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Sonntag, 17. August 2014

Carson McCullers / Spiegelbild im goldnen Auge (1)

Die etwas andere Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das ist das zweite Buch, das die Autorin in der Reihenfolge geschrieben hat. Das Herz ist ein einsamer Jäger ist ihr Debüt-Roman gewesen. Von dem Buch Spiegelbild im goldnen Auge zeigten sich die damaligen Literaturkritiker ein wenig enttäuscht. Sie hatten durch den Erfolg des ersten Buches mehr erwartet. Ich kann mich dem nicht anschließen. Mir hat dieses, sowie alle anderen McCullers - Bücher mehr als gefallen. Ihre Handlungen, auch wenn die Bücher nicht so umfangreich sind, haben jede Menge Tiefe. Doch bei vielen anderen stieß dieses Buch auf Widerstand, denn auch hier treten skurrile Figuren auf, die man schwer begreifen kann. Und das mag nicht jeder. Im Folgenden ein Zitat eines Kritikers namens Mr Cumming, entnommen aus dem Anhang, geschrieben von Tennessee Williams: 
Ich habe einige solcher Bücher gelesen wie dieses hier, und ich finde sie ekelhaft und verrückt. Und ich begreife nicht, weshalb jemand den Wunsch haben sollte, über derartig krankhafte und pervertierte und groteske Kreaturen zu schreiben und zu versuchen, sie als Musterbeispiele für das Menschengeschlecht auszugeben! (177)
Vielleicht gefallen mir die McCullers-Bücher gerade aus diesem Grund, weil die Autorin es schafft, das Tiefste aus einer Menschenseele hochzukehren. Deshalb fühle ich mich von ihren Büchern so angezogen.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Ein Militärcamp in einem trostlosen, verlassenen Südstaatennest, zwei Paare, die in ihrer monotonen Existenz gefangen sind und deren zwischenmenschliche Verstrickungen unausgesprochen bleiben. Jeden Abend sitzen der Major und seine kränkliche Frau beim Kartenspiel mit Hauptmann Penderton und dessen Frau Leonora, heimlich beobachtet vom Gefreiten Williams, der von der flamboyanten Frau Penderton magisch angezogen ist.
Interessant fand ich die Figur Private Williams, der auch auf dem Militärcamp tätig ist. Private Williams ist nicht sein richtiger Name. Er kennt seinen Namen selber nicht, da er mit Initialen groß geworden ist, wie z.B. J. W. . Als er vom Militär eingezogen wurde, glaubte man, es mit einem geistig Behinderten zu tun zu haben, jemand, der seinen Namen nicht schreiben konnte. Man gab ihm dann schließlich den Namen Private Williams und seit dem nennt er sich so.

Das muss man sich mal so richtig im Geiste vorstellen; ein Mensch, der mit Initialen groß wird. Was für eine Identität erwirbt so eine Person, die ohne Namen aufwächst?

Private Williams wuchs bei seinem Vater auf einer Farm auf, und der Vater erzählte dem Jungen noch ganz andere merkwürdige Geschichten, wie z. B. dass Frauen gefährliche Kreaturen seien. Sie würden Krankheiten übertragen. Er solle sich von den Frauen fern halten, denn bei der kleinsten Berührung könne er sich bei ihnen anstecken. Der Junge wuchs demnach auf, ohne jemals mit einer Frau in irgendeiner Weise in Kontakt getreten zu sein.

Man erfährt nicht, was mit der eigenen Mutter ist, mit der Frau seines Vaters. Dabei vermutet man, dass er von einer oder von mehreren Frauen Enttäuschungen hat hinnehmen müssen und so überträgt der Vater seine schlechten Erfahrungen auf den Jungen. Auch erfährt man nicht, ob diese schlechten Erfahrungen selbstverschuldet waren oder nicht. Das Buch verführt zu Spekulationen. 

J. W. wird erwachsen, geht zum Militär. Lässt sich als Soldat einschreiben und lernt auf dem Militärcamp die Frau eines Hauptmanns kennen mit dem Namen Leonora. Er ist wie erstarrt, als er eines Abends deren Silhouette aus dem Fensterglas schimmern sieht. Sie war nackt. Private Williams hatte zuvor noch nie eine nackte Frau gesehen, geschweige denn, sie berührt.
Früher, kurz nach seinem Eintritt ins Heer, hatte er sich einmal eine Fleischvergiftung zugezogen und war ins Spital geschickt worden. Beim Gedanken an die böse Krankheit, die man sich bei Frauen holen konnte, zitterte er jedes Mal vor Entsetzen unter seiner Decke, wenn die Krankenschwester ihm nahe kam, und erleidet lieber stundenlang Schmerzen, als dass er sie um Hilfe gebeten hätte.
Private Williams ist für die Versorgung und Pflege eines Pferdes zuständig, dessen Besitzerin Leonora ist. Hier gibt es eine kleine Wandlung, was der Körperkontakt zu dieser Frau betrifft. Immer, wenn er Leonora aufs Pferd half, musste er sie notgedrungen berühren, wie sonst hätte er ihr aufhelfen können?

P. W. liebt das Pferd als wäre es Leonora ...
Seit er jedoch die >Lady< berührt hatte, war diese Furcht verschwunden. Jeden Tag striegelte und  sattelte er ihr Pferd, half ihr in den Sattel und sah sie davon reiten. Frühmorgens war die Luft oft winterlich kalt, und die Frau des Hauptmanns hatte rosige Wangen und war bester Laune. Immer hatte sie ein freundliches oder witziges Wort für Private Williams. Aber er schaute ihr niemals in die Augen und entgegnete auch nichts auf ihre Scherze. (165)
Seitdem schleicht sich der Soldat nachts heimlich ins Haus. Die Haustüre war nie abgeschlossen. Geht hoch zu ihr ins Zimmer und betrachtet sie in Kniestellung als Leonora sich im Tiefschlaf befindet. Er betrachtet sie die ganze Nacht, ohne sie mit den Händen zu berühren, und bei Morgengrauen schleicht er sich wieder hinaus.

Wieder eine recht einsame Natur, dieser Private Williams. Er hatte keine Freunde, und im Camp kannte niemand seinen Namen. Warum ist es der Autorin so wichtig, diese einsamen Menschen immer und immer wieder von Buch zu Buch in Erscheinung treten zu lassen? Aus der Autobiografie wurde mir deutlich, dass sie selbst innerlich ein sehr einsamer Mensch war, obwohl sie erfolgreich war im Leben, obwohl sie viele Kontakte und Freunde hatte. Aber wie fühlt sich das innerlich an? Gehen diese inneren Bedürfnisse mit den äußeren Bedürfnissen konform? Wie man dies an ihren Figuren sieht, fühlt sich das völlig anders an. Deswegen glaube ich, dass alle diese Kreaturen Teile ihres inneren Ichs sind. Jeder Mensch besitzt so seine inneren Dämonen, während die meisten sie nach unten drücken, weil sie nicht sein dürfen, lässt die Autorin diese aufleben.

Wie geht es mit Private Williams aus? Das müsst ihr selbst lesen.

Eigentlich ist er nicht mal die Hauptfigur, trotzdem stimmte sie mich neugierig.

Es gibt noch andere Wesen. Konservative, versnobte, Wesen in Demutshaltung, etc.

