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Montag, 24. Dezember 2018

Benedict Wells / Die Wahrheit über das Lügen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre   

Diese zehn Geschichten habe ich gemeinsam mit Tina gelesen und mich mit ihr rege ausgetauscht. Wir hatten fast zu jeder Erzählung dieselben Gedanken und Eindrücke, lediglich mit der siebenten Geschichte war ich schier überfordert, da ich über keinerlei Hintergrund zu Star Wars verfüge. Ich mag keine Science-fiction, weshalb ich mich für diese Filme nie begeistern konnte.

Die Fliege hat uns beiden nicht gefallen, auch wenn sie uns vom Verständnis her zugänglich war. Uns war durchaus bewusst, dass die Fliege eine Metapher darstellen sollte. Sie hat uns aber trotzdem nicht überzeugen können. Zu flach, zu oberflächlich …

Unsere Buchbesprechung beschränken wir auf jeweils zwei Geschichten, die Tina und ich gemeinsam abgesprochen haben. Sie schreibt über Die Wanderung und über Das Franchine. 

Mich haben die beiden Erzählungen Richard und
Die Nacht der Bücher richtig beeindruckt, über die ich schreiben werde. 

Hier geht es zum Klappentext, Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung

Richard
Mich hat diese Geschichte sehr betroffen gestimmt. Es geht um eine ältere Dame, die im Park auf einer Bank sitzt und sich mit einem Herrn unterhält, obwohl dieser Mann mit seinem Handy beschäftigt ist. Sie erzählt ihm, dass sie gerne am Markt Hähnchenbrust beim Händler kauft, weil Richard sie so gerne mögen würde.

Sie berichtet detailfreudig dem fremden Mann, wie Richard auf das Fleisch reagiert, wenn sie nach Hause kommt, und dass sie erst seine, dann ihre Bedürfnisse befriedigen würde. Bei ihrem Gatten, als er noch gelebt hatte, war sie immer die Erste …

Der fremde Mann, als er seine letzte Nachricht in sein Handy getippt hat, steht auf, wünschte ihr einen schönen Tag und ging fort.

Die alte Dame betrachtet in der Ferne ein junges Paar und denkt dabei an ihren eigenen Mann. Das Leben mit ihm spulte sie jeden Tag in ihrem Hirn wie ein Kopfkino ab.
Wenn ihre Erinnerung ein Kino war, dann waren die Jahre mit ihm ein Klassiker, der noch immer jeden Abend lief. Vielleicht war er nicht mehr ganz so spannend, weil sie jeden Satz aus der Handlung mitsprechen konnte, und vielleicht war auch das Bild inzwischen etwas unscharf geworden und die Tonspur verwaschen, aber das machte nichts. Der Film endete, kurz bevor seine Krankheit begann. (2018, 92)

Plötzlich kamen zwei sprechende Mädchen an die Bank und setzten sich zu der alten Dame. Die Dame lauschte etwas an dem Gespräch der beiden Mädchen. Als sie ihre Bluse glattstrich, holte sie ein Foto ihres Richards heraus, der zu dieser Zeit noch ein Welpe war. Sie zeigte die Fotografie den Mädchen und erklärte ihnen, weshalb sie dem Kater den Namen Richard gegeben habe … Die alte Dame erzählt und erzählt und bemerkt gar nicht, dass die Mädchen sich bedrängt fühlten …
Das eine Mädchen stieß das andere an.>>Ja, also, wir müssen dann mal …<<, sagte es schnell. Sie verabschiedeten sich, und kaum, dass sie einige Schritte entfernt waren, prusteten beide los.<< (97)

Damit endet die Erzählung noch nicht, so lasse ich den Ausgang offen.

Als ich die Geschichte anfangs zu lesen begonnen hatte, dachte ich, dass Richard ihr Mann sei. Aber es klärte sich schnell auf, dass mit Richard ihr Kater gemeint war.

Ich fand diese Erzählung dermaßen authentisch, dass sie mich lange noch beschäftigt hat. Jede Figur wirkte real. Der Mann mit dem Handy, die beiden Mädchen, sie alle waren mit ihrem Leben beschäftigt, und hatten keinen Platz, das Leben der alten und sehr vereinsamten Dame für eine Weile in sich einzulassen ... 

