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Sonntag, 12. April 2020

Matthias A. K. Zimmermann / Kryonium (1)

Foto: Wikipedia / Brouhaha
Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Was für ein Buch!!! Endlich habe ich es geschafft, durch alle Seiten zu kommen. Mir ging es nicht schnell genug. Zu ungeduldig bin ich mit jeder gelesenen Seite geworden, je weiter ich mich mit meinen Sinnen in dieser literarischen Welt vorangetastet habe. So ein spannender Fantasieroman ist mir ja noch nie in die Finger gekommen. Ich muss gestehen, dass ich nach ein paar Tagen es nicht mehr ausgehalten habe, und musste nach vorne blättern, weil ich unbedingt wissen wollte, wer z. B. dieser namenlose Icherzähler nur ist, und mit welcher Realität die Geschichte enden wird. Wie sollte die Kernbotschaft dieses Buches nur lauten? Dies und anderes wollte ich unbedingt vorzeitig in Erfahrung bringen. Ich habe das Lesen wirklich nicht genießen können, so sehr hat mich diese Geschichte in ihren Bann gezogen.

Hier geht es zum Klappentext, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Aber ich kann versichern, dass inhaltlich alle meine Fragen beantwortet wurden, aber ob alle Probleme des Protagonisten in den Griff zu bekommen waren, das soll jeder selbst herausfinden.

Die Buchbesprechung muss ich bei dieser Lektüre ein wenig anders aufziehen. Ich kann auf vieles gar nicht eingehen, denn ein Satz zu viel geschrieben, ein Detail zu viel verraten sprengt die ganze Auflösung, was ich keinesfalls möchte. Sollen andere Leser*innen genauso leiden, wie ich gelitten habe, und sich schön von Frage zu Frage lesend hocharbeiten. Das klingt böse, nein, ich wünsche jedem dieselbe Spannung, die auch ich erfahren habe. Lasst euch überraschen!!!!

Die Handlung
Der Icherzähler befindet sich auf einer magischen Insel, in der er sich mehrfach gefangen fühlt. Diese Gegend ist ihm völlig unbekannt. Er weiß nicht, wie er dorthin gelangt ist und wie er wieder aus ihr herauskommen wird. Auf dieser bewaldeten Insel leben sämtliche Fabelwesen wie Zwerge, Gnome, Hexen, Zauberer, Einhörner, Drachen, etc. Der Wald ist verhext. Aber alles scheint beseelt zu sein, wie z. B. auch der erstarrte Schneemann, der ein Bewusstsein hat. Der Icherzähler wird in einem Schloss gefangen gehalten. Es ist Winter und ein gefrorener See umschloss wie eine Zange die Insel und hielt die Tiere, Fabelwesen und Schlossbewohner gefangen. Unter der Eisfläche lauerte das Ungeheuer. (2019, 13)
Das Schloss, im Vergleich zum Wald, wirkte alles andere als in sich ruhend und wurde von unentwegter Hektik und ständigem Unbehagen beherrscht. Seine Bewohner waren in eine strikte Hierarchie gegliedert: Die Obrigkeit bestand aus dem König und den Rittern; die Mittelschicht bildeten die Wachen und Hofdamen; und die Unterschicht (…) setzte sich aus den Untertanen zusammen. (Ebd.)

Der Icherzähler, in dieser Sparte Physiker von Beruf, wird von zwei Wachen jeden Morgen aus seiner Zelle geholt und in die Lichtwerkstatt begleitet. Hier pflegt er den wissenschaftlichen Auftrag ausfüllen zu müssen, die größte Glühbirne zu erstellen, die es jemals gab, damit diese viel Licht ausstrahlen kann, um das lichtempfindliche Ungeheuer aus den Tiefen des Sees auszumerzen ...

Der Icherzähler versucht, aus dem Schloss zu fliehen. Er befindet sich im verzauberten Wald und macht Bekanntschaft mit verschiedenen Märchenfiguren, die ihm helfen sollen, den Wald wieder zu verlassen, um nach Hause zu kommen. Wäre da nicht die Hexe, die scheinbar eine Flucht unmöglich macht …

Später findet sich der Icherzähler in einer psychiatrischen Klinik wieder, die ihn dort wegen einer Wahrnehmungsverzerrung festhält. In dieser Anstalt wird er gezwungen, Psychopharmaka einzunehmen, ohne zu wissen, wie lange er schon festgehalten wird und unter welcher Erkrankung er leidet. Er scheint von einer Amnesie befallen zu sein ... Die Psychiatrie lässt an Zeiten der 1950 / 1960er Jahre erinnern, wo Erkrankte wie Schwerverbrecher behandelt und von der Gesellschaft weggesperrt wurden.