Auch in diesem Buch gibt es Spießer, die alles, was im Leben Freude macht, verteufeln. Künstlerische Betätigungen werden z. B. als Kindereien abgetan. Alles, was der Normalität zuwiderläuft, wird als abstoßend empfunden. Und dieses Kleinkarierte, diese gesellschaftliche Enge wird auch hier thematisch bearbeitet.

Wenn man sich diese Kreaturen betrachtet, dann fragt man sich schon, ob es so etwas wie eine Normalität überhaupt gibt? Mir gibt die Autorin das Gefühl, dass jeder Mensch nur mit sich selbst verglichen werden kann, und jeder Mensch mit sich selbst verglichen ein normales Wesen ist.

Das, was der Mensch nach außen hin von sich zeigt, ist nichts anderes als erfüllte Erwartungen, die ihm im Laufe seiner Sozialisation herangetragen wurden. Das innere Ich ist ein völlig anderes Wesen. Und diese Wesen werden innerlich geheim gehalten und eingesperrt. Carson McCullers sperrt sie nicht ein, sie lässt diese inneren Wesen nach außen dringen und leben auf den Buchseiten so wie sie sind hell auf.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten wegen der Authentizität und des gekonnten literarischen Schreibstils.

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 Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)

Gelesene Bücher 2014: 56
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86







Donnerstag, 24. Juli 2014

Carson McCullers / Die Ballade vom traurigen Café (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Viele skurrile Figuren, das ist so typisch für Carson McC. Wo hat sie die denn nun schon wieder alle aufgegabelt??? (lol).  Ein Psychologe hätte seine Freude an ihnen. Das ist die merkwürdigste Geschichte, die ich bisher von der Autorin gelesen habe.

Und wie immer; alles in sich gekehrte und recht einsame Wesen. Kann schon recht traurig stimmen.

Doch hier rächen sich das Recht und das Unrecht und holen sich zurück, was ihnen zusteht.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Miss Amelias Café ist die einzige Vergnügungsstätte weit und breit. Dort verkauft die unabhängige und starke Frau ihren selbst gebrannten Schnaps, und dort lebt sie mit Vetter Lymon, einem kleinen buckligen Mann, der gar nicht ihr Vetter ist. Dann jedoch kehrt ihr ehemaliger Mann in die Stadt zurück. – Eine tragische Dreiecksgeschichte aus den amerikanischen Südstaaten über die im Leben ewig zu kurz Kommenden, über Sehnsucht, Verrat, bittere Enttäuschung und kurzes Glück.
Es gibt Menschen, die im Leben vom Schicksal dermaßen benachteiligt sind, und sie ohne jegliche inneren Werte aufgewachsen zu sein scheinen, dass sie nicht anders können, als sich auf das Materielle zu stützen.  Die inneren Werte würden es leichter machen, Niederlagen besser hinzunehmen, bzw. diese besser zu bewältigen.  Auch die Suche nach Liebe bleibt hier recht eingeschränkt. Personen, die nicht wissen, wie wertvoll ein menschliches Leben doch ist. Wenn durch unglückliche Umstände, selbst verursacht oder schicksalshaft bedingt fremdverschuldet, dann bleibt einem Menschen nicht mehr viel. Da bleibt nur noch der Rückzug in die Dunkelheit, in die Tristesse ...
Verwirrend ist nun, dass alle brauchbaren Dinge ihren Preis haben und nur mit Geld erworben werden können, denn so ist der Lauf der Welt. Ohne zu überlegen weiß man, wie viel ein Ballen Baumwolle oder ein Liter Sirup kostet. Doch das menschliche Leben hat keinen Geldwert; es wird uns umsonst gegeben, und es wird uns genommen, ohne dass wir dafür bezahlen. Wie viel ist es wert? Wenn man um sich blickt, könnte man meinen, dass es wenig oder gar nichts wert ist. Oft, wenn man sich im Schweiße seines Angesichts abrackert und bemüht und seine eigene Lage doch nicht gebessert hat, regt sich in unserem inneren Herzen ein Gefühl, als wäre man selber auch nicht viel wert.
Eigentlich habe ich gar kein Bedürfnis, noch mehr über das Buch zu schreiben und deshalb beschränke ich mich auf dieses eine Zitat, weil es mir sehr gut gefallen hat, und das schon alles aussagt. Die Lektüre trägt in sich eine so besondere Geschichte, die man besser selber lesen muss. Zudem steht im Klappentext schon alles Wesentliche geschrieben. Und was zwischen den Zeilen steht? Sucht selbst ...

Wie gesagt, mich hat die Erzählung sehr traurig gestimmt.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Es ist genial erzählt, die Figuren erlebte ich als sehr differenziert und recht eigenartig im Auftreten. Neben den Protagonisten hat sich die Gesellschaft drum herum auch recht seltsam verhalten.

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Siehe das Gute im Menschen, dann tust du dir leichter.
 Sicherlich gibt es Dummköpfe. Aber bist du selbst immer klug?
(Tuomas Kyrö)

Gelesene Bücher 2014: 48
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
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Samstag, 21. Juni 2014

Carson McCullers / Frankie (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Wieder ein McCullers Buch, in dem es um Persönlichkeiten geht, die tief in der inneren Einsamkeit stecken.