Die Nacht der Bücher
Eine Weihnachtsgeschichte

Das war für mich von allen die allerschönste Geschichte. Hier wird Bezug genommen zu Wells Roman Vom Ende der Einsamkeit, die Figur daraus namens Jules, der dieses Märchen verfasst hat Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.

Der 58-jährige Mister Stanley hatte in einer staatlichen Bibliothek am Heiligabend Nachtwache, obwohl er kein Mensch war, der gerne Bücher liest. Die Bibliothek, eine ziemlich alte, die auf mich einen nostalgischen Eindruck hinterlassen hat, befand sich in Marylborne, ein Vorort von London. Als Mr. Stanley seinen Rundgang macht, und durch die Gänge und Flure zieht, hört er Geräusche, die er nicht einzuordnen wusste. Nach dem Störenfried Ausschau haltend staunte er über die Vielzahl an Büchern, die nicht zu zählen waren.
Die gesamte Bibliothek war nichts als ein gigantischer Bahnhof voller Figuren und Geschichten. (…) Schon eigenartig. Immer an Weihnachten war ihm, als würde es in der Bibliothek spuken, als hörte er seltsame Geräusche, die sofort verschwanden, wenn er die Tür aufmachte. (105)

Er blickte auf die vollgestopften Regale, wo er glaubte, müssten die Geräusche zu lokalisieren sein. Es war aber ganz ruhig. Und so ging Stanley wieder zurück in sein Dienstzimmer.
Lange Zeit blieb es in der großen Halle still. Die Bücher wollten auf Nummer sichergehen. Dieser alte Mister Stanley war ein misstrauischer alter Knochen, da musste man auf der Hut sein. Dann aber konnte man ein leises Rascheln hören. Ganz vorsichtig hatte sich Jules Verne umgedreht. Es war in 80 Tagen um die Welt. (ebd)

Die vielen bekannten Autor*innen kamen ins Gespräch, viele alte und neue Klassiker, und so entstand langsam Leben in den Regalen. Werke von Tolstoi, von Flaubert, Shakespeare, sogar die Buddenbrooks von Thomas Mann regten sich. Sie alle wunderten sich über Mr. Stanley. Carson McCullers hatte Mitleid mit dem Nachtwächter, Dostojewski hielt ihn für einen traurigen Narren, da er jedes Jahr zu Weihnachten Dienst habe, und fragt sich, wieso er das macht? Doch auch unter den Büchern fanden erst mal keine hochtrabenden Gespräche statt, sie führten Small Talk, bis sie sich einigen konnten, eine Weihnachtsgeschichte vorgelesen zu bekommen. Der Name Dickens fiel, doch Dickens konnte sich nicht rühren, da er, wie jedes Jahr zu Weihnachten auch, ausgeliehen wurde.
>>So ein Pech, das ist jetzt schon das dritte Jahr hintereinander!<<Ein hundertfaches Aufstöhnen ging durch die Halle, denn nichts hätte in dieser Nacht die Bücher mehr gefreut, als wenn ihnen Dickens endlich wieder die Geschichte des alten Ebenezer Scrooge erzählt hätte. (108)

Ein Hin und Her an Stimmen, die aus den Buchseiten fielen, machten sich breit. Es rührte sich Marcel Proust, der sich über den Lärm beschwerte, und er aus den Träumen gerissen wurde und machte sich bei den anderen unbeliebt. >>Halt die Schnauze, Marcel, auf dir liegt eh schon Staub!<< Ruft Hemingway ihm lakonisch zu …
.
Hier mache ich Schluss, um nicht alles zu verraten. Aber ich könnte die ganzen Dialoge zitieren, die so perfekt und so natürlich konstruiert sind. Die ganze Geschichte war total authentisch. Man spürte, dass die Bücher und deren Autor*innen mit demselben Geist beseelt waren, wie man sie aus den Büchern heraus kannte. Besser hätte es ein Walter Moers auch nicht ausdrücken können. Jede Menge bekannte Autor*innen sind hier vertreten, auch Harry Potter, auf den neidvoll geblickt wurde, da er verglichen mit Shakespeare ein Jüngling sei und weltweiten Ruhm genoss, während Shakespeare über eine Schullektüre nicht hinauskommen würde …   

Unbedingt selber lesen.

