Posts mit dem Label Rowohlt werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Rowohlt werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Freitag, 1. Mai 2020

Hendrik Lambertus / Das Erbe der Altendiecks (1)

Foto: Pixabay
Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Mir hat dieser historische Roman sehr gut gefallen. Obwohl der Band über 600 Seiten umfasst, fand ich ihn nicht übertrieben ausschweifend. Die Uhrmacher-Familiendynastie Altendieck ist mir über mehrere Generationen durch ihre warme Art sehr ans Herz gewachsen, wenn auch deren Lebensläufe besonders am Anfang nicht besonders einfach waren, da ihr Schicksal von bösen Intrigen dominiert und erfasst wurde, und ich die Befürchtung hatte, diese Widrigkeiten würden sich über die gesamte Geschichte hinziehen.

Ich empfehle jedem, der nicht zu viel über dieses Buch erfahren möchte, nur die Handlung zu lesen, oder nur den Klappentext. Ich bemühe mich sehr, nicht zu viel zu verraten, aber es ist schwierig, eine Buchbesprechung zu schreiben, wenn viele Fakten ausgelassen werden, und man nur um den heißen Brei redet, wie man sie so häufig im Netz findet. Aber gerade eine längere Besprechung kann die Neugier und die Aufmerksamkeit im besonderen Maße wecken, wie ich so häufig rückgemeldet bekomme. 

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Man lernt hier die Familie Altendieck kennen, die 1766 in Bremen in drei Generationen unter einem Dach lebte. Der Uhrenmeister Johann Altendieck ist in den Vierzigern, ist Witwer und alleinerziehender Vater von drei Kindern. Mit im Haus lebt Johanns Vater Nicolaus, der aber aufgrund seines Alters nicht mehr in der Uhrenwerkstatt mitwirkt. Johann und sein Sohn Friedrich stellen Standuhren her und genießen in ihrer Heimatstadt durch ihre Präzisions- und Fleißarbeit einen angesehenen Ruf, bis zu dem Tag, als die neidvolle Konkurrenz Johann Altendieck mithilfe einer bösen Intrige in aller Öffentlichkeit diskreditiert hatte und ihn dadurch in den finanziellen Ruin stürzte. Nun steht Johann vor seiner Familie, die er nicht mehr ernähren kann, da seine Kundschaft ausbleibt. Er schickt seine beiden Töchter Clara und Gescha zum Arbeiten als Dienstmädchen in eine adlige Familie. Clara beugt sich ihrem Schicksal, um dem Vater die Last abzunehmen, der dadurch zwei Familienmitglieder weniger zu versorgen hätte, während Gescha es schwerer hat, denn Gescha ist ein ganz besonderes Mädchen, das eine ganz besondere Bindung zu ihrem Großvater und seinen Uhren hat. Gescha ist anders, sie interessiert sich nicht fürs Kochen, sie interessierte sich für keine Hausarbeit, stattdessen interessiert sie sich für Uhren. Sie will Uhrmacherin werden. Ihr Großvater bringt ihr alles bei, was sie dafür an Kenntnissen und an Fertigkeiten benötigt, wohingegen ihr Vater versucht, ihr diese Hirnspinnerei auszureden, da Frauen angeblich niemals Uhrmacherinnen werden können.

Gescha geht aber ihren Weg, selbst dann noch, als sie den Dienst einer Hausmagd betritt und sie sich mit harten, langweiligen Tätigkeiten abmühen muss. Dennoch schafft sie es, mit viel Unterstützung ihrer Schwester Clara heimlich ein Seechronometer herzustellen, da passable Seeuhren damals noch nicht auf dem Markt waren.

Bis zu fünf Generationen entwickelte sich die Uhrmacherfamilie weiter, die sich trotz harter Umstände nicht hat unterkriegen lassen. In dieser Familiendynastie lebt auch die Standuhr Hora, die auf mich gewirkt hat, als wäre sie beseelt. Mit viel Liebe und Sorgfalt wurde sie hergestellt, gepflegt und bis zum Schluss am Leben erhalten.

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Es waren viele Szenen. Neben der Intrige zu Beginn gibt es noch eine Handlung, die ich als sehr, sehr traurig erlebt hatte, ich mich dazu aber bedeckt halten möchte, um anderen Leser'innen nicht zu viel vorwegzunehmen.