Die Protagonistin in dem Roman ist, wie der Buchtitel schon verrät, die zwölfjährige Frankie, die nun genug davon hat, Kind zu sein und sich nichts sehnlichster wünscht, als in die Welt der Erwachsenen einzutauchen. Frankie ist eine Halbwaise. Die Mutter starb bei ihrer Geburt. Der Vater,
Juwelier von Beruf, ist einundvierzig Jahre alt, der seit dem Tod seiner Frau eine farbige Köchin namens Berenice Sadie Brown eingestellt hat. Nebenbei ersetzte sie Frankie ein wenig die Mutterrolle. Dann gibt es noch den sechsjährigen Vetter John Henry West.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
›Frankie‹ ist die Geschichte eines Reifeprozesses und einer großen Sehnsucht, der Sehnsucht, dabei zu sein: beim Leben der Erwachsenen, hier bei der Hochzeit des Bruders, der von einer fremden Frau entführt wird. Frankies Ruf ›Nehmt mich mit!‹, der ungehört dem abreisenden Paar nachhallt, ist der verzweifelte Ruf, den jedes alleingelassene Kind kennt.
Die Geschichte spielt im Sommer des Zweiten Weltkriegs, in der Frankie in eine Identitätskrise gerät. Sie hat noch einen älteren Bruder, der in diesem Sommer die Absicht hat, zu heiraten. Frankie will indirekt mitgeheiratet werden. Sie erträgt die Einsamkeit nicht mehr. Mit dieser Mitheirat würde sich ihr ein Wir bilden.
Die beiden sind mein >Wir<. Gestern und während der ganzen zwölf Jahre ihres Lebens war sie nur Frankie gewesen. Sie war nur ein >Ich< und ging für sich allein herum und musste für sich selber handeln. Alle anderen hatten ein >Wir< - alle, nur sie nicht. Wenn Berenice >Wir< sagte, so meinte sie Anträge und die Großmutter, ihre Loge oder die Kirchengemeinde. Das >Wir< ihres Vaters war sein Laden. Alle Klubmitglieder haben ein >Wir<, zu dem sie gehören und von denen sie reden können. Die Soldaten in der Armee können >wir< sagen, sogar die Verbrecher, die man aneinanderkettet. Aber die alte Frankie hatte kein >Wir< gehabt, höchstens das >Wir< des schrecklichen Sommers, das aus ihr und Jean Henry und Berenice bestand; und das war das allerletzte >Wir<, das sie gewollt hatte. Das alles war nun plötzlich vorbei und ganz anders. Es gab ihren Bruder und seine Braut; und eigentlich hatte sie es schon gewusst, als sie die beiden das erste Mal sah: Die beiden sind mein >Wir<! (74)
Die Idee mit dem „Wir“ fand ich einen supergenialen Gedanken. Deutlicher kann der Kampf gegen die Einsamkeit gar nicht mehr ausgedrückt werden.
Sie stand in der Ecke des Brautzimmers und hätte gern gesagt: „Ich liebe euch beide so sehr. Ihr seid mein Wir. Bitte nehmt mich mit nach der Hochzeit, denn wir gehören zusammen."
In den späteren Zitaten folgen noch weitere geniale Beispiele. Frankie hatte einfach genug davon, sich selbst zu sein. Ein weiterer Gedanke folgt, der mich tief beeindruckt hat:
Das war der Sommer, als Frankie es satthatte, Frankie zu sein. Sie hasste sich, wusste nichts mit sich anzufangen, war zu nichts nütze und lungerte den ganzen Tag über in der Küche herum; schmutzig, gierig, gemein und traurig. Sie verdiente es wirklich nicht, auf der Welt zu sein, und außerdem war sie ein Verbrecher. Hätte das Gericht Bescheid gewusst, sie wäre verurteilt und ins Gefängnis gesperrt worden. Aber Frankie war nicht immer ein Verbrecher und Taugenichts gewesen. Bis zum April war sie ihr ganzes Leben lang wie die anderen Leute gewesen. Sie war Mitglied in einem Klub und hatte gute Zeugnisse nach Hause gebracht. Jeden Samstagvormittag half sie ihrem Vater bei der Arbeit, und Samstag Nachmittag ging sie ins Kino. (39f) 
Frankie war ein sehr fantasiebegabtes Kind. Die Fantasien waren wichtig, um durch diese schwierige Phase, die die Pubertät mit sich brachte, zu gehen. Ihre Gedanken waren nicht immer leicht, sie nachzuvollziehen. Sie hatte genaue Vorstellungen davon, wie sie die Welt gerne hätte. Sie ging zur Blutspende, damit ihr Blut in den Adern von Menschen aus anderen Ländern und Kontinenten weiter zirkulieren konnte. Darin sah sie eine Verbindung zu den Menschen aus aller Welt. 
Sie beschloss, Blut zu spenden. Sie wollte dem Roten Kreuz wöchentlich einen Liter geben, dann würde ihr Blut in den Adern von Australiern, Franzosen und Chinesen über die ganze Welt verbreitet sein, und sie wäre mit all diesen Menschen verwandt. (42) 
An diesem Zitat wird noch einmal deutlich, wie sehr Frankie unter ihrer Einsamkeit litt und wie sehr sie sich nach anderen Menschen sehnte. Doch zu ihrem Missmut wurde sie aufgrund ihres so jungen Alters abgelehnt, was Frankie den Ärzten arg übel nahm.

Auch wünschte sich Frankie eine Insel, auf der Menschen so viele Kriege führen konnten, wie sie wollten. Nur kriegsenthusiastische  Menschen sollten auf dieser Insel leben.
Der Krieg und die Welt - alles war zu schnell, zu riesig und fremd. Wenn sie zu lange über die Welt nachdachte, bekam sie es mit der Angst zu tun. Sie fürchtete sich nicht vor den Deutschen oder vor Bomben oder vor Japanern. Sie fürchtete sich, wenn man sie nicht mitmachen ließ in diesem Krieg und weil es ihr so vorkam, als habe sich die Welt irgendwie von ihr getrennt. (42f)
Frankie fehlte es an Mutterliebe. Sie klammerte sich stark an den Vater und schlief noch bis zum zwölften Lebensjahr mit ihm in einem Bett, bis der Vater schließlich Einhalt gebietet:
Als ihr Vater und sie eines Abends im April zu Bett gingen, sah er sie plötzlich an und sagte: "Wer ist denn diese zwölf Jahre alte, langbeinige Zikade, die immer noch bei ihrem alten Papa schlafen will?" Seitdem war sie zu alt, um noch länger mit ihrem Vater zusammen zu schlafen. Sie musste oben in ihrem Zimmer allein schlafen. Sie nahm es ihrem Vater übel, und die beiden sahen einander schief von der Seite an. Sie mochte nicht länger zu Hause bleiben. (44) 
Dieses Ausladen aus dem ehelichen Bett ihres Vaters verschärfte die Krise um einiges und so gibt sich Frankie gefährlichen Tagträumereien hin.

Frankie ist 1,67 m groß. Sie verzieh es sich nicht, dass sie so groß war und nannte sich selbst langer Lulatsch, der es nicht verdiente, auf der Welt zu sein. Von den Kindern wurde sie der Größe wegen verspottet. Sie bekam die Frage gestellt, ob es ihr dort oben nicht zu kühl sein würde? (Lol)

Der Hauptaufenthaltsort in diesem Buch ist die Küche. Frankie tauscht sich gerne mit der Köchin Berenice aus. Berenice bekommt sehr deutlich die schwermütigen Gedanken dieses jungen Menschen mit. Frankie würde den ganzen Tag nichts anderes tun, als zu denken und über ihre Gedanken zu sprechen.

Dass sich Frankie stark nach Liebe sehnt, und sie diese sich bei Berenice holt, fand ich folgendes Zitat ein wenig traurig, denn nicht nur Frankie will geliebt werden, sondern auch der kleine John Henry:
Frankie legte das Messer, mit dem sie spielte, auf den Tisch und setzte sich Berenice auf den Schoß und lehnte das Gesicht gegen ihren Hals. Ihr Gesicht war schweißnass, genau wie Berenices Hals, und beide rochen salzig und sauer. Ihr rechtes Bein lag über Berenices Knien und zitterte. Als sie den Fuß auf den Boden stellte, zitterte es nicht mehr. John Henry kam (…) angeschlürft und schmiegte sich eifersüchtig an Berenice. Er legte seinen Arm um ihren Hals und hielt sich an ihrem Ohr fest. Dann versuchte er, Frankie von ihrem Schoß zu schubsen, und kniff Frankie ins Bein.„Lass Frankie in Ruhe", sagte Berenice, „sie hat dir nichts getan."
„Ich bin krank", jammerte er. 
„Aber nein, das bist du nicht. Sei brav und gönn deiner Cousine das bisschen Liebe." (201)
Nun habe ich sehr viele Zitate eingebracht, weil mir die Textstellen so gut gefallen haben. Mit in die Hochzeit ihres Bruders eingezogen zu werden, und schließlich mit dem vermählten Paar mitzuziehen, wurde immer mehr zur Täuschung ihrer eigenen Einbildungskraft, die sie weiterhin in eine schwere Krise stürzte. Berenice hatte sie liebevoll davor gewarnt, dass ihr Bruder sie unmöglich ins neue Leben mitnehmen könne, doch sie wollte ihr nicht glauben. Sie hegte Suizidgedanken und die Absicht, sich mit dem Revolver ihres Vaters zu töten. Frankie packt eines späten Abends ihren kleinen Koffer, klaut dazu die Geldbörse ihres Vaters, und reißt aus. Sie will raus in die Welt, wenn sie auch noch nicht weiß, wie und wohin. Suizid oder nicht? Lest einfach selbst.