Cover und Buchtitel
Das Cover gefällt mir sehr, sehr gut, weil es wie ein Kunstgemälde ausschaut. Und es lässt jede Menge Spielraum zu für eigene Interpretationen. Den Buchtitel finde ich auch gelungen, hilft, die Geschichten besser einzuordnen.

Meine Meinung
Benedict Wells kann wirklich supergut schreiben. Lange habe ich mich mit Tina ausgetauscht, und wir finden beide, dass er aber sein Potenzial in Romane stecken sollte.

Die Geschichte mit den sprechenden Büchern fand ich noch besser als die von Walter Moers. Richtig genial. Schade, dass sie so schnell geendet hat.
Die Richard-Geschichte war mir wichtig, sie hier auf meinem Blog vorzustellen, um die Leser*innen mit dieser Thematik ein wenig zu sensibilisieren. Bei 200 bis 300 Besucher*innen pro Tag möchte ich mithelfen, sie ein wenig zu verbreiten.

Mein Fazit
Mit den zehn Kurzgeschichten der letzten zehn Jahre bedient sich Wells verschiedener Genres. Das macht sie so spannend. Klare Leseempfehlung.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover, Titel und Klappentext stimmen mit dem Inhalt überein

12 von 12 Punkten

Hier geht es zu Tinas Buchbesprechung.

Ein herzliches Dankeschön an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars.
______________
Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

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Montag, 22. Januar 2018

Benedict Wells / Fast genial (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ein wundervolles Buch. Zusammen mit Vom Ende der Einsamkeit sind das die beiden besten Bücher von Benedict Wells. Und was für ein interessantes Thema. Da ich den Klappentext nur oberflächlich gelesen und schnell wieder vergessen habe, habe ich mit dieser Thematik, Retortenkinder, nicht gerechnet.

Wells schreibt, dass das Buch nach einer wahren Geschichte verfasst wurde. Es hätte mich interessiert, wie er zu seinem Stoff gelangt ist. Im Nachwort gibt es dazu nur sehr wenige Informationen.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
»Ich hab das Gefühl, ich muss meinen Vater nur einmal anschauen, nur einmal kurz mit ihm sprechen, und schon wird sich mein ganzes Leben verändern.« Die unglaubliche, aber wahre Geschichte über einen mittellosen Jungen aus dem Trailerpark, der eines Tages erfährt, dass sein ihm unbekannter Vater ein Genie ist. Gemeinsam mit seinen Freunden macht er sich in einem alten Chevy auf die Suche nach ihm. Eine Reise quer durch die USA – das Abenteuer seines Lebens.

Auf den ersten Seiten habe ich geglaubt, es mit einem psychiatrischen Thema zu tun zu bekommen. Aber die Richtung änderte sich bald.

Die Handlung spielt in Clymont, ein Provinznest an der Ostküste Amerikas. Der Held dieser romanhaften Erzählung ist der noch 17-jährige Francis Dean, der unter der psychischen Erkrankung seiner 40-jährigen Mutter namens Katherine Angela Dean leidet. Francis ist vaterlos, er weiß nicht mal, wer sein Erzeuger ist, da sich darüber seine Mutter bedeckt hält. Es existiert ein Stiefvater ... Katherine Angela kommt aus einem Elternhaus, das ihr wenig psychische Stabilität geboten hat, und so reißt das damalige junge Mädchen von zu Hause aus …

Obwohl Katherine es zu einem Jurastudium gebracht hat, bricht sie ihre akademische Ausbildung aufgrund psychischer Instabilität wieder ab und macht eine Lehre als Sekretärin.

Später heiratet sie Ryan Wilco und nimmt Francis mit in die Ehe. Vier Jahre später bekommt sie von Ryan ein Kind, Nicky, mittlerweile 13 Jahre alt. Als die Ehe auseinanderbricht, ziehen Francis und seine Mutter in einen Wohnwagen auf dem Trailerpark. Francis kleiner Halbbruder Nicky bleibt beim Vater, doch der Kontakt zwischen den beiden Halbbrüdern bleibt bestehen.

Francis Mutter ist nicht in der Lage, für den Unterhalt zu sorgen, sodass Francis diese Verantwortung mit Nebenjobs nach der Schule übernimmt. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung verliert die Mutter immer wieder ihre Arbeitsstelle. Sie leidet an einer bipolaren Störung schizzoaffektiver Art mit einer deutlichen Suizidgefährdung.

