Freitag, 10. Mai 2019

Temple Grandin / Ich sehe die Welt wie ein frohes Tier (1)

Eine Autistin entdeckt die Sprache der Tiere    

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Mir hat das Buch recht gut gefallen. Ein Buch über Tiere, das diesmal nicht esoterisch besetzt ist, sondern rein naturwissenschaftlich, das auf viele empirische Studien aufgebaut ist. Jede Menge Forschungsergebnisse
von Labor und Feldstudien, verschiedene Ergebnisse im Bereich der Verhaltensforschung und viele mehr sind dem Band zu entnehmen. Viele Theorien, die ich auch in seriösen esoterischen Büchern gelesen habe, werden hier bestätigt. Grob gesagt, Tiere können sehr wohl denken und fühlen, Tiere sind Persönlichkeiten. Dies wissen alle Tierhalter*innen, die in der Lage sind, den Alltag mit ihren Haustieren auf Augenhöhe zu gestalten und nicht von oben herab.

Ich habe mir in dem Buch ganz viel Text angestrichen, obwohl ich nicht auf alles eingehen kann. Aber meine Bücher betrachte ich häufig als Nachschlagewerke, wenn ich Zitate zu einer bestimmten Thematik suche, finde ich sie schneller, wenn ich mich an die Markierungen halte.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorinporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Interessant ist auch, dass die Autorin Autistin ist, und sie sich mit Tieren identifizieren kann. Ihre Denkart ist ähnlich wie bei Tieren. Beide Wesensarten denken rein visuell. Und Grandin bezeichnet ihre Muttersprache als eine Bildsprache, die frei vom Verbalen ist. Deshalb hat sie es geschafft, sich in die Tiere einzufühlen, und hat viele Methoden entwickelt, wie Tiere, vor allem die, die in Schlachthäusern getötet werden, human behandelt werden.

Herausgefunden hat sie auch die Formen der Intelligenz, die von Tier zu Tier verschieden sein soll, wie dies auch bei uns Menschen der Fall ist. Temple Grandin war in der Lage, auch mithilfe der Gehirnforschung Parallelen zwischen tierischer und menschlicher Intelligenz zu entdecken, die der normalen Tierforschung entgangen war. (2015, 13)

Die Autorin hat über vierzig Jahren mit Tieren zugebracht. Sie hat in Amerika und in Kanada Methoden entworfen, mit denen die Tiere in den Schlachthöfen so getötet werden, dass sie dabei nicht gequält werden und der Vorgang sich zügig abspielt. Sie hat sich schon in jungen Jahren mit Tierwissenschaft auseinandergesetzt. Sie ging an die Uni und studierte Tierpsychologie. Derzeit ist sie Professorin an der Colorado State University. Sie ist um die Welt gereist und hat sich viele Schlachthäuser angeschaut. Die Schlachthäuser in Europa wären katastrophal. Schlechte Behandlung, viele Tiere würden bei lebendigem Leib geschlachtet werden, wenn z. B. der Bolzenschuss versagt und die Tiere zeppelnd an den Haken hangen.

Sie konnte herausfinden, was Tieren Angst macht. Sie schafft es, sich auf die Ebene der Tiere zu begeben, um die Dinge aus deren Perspektive zu erschliessen.

Das sollte der Mensch nicht nur mit Tieren machen; Der Mensch sollte lernen, sich in sein menschliches Gegenüber hineinzuversetzen, um die Welt aus seiner Sicht besser erfassen zu können. Das nennt die Autorin auch empathisches Verstehen. Wie wollen Menschen Tiere verstehen, wenn sie nicht einmal in der Lage sind, Menschen zu verstehen, die anders denken und anders empfinden als der Durchschnitt es tut?

Interessant fand ich auch die Form der Wahrnehmung, die die Autorin beschreibt. Tiere und Autisten seien in der Lage, Details wahrzunehmen, die der „normale Mensch“ nicht kann.
Das liegt daran, dass das Nervensystem eines normalen Menschen unzählige Details vernachlässigt und die Lücken mit dem füllt, was er zu sehen erwartet. (303)

Grandin ging auch in die Hirnforschung und verglich das Gehirn von Menschen und das der Tiere. Darüber hat sich die Autorin über mehrere Kapitel ausgelassen, dass ich unmöglich auf die Details eingehen kann, werde aber ein Beispiel einbringen. Die Gehirne zwischen Mensch und Schwein würden zum Beispiel auf dem ersten Blick identisch aussehen. Unterschiede fand sie schließlich an dem Neokortex. Was ist ein Neokortex? Ist hier nachzulesen.

Hier sind die Gehirne ein wenig unterschiedlich, Mensch und Tier würden die Welt dadurch unterschiedlich wahrnehmen, aber Mensch und Tier hätten auch viele Gemeinsamkeiten. In dem Buch sind viele interessante Beispiele zur Gehirnforschung, Großhirn, Kleinhirn, etc. zu Mensch und Tier angegeben und so verweise ich Weiteres auf das Buch.

