barone)

Gelesene Bücher 2020: 02
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Der Mensch ist mehr als nur die biologische Erbmasse.
Er ist, was er innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)
Die Herkunft eines Menschen
Die Wurzeltheorie verdammt Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur, weil sie eine andere Hautfarbe, eine andere Religion oder einen anderen Namen tragen. Die meisten haben ihre Wurzeln dort geschlagen, wo sie geboren wurden und / oder dort, wo sie ihr ganzes Leben zugebracht haben.

Es lebe die Vielfalt.
(M. P.)