Ich greife nun eine Szene auf, die man überall und zu jeder Zeit erleben kann. Eine ganz banale Begebenheit, die ich aber als grausam empfand, als Gesche und Clara durch die Armut gezwungen wurden, Hausrat von ihrer verstorbenen Mutter zu verkaufen. Die Arroganz jener vornehmen Dame, die empathielos in der Wunde der beiden Mädchen sticht, sodass ich mich immer wieder fragen musste, warum Bildung nicht ausreicht, um Menschen zu besseren Menschen zu machen? Reiche Leute verfügten wegen der genossenen Bildung über genug Potenzial, das sie wegen ihrer Eitelkeit aber lieber verschwendeten, als es einzusetzen.
>> Ich suche einige schöne Stücke für meine Tochter Charlotte (…). Möglicherweise nehme ich die Truhe, wenn ich noch etwas dazu finde. … Vielleicht die nette Uhr auf der Diele?<<>> Unverkäuflich<<, knurrte Gesche.
>> Sie hat einen sentimentalen Wert<<, erklärte Clara. Die Ohlandt´sche nickte verständnisvoll. >>Von manchen Dingen mag man sich selbst dann nicht trennen, wenn ein Unheilsstern über der Familie aufgegangen ist. Wirklich furchtbar … <<>> Nicht furchtbarer als in den Angelegenheiten anderer Leute zu wühlen, weil die eigenen zu langweilig sind <<, erwiderte Gesche. Sie hatte plötzlich das Gefühl, am pudrigen Geruch der wehrten Frau Ohlandt zu ersticken. (2020, 141)
Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Gefallen hat mir, dass Gesche es tatsächlich geschafft hat, den Weg als Uhrmacherin zu gehen. Zu ihrem ersten Chronometer verhalf ihr der Großvater Nicolaus, der erkannte, dass seine Enkelin sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen lässt. Sie eröffnet ihm ihre Pläne, als dieser sich danach erkundigt:
>> Hast du konkrete Pläne? <<, fragte der Großvater neugierig.
>> Ich denke, ich werde ein Seechronometer konstruieren <<, erwiderte Gesche halb verlegen und halb trotzig.
>> Das wird gewiss eine reizvolle Übung. <<>> Ich habe nicht vor, nur zu üben <<, erklärte Gesche bestimmt. >> Ich werde ein Chronometer bauen. Ein besseres als alle anderen! Wollen sehen, ob dieses kleine Seefahrtsproblem noch lange besteht … <<>> Daran haben sich schon viele kluge Köpfe vor dir versucht <<, stellte Großvater bedächtig fest.>> Ich will keine neue Methode erfinden, sondern eine Uhr konstruieren, die den Ansprüchen auf See genügt. << Gesche verschränkt die Arme. >> Immerhin bin ich die Tochter von Johann Christian Altendieck, der die große Uhr im Bremer Rathaus gebaut hat. <<>> Und die Tochter von Magdalena Altendieck, die stets alles vollbracht hat, was sie sich in den Kopf gesetzt hat <<, ergänzte Großvater mit der Andeutung eines Schmunzelns.>> Und nicht zuletzt die Enkelin von Nicolaus Christioph Altendieck <<, schloss Gesche ernst, >> der mir alles beigebracht hat, was er weiß. <<>> Dann solltest du es wohl versuchen. << (160)
Mir hat diese Szene so gut gefallen, weil der Großvater so fortschrittlich dachte, indem er seine Enkelin, obwohl sie ein Mädchen war, trotzdem in der Technik jener Uhren gefördert und sie darin gestärkt hatte, ihr Ziel zu verfolgen. Man bedenke, dass sich dies in der Zeit des späten 18. Jahrhunderts abspielte. Auch wenn diese Szene nur ausgedacht ist, glaube ich schon, dass es solche Menschen im Stillen überall auf der Welt gegeben hat. 

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Das waren mehrere. Der französische Offizier Laurent de Mondtidier war mir sehr sympathisch, da er nicht wie ein Soldat wirkte. Er wurde durch die Auswirkungen der Französischen Revolution und durch die Napoleon - Kriege im Kampf mit Deutschland ins Ausland versandt. Die besetzten Bremer wurden politisch von den Franzosen gezwungen, in ihren Häusern Soldaten aufzunehmen. Die Altendiecks hatten durch die politischen Auswirkungen selbst nicht genug zu essen, und bekamen nun noch ein Maul mehr zu stopfen. Hierzu Gesches erwachsener Sohn Nicolaus:
>> Wir bekommen eine Einquartierung <<, erwiderte er ein wenig ratlos. >> Ein Offizier, weil wir ihn als wohlhabenden Bürgerhaus standesgemäß versorgen können. Wir haben ihm bei 50 Reichstalern Strafe ein Mittagessen mit Fleisch, ein Abendessen mit Bier und eine tägliche Ration Kornbrand zu stellen. << (392)
Gesche hatte es tatsächlich geschafft, die Werkstatt ihres mittlerweile verstorbenen Vaters zu übernehmen. Auf ihrem Fachgebiet entwickelte sie sich zu einer Koryphäe. Sie bestand auf die Fortführung ihres Mädchennamen Altendiecks. Nicolaus, ihr ältester Sohn, ist allerdings Künstler, und möchte eigentlich kein Uhrmacher werden, doch der autoritäre mütterliche Einfluss lässt keinen anderen Beruf zu, sodass Nicolaus es nicht schafft, sich ihr zu widersetzen.