Er wünscht sich wieder zurück in die Märchenwelt, da er die Psychiatrie noch weniger zu ertragen weiß. An allen Orten, wo er sich allerdings befindet, ist er bedroht und dadurch ständig auf der Flucht …

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Am Anfang waren das die Szenen in der Psychiatrie.
Aber auch die Szene mit der gierigen und gefräßigen Eule fand ich widerlich.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Diese Aha-Erlebnisse in den letzten Kapiteln. Sehr originell fand ich allerdings, als der Icherzähler bei der Flucht aus der psychiatrischen Klinik draußen mit einer Glaswand zusammengestoßen ist und nicht weiterkam, und er schmerzvoll erkennen musste, dass er und das gesamte Umfeld in einer Schneekugel gefangen war. Was für eine tolle Idee.

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Mir war der Schneemann sehr sympathisch aber auch der Zauberer.

Welche Figur war mir antipathisch?
Die gesamte Belegschaft der Psychiatrie.

Meine Identifikationsfigur
Ich habe mich hin und wieder in dem Icherzähler gesehen ... 
Diese ständige Suche nach Lösungen, selbst wenn eine Situation aussichtslos erscheint, hält ihn nichts davon ab, weiter zu suchen. Es rattert im Kopf und rattert und rattert, bis er neue Wege gefunden hat, neue Ideen, neue Antworten auf Fragen, die, wenn man den Fabelwesen glauben wollte, völlig unlösbar erscheinen würden. genauso bin auch ich. Auch der Widerstand gegenüber dem Klinikpersonal war für mich nachvollziehbar. 

Cover und Buchtitel
Mir hat das Cover sehr gut gefallen, das mich so sehr angezogen hat. Die Symbole darauf konnte ich im Buch alle wiederfinden und so lernte ich nach und nach deren Bedeutung kennen. Was den Buchtitel betrifft, so benötigt man hierbei sehr viel Geduld und Ausdauer, bis man dessen Sinn und Zweck herausgefunden hat.

Zum Schreibkonzept
Auf den 324 Seiten ist der Roman in vier Teilen gegliedert. Die Teile bestehen fortlaufend aus 60 relativ kurzen Kapiteln. Auf der allerersten Seite bekommt man eine Widmung in Versform zu lesen, einleitend passend zum Inhalt des Romans. Auf der folgenden Seite ist ein Vers von einem tibetischen Yogi abgedruckt. Im ersten Teil lernt man die Ichfigur kennen, die Probleme mit ihrer Identität hat und gar nicht weiß, wer sie ist und wie sie in diese skurrilen Welten eingedrungen ist. Bis zum dritten Teil ist der Roman in der Ichperspektive erzählt. Im dritten Teil findet ein Wechsel zwischen dem Icherzähler und dem neutralen Erzähler statt. Im ersten Teil ist die Welt fiktiv, im zweiten Teil bekommt man es mit der Wirklichkeit zu tun, bis sich beides auch hier vermischt. Surreale Handlungen werden im zweiten Teil zur Normalität. Im dritten Teil gibt es eine neue Gegenwart, aus der ich meine Aha-Erlebnisse gewonnen habe. Im vierten Teil liest man ein Nachwort von Stephan Günzel, deutscher Philosoph und Medientheoretiker, der sich auf den Roman mit wissenschaftlichen Theorien bezieht.

Man hat es hier mit vielen bekannten Figuren in abgewandelter Form aus der Märchen- und der Fantasywelt zu tun. Aber man findet auch neue und unbekannte Wesen. Des Weiteren sind in dem Roman auch Archetypen aus der griechischen Mythologie mit eingewoben. Nicht, dass der Autor abgeschrieben hätte, nein, er hat mithilfe der vielen bekannten aber auch der vielen unbekannten Symbole eine eigene Geschichte kreiert.