Aber Tiere hätten alle möglichen Rezeptoren, sog. Sinnesorgane, die die Menschen nicht haben würden, und die Tiere seien dadurch in der Lage, Dinge zu tun, die die Menschen wiederum nicht tun können.

Grandin spricht auch von Basisemotionen, die die Tiere gemeinsam mit den Menschen haben würden. Sexuelle Anziehung, Trennungsangst zwischen Muttertier und Kalb, Soziale Bindung, die Freude am Spielen und Herumbalgen. Wenn man Tierkinder beim Spielen beobachtet, dann ähneln sie dabei auch den Menschenkindern.

Was die wenigsten wissen, ist, dass
Die meisten Tiere >>übermenschliche<< Fähigkeiten haben. Tiere haben tierische Begabungen. Vögel sind Navigationsgenies, Hunde Geruchsgenies und Adler visuelle Genies – jedes Tier besitzt auf einem anderen Gebiet eine besondere Begabung.

Das soll aber nicht heißen, dass Hunde nur riechen können. Natürlich können sie wesentlich mehr, deshalb empfehle ich dieses Buch selbst zu lesen, um sich auch die Details vornehmen zu können.

Als besonders intelligent wurden Vögel bezeichnet.
Vögel benutzen für ihre Lieder dieselben Wechsel von Rhythmus und Tonhöhe wie menschliche Musiker und können sie auch in eine andere Tonart setzen. Vögel verwenden Accelerandos, Crescendos und Diminuendos und viele Tonleitern, die Komponisten auf der ganzen Welt verwenden. (280)

Wenigstens sind die Singvögel frei, sie landen in kein Schlachthaus und können ihr Potenzial in ihrem Umfeld völlig frei entfalten.

Interessant fand ich die These, dass Hunde von Wölfen abstammen, und durch die Domestizierung über den Menschen ist aus dem Wolf ein Haushund geworden. Bemerkenswert daran ist, dass nicht nur der Mensch den Hund domestiziert hat, sondern im Umkehrschluss auch der Hund den Menschen. Man fand durch Ausgrabungen heraus, dass vor etwa 10000 Jahren im Todesfall der Mensch zu seinem Hund bestattet wurde.

Am Ende des Buches habe ich mir die Frage gestellt, weshalb Temple Grandin als ein wirklich sehr tierliebender Mensch in der Lage war, in einer Fleischfabrik zu arbeiten? Wie schafft sie es, beim Schlachten zuzuschauen? Auch stellten ihr andere die Fragen. Darauf die Anrtwort der Autorin:
Ich weiß noch, wie ich nach der Entwicklung meines Schlachthofsystems den Blick über den Hof schweifen ließ, in dem hunderte von Tieren in den Gehegen standen. Ich fühlte mich ganz bedrückt, weil ich soeben eine hocheffektive Schalachtfabrik entworfen hatte. Und Kühe sind die Tiere, die ich am allermeisten liebe.
Damals wurde mir klar, dass keines dieser Tiere existieren würde, wenn sie der Mensch nicht gezüchtet hätte. Seitdem weiß ich, welche Verantwortung damit einhergeht: Wir schulden ihnen ein anständiges Leben und einen anständigen Tod. Ihr Leben sollte so unbelastet wie möglich sein, und genau das ist mein Job.
 Dieses Buch habe ich deshalb geschrieben, weil ich den Tieren mehr wünsche als nur ein unbelastetes Leben und einen schnellen schmerzlosen Tod. Ich will, dass sie auch ein schönes Leben haben und eine sinnvolle Beschäftigung bekommen. Ich glaube, das sind wir ihnen schuldig. (308)

Mich macht das jetzt nicht zu einer Fleischkonsumentin, Grandin selbst konnte nicht auf Fleisch verzichten, aber ihre Einstellung ist für mich nachvollziehbar. 

Die Natur ist grausam, aber wir müssen es nicht auch noch sein. 

Grandin beochtet in einer TV-Tierdokumentation, wie ein Löwe ein Beutetier jagt und zerlegt. Das hatte sie dermaßen erschreckt, dass sie persönlich, wäre sie das gejagte Tier, auch lieber in einem Schlachthaus getötet werden wolle, als die Eingeweide von einem Löwen herausgerissen zu bekommen. Deshalb spricht sie von einem humanen töten. Die Tiere bis zu dem Tod gut zu behandeln, einfach weil sie es verdient hätten gut behandelt zu werden, denn sie opfern sich für uns Menschen. (Zu entnehmen aus ihrem biografischen Film) 