Als schließlich der französische Leutnant in die Schlafkammer bei ihnen einzieht, findet dieser die Bilder, die Nicolaus gemalt hatte, und ist total angetan von den Gemälden. Später stellte sich heraus, dass auch der Leutnant Künstler ist, und so entsteht zwischen Nicolaus und ihm eine besondere Bindung. Ähnlich wie bei Nicolaus durfte auch Laurent kein Künstler werden, da er vom Vater gezwungen wurde, eine militärische Laufbahn einzuschlagen. Obwohl beide Länder, Deutschland und Frankreich, gegeneinander verfeindet waren, wurden Laurent und Nicolaus trotzdem Freunde. Mit der Zeit entwickelte sich mehr als nur eine Freundschaft. Das finde ich so schön, dass der Krieg sie nicht zu Feinden gemacht hatte, weil sie zueinander eine geistige Verwandtschaft entdeckt hatten.
>> Das Handwerk Ihrer Familie, << Mondtidier seufzte wissend - so ist es auch bei mir. Die Mondtidier sind Soldaten, seit Jahrhunderten. Wir haben schon den Valois gedient, dann den Bourbonen – erst mit dem Schwert an der Seite in glänzenden Rüstungen, später in der Offiziersuniform. Dann kam die Revolution, unser Schloss wurde niedergebrannt. Und doch erging es uns glimpflich, im Vergleich zu vielen anderen. Aus der Republik wurde ein Kaiserreich, und der Soldat braucht Soldaten für sein riesiges Heer. Alle, die er kriegen konnte, auch die vom Adel der alten Zeit. <<>> Aber Sie sind kein Soldat? << fragte Nicolaus sanft.
>> Es heißt, ich hätte die Hände meiner Mutter <<, erwiderte  
Mondtidier . >> Sie hat mir das Zeichnen beigebracht. Doch mein Vater hält nichts von solchen weibischen Betätigungen, wie er es nennt. Für ihn kam nur die Militärakademie in Frage. (… ) Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen <<, sagte Nicolaus vorsichtig. >> Es fühlt sich … hoffnungslos an. Sich mit einem Platz abzufinden, auf dem man nicht wirklich gehört. << (407f)
Wer konnte Laurent Mondtidier besser verstehen als Nicolaus Altendieck? Sie teilen dasselbe Schicksal und dieselben Interessen.

Welche Figur war mir antipathisch?
In einem historischen Roman bekommt man es mit multiplen Figuren zu tun, und so halte ich mich lieber weiter an die Figuren der Familie Altendieck, weil sie mich so sehr beschäftigt und mir ans Herz gewachsen sind. Und mich beschäftigte Gesche, denn sie entwickelte sich zum Familienoberhaupt und zu einer Matrone, die in ihrem Haus, selbst dann noch, als sie eine alte Dame wurde, über alles wacht, dass ja alles seinen rechten Gang geht. In dieser neuen Rolle hat sie mir nicht gefallen, auch wenn dies eine außergewöhnliche Leistung ist, dass sie sich als Frau so hochgearbeitet und durchgesetzt hat. Selbst wenn die Frau nach dem Gesetz noch rechtlos war, schaffte sie es, sich innerhalb ihrer Familie zu emanzipieren, um in die väterlichen Fußstapfen treten zu können. Für die damalige Zeit war dies eine wahnsinnige Leistung. Aber die mangelnde Toleranz ihrem Sohn Nicolaus gegenüber stieß bei mir auf Unverständnis. Auch sie dachte, was viele damalige Männer dachten, dass Malereien keine ehrbaren Berufe seien, da Gesche die Profession eines Uhrmacherhandwerks an oberste Stelle setzte.

Nicolaus und Laurent hatten gemeinsame Träume, Ziele, berühmte Maler im Ausland zu besuchen. Da beide Länder verfeindet waren, mussten sie ihre Beziehung, auch die freundschaftliche Art, heimlich angehen.
Das waren Träumereien, die im tiefsten Winter begonnen hatten: eine gemeinsame Reise in den Süden, um die alten Meister vor Ort zu studieren – und die blütenferne Fülle der Ferne in sich aufzunehmen.
Folgendes Zitat hat mir besonders gut gefallen:
>> Zwei junge Edelmänner auf der Fahrt zu den Wurzeln der Schönheit <<, hatte Laurent geschwärmt.
>> Oder ein junger Edelmann und sein bürgerlicher Diener? <<, hatte Nicolaus mit einem schiefen Lächeln erwidert.
>> Unsinn, wir teilen den Adel des Geistes. <<
Den Adel des Geistes teilen, das fand ich so schön ausgedrückt, weil dieser über nationale Grenzen und über geistige Schranken hinausgeht.

Meine Identifikationsfigur
Ich habe mich sowohl mit Laurent als auch mit Nicolaus identifizieren können.

Cover und Buchtitel   
Es war das Cover, das mich angezogen hat. Über den Titel musste ich mich erst besinnen, bevor ich den Klappentext gelesen habe. Was könnte sich für ein Genre an Familie dahinter verbergen?, hatte ich mich gefragt, und habe mich auf eine Thomas Mann – Buddenbrook – Geschichte einer anderen Art vorbereitet. Aber außer den Vornamen der beiden Väter Johann konnte ich auf den ersten Blick kaum eine Affinität der beiden norddeutschen Familien entdecken, obwohl es im Nachhinein durchaus ein paar ganz wichtige Parallelen gab. Aber das Schicksal der beiden Dynastien zeigten antagonistische Anfänge und Ausgänge.  