Auch ist es Francis, der für eine psychiatrische Klinikeinweisung sorgt, wenn die Mutter seelisch zusammenbricht.

In dieser Klinik lernt er die etwas ältere Patientin Anne-May kennen, und wie soll das anders sein?  Er verliebt sich in sie. Zwischen ihnen beiden entwickelt sich eine nicht ganz einfache Bindung …
Anne-May ist eine junge Frau mit vielen Geheimnissen. Sie tischt Francis ein paar unwahre Geschichten auf …
Als Francis' Mutter auf der Station einen Suizidversuch verübt, hinterlässt sie ihrem Sohn einen Abschiedsbrief, in dem er erfährt, wer sein leiblicher Vater ist.

Nun beginnt das Abenteuer durch ganz Amerika. Francis begibt sich auf die Suche nach seinem Vater. Aus dem Brief hat er erfahren, dass er ein geistiges Genie sei, der auf der Genie-Samenbank sein Sperma hinterlassen habe und Francis ein Retortenbaby sei.  Er benötigt für diese Reise viel Geld und bekommt letztmalig von seinem Stiefvater 5000,00 Dollar ausgehändigt. Mit dieser Summe macht er sich auf diese Reise …

… Doch nicht allein. Sein bester Freund Grover und Anne-May begleiten ihn mit Grovers Auto. Um mitzufahren musste Anne-May aus der Klinik ausbrechen, und so trickst sie ihren Krankenpfleger aus  …

Monroe ist der Gründer dieser Genie-Samenbank. Er eröffnete Anfang der 1980er Jahre in Los Angeles die Monroe-Klinik. Dieser Herr verfolgte das Ziel, für eine bessere Welt mehr Genies zu produzieren, und so kaufte er den Samen von Wissenschaftlern und Nobelpreisträgern, um die Dummheit in der Gesellschaft auszumerzen. Denn nur Dumme würden viele Kinder in die Welt setzen, während Akademiker oft ohne Nachkommen seien. Mit Hilfe der Genies sollen auch Kriege ausgerottet werden …

Francis kann es kaum abwarten, endlich seinen Vater zu finden, der einen IQ von 170 haben soll, Cello spielt und Haward-Absolvent ist. Zu wissen, dass sein Vater eine hoch entwickelte Persönlichkeit ist, hebt sein Selbstbewusstsein deutlich an. Zuvor hat er sich eher als ein Versager, als ein Verlierer der Gesellschaft gesehen. Die Schule schafft er nur mühsam. Wo ist denn nun sein geistiges Potenzial? Sein super Gen? … Nun hat er Hoffnung, dass er über die Gene seines Vaters neue Chancen bekommt. Ein kleines Zitat aus dem Brief der Mutter:
Und so kam es, dass ich nach einer längeren Testphase für geeignet erklärt wurde und in der Monroe-Klinik den Samen eines genialen Menschen eingepflanzt bekam. Neun Monate später kamst du zur Welt. Mein kleines Genie. (76)

Er macht sich von den Genen seines Vaters abhängig ... Francis litt zuvor unter einem massiven Vaterkomplex; soll das nun anders werden, wenn er seinen Vater gefunden hat? Als leicht gestaltet sich diese Suche nicht, da die Samenbank völlig anonym praktiziert wurde …
Aus welchen Gründen hat sich die Mutter an diese Samenbank gewendet, wo sie zuvor viele Männer hatte und problemlos weitere Kinder hätte bekommen können ...

Sie wünschte sich ein außergewöhnliches Kind. Sie wünschte sich ein Kind, das es in der Welt leichter hat zu bestehen als sie; Sie träumte von einem Kind mit besten Auszeichnungen … Beste Schulbildung, bester Beruf, bester Stand in der Gesellschaft …

Francis fasst diese Nachricht auf, als wäre er high. Er sieht seinen geistig hoch entwickelten Vater vor sich. Mit diesem Vater soll in seinem Leben alles besser werden und fängt an, den unbekannten Superhirn-Vater zu idealisieren …

Den Vater zu finden ist keine leichte Sache und auf den Weg dorthin passieren noch unendlich viele Dinge zwischen diesen drei jungen Leuten, die alle drei irgendwelche persönlichen Defizite zu verwinden haben. Wie aus den anderen Wells-Romanen geht es auch hier wieder um wahre Freundschaft, um komplizierte Beziehungen und um das gegenseitige Aushalten schwerer Lebenskrisen mit sich selbst und im Umgang mit anderen …
Zudem hat mir auch der Schluss sehr gut gefallen. Er bietet viel Gesprächsstoff. Leider kann ich darüber nicht schreiben, sonst ist die ganze Spannung weg.