Auch die Sprache fand ich sehr gelungen. Eine überaus gewählte und elaborierte literarische Ausdrucksweise, die dennoch gut zu verstehen ist.

Meine Meinung
Eigentlich bin ich genauso getäuscht und gefoppt worden, wie auch die Hauptfigur dieses Romans getäuscht worden ist. Im zweiten Kapitel hatte ich gedacht, die Botschaft des Romans schon erfasst zu haben, aber nein, ich lag völlig falsch. Meine gesamten Deutungstheorien haben mich fehlgeleitet. Alle meine Hypothesen wurden negiert. Ich hatte heute Nacht sogar von dem Buch geträumt, von ganz viel Algorithmen, sogar vom Satz des Pythagoras????

Nichts, aber auch gar nichts ließ sich voraussehen. Selbst mit einer Kristallkugel wäre man nicht weitergekommen. Einen so tollen Fantasieroman dieser Art habe ich noch nie vor mir liegen gehabt. Am Anfang wird Fiktion und Wirklichkeit getrennt, dann aber vermischt sich beides, und selbst die Wirklichkeit, wie wir sie kennen, wie wir sie leben, gibt es in mehreren Dimensionen. Richtig gut. Aber das Lesen hat mich erschöpft. Weil die Hauptfigur so überwältigend war, und man mit ihr fiebern konnte, mit ihr fliehen, mit ihr nach Lösungen suchen, war man eigentlich immer mit der Figur mitten im Geschehen und mitten auf der Flucht. Ich dachte, ich sitze in einem 3-D-Kino, weshalb mich die ganze Handlung innerlich gestresst hat ...

Diesen Roman muss ich auf jeden Fall ein weiteres Mal lesen. Unbedingt.

Mein Fazit
Dennoch fragt man sich immer wieder, was real ist, aus was Wirklichkeit gemacht ist, woraus sie letzten Endes besteht. Was ist Fiktion? Wenn man diesen Roman gelesen hat, weiß man es nicht mehr mit Bestimmtheit zu sagen, weshalb das Klinikpersonal so Probleme hatte, den Protagonisten zu verstehen, da es für sie nur eine Wirklichkeit gab. Für diese war alles erklärbar, alles erfassbar, alles berechenbar, verrückt waren demnach die Menschen, die über andere Bewusstseinsebenen als die der Realität verfügten. Und weil dies nicht sein darf, müssen solche Menschen eben weggesperrt werden. Dies allerdings ist nur ein kleiner Radius dieser monumentalen Geschichte, der vielleicht auch nur nebensächlich ist ...

Eine klare Leseempfehlung.

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Der Kadmos, Kulturverlag hat mir eine Anfrage gestellt und ich freue mich so sehr, diese angenommen zu haben. Ganz herzlichen Dank hierfür an den Verlag und an den Autor Matthias Alexander Kristian Zimmermann.

Ich habe noch vergessen zu erwähnen, dass das Buch auch einen Buchpreis gewonnen hat. Dadurch, dass ich mit Buchpreisen so etwas auf Kriegsfuß stehe, habe ich das hier völlig ignoriert. Ich hole es nach und möchte noch erwähnen, dass sich der Autor die Ehrung aber wirklich richtig gut verdient hat.

Das Buch ist ausgezeichnet worden mit dem Ersten Deutschen Verlagspreis.

Amazon hat meine Rezension auf den Namen Marianne freigeschaltet. Nur zur Klärung. Nicht dass man mir vorwerfen könnte, ich hätte von Marianne abgeschrieben. Nächstes Mal suche ich mir meinen Nick selber aus.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

Zwölf von zwölf Punkten.

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Jeder kann die Welt mit seinem
Leben ein wenig besser machen.
(Charles Dickens)

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Der Mensch ist mehr als nur die biologische Erbmasse.
Er ist, was er innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)
Die Herkunft eines Menschen
Die Wurzeltheorie verdammt Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur, weil sie eine andere Hautfarbe, eine andere Religion oder einen anderen Namen tragen. Die meisten haben ihre Wurzeln dort geschlagen, wo sie geboren wurden und / oder dort, wo sie ihr ganzes Leben zugebracht haben.

Es lebe die menschliche Vielfalt in Deutschland und überall.
(M. P.)