Zum Schreibkonzept
Auf der ersten Seite findet man einen weiblichen Namen, für die das Buch evtl. geschrieben bzw. gewidmet wurde. Auf den folgenden Seiten ist das Inhaltsverzeichnis abgedruckt. Der Romanstoff besteht auf den 637 Seiten insgesamt aus fünf Teilen. Innerhalb dieser Teile finden zeitliche Umbrüche zwischen neun, fünfunddreißig und dreiundzwanzig Jahren statt. Im ersten Teil ist ein Stammbaum der Familie Altendieck abgebildet. Hier besteht die Familie noch aus drei Generationen. Einen weiteren Stammbaum findet man im dritten Teil auf der Seite 330, auf dem der Stammbaum um zwei weitere Generationen zugenommen hat. Die Geschichte endet mit einem Epilog. Auf den weiteren Seiten sind ein Glossar und ganz zum Schluss ein Nachwort zu lesen.

Der Schreibstil ist flüssig, und obwohl das Buch relativ umfangreich ist, ist der Autor nicht ausschweifend gewesen. Das hatte aber auch den Nebeneffekt, dass manche Figuren zu kurz gekommen sind. Ich weiß noch immer nicht, was aus Nicolaus` Bruder Arend geworden ist. Wahrscheinlich als Soldat in Russland verschollen, ohne dass jemals seine Leiche geborgen werden konnte, da im Stammbaum zu Arend kein Todessymbol abgebildet war, was dazu führte, dass ich ähnlich wie Gesche von Seite zu Seite auf seine Rückkehr gewartet habe. Auch Clara geriet in den späteren Teilen immer mehr in den Hintergrund, sie verschwand völlig von der Bildfläche. Aber das fand ich absolut passend.

Wie aus dem Nachwort entnommen wird, gibt es die Altendiecks nur fiktiv. Der Autor hatte allerdings reelle historische Daten in diese erdachte Familie hineingewoben, was mir die Mühe ersparte, mehr über diese Familie im Internet zu recherchieren, da es hier um eine sehr sympathische Familie ging, die selbst in schwersten Zeiten stets zusammenhielt.

Meine Meinung
Der ganze Roman ist sehr authentisch geschrieben, allerdings hatte mich auch das Ende nachdenklich gestimmt. War das Ende zu idealistisch?, habe ich mich gefragt: Ja, das war es, aber mittlerweile kann ich es als gelungen betrachten, da ich die Ausklänge nicht als kitschig erlebt habe. Auch wenn die Realität weitaus härter ist, wenn Generationen an Menschen sich als Konkurrenten feindselig gegenüberstehen, dann finde ich es schön, wenn Autor*innen ihre Figuren bessere Lösungen vorleben lassen, damit diese Feindschaft wenigstens literarisch endlich ein Ende findet. Gesche war eine sehr kluge Frau, aber in dieser Frage ist auch sie gescheitert. Sie hat die Feindschaft unausgesöhnt mit ins Grab genommen, auch wenn ich sie dafür nicht verurteilen möchte, denn sie ist es, die den Schmerz ihres Vaters durch die damalige öffentliche "Blasphemie" seines Berufstandes miterlebt hat.

Auch der historische Part war gelungen dargestellt. Bis in die letzte Generation sehnte sich die Frau nach Gerechtigkeit. Gleichheit, Freiheit … mit diesen Parolen der Französischen Revolution blieben Frauen weiterhin ausgeschlossen. Buchautorinnen mussten unter einem männlichen Pseudonym ihre Werke herausgeben. Auch Gesche musste den Meistern ihr erstes selbsterschaffenes Uhrwerk von einem männlichen Kollegen vorführen lassen. Insgesamt aber, neben den ausbleibenden Frauenrechten, konnte mich das Buch wieder in diese Zeit zurückversetzen, in der es noch keine Demokratie gab und die Menschenrechte lediglich auf die unterschiedlichen Stände verteilt waren, die durch die Geburt bestimmt waren ... Interessant war für mich auch zu lesen, wie und wann die ersten Taschenuhren entstanden sind.

Die Beziehung zwischen Gesches Enkel Ernst und dessen Freundin Anna Greven hatte starke Züge von Romeo und Julia, selbst wenn der Ausgang glücklicherweise ein anderer war.

Mein Fazit
Eine sehr lesenswerte Familiengeschichte, geschrieben von einem männlichen Autor, der sehr feinfühlig sich auch in die Rolle einer Frau hineinversetzen konnte. Dazu noch ein gut recherchiertes Buch, was der historische Anteil betrifft.

Meine Empfehlung?
Eine klare Leseempfehlung. Das Buch sollte unbedingt verfilmt werden. 

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Der Rowohlt – Verlag hatte mir eine Anfrage gestellt, die ich glücklicherweise angenommen habe. Herzlichen Dank an den Verlag für das Leseexemplar.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
Zwölf von zwölf Punkten.

________________
Jeder kann die Welt mit seinem
Leben ein klein wenig besser machen.
(Charles Dickens)

Gelesene Bücher 2020: 10
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Der Mensch ist mehr als nur die biologische Erbmasse.
Er ist, was er innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)
Die Herkunft eines Menschen
Die Wurzeltheorie verdammt Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur, weil sie eine andere Hautfarbe, eine andere Religion oder einen anderen Namen tragen. Die meisten haben ihre Wurzeln dort geschlagen, wo sie geboren wurden und / oder dort, wo sie ihr ganzes Leben zugebracht haben.