Der Buchtitel ist supergut getroffen. Ich hatte mich die ganze Zeit während des Lesens nach der Bedeutung dieses Titels gefragt. Mit etwas Geduld kommt die Antwort …

… Die Antwort ist nicht fast genial, sondern absolut genial. Ein so kurzer und ein so vielfältiger Buchtitel. Nicht nur, dass in dem Wort genial ein Gen steckt, sondern sich dahinter viel Geschichte verbirgt ...

Mein Fazit?

Mich hat das Buch stark an Claus Zehrers Buch Das Genie erinnert. Auch in diesem Wort Genie steckt ein Gen. Zwischen diesen beiden Büchern gibt es so manche Parallele …

Auch Wells Charaktere jeder einzelnen Figur waren authentisch beschrieben. Über die Thematik in dem Buch scheint der Autor gekonnt recherchiert zu haben, und auch die vielen Problemfelder wie z. B. Vaterkomplex, Spielsucht, und Identitätsfindung hat Wells ausreichend glaubwürdig ausfüllen können.

Das Buch stimmt nachdenklich und wirft berechtigte Zweifel zu der Produktion von Retortenbabys auf. Die fiktive Monroe-Klinik stand in Verruf, da die Methoden sehr fragwürdig seien. Die Genie-Samenbank wurde von Kritikern als Dr. Frankenstein oder als Hitler-Gene bezeichnet. Und nicht auszudenken, was es mit den vielen vaterlosen Kindern macht, die erfahren, dass sie Retortenbabys sind, und sie kein Recht auf eine Akteneinsicht haben, um zu erfahren, wer der tatsächliche Vater ist …

Wells beschreibt in seinem Buch einen Science-Fiction-Film zu dieser Thematik mit dem Titel Blade Runner, in dem die Figuren ähnlich wie die Retortenkinder unter ihrer Herkunft leiden. Nur werden die Figuren in dem Film als Replikanten bezeichnet. Replikanten sind Menschen, die rein chemisch erzeugt wurden, ohne die Vermischung körperlicher Säfte von Menschen und sie wie Roboter funktionieren. Können wir uns in Zukunft den perfekten und fehlerfreien Menschen chemisch selber herstellen, dort wo die Gene versagen?

Diesen Film werde ich mir zulegen.

Und hier ein kurzer Filmtrip aus Youtube:

:

Meine Buchbewertung?

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

Ganz klar dicke zwölf Punkte.


Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte mich recht herzlich beim Diogenes Verlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar bedanken.

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Diogenes.


·         Taschenbuch: 336 Seiten
·         Verlag: Diogenes; Auflage: 9 (23. April 2013)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 3257241984

___________
Nicht die Eigenschaften machen,
dass zwei zusammenpassen,
die Liebe macht´s.
(Bernhard Schlink)

Gelesene Bücher 2018: 03
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Gelesene Bücher 2012: 94
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Montag, 19. Dezember 2016

Benedict Wells / Spinner (1)

Lesen mit Janine B.

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Nun bin ich durch mit Wells, und das Buch hat mir sehr gut gefallen, sodass ich beschlossen habe, ihn zu meinen LieblingsautorInnen zu küren. Das war jetzt mein drittes Buch von ihm und alle drei fand ich sehr interessant.
Die Handlung ist eigentlich schnell erzählt, und gebe zur Erinnerung nochmals den Klappentext rein:
»Ich habe keine Angst vor der Zukunft, verstehen Sie? Ich hab nur ein kleines bisschen Angst vor der Gegenwart.«Jesper Lier, 20, weiß nur noch eines: Er muss sein Leben ändern, und zwar radikal. Er erlebt eine turbulente Woche und eine wilde Odyssee durch Berlin. Ein tragikomischer Roman über Freundschaft, das Ringen um seine Träume und über die Angst, wirklich die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Im Nachwort konnte entnommen werden, dass der Buchtitel ursprünglich eine andere Fassung hatte und mit Der Traumfänger betitelt wurde, wobei mir der alte Titel besser gefallen hat, da ich Jesper Lier keineswegs für einen Spinner gehalten habe, auch wenn der Titel komikhaft gemeint ist. Ein junger Mensch, der auf der Suche ist, seinen Lebensweg als Schriftsteller zu finden, der auch in der Liebe seinen Halt sucht, und er nirgends so richtig anzukommen scheint.