Ich mache hier nun Schluss, doch glaubt nicht, dass ich alle Szenen beschrieben habe. Es gibt noch andere, sehr interessante Begebenheiten zwischen Frankie und ihren Mitmenschen, zwischen dem kleinen John Henry und nicht zu vergessen zwischen Berenice und deren Leben mit den vielen Ehen und Scheidungen.

Und auch der Rassismus fand hier seinen Platz. Die schwarze Köchin Berenice sehnt sich nach einer Welt, in der es zwischen den Schwarzen und den Weißen eine Gleichbehandlung gibt und die frei ist von Diskriminierungen.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Es ist authentisch geschrieben, literarisch tiefgründig, anspruchsvoll und sehr fantasievoll.
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Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
 haben ihre Berechtigung,
solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

Gelesene Bücher 2014: 40
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Montag, 12. Mai 2014

Carson McCullers / Die Autobiographie (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Die Autobiografie hat mir sehr gut gefallen.
Carsons Herz war oft einsam, und es war ein unermüdlicher Jäger auf der Suche nach Menschen, denen sie es anbieten konnte; aber es war ein Herz, das mit einem Licht gesegnet war, das seine Schatten überstrahlte.
Ein so schönes Bild schon gleich auf der ersten Seite der Einleitung, geschrieben von Tennessee Williams, ein amerikanischer Autor und Freund von Carson McCullers, hat es mir angetan.

Diese Metapher passt zu allen Romanfiguren, die McCullers in ihren Büchern, die ich bisher von ihr gelesen habe, auftreten, doch hauptsächlich passend ist sie zu den Figuren aus Das Herz ist ein einsamer Jäger.

Obwohl die Autorin jede Menge FreundInnen hatte, fällt es mir ein wenig schwer zu glauben, dass sie innerlich einsam war. Viele KünstlerInnen und bekannte AutorInnen zählten zu ihrem Kontakten- und Freundeskreis. Auch kommt sie aus einer Familie, in der sie gut aufgehoben war und in der sie geliebt wurde.

Aus der Einleitung geht allerdings hervor, dass C. McC. zu früh literarischen Erfolg hatte, für den sie psychisch noch nicht reif genug gewesen sei, und die innere Einsamkeit dadurch erklärbar machen könnte. Mit 23 Jahren bringt sie ihr erstes Buch mit dem Titel Das Herz ist ein einsamer Jäger heraus, und sorgt damit für Furore und große Anerkennung. Des Weiteren brachte sie für junge Talente einen Buchband heraus mit vielen Ratschlägen, wie man den frühen Erfolg bestmöglich verarbeiten kann.

Die Mutter der Autorin wusste schon, dass ihr Töchterchen es einmal zu etwas ganz Großem bringen würde. Ein Genie in der Familie und das war C. McC. tatsächlich. Eigentlich hätte sie Pianistin werden sollen. Mit neun Jahren bekommt sie ein Piano geschenkt, auf dem sie ihre ersten Stücke selbst komponierte, ohne vorher Unterricht erhalten zu haben. Aber das Schicksal hatte etwas ganz Anderes mit ihr vor. Dadurch, dass Carson als Kind viel krank war, musste sie ihr Ziel als Pianistin wieder aufgeben und begab sich in die Welt der Dichter und Schriftsteller ... C. McC. war eine so tolle Persönlichkeit, die leider nicht alt werden durfte. Mit Anfang fünfzig ist sie an ihrem vierten Schlaganfall gestorben. Den ersten Schlaganfall erlitt sie in ihrer Kindheit völlig unbemerkt. Ihr wurde von den Symptomen her das chronische rheumatische Fieber diagnostiziert, das sich später, nach vielen Jahren, als falsch erwies. Der erste Schlaganfall wurde erst viele Jahre später, als sie schon erwachsen war, erkannt.

C. McC. war ein durch und durch gütiger und lebensbejahender Mensch. Trotz ihrer körperlichen Einschränkungen hatte sie dennoch ein bewegtes Leben. Und keinesfalls ist sie an der Schwere ihrer Erkrankung in Depressionen verfallen. Ein Bein musste amputiert werden, und sie hatte trotzdem nicht den Lebensmut verloren. Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Sie wäre mir ein Vorbild.

Nach dem vierten Schlaganfall lag sie für mehrere Wochen im Koma, als sie dann schließlich starb.

Die Einleitung fand ich nicht sehr gut, denn viele Infos tauchten doppelt und dreifach auf.  C. McC. hat über ihr Leben so klar und deutlich geschrieben, dass ich auch ohne die Einleitung ausgekommen wäre. 
Die Klappentexte sind ja oftmals schon zu ausführlich. Ein bisschen sollte man den LeserInnen schon auch zumuten dürfen.

Wie hat die Autorin ihren Erfolg als Schriftstellerin gefeiert bzw. aufgenommen? Interessant fand ich, dass sie keine Rezensionen zu ihren Büchern gelesen hat.
Ich lese meine Rezensionen nie. Wenn sie gut sind, können sie mir zu Kopf steigen, und wenn sie schlecht sind, würden sie mich nur deprimieren. Also lasse ich es. Aber natürlich sickern durch Freunde Informationen zu mir durch, die mir eine ziemlich genaue Vorstellung davon geben, wie die Sache steht. (90f)
Eine Episode zwischen der Sekretärin und ihr brachte mich zum Schmunzeln. C. McC. war durch ihre Krankheiten auf eine Sekretärin angewiesen. Sie hatte durch ihren Schlaganfall ein recht schlechtes Sehvermögen. Sie diktierte der Sekretärin ihre Skripte. Über manche Szenen musste die Autorin selber auch lachen und wunderte sich, dass ihre Schreibhilfe so gar keinen Sinn für Humor besaß:
Mein guter Freund William Meyer fand eine Psychiatrieschwester, die mir mit dem Manuskript half, und als ich nach Hause durfte, besorgte ich mir eine Sekretärin, die das Skript tippen sollte. Das machte großen Spaß - das einzige Problem war, dass die Sekretärin keinen Sinn für Humor hatte, und wenn ich lachen musste, musste ich allein lachen, was ein bisschen gespenstisch ist, wie ich sagen muss.>>Finden Sie das nicht lustig?<< fragte ich sie gelegentlich.>>Nein<<, antwortete sie. Ich lachte also allein weiter. (101f)
Die Autorin war nicht nur Schriftstellerin, sie war auch mehr oder weniger politisch aktiv.
Wie man schon aus ihren Werken weiß, setzte sie sich schon früh gegen den Rassismus ein. Auch ihr  kleinerer Bruder Lamar Smith litt fürchterlich unter der Diskriminierung schwarzer Menschen. Die Kinder beobachteten eine Begebenheit zwischen ihrem sehr jungen farbigen Kindermädchen und einem Taxifahrer. Lucille hatte sich ein Taxi bestellt …
Mein Bruder und ich beobachteten, wie sie aus dem Haus kam und der Taxifahrer sich weigerte, sie zu fahren.
>>> Ich fahre keine verdammten Neger<<, schnaubte er. Lamar, der Lucilles Verlegenheit sah und die Hässlichkeit dieser ganzen Ungerechtigkeiten fühlte, rannte unter das Haus. (Ich muss dazu erklären, dass der Raum unter dem Haus fast wie ein eigenes Zimmer ist.) Mein Bruder weinte unter dem Haus, aber ich war außer mir vor Wut und schrie den Taxifahrer an: >>Sie böser, böser Mann.<< Dann kroch ich zu meinem Bruder, und wir hielten uns an den Händen, um uns zu trösten, weil es nichts, nichts anderes gab, was wir tun konnten. Lucille musste eine gute Meile zu Fuß nach Hause gehen. (122)
Mich wundert das immer wieder, dass es Menschen gibt, die über eine so große Sensibilität verfügen, mit der sie die Ungerechtigkeiten benachteiligter Menschengruppen wahrzunehmen in der Lage sind, während die meisten Menschen die Diskriminierungen als gegeben hinnehmen und sich dem ungefragt und unreflektiert anpassen, statt sich zu widersetzen. Wobei die Eltern hierbei als Vorbild fungieren. 