Es lebe die menschliche Vielfalt in Deutschland und überall.
(M. P.)

Montag, 29. Mai 2017

Sandra Lüpkes / Inselfrühling (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ein Unterhaltungs- und ein klassisches Frauenbuch -  eignet sich hervorragend für die Urlaubszeit, die ja nun bald vor uns liegt ...

Am Strand liegen und schmökern. Der Schreibstil, die Figuren und die Handlungen sind einfach und flüssig. Eine willkommene Abwechslung zur etwas anspruchsvolleren Literatur. Und ein wenig Spannung gibt es in der Inselthematik auch zu erwarten.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Frühlingsgefühle bei Windstärke zwölf In Jannikes charmantem Inselhotel beginnt die Saison: Im Frühling soll für die ersten Gäste alles blitzen und strahlen und besonders einladend sein. Denn etwas ist anders in diesem Jahr: Jannike ist hochschwanger. Sie und Mattheusz erwarten Zwillinge! Die Freude ist riesig. Doch Zeit und Muße, die letzten Wochen Zweisamkeit zu genießen, haben die beiden nicht. Denn als es wegen heftiger Frühlingsstürme zu dramatischen Dünenabbrüchen am Leuchtturm kommt, gerät Jannikes geliebtes Zuhause in Gefahr. Manch einer fühlt sich sogar an den alten Fluch erinnert, der vor fast zweihundert Jahren das Ende der Insel prophezeit hat. Band 4 der erfolgreichen Inselreihe: Ob Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog oder Wangerooge – an dieser von Sandra Lüpkes so liebevoll beschriebenen Insel kommen Urlauber nicht mehr vorbei. Perfekte Strandlektüre.

Richtig gelungen fand ich die Figur Heinrich Loog, der Vater von Jannike. Von Beruf emeritierter Zahnarzt und Kieferorthopäde, der der Welt zeigen muss, wer er ist. Dabei wertet er die soziale und die ethnische Herkunft von Mattheusz ab, der polnischer Abstammung ist und seit kurzem mit Jannike verheiratet. Abgesehen hat Heinrich es hauptsächlich auf Oma Maria, die in der Küche exzellente polnische Gerichte für die Hotelgäste zubereiten kann. Die gesamte polnische Familie ist in dem Hotelunternehmen von Jannike eingebunden. Der Autorin ist es gut gelungen, diese Arroganz und die Überheblichkeit von Heinrich darzustellen, der - wie so viele Menschen - denkt, dass die eigene Kultur immer die bessere und die fortschrittlichste ist. Es kommt zu einem Konkurrenzkampf zwischen Oma Maria und Heinrich. Jede Menge peinliche Szenen sind dazu dem Buch zu entnehmen.

Jannike ist gegen ihren Vater und für die polnische Familie, die sich ihr gegenüber immer korrekt verhalten hat, bis der Vater kam und Unfrieden in die Familie bringt. Da sie hochschwanger ist, und noch dazu Zwillinge erwartet, kann sie sich nicht richtig gegen ihren Vater zur Wehr setzen. Die Konflikte eskalieren immer mehr und nehmen immer größere Formen an …

Es gibt viel zu tun auf der Insel. Es wütet ein Sturm, der die gesamte Insel zu zerstören droht. Das Inselhotel und der Leuchtturm weisen markante Sturmschäden auf. Ob die Insel noch gerettet werden kann, ist dem Buch zu entnehmen. Und hat dieser Sturm etwas mit einem Fluch zu tun? Lest selbst.

Mein Fazit zu dem Buch?

Es ist zwar schon der vierte Band der Lüpkes-Reihe, die anderen drei Bände habe ich nicht gelesen, aber man kommt trotzdem gut rein. Man hat nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Ich denke, dass man die vier Bände unabhängig voneinander lesen kann. Aber Leserinnen, die Inselbücher lieben, sollten dann doch mit dem ersten Band beginnen zu lesen, um ihren Lesegenuss bis zum Ende des vierten Bands auszuweiten.

Manchmal fand ich ein paar Beschreibungen nicht adäquat getroffen. Stürme und andere Objekte werden personifiziert. Dem ersten Sturmtief gab die Autorin den Namen Linda, die wiederum einen Bruder zu haben schien, der weitaus heftiger tobte als die Schwester, und er unter ADHS leiden würde. Diese und ein paar andere Beschreibungen haben mir so gar nicht zugesagt.


1 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
1 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

Neun von zwölf Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte mich recht herzlich beim Rowohlt - Verlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar bedanken

·         Taschenbuch: 336 Seiten, 9,99 €
·         Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag; Auflage: 1 (24. März 2017)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 3499272261


Und hier gibt es eine Leseprobe.