Aus meiner Sicht hat Jesper Lier alles richtig gemacht, denn er hat die Erfahrungen gebraucht, die er gemacht hat. Auch wenn er später in eine schwere und schmerzvolle Krise verfällt und so manches an seinem Verhalten bereut. Krisen sind immer eine Chance, sich aus dem tiefsten Inneren selbst zu finden, und Verhaltensmuster über Bord zu werfen, die nicht zu einem passen. Jesper hat mit zwanzig Jahren die Erfahrung gemacht, die manch andere erst in der Mitte ihres Leben machen. Wenn überhaupt.

Auch ist es ein Buch über Freundschaft, die in der Krise schwere Zeiten durchstehen muss, und erst am Ende jener Krise zeigt sich, wie stark diese  Freundschaft tatsächlich ist.

Nach dem Abitur verlässt Jesper das Elternhaus in München und zieht in die Hauptstadt Berlin, in eine sehr unattraktive Souterrainwohnung. Jesper befindet sich auf der Suche nach seiner Identität. Er möchte unbedingt Schriftsteller werden, und so manches Mal vermischt er Fiktion und Realität. Und in der Zwischenzeit, bis er sich selbst gefunden hat,  belügt er seine Umwelt. Seiner Mutter erzählt er, was er alles in Berlin  treiben würde. Studium und feste Partnerschaft … Seiner Tante, die permanent fragt, ob er einen Verleger gefunden habe, so erwidert er ihr mit einer positiven Antwort.

Jesper hat zudem noch mit dem Verlust seines Vaters zu kämpfen, der vor mehreren Jahren tragisch verstorben ist. Auch wenn Jesper auf cool macht und so tut, als würde ihn der Tod seines Vaters wenig ausmachen, so ist das nur die Flucht, sich mit der Trauer auseinanderzusetzen. Dabei sind sich beide sehr ähnlich. Vater und Sohn hatten nicht die beste Beziehung. Aber was wusste Jesper schon von den Problemen seines Vaters? …

Jesper verliert nicht nur seinen Vater, sondern auch einen wichtigen Freund, der 72 Jahre alt ist und pensionierter Germanistikprofessor war. Dieser Freund sollte Jespers Manuskript lesen, sein erstes Buch in einem Umfang von über tausend Seiten mit dem Titel Leidensgenossen

Auch sein Freund Gustav liest das Manuskript, allerdings nur quer:
Du hast dein erstes scheiß Telefonbuch geschrieben.
Zudem befasst sich Wells auch in diesem Buch wieder mit der Einsamkeit, in die nicht nur alte Menschen getrieben werden können. Damit zeigt mir der Autor, wie viel menschliche Reife er selbst in seinen jungen Jahren schon besitzt. Wer sie nicht besitzt, kann auch nicht darüber schreiben. Er beschreibt eine Episode über einen alten Menschen, der schon zwei Wochen tot in der Wohnung lag. Niemand hatte ihn vermisst. Es lag an dem Verwesungsgestank, der die Nachbarn dazu trieb, den Hausmeister zu rufen. Was für ein trauriger Fall und wie arm die Mitwelt doch ist. Jesper stimmt dies sehr betroffen und identifiziert sich als ein einsamer junger Mensch mit diesem Schicksal des alten Menschen. Er weiß, dass dies jedem Menschen passieren kann, der alleine lebt. Seine Mutter, die in München lebt, besitzt nicht einmal die Festnetznummer, da Jesper vorgegeben hat, kein Telefon zu besitzen. Wie würde sie im Falle eines tödlichen Ereignisses davon erfahren?

