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Samstag, 11. Januar 2020

Ian McEwan / Die Kakerlake (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  
Mir hat das Buch recht gut gefallen, viele meiner Gedanken habe ich bei Facebook auf der Seite von Diogenes backlistlesen gepostet. Dadurch kam auch eine kleine Diskussion zustande. Damit ich nicht alles neu schreiben muss, kopiere ich ein paar wenige meiner Gedanken weiter unten hier hinein.

Besonders gut hat mir die Idee gefallen, stark kafkaeske Züge aufweisend zwar, aber dennoch spannend, eine super Idee, denn man bekommt es hier mit einer Kakerlake zu tun, die sich in einen Menschen verwandelt hat.

Da dies eine winzige Novelle von gerade mal 130 Seiten ist, länger hätte sie aber auch nicht sein dürfen, werde ich mich hier kurzhalten.

Hier geht es zum Klappentext, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.


Die Handlung
Man bekommt es hier in vielem mit einer Umkehrung zu tun. Gregor Sams hat sich von einem Menschem in einen Käfer verwandelt und bei McEwan verwandelt sich ein Käfer in einen Menschen, der in dem Bett des englischen Premierministers aufwacht. Es handelt sich hier nicht um Gregor Samsa, sondern um Jim Sams. Und Jim Sams krepiert auch nicht, weil er aus seiner Rückenlage nicht herausgefunden hat, nein, Jim Sams ist fidel, schafft es, seine Umgebung nach der Metamorphose zu verlassen, als es ihm gelungen ist, sich an seine neue körperliche Lage zu gewöhnen. Man bekommt es hier mit dem Premierminister Sams zu tun. Aber Sams ist nicht die einzige verwandelte Kakerlake, auch weitere Politkollegen gehörten einst zu diesen Nimmersatt- Insekten. Die Umkehrung findet man auch in anderen Bereichen. Wer zum Beispiel arbeiten geht, muss Geld bezahlen und bei Einkäufen bekommt man Geld. Diese Umkehrung gehört zu dem Reversalismus – Plan, der ziemlich vertrackt ist. Jim Sams tut alles, damit dieser Plan umgesetzt wird, selbst dann noch, als sich erweist, dass er nicht wirklich tragfähig ist.
Bevor der Reversalismus, dieser seltsame Wahn, die menschliche Bevölkerung in Armut stürzt, was notwendigerweise geschehen muss, werden wir gedeihen. (2019, 131)

Meine Meinung
Eine absolut Anti-Brexit-Satire mit viel Sarkasmus. Ich halte diese Novelle für eine sehr wichtige Polit-Satire. Endlich mal jemand, der sich kritisch zu Brexit bekennt. Jede Menge politische Lügen, die ich aber nicht für wirklich typisch Brexit halte. Man findet diese in jeder Politik, auch bei uns. Aber was die Kakerlake betrifft, diese Fühler, die sehr genau aufspüren, wie man das Volk hintergehen kann, die würde ich auch unseren Politikern aufsetzen. Typisch Brexit ist das Reversalismus-Projekt, aber der Inhalt erinnert mich symbolisch betrachtet an die Inhalte anderer Politiker weltweit. Meine Mitstreiterinnen sehen das etwas anders, denn sie sind der Meinung, dass wir hier in Deutschland den Brexit durchschauen würden, während die Engländer’innen nach der Wahl erst mal angefangen hatten zu googeln, was Brexit bedeuten würde. Sie wurden aber ein zweites Mal an die Wahlurne gerufen, und sie haben sich ein zweites Mal für den Brexit, für den EU-Austritt entschieden.

Sicher bekennen sich die meisten meiner Lesepartner*innen zu EU-Befürworter*innen, zu denen ich mich als ein Mensch mit zwei Nationalitäten auch zähle, aber ich befürchte, nur eine kleine Minderheit zu sein.

Meine abschließende Frage; sind wir Europäer reif für ein geeintes Europa? Ich bin dennoch der Meinung, würde hier in Deutschland eine Umfrage für oder gegen ein geeintes Europa starten, würden die meisten Wähler*innen dagegen sprechen. Aber ich stimme auch meinen Mitstreiterin zu, dass Reife erarbeitet werden könne, und dass sich Individuen schneller verändern würden als Gesellschaften. Ich bin auch der Meinung, dass dies ein Prozess ist, der mit viel Zeit und Geduld verbunden ist. Zu lösende Probleme müssen global angepackt werden, die man in einem Staatenverbund besser angehen könne, als in einem Einzelstaat. (Brigitte Hofmann)

Was habe ich vermisst?
Dass die Engländer im Alleingang eine Weltmacht anstreben, ist auch nicht nur in England zu finden, aber was ist mit der Flüchtlingsproblematik, mit der in England alles begonnen hatte? Warum erwähnt McEwan diese in keinem Satz?

Nichtsdestotrotz, wird der Brexit eines Tages die Geschichtsbücher füllen, und vielleicht werden sich die Engländer in Zukunft dafür schämen. Sie selbst haben Mitte des 19. Jahrhunderts Indien erobert und kolonialisiert, hatten die Rechte der Menschen, deren Land und deren Kultur beraubt, und sie selbst verachten heute Flüchtlinge, die ihr Land arm machen könnten. Das hat stark parasitären Charakter, nur nehmen, aber nichts geben zu wollen, vor allem, wenn die nimmersatten Politiker so ein Verhalten den Menschen vorleben.

Ich habe mich mit den Zitaten absichtlich zurückgehalten, aber es gibt viele Stellen, die ich gerne zitiert hätte.

Wer mehr über die Beweggründe dieser Satire erfahren möchte, kann hier auf ein englischsprachiges Interview zwischen dem Autor und der Tageszeitung Die Zeit zugreifen, zudem auch auf einem Podcast.

Mein Fazit
Eine sehr interessante und sehr wichtige Satire, die zum Weiterdenken bewegt. Ich habe tagelang über dieses Buch nachgedacht, bevor ich hier auf meinem Blog schreiben konnte und habe immer wieder bestimmte Seiten aufgeschlagen und nochmals gelesen. Da das Buch recht wenige Seiten hat, werde ich die Satire zeitnah ein zweites Mal lesen.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (sachlich, fantasievoll, distanziert)
2 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere 
2 Punkte: Authentizität der Geschichte; 
2 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur vorhanden
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

12 von 12 Punkten


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Es geht nicht um den Verstand,
es kommt alles aus dem Herzen.
(Tracy Barone)

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Der Mensch ist mehr als nur die biologische Erbmasse.
Er ist, was er innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)