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Rowohlt. 
___________
Gelesene Bücher 2017: 21
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Samstag, 3. September 2016

Oliver Sacks / On the Move: Mein Leben (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Mir hat diese Autobiografie sehr zugesagt. Sie ist so spannend geschrieben, dass ich von einer Seite zur nächsten gehetzt bin, bis ich schlussendlich die letzte Seite erreicht habe. Ich hätte wieder von vorne anfangen sollen, so drin war ich in diesem hektischen Leserhythmus. Dabei war das ja nur eine Autobiografie und kein Krimi.

Auf den ersten zweihundert Seiten erfährt man recht viel Privates von Oliver Sacks. Später ging es hauptsächlich um sein Leben als Arzt und Neurologe. Darin werden viele neurologische und psychiatrische Krankheitsbilder behandelt.

Der Schreibstil ist sehr flüssig, lediglich die vielen Fußnoten sorgen jeweils für ein Staccato. Sie unterbrechen immer wieder diesen Lesefluss.

Bei den Krankheitsbildern werden viele Termini verwendet, die für einen Laien störend sein könnten, allerdings beschreibt Sacks diese Krankheitsbilder so verständlich, dass man trotzdem das Gelesene gut aufnehmen kann. Für Laien ist das ein Plus, für die Fachwelt dagegen eine Last, denn Sacks hatte Mühe, sich bei seinen Kollegen einen Namen als Wissenschaftler zu machen. Sacks hat viele Bücher geschrieben, doch auch ein Verlag hatte erst Mühe, sein erstes Manuskript anzunehmen:
Allerdings gab ein Lektor (…) einen seltsamen Kommentar ab. Er sagte: >>das Buch lässt sich zu leicht lesen. Das macht die Leute misstrauisch-verwissenschaftlichen Sie es.<< (2015,174)
Mit viel Mut konnte sich Sacks schließlich in seiner Fachwelt durchsetzen. Er sammelte jede Menge klinische Erfahrungen, die er literarisch sinnvoll einzusetzen wusste. Nicht nur was der Schreibstil anbetraf, sondern auch seine außergewöhnlichen Ideen, die er in verschiedenen Feldstudien entwickelt hatte, stießen allerdings bei einem seiner Chefs auf Provokation und er drohte ihm, seine Stellung in der Kopfschmerzklinik zu kündigen, sollte er sein Manuskript über die Bauchmigräne nicht zurücknehmen. Sacks ließ es auf eine Kündigung ankommen …

Dann stellte sich heraus, dass der Chefarzt, der ihm gekündigt hatte, Sacks` Ideen abgeschrieben hatte und diese in einem Artikel einer Fachzeitschrift veröffentlichen ließ …

Sacks, 1933 geboren, ist Engländer, lebte aber seit 1960 mit einer Greencard in Amerika. Seine Eltern waren beide Ärzte, die Mutter Chirurgin, der Vater Allgemeinmediziner, der bis ins hohe Alter noch praktiziert hatte. Sacks hatte mehrere Brüder, einer davon, Michael,  litt an einer schwerwiegenden Schizophrenie, mit der die Familie erst lernen musste, umzugehen ... Michael war auch ein sehr begabter Jugendlicher. Er lernte ganze Bücher auswendig, wie z.B. Nicholas Nicleby und David Copperfield. Schwer vorstellbar, so dicke Bücher auswendig lernen zu können. Was für eine geistige Leistung. Aber es ist bekannt, dass Menschen mit dieser Form von psychischer Erkrankung eine immense geistige Leistung hervorbringen können.

Oliver Sacks war auch kein Kind wie jedes andere. Als Jugendlicher hatte er Schwierigkeiten mit der sexuellen Orientierung und dem Vater fiel recht früh auf, dass er an Mädchen nicht interessiert war und konfrontierte den Sohn mit der Frage, ob ihm Jungen lieber seien? Oliver bejahte die Frage und bat den Vater, die Mutter dahingehend nicht einzuweihen.
Doch mein Vater sagte es ihr, und am nächsten Morgen kam sie mit grauenhaft ergrimmter Miene herunter, einer Meine, die ich nie zuvor an ihr gesehen hatte. >>Du bist ein Gräuel<<, sagte sie. >>Ich wünschte, du wärest nie geboren.<< Damit ging sie aus dem Zimmer und sprach mehrere Tage lang kein Wort mit mir. Als sie dann wieder sprach, erwähnte sie mit keinem Ton, was sie gesagt hatte - und kam auch nie wieder auf das Thema zurück; aber seither stand etwas zwischen uns. (19) 
Die Eltern lebten bibelfest und die Mutter las im dritten Buch Mose: >>Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel.<< (ebd).

Die Homosexualität machte Oliver Sacks in England sehr zu schaffen, und lebte über viele Jahre ohne Bindung und sexuell abstinent. Er verreiste schließlich in die Niederlande. Ein Land, in dem jede Form von Sexualität legal war. Sacks machte dort seine ersten sexuellen Erfahrungen. Und trotzdem lebte er später über dreißig Jahre ohne sexuelle Bindung, da er in einer Zeit lebte, in der Homosexualität auch in Amerika noch ein Tabu war. Sein Selbstbewusstsein war diesbezüglich sehr angeschlagen ...