Und nun ein wenig etwas zur Literatur, die die Autorin bevorzugte.
Die meisten Bücher, die in der Autobiografie vorgestellt wurden, waren mir selbst bekannt. Sie hat Marcel Proust gelesen, F. Dostojewski, Leo Tolstoi und natürlich als Amerikanerin jede Menge amerikanische AutorInnen, wie z. B. Henry James, F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway, etc. so wie auch die Engländerin Virginia Woolf. Mit Virginia Woolf konnte C. McC. allerdings nicht wirklich warm werden.
Ich selbst bin völlig blind in Bezug auf Virginia Woolf. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann mich einfach nicht wirklich für sie interessieren. Das ist insofern merkwürdig, als nicht nur viele meiner Freunde Virginia Woolf schlichtweg vergöttern, sondern ich viele Mitglieder des >>Bloomsbury Set<< persönlich kenne.
Man kann ja nicht jeden berühmten Schriftsteller mögen. Mir ging es mit Marcel Proust ähnlich. Ich  war auch um ihn so sehr bemüht und habe bisher nicht mehr als vier Bände von ihm zu lesen geschafft. Virginia Woolf dagegen ist mir von ihrem inneren Naturell eher vertraut.

Allerdings ist Vrginia Woolf im Gegensatz zu mir, wie ich aus ihrer Autobiografie entnehmen konnte, von Marcel Proust mehr als angetan gewesen. 

Interessant fand ich, wie C. McC. den Buchband von Dostojewski Der Idiot bewertete:
Das Buch hat eine wundervolle Groschen Roman-Qualität. Man wird einfach von einer unglaublichen Szene zur nächsten unglaublichen Szene weiter gerissen.(128)
Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, den Band von Dostojewski als Groschenroman abzutun. Ehrlich gesagt ist mir Dostojewski ein wenig zu anstrengend und sehr langatmig. Mein Fall ist Dostojewski nicht.

Beeindruckend fand ich die Beziehung zu ihrem Gatten James Reeves McCullers jun. Ihr erster intimer Freund. Sie bekam recht früh einen Heiratsantrag gemacht und Carson wollte, um Reeves besser kennenzulernen, noch vor der Ehe Sex haben. Sie fragte ihre Mutter, was Sex sei. Die Mutter war sehr verlegen, zog sie sanft zu sich heran und sprach;
Schatz, Sex ist, wenn man sich auf etwas draufsetzt. (Kaputt lach)
C. McC. war genauso schlau wie vorher auch und suchte Bibliotheken auf,  um sich über Bücher aufzuklären. Doch die damalige Literatur eignete sich zur sexuellen Aufklärung genauso wenig ...
Sie verständigte ihre Eltern, dass sie mit Reeves schlafen werde. Die Eltern hatten das akzeptiert. Sie unterstützen ihr Kind in allen Lebenslagen, was es sich vornahm. Die Liebe zwischen den Eltern und der ältesten Tochter war ganz deutlich zu spüren.

Obwohl so viel Liebe zwischen Reeves und C. McC. bestand, musste die Ehe scheitern. Die vielen Depeschen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, dem ist ein eigenes langes Kapitel im Buch >>Kriegsbriefe<< gewidmet, bezeugten diese Kriegsbriefe die Liebe füreinander. Reeves war in Europa als Soldat stationiert. Er überlebte zwar den Krieg, aber nicht seine psychischen Leiden. Leider war Reeves schwer depressiv, der sich zusammen mit Carson das Leben nehmen wollte. Er versuchte, seine Frau zu erwürgen. Carson war entsetzt und zog sich von ihm zurück und ließ sich sogar scheiden. Schade. Beide genossen einen regen literarischen Austausch. Sie las ihm ihre Werke vor, von denen Reeves hellauf begeistert war und sich dadurch inspiriert gefühlt hatte, selbst auch mit dem kreativen Schreiben zu beginnen.

Carson fragte ihn, ob er das Werk Das Herz ist ein einsamer Jäger gut finden würde, so antwortete er:

Ob ich das gut finde? Nein, ich finde das nicht gut, ich finde das großartig.

Ich beende nun hier meine Aufzeichnungen.

Mein Fazit

Carson McCullers kommt mir ein wenig seelenverwandt vor. Ihre Bücher könnte ich sinnbildlich betrachtet mit geschlossenen Augen lesen. Ich könnte sie trotzdem noch gut verstehen. Deshalb bin ich motiviert, die restlichen anderen Bände von ihr auch noch zu lesen. Carson McCullers zählt zu meinen absoluten Favoriten.
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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).

Gelesene Bücher 2014: 33
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Sonntag, 13. April 2014

Carson McCullers / Uhr ohne Zeiger (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen, lediglich der Klappentext hat mich ein wenig irritiert. Ich bin mit der Vorstellung in die Lektüre gegangen, es mit einem an Krebs erkrankten Menschen zu tun zu haben. Ja, diesen Menschen gibt es in der Geschichte, aber er ist bei Weitem nicht die Hauptperson des Romans. Wie dieser Mensch mit seiner tödlichen Erkrankung umgeht, fand ich recht spärlich, und für mich nur eine Nebendarstellung, die im großen Ganzen des Romans dazugehört. Das ist aber nicht die Schuld der Autorin, sondern desjenigen Lesers, der den Umgang mit der Krankheit und dem Tod ins Zentrum gerückt hat, wobei der Buchtitel, fällt mir gerade auf, doch eher auf das Thema Sterben und Tod hinweist.

Hat die Autorin vielleicht doch zu viele Themen reingepackt? War das Ausgangsthema erst ein anderes, und sich das Thema in eine andere Richtung entwickelt hat? 

Parallel dazu finden noch viele andere Geschichten statt, die nicht weniger bedeutsam sind. Aber ich war darauf nicht vorbereitet. Siegfried Lenz hat den Klappentext geschrieben, auch wenn er im Anhang etwas ausführlicher ausholt, gleicht er das Missverständnis wieder aus, indem er die Handlungen der anderen Protagonisten mit dem des Sterbenden miteinander verbindet.

Carson McCullers ist eine Autorin, die die Figuren authentisch aufleben lässt, sie kann menschliche Charaktere in ihren Handlungen wahnsinnig gut beschreiben.