Ich bin nach wie vor dafür, sämtliche Schlachthäuser zu schließen, denn auch glückliche Tiere leben gerne. Für mich selbst gibt es kein humanes Töten, gerade was die Art in unseren Schlachthäusern hierzulande betrifft. Die Tiere erleben schon vorher den Stress, wenn sie aus ihrem Umfeld herausgerissen werden. Die Kühe sehen, wie ihre Artgenossen vor ihnen niedergestreckt werden …

Mein Fazit?
Wie ich eingangs schon geschrieben habe, findet man in dem Buch wirklich viele interessante wissenschaftliche Untersuchungen, die mich alle sehr neugierig gestimmt haben, und mich in meinem Denken weitergebracht haben. Aber es sind sehr viele Fachbegriffe, die den einen oder anderen abschrecken könnten. Aber ich fand sie wichtig, weil sie ja auch dadurch das Naturwissenschaftliche unterstreichen, und ein Buch dadurch auch glaubwürdiger wird.

Und hier geht es zu dem biografischen Film Du gehst nicht allein auf Youtube, der sehr sehenswert ist, da es nicht nur um Tiere geht, sondern zusammen mit den Tieren steht auch der Autismus im Vordergrund. Den Film, den ich mir mehrmals angeschaut habe, gibt es auch bei Amazon auf DVD zu kaufen oder man kann sich den Film dort auch virtuell ausleihen.

Meine Gedanken zu dem Buch
Ich finde es sehr interessant, dass Temple Grandin sich mit den Tieren identifizieren konnte. Dass sie außerdem noch ihre Muttersprache als die visuelle bezeichnet und nicht als die Amerikanische, fand ich faszinierend. Sie bestätigt meine Theorie, dass die Identitätsentwicklung bei einem Menschen sehr unterschiedlich verlaufen kann und selten genetisch gesteuert wird. 

Ähnlich wie die Autorin kann auch ich mich mit meinen Haustieren identifizieren, nur habe ich nie darüber gesprochen, weil es so untypisch ist. Mein Kater Momo besaß Charaktereigenschaften, die sich absolut mit meinen gedeckt haben.

Trotzdem möchte ich einen Naturwissenschaftler hinzuziehen, der meine These deckt, damit auch ich glaubwürdig erscheine. Ein Zitat von Erik Erikson, deutsch-amerikanischer Psychoanalytiker, der die Identitätsentwicklung folgendermaßen beschreibt:
 (= I.) [engl. identity development], [EW, PER]Identität wird laut Erikson (1968) durch Interaktion mit anderen und im Kontext der eigenen Kultur gebildet. Sie umfasst u. a. versch. Bereiche der Selbstwahrnehmung wie bspw. Geschlecht, Gruppenzugehörigkeiten, persönliche Eigenschaften (Persönlichkeitsmerkmal) oder eigenen Kompetenzen, wird während der gesamten Entwicklung gebildet und ist somit als ein Prozess zu verstehen, der lebenslang dauert.
Wie man lesen kann, ist die Identitätsentwicklung ein lebenslanger Prozess, das heißt, dass sie niemals abgeschlossen ist, und sich bis zum Lebensende jederzeit neu wandeln kann. Nur nutzen das so wenige, und übernehmen ein Leben lang die Identität, die ihnen von den Eltern in die Wiege gelegt wurde, ohne sie jemals hinterfragt zu haben.

Welches Buch über Tiere wird das nächste sein? Die heilende Kraft der Katzen. Aber wann ich mir dieses Buch vornehmen werde, das weiß ich nicht, da ich noch andere Leseprojekte am Laufen habe, und ich gerne abwechseln möchte. Erschienen ist das Buch 2019 im Goldegg - Verlag. Auf jeden Fall möchte ich es mir zeitnah vornehmen. 
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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

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Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


2 Kommentare:

Anne hat gesagt…

Moin, liebe Mira,
eine sehr interessante Buchbesprechung. Ich denke, solange die Menschen weiterhin nach dem billigsten Stück Fleisch greifen und es auch noch jeden Tag brauchen, wird es unseren Tieren in den Schlachthäusern nicht besser gehen. Da muss wohl ein grundsätzliches Umdenken stattfinden.
Den Film werde ich mir anschauen.
Liebe Grüße, Anne

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

Oh, ja, Anne, den Film musst du dir anschauen. Ich habe ihn mir fünf Mal angesehen. Der wird dir gefallen. Über eine sehr außergewöhnliche Frau, die sich mit ihrem Anderssein durch die Gesellschaft durchkämpfen musste. Sie hatte eine tolle Mutter und eine tolle Tante, die es geschafft haben, dieses Kind zu nehmen wie es ist. Normalereweise wurden damals diese Kinder mit einem Autismussyndrom in Heimen abgeschoben. Es gab dazu noch keine Behandlung. Dagegen hatte sich die Mutter gesträubt und sie ihr Kind so gefördert hat, dass Temple in der Lage war, hohe Schulen / Universitäten zu besuchen, obwohl das Kind auch hier von Mitschüler*innen schikaniert wurde.
LG, Mira