Oliver Sacks wurde auch drogenabhängig. Er litt an einer leichten bis mittelgradigen Polytoxikomanie. Mit den vielen Problemen beruflicher, aber auch sexueller Art wurde er nicht richtig fertig. Bis er eines Tages mit den Drogen eine wichtige Erkenntnis machte. Sacks erlitt eine drogeninduzierte Wahnvorstellung, die ihm zu wichtigen Erkenntnissen verhalf:
Im Februar 1967 hatte ich noch einen Drogenrausch oder -wahn, und er brachte - paradoxerweise und im Gegensatz zu allen vorangegangenen Highs - eine kreative Wende. Er zeigte mir, was ich tun sollte und konnte: ein lesenswertes Buch über Migräne schreiben und danach vielleicht noch andere Bücher verfassen. Es war nicht nur der vage Gedanke an eine Möglichkeit, sondern eine sehr klare, fokussierte Vorstellung von meiner zukünftigen neurologischen Arbeit und schriftstellerischen Tätigkeit, die sich einstellte, als ich high war, dann aber auf Dauer blieb. (169).
Oliver Sacks entwickelte sich zu einem interessanten Geschichtenerzähler und er zeigte jede Menge Schreibtalent narrativer Art. Er schaffte es, seine Erfahrungen als Facharzt in der Neurologie in Prosa zu packen. Seine Patienten fühlten sich von ihm verstanden. Sacks kritisierte die miesen Zustände innerhalb der Krankenhausbehandlung:
Doch auf Station 23 legte man das Prinzip der Verhaltensmodifikation zugrunde und arbeitete mit Belohnung und Bestrafung, besonders mit sogenannten therapeutischen Bestrafungen. Die Art und Weise, wie die Patienten manchmal behandelt wurden, widerstrebt mir zutiefst: man sperrte sie in Isolationszellen, setzte sie auf Hungerdiät oder schnallte sie an. Unter anderem fühlte ich mich an die Behandlung erinnert, die ich und andere Jungen während der Kriegszeit in einem Internat zu erdulden hatten. Häufig waren wir den launischen sadistischen Bestrafungen des Schulleiters ausgesetzt. Ich spürte, dass ich manchmal eine fast hilflose Identifikation mit den Patienten verfügte. (240)
Sacks setzte sich für seine Patienten ein, wie dies auch in dem Film Zeit des Erwachens deutlich wird, macht sich aber dabei bei seinen Kollegen unbeliebt.

Er beklagte, dass die Patienten in den Kliniken im Namen der Wissenschaft missbraucht wurden.

In Europa feierte man zu dieser Zeit die Psychiatrie-Enquete. Italien war das erste Land Europas, das sämtliche Psychiatrien aufgelöst hatte, denn auch in Europa waren psychisch kranke Menschen in ihrer Autonomie stark eingeschränkt und man behandelte sie mit schweren repressiven Mitteln, wenn sie dem Klinikpersonal Schwierigkeiten bereiteten und schwer therapierbar waren. Dabei denke ich auch an den Film: Einer flog über das Kugucksnest.


Mein Fazit zu dem Buch?

Oliver Sacks wäre nur Schriftsteller geworden, wäre da nicht der Beruf als Arzt gewesen. Er bezeichnete sich selbst als Geschichtenerzähler, und nicht als Wissenschaftler. Aber ich finde, er hat es gut geschafft, eine Brücke zwischen beiden Disziplinen zu bauen. Er schrieb für seine Patienten und für alle Menschen, die sich für seine Geschichten interessieren. Und deshalb machen seine sog. unwissenschaftlichen Bücher Sinn. In den Geschichten leiht er den kranken Menschen seine Stimme.

Ich denke dabei auch an die Erzählung über einen Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselt hat.

Ich habe dieses kleine Taschenbuch vor vielen Jahren gelesen, und ich kann es nirgends mehr finden. Als Sacks in seiner Autobiografie immer wieder auf diesen Mann verwies, fiel mir dann diese Geschichte wie Schuppen vor den Augen wieder ein. Ein sehr zu empfehlendes Buch.

Und so unwissenschaftlich wirkt Sacks gar nicht. Er hat viele Krankheiten neu entdeckt und alte neu untersucht, neu analysiert und neu bewertet.

Sollen doch die Zielgruppen weiterhin verschieden bleiben, während bestimmte Ärzte nur für Ärzte schreiben, und andere Ärzte wiederum für ihre Patienten, so wie Sacks dies getan hat. Ist doch ein guter Ausgleich, wenn nicht jeder das Gleiche tut.

Ich vergebe dem Buch zehn von zehn Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch:

Ich möchte mich recht herzlich beim Rowohlt-Verlag für dieses zur Verfügung gestellte Leseexemplar bedanken.

Verlag: Rowohlt; Auflage: 4 (2. November 2015)
Sprache: Deutsch, 24,95 €
ISBN-10: 3498064339


_______
"Literatur ist die Kunst, Außergewöhnliches an gewöhnlichen Menschen zu entdecken und darüber mit gewöhnlichen Worten Außergewöhnliches zu sagen."