Die Todesthematik bezieht Jesper auch auf sich und malt sich demnach seinen eigenen Tod aus. Wie würde sein weiteres Umfeld darauf reagieren, wer würde davon überhaupt erfahren?
Die fünfzehn, zwanzig wichtigsten Menschen aus deinem Leben erfahren sofort davon. Aber der Rest? Der Rest weiß erstmal gar nichts von deinem Schicksal. Dein alter Schulfreund, der jetzt in Kanada lebt? Fehlanzeige. Auf eine seltsame, falsche Art bleibst du dort noch lebendig, bis die Nachricht deines Ablebens auch die entlegensten Ecken der Welt erreicht hat. Erst dann bist du richtig tot. (2016, 141)
Mit der Beziehung scheint es auch nicht voranzugehen. Jesper wirkt sehr ernst für sein Alter, kommt bei den Menschen, verglichen zu seinem Freund Gustav, nicht wirklich gut an, was aber eher an seiner Unsicherheit liegt, weshalb er nicht authentisch wirkt.

Seiner neuen Bekanntschaft Miriam, in die er sich unglücklich verliebt, stellt er sich als einen Menschen vor mit einem traurigen Verstand und einer lächelnden Seele, als Miriam ihn darauf anspricht, dass er zu ernst für sein Alter wirken würde.

Jespers Suche nach seinem Weg erweist sich nicht als ganz einfach. Er weiß, dass er nicht so enden möchte wie die meisten, spießigen Erwachsenen:
All  diese  miesen kleinen Kreaturen mit ihren sicheren Einkommen, ihren sauberen Wohnungen und ihrem vergeudeten, leeren Leben. Mir war heiß. (253)
Wobei Jesper selbst unter dieser Leere leidet. Aber er ist blutjung, und muss sich noch finden. Sein Traum, Schriftsteller zu werden, lässt ihn einfach nicht los, bis er seinem Chef einer Zeitung, in der er  als Jobber angestellt ist, sein Manuskript für eine kritische Beurteilung vorlegt …

Jesper verfällt immer mehr in eine Krise, als er hört, was er gar nicht hören möchte, doch am Ende schöpft er daraus wichtige lebenswichtige Erkenntnisse:
Doch es gibt Fehler, die notwendig sind. Manchmal muss man ein kleines bisschen sterben, um wieder ein wenig mehr zu leben. (314)


Mein Fazit?

Ich habe zu Beginn meiner Besprechung schon gesagt, dass die Geschichte eigentlich schnell erzählt ist, aber das Spannende liegt vielmehr darin, was zwischen den Zeilen passiert. Zudem habe ich auch in diesem Buch die Sprache als recht einfach, aber doch sehr bildhaft erlebt. Sie drückt viel Symbolkraft aus, was mich sehr angesprochen hat.

Ich habe mir nur einzelne Szenen rausgepickt, die für mich bedeutsam waren, und habe versucht, sie so zu beschreiben, dass ich nicht zu viel verraten muß. Das ist nicht immer leicht. Aber ein Buch bis zur letzten Seite zu lesen und es wieder zuzuklappen scheint mir zu wenig zu sein. Ich habe es gerne, mir gute Handlungen und gute Gedanken rauszuschreiben, sie in meinem Blog zu verewigen, damit sie nicht verloren gehen und so bleibt mir die Verbindung zu diesem Buch und zu dem Autor immer erhalten.

Zudem fand ich nicht nur die Handlung, sondern auch die Charaktere gut getroffen. Dem Autor ist es zudem gut gelungen, menschliche Probleme aufzuzeigen und die Art und Weise, psychisch damit umzugehen.

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus

Zehn von zehn Punkten.

Janine und ich hatten viel Stress, weshalb wir so lange für das Buch gebraucht haben, wobei ich noch nicht weiß, wie weit sie ist. Es steht noch ein Austausch via Chat an, und ich werde später, wenn dieser Austausch stattgefunden hat, über diesen noch eine nachträgliche Ergänzung vornehmen. Es eilt nicht. 


Weitere Informationen zu dem Buch

Taschenbuch
320 Seiten
erschienen am 01. September 2016

978-3-257-24384-0
€ (D) 12.00 / sFr 16.00* / € (A) 12.40 

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Diogenes.

___________
Es ist immer besser, etwas zu bereuen, was man getan hat, als etwas, was man nicht getan hat. 
(Benedict Wells)

Gelesene Bücher 2016: 70
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
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Sonntag, 21. August 2016

Benedict Wells / Becks letzter Sommer (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen, aber man merkt, dass es Wells erster Roman ist. Auch von