Trotzdem bin ich ein wenig orientierungslos gewesen. Nicht nur Lenz mit seinem Klappentext hat mich auf die falsche Fährte gebracht, sondern auch der Buchtitel. Mit Rassismus, das ist das eigentliche Hauptthema, hätte ich den Buchtitel niemals in Verbindung gebracht.

Im Folgenden noch einmal der Klappentext: 
In ihrem letzten Roman thematisiert Carson McCullers die Unabwendbarkeit des Todes: Dem Apotheker Malone wird von seinem Arzt eröffnet, daß er nur noch ein gutes Jahr zu leben hat. Ist das genug Zeit, sich vom Vergangenen zu verabschieden und das Sterben zu akzeptieren?
Für mich war nicht der Krebskranke der Protagonist, sondern der Richter, sein Neffe und ein schwarzer Junge.

Das Buch beginnt zwar mit der Thematik Sterben und Tod, aber sehr bald kommt die Wende und man hört lange nichts mehr davon.

Marlone heißt die Figur, die von ihrem Arzt gesagt bekommt, dass sie an Leukämie erkrankt sei und nur noch wenige Monate zu leben habe.  
Marlone verschweigt seiner Familie die Diagnose, versucht sich aber bei seinem eher oberflächlichen Freund, der Richter ist, auszusprechen. Marlone ist Mitte vierzig, der Richter weit über neunzig. Doch auch der Richter ist von Krankheit und Tod gebeutelt, er selbst hatte Glück und konnte seinen Infarkt überleben. Aber sein Sohn hatte sich das Leben vor mehr als siebzehn Jahren genommen. Auch seine Frau verstarb.

Der Tod lauert also überall …

Marlone fühlt sich von dem Richter nicht ernst genommen, da er versuchte, ihm die Diagnose auszureden …

Und so versucht Marlone, alleine mit der Erkrankung, mit seinem Sterben und mit seinem bevorstehenden Tod umzugehen. Er gibt sich plötzlich Gedanken hin, die ihm vor seiner Erkrankung niemals gekommen wären ... Marlone denkt an all die Menschen, die vor ihm gegangen waren, darunter befanden sich auch Kinder.
Mit jeder Stunde rückt jedes Lebewesen seinem letzten Stündlein näher - aber wie oft denken wir daran?
Zwischendrin nimmt man immer mal wieder Teil an Marlones Gedanken. Zum Ende hin wird es richtig konkret, während er zuvor noch lange in seiner Apotheke beschäftigt ist. Das Jahr war schon längst rum, und Marlone lebt immer noch.
Die größte Gefahr - sein Ich zu verlieren - kann sich so still vollziehen, als wäre es nichts; jeder andere Verlust - von einem Arm oder Bein, von fünf Dollar, von einer Ehefrau usw.- fällt einem bestimmt auf. (262)
Ich wechsle nun über zu den eigentlichen Protagonisten. Das wären der Richter Clane, sein Neffe Jester und der schwarze Junge namens Sherman.

Sherman ist ein Waisenkind, mittlerweile siebzehn Jahre alt. Ein Schwarzer, der blaue Augen hat. Er leidet unter Identitätsproblemen, da er nicht weiß, wer seine eigentlichen Eltern sind und erfindet welche in seinen Träumen. Er zeigt sich arrogant und ist schwer zugänglich. Einerseits will er sich rächen, weil die Schwarzen schlecht behandelt werden, und andererseits glaubt er etwas Besseres zu sein, weil er blaue Augen hat, und sich nicht zu den Schwarzen zählt.
Sherman ist im Haus des Richters tätig …

Sherman befindet sich in einer Phase, wo er, wie jeder Jugendlicher auch, noch seinen Platz in der Gesellschaft sucht. Bei einem Schwarzen dauert solch ein Selbstfindungsprozess weitaus länger. Richter Clare weiß, wer die Eltern des Jungen sind, spricht es aber nicht aus. Er sieht, wie der Junge leidet. Erst als der Junge durch Zufall die Namen seiner Eltern herausfand, rastet der Junge ganz aus und möchte sich an dem Richter rächen, unterlässt es dann schließlich doch und rächt sich an Jesters Hund, indem er den Hund an einem Baum erhängt, als Jester nicht zu Hause war. Jester ist geschockt, den Hund aufgehängt vorzufinden und hat sofort Sherman in Verdacht, den er zur Rede stellt. Shermans Reaktion:
>>Und ich sehe, wie du mit dem Hund von´nem weißen Gassi gehst, wie du dir ne´schicke weiße Sommerhose anziehst und in die Schule für die Weißen gehst. Aber um mich kümmert sich keiner. Ich tue das, aber keiner merkt es. Was Gutes oder was Gemeines, aber keiner merkt es. Die Leute streicheln den verdammten Hund, aber mich sehen sie nicht. Und dabei ist er bloß ein Hund.<< (358)
Armer Hund, der sogar Sherman immer abgeschleckt hatte; wo für den Hund alle Menschen gleich sind, weiß wie schwarz, so musste er nun für den Rassismus bezahlen.

Der Richter Clane ist der absolute Rassist. In seinem Dienst als Richter hat er immer dafür gesorgt, dass die schwarzen Angeklagten verurteilt wurden, auch, wenn sie im Recht waren. Schwarze Menschen waren schon dadurch im Unrecht, weil sie existierten und die Diskrepanz liegt allerdings darin, dass sie doch auch von den Weißen gebraucht und ausgebeutet wurden. Seit knapp hundert Jahren kämpfen die Schwarzen um Gleichbehandlung, die auch im Gesetz schließlich geregelt wird.

Richter Clane hält eine öffentliche Rede, als es darum ging, gegen die Schwarzen zu sprechen und merkte nicht, wie er sich mit seiner Rede blamierte:
Vor siebenundachtzig Jahren, (…) gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Jetzt stehen wir in einem großen Bürgerkrieg, um zu erproben, ob diese oder jene andere so gezeugte Nation dauerhaft bestehen kann. (396)
… dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Er wusste nicht, wo die Blamage lag, das bedeutet, die Schwarzen zählte er nicht zu den Menschen. Denn das war ja das Ziel der Neuamerikaner, Freiheit allen Menschen.

Der Neffe Jester, auch siebzehn Jahre alt, geht noch zur Schule mit der Perspektive, Jurist wie sein Vater zu werden. Aber nicht wie sein Großvater. Sein Vater nahm sich das Leben, als Jester sich im Kleinkindalter befand. Johnny war anders als sein Vater; er setzte sich für die Schwarzen ein.
Er nahm sich das Leben, und Jester erfährt erst recht spät, weshalb sich der Vater suizidierte. Jester favorisierte seinen Großvater, als er noch klein war. Doch später, in der Adoleszent, rebelliert er gegen den Großvater und entwickelt sich in die andere Richtung. Jester setzt sich für die Schwarzen ein. Er hält Freundschaft mit Sherman, auch wenn Sherman seine Freundschaft nicht erwidern konnte.

Richter Clare ist dermaßen narzisstisch eingestellt, dass er von seinem Neffen die permanente Bewunderung in seinem Denken und in seinen Handlungen benötigt. Auch von seinem Sohn erwartete er das Nacheifern. Richter Clare wollte sich dadurch unsterblich machen. Er konnte seinen Sohn nur lieben, solange er das machte, was seinen Vorstellungen entsprach. Immer wieder spricht er davon, dass sein Verhältnis zu seinem Sohn eher brüderlich war, eher zwillingshaft. Nein, Jester glaubte nicht alles, was er über seinen Vater erzählt bekommt. Jester sieht die Unterschiede zwischen Vater und Sohn ... 

Zum ersten Mal spricht Clare mit Jester über den Sohn Johnny, indem er die Dialoge zwischen Vater und Sohn wiedergibt:
Einmal, in Johnnys erstem Jahr in der Anwaltspraxis, hatte der Vater laut gesagt: >>Mir ist oft aufgefallen, Johnny, dass Männer, die sich zu sehr mit der Unterschicht befassen, leicht selber untergehen.<<
Johnny hatte nur mit den Schultern gezuckt.
Der Großvater, der Richter, spricht nun aus eigener juristischer Erfahrung, als er in Johnnys Alter war:
>>Ich bin den Armenprozessen, die einem jungen Anwalt zuerst aufgehalst werden, aus dem Weg gegangen. Meine Kanzlei lief gut, und bald konnte ich als Verteidiger Fälle übernehmen, die mir beträchtlichen finanziellen Gewinn eintrugen. Finanzieller Gewinn und politisches Prestige, das sind schon immer die ausschlaggebenden Erwägungen gewesen.<<
>>So ein Anwalt bin ich nicht<<, hatte Johnny gesagt. (308)

Auch vor Gericht brachte Johnny seinen Einsatz, der für die schwarzen Menschen sprach:
>Meine Herren Geschworenen, in Fällen wie diesem hier ist es die Verfassung, die unter Anklage steht.< Johnny zitierte die Präambel und die Zusätze, die allen Sklaven Freiheit garantierte und sie zu Staatsbürgern mit gleichen Rechten machte. (325)
Richter Clare ist nicht nur rassistisch, sondern auch materiell. Er tat alles, um in seinem Beruf schnell aufzusteigen und sich Reichtürmer anzuhäufen. Er bezeichnete sich und Marlone als bedeutende, überaus wichtige Bürger ihres Viertels. Marlone fühlt sich geehrt, als der Richter ihn miteinbezogen hatte:

Der Richter im Gespräch:
>> Und noch etwas<<, fuhr der Richter fort. >> Du und ich, wir haben unsere Grundstücke und unsere Stellung und unsere Selbstachtung. Was aber hat Sammy Lank, außer einen Haufen Kinder? Sammy Lank und andere arme Weiße wie er haben nichts als ihre Hautfarbe. Keinen Besitz, keine finanziellen Mittel und keinen, auf den sie herabsehen können - das ist der Schlüssel zu der ganzen Sache. Es ist ein trauriger Zug der menschlichen Natur, aber jedermann muss jemand haben, auf den er herabsehen kann. Und die Sammy Lanks dieser Welt haben nur die Nigger, auf die sie herabsehen können.<< (363)
Nichts haben als die weiße Haut … Fand ich absurd, die Haut wie einen losen Gegenstand zu betrachten.

Mein Fazit zu dem Buch:

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, so viel über den Rassismus zu schreiben, da ich schon so viel darüber gelesen habe. Ich habe mir auch erst viel später im Buch die Zitate angemerkt, weil sie mir doch als recht bedeutsam erschienen sind.

Ich bin sicher, dass wir die Befreiung der Sklaverei auch McCullers zu verdanken haben, die in ihren Büchern sich für die Schwarzen eingesetzt hat, wobei die Sklaverei zu ihrer Lebzeit schon längst abgeschafft war, Ende des 19. Jhrd., wie man dies auch aus dem Kontext ihres Romans entnehmen kann, aber die Gesetze wurden noch nicht eingehalten. Die Weißen beachteten sie einfach nicht. Nach wie vor wurden die Schwarzen auch juristisch weiterhin in ihren Menschenrechten missachtet. 

Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten. Neun aus dem Grund, weil der Buchtitel und der Klappentext irreführend war. Sonst wären es zehn gewesen.

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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).

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Montag, 8. April 2013

Carson McCullers / Das Herz ist ein einsamer Jäger (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich gestern Abend zu Ende gelesen, und bleibe bei meiner anfänglichen Meinung, dass es aus meiner Sicht seine zehn von zehn Punkten verdient hat.

Das Buch ist sehr facettenreich geschrieben, was auch für die Differenziertheit der verschiedenen Subjekten und Charaktere der Figuren spricht. Die literarische Sprache fand ich auch sehr angenehm, zudem noch fantasie- und humorvoll.

Das Buch behandelt Themen wie die Weltwirtschaftskrise, Rassismus in Amerika in den 1930er Jahre, Einsamkeit, Tod und Gewaltverbrechen. Die Geschichte spielt im Staat Georgia.

Ich habe viel angestrichen, werde aber nur wenig rausschreiben, aufgrund dessen, weil das Buch so vielseitig ist, möchte ich die Textstellen nicht zu sehr aus ihren Zusammenhängen herausschneiden. 

Das Buch beginnt zwei taubstumme Männer zu beschreiben, Sirus Antonapoulus und John Singer, beide sind durch das gemeinsame Schicksal ihrer körperlichen Behinderung stark verbunden und sie eine enge Freundschaft pflegen, bis eines Tages der Vetter von Antonapoulus ihn in ein Heim einweisen läßt, weit von dem Staat Georgia entfernt. John Singer bleibt seinem Freund treu, und bringt einige Strapazen auf sich, Sirus regelmäßig alle paar Monate zu besuchen. Den weiteren Verlauf dieser Freundschaft ist dem Buch zu entnehmen.

In dem Buch lebt nicht nur ein Protagonist. Neben John Singer gibt es noch die vierzehnjährige Mick Kelly, ein recht intelligentes, verträumtes und musikbegabtes Mädchen, das sich dringend ein Klavier wünscht, im Stillen Stücke komponiert, doch durch tragische familiäre Umstände bleibt dieser Wunsch unerfüllt.

Ihr geht ein Musikstück von Mozart durch den Kopf und summt die Melodie nach. Der Freund Harry erkundigt sich, was sie da singen würde? 
"Ein Stück von einem, der Mozart heißt."
"Klingt wie ein deutscher Name."
"Wird wohl auch einer sein:"
"Faschist?"
"Was?"
"Ich meine, ist dieser Mozart ein Faschist oder ein Nazi?" Mick überlegt eine Weilchen: "Nein. Die sind was Neues und Mozart ist schon eine ganze Weile tot." 
Mick fühlt sich ganz besonders zu John Singer hingezogen. Sie empfindet für ihn eine geheime innere Liebe, die stärker ist als die Liebe zu ihrem Vater.
Auch hier findet die Beziehung eine Wende und sorgt für Überraschung… .

Dann gibt es noch den schwarzen Dr. Copeland, Mediziner von Beruf, und ziemlich enttäuscht und frustriert darüber ist, dass die Schwarzen weiterhin diskriminiert werden, sowohl politisch als auch gesellschaftlich, obwohl sich die Gesetzeslage zu ihren Gunsten verändert hat. 

Gefallen hat mir eine Szene zwischen den schwarzen Dr. Copeland und seiner erwachsenen Tochter Portia. Dr. Copeland bezeichnet selbst alle Schwarzen als Neger, als Portia sich darüber aufregt:
"Die ganze Zeit benutzt du dieses Wort - >Neger< , (…). Das ist so ein Wort, das die Leute verletzt. Sogar das alte einfache> Nigger< ist besser als dieses Wort. Höfliche Leute  ,-ganz gleich, welcher Hautfarbe - sagen immer > Farbige<."
Ich finde, dass die Autorin verglichen mit anderen AutorInnen ihrer Zeit voraus war. Die kritische Auseinandersetzung mit diesen Begriffen wie Neger / Nigger habe ich vor allem bei Mark Twain vermisst, den ich oftmals für rassistisch hielt. Immerhin rechnete er den Weißen aus, wie viel Geld man bei der Haltung von Sklaven einsparen könnte. 
Bin froh zu lesen, dass es andere AutorInnen gab, die sich mit diesen Begriffen kritisch auseinandergesetzt haben. Dann gilt nämlich das Argument nicht mehr, dass zu jener Zeit es üblich war, diese Begriffe zu gebrauchen. In Mark Twains Büchern wimmelt es geradezu von der Bezeichnung > Neger<. Mark Twain ist ein Zeitgenosse von Carsen McCullers.
Selbst meine Generation gebraucht noch immer den Begriff >Negerküsse<… , >Negerlippen<, >Neger<. 
"Jeder hat seine Gefühle - ,völlig egal wer-, und keiner geht gern in ein Haus, wo er weiß, dass seine Gefühle verletzt werden." (127)

Jake Blount ist der alkoholsüchtige Weltverbesserer, der fest an seine Wahrheit glaubt, und überzeugt davon ist, dass, wenn alle Menschen die Wahrheit wüssten, so gäbe es Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit für alle.

Dann gibt es noch Biff Barron, der ein Café betreibt und ein großes Herz für Kinder und behinderte Menschen hat.

Diese Menschen haben alle eines gemeinsam. Sie sind innerlich extrem einsam und alle fühlen sich mehr oder weniger zu John Singer hingezogen.

John Singer ist jemand, dem man sein ganzes Herz ausschütten kann, ohne darüber zu tratschen. Wie ist ein Tratsch über einen Taubstummen denn auch möglich?

Schon auf den ersten Seiten musste ich ein wenig über gewisse Textstellen schmunzeln, als John Singer ein Kärtchen mit sich herumträgt, auf dem sein Name und darunter seine Behinderung markiert ist:
Ich bin taubstumm, kann aber von den Lippen ablesen. Bitte nicht schreien.  (91)
John Singer ist ein sehr sensibler Mensch, der über seine Seele hört, wie man mit ihm spricht. Nicht über die Akustik.

Worte haben auch im Stillen Potenzial… .

Dasselbe, dass der Mensch auch ohne Worte trotzdem in der Lage ist zu streiten, trifft man nicht nur bei Taubstummen, (122).

John Singer bekommt einmal mit, als der betrunkene Jake Blount sich über ihn lustig macht.
Er wusste, dass der Betrunkene sich über ihn lustig machte. Aber selbst da hatte er seine Würde bewahrt.(138)
Ich habe mich gefragt, wie das möglich ist, die Würde zu bewahren, wenn andere sich über einen hermachen? Ich denke eher, dass John Singer den betrunkenen Jake nicht wirklich ernst genommen hat, und seine Anmache nicht an sich herangelassen hat, und zu ihm Distanz wahrte.
Schön finde ich allerdings später die Entwicklung dieser Beziehung, gehe aber nicht näher darauf ein. 

Der Nationalsozialismus in Europa, speziell aber in Deutschland, weckte in Amerika großes Aufsehen und die Amerikaner verurteilten alle Deutschen zu Naziverbrecher. In der gleichen Zeit wurden in Amerika die Schwarzen weiterhin schwer misshandelt, noch immer ihren Menschenrechten beraubt. Im Grunde begannen sie das selbe Verbrechen den Schwarzen, wie die Nazis in Deutschland den Juden gegenüber. Sie aberkannten den Schwarzen das Recht, Mensch zu sein. Nichts anderes tat Hitler mit den Juden. Noch heute beschimpfen viele AmerikanerInnen die Deutschen als Nazis. Wie kann ein Mensch, in diesem Fall der Durchschnitts - Amerikaner, nur so blauäugig sein, moralisch über andere Länder herzufallen?
Die Nazis berauben die Juden ihrer Rechte, ihres Geldes und ihrer Kultur. Bei den Negern hier ist das schon immer so gewesen. Und wenn man ihnen nicht in tragischer Weise - wie in Deutschland - ihr Hab und Gut in großem Maßstab gestohlen hat, so liegt das allein daran, dass die Neger von Anfang an keinerlei Reichtum erwerben durften. (487f)
Es hat eine lange Entwicklung gebraucht, bis der schwarze Mensch die selben Rechte gesetzlich zugesprochen bekam wie die Rechte der Weißen.

Beeindruckt war ich von einer anderen Figur, Willi, der Sohn vom Doktor, der zu Unrecht ins Gefängnis gesteckt und dort körperlich so schwer misshandelt wurde, dass er an den Folgen litt und ihm seine Füße amputiert werden mussten:
"Ich habe das Gefühl, als wenn meine Füße immer noch weh tun. Ich hab so schreckliche Schmerzen in den Zehen. Da unten, wo meine Füße sein sollten, wenn sie noch an meinen B-B-Beinen wären. Nicht da, wo meine Füße jetzt sind. Das ist so schwer zu verstehen. Meine Füße tun mir immer so schrecklich weh, und ich weiß nicht, wo sie sind. Sie haben sie mir nicht wieder gegeben. Dies sind g-g-ganz woanders. Über hundert Meilen fort." (471)
Der idealistische Jake Bouton sei der Meinung, wie oben schon erwähnt, dass, um das Elend in Amerika zu stoppen, ginge nur über die Wahrheitsfindung. Er kann nicht verstehen, dass Amerika, das als das reichste Land der Welt bezeichnet wird, darin noch immer so viele Menschen hungern müssen. Die Reichen seien nur reich, weil die Armen von ihnen ausgebeutet werden würden. Er stellt sich die Frage, wie man eine ganze Gesellschaft zu Wissenden macht?
Die einzige Lösung ist, dass die Menschen wissend werden. Wenn sie erstmal die Wahrheit kennen, kann man sie nicht länger unterdrücken. Wenn nur die Hälfte aller Menschen die Wahrheit kennt, ist der Kampf schon gewonnen. (…) Wir müssen die Menschen zu Geschöpfen mit sozialem Bewusstsein erziehen, zu Menschen, die in einer geordneten, kontrollierten Gesellschaft leben, in der sie nicht gezwungen sind, Unrecht zu tun, um überleben zu können. (490 / 496).
An dieser Stelle mache ich nun Schluss. Im Folgenden noch mein Fazit:

Es wird immer Menschen geben, die von einer Regierung politisch oder gesellschaftlich ausgegrenzt werden, umso mehr muss man sich mit diesen benachteiligten Gruppen solidarisieren, ein Zeichen setzen und zu ihnen halten.

Der Autorin ist es gelungen, die Probleme in dem Buch authentisch wiederzugeben. 
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 „Wo viel Liebe ist, kann sich das Böse nicht entfalten“
         (Aus „Die Zauberflöte“, Mozart)

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