(Boris Leonidowitsch Pasternak)

Gelesene Bücher 2016: 49
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86





Samstag, 25. Juni 2016

Volker Hagedorn / Bachs Welt (1)

Die Familiengeschichte eines Genies

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich fand es sehr interessant, auf den Spuren der Bachschen Familie zu wandeln, die im Stammbaum sehr verzweigt ist. Der Musikjournalist Hagedorn geht den Anfängen nach. Man nimmt am Leben von Veit Bach teil, 1581-1626, der sich mit seinen beiden Söhnen Hans und Caspar wegen der lutherischen Gegenreformation auf der Flucht befindet. Veit war von Beruf Bäckermeister.
 Sie flohen von Ungarn (Pressburg) nach Deutschland (Thüringen). Das fand ich schon mal eine sehr interessante Information. In ihrem Gepäck befanden sich jede Menge Musikinstrumente.

Die Familie hat sich in Wechmar, nahe bei Gotha, schließlich niedergelassen. Veit war zu dieser Zeit Witwer.

Veit Bach soll der Ururgroßvater von Johann Sebastian Bach gewesen sein.

Ich habe mal im Netz recherchiert, und ich komme zu unterschiedlichen Ergebnissen. Aus diesem Grund weiß ich nicht, wie nah Hagedorns Recherchen zu Bachs Stammbaum tatsächlich sind. Was wurde überliefert und was entspringt Hagedorns Fantasien, um Lücken schließen zu können, damit wir LeserInnen mit dieser langen Familienchronik versorgt sind?

Wer es genau wissen möchte, der müsste weitere Biografien nach der von Hagedorn hinzuziehen. Ich denke, dass ich das selbst auch tun werde. Ich bin ein wenig verunsichert, weil ich nicht weiß, was ich glauben soll und was nicht. Es gibt Informationen, die besagen, dass Hans Bach nicht der Sohn, sondern der Bruder von Veit ist. Die Söhne heißen ganz anders als in diesem Buch beschrieben. Aber Hagedorn selbst stellt sich die Frage, von welchem Veit die Rede ist, der nicht übereinstimmen würde mit den Informationen aus der Johann-Sebastian-Bach-Biografie.

Der Stammbaum ist dermaßen groß, dass man schon gar nicht mehr von einer Bachfamilie sprechen kann, sondern eher von einer Bach-Dynastie. Ich fand höchst interessant, dass alle Familienmitglieder musisch begabt waren. Die Musik begann bei den Veits Wurzeln zu schlagen, die niemals abgerissen wurden, sondern weiterreichten bis in die letzten Generationen dieses Stammbaums …

Der Stammbaum hört bei Johann Sebastian Bach auf. Seine Kinder befinden sich  nicht mehr darauf.

Des Weiteren wandelt man als LeserIn durch grassierende Pestepidemien, man nimmt an der hohen Kindersterblichkeit teil, darunter befanden sich auch Bachkinder, und der dreißigjährige Krieg raffte viele Menschen hinweg.

Interessant fand ich auch Bachs Familie näherer Herkunft. Sein Vater, Johann Ambrosius Bach (1645-1695), hatte einen Zwillingsbruder namens Johann Christoph, der zwei Jahre früher starb als er selbst.

Johann Ambrosius und seine Frau Maria Elisabetha brachten sieben Kinder zur Welt. Johann Sebastian war der Jüngste unter seinen Geschwistern. Die Kinder bekamen alle einen Doppelnamen. Die Jungen hießen mit dem Erstnamen alle Johann, ein Mädchen hieß Johanna, ausschließlich das Mädchen Maria Salome fiel aus dieser Namensstatistik raus.

Das Schlusskapitel, Die Odyssee, fand ich sehr lesenswert und beschreibt, wie das Altbachische Archiv entstand und wie es durch eine Katastrophe Gefahr lief, verloren zu gehen …


Mein Fazit?

Bevor ich mit dem Buch begonnen hatte zu lesen, ging ich mit ein paar Fragen dran, doch es konnten nicht alle Fragen geklärt werden, im Gegenteil, es stellten sich mir jede Menge neue Fragen.

Deshalb bin ich nun bestrebt, mir weitere Bach-Biografien anzulegen, damit ich besser vergleichen kann, was andere Musikjournalisten über diese Bach-Dynastie herausgefunden haben.

Des Weiteren würde ich gerne dort weiterlesen, wo der retrospektive Hagedorn aufgehört hat. Die nächste Familienchronik sollte dann aber bei Johann Sebastian Bach beginnen. Am besten wäre es dann wohl, mit der Autobiografie von ihm zu beginnen, auch weil ich mich für die weiteren Familienmitglieder interessiere und möchte wissen, wie weit die Chronik nach vorne reicht.

Ich finde schon, dass Hagedorn gut recherchiert hat, aber manches schien mir aus der Luft gegriffen zu sein. Auch die Erzählperspektiven fand ich manchmal nicht wirklich passend.

Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte mich recht herzlich für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar beim Rowohlt-Bücherverlag bedanken.

Gebundene Ausgabe: 416 Seiten, 24,95 €
Verlag: Rowohlt; Auflage: Originalausgabe (22. April 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3498028170
ISBN-13: 978-3498028176

_______
Gelesene Bücher 2016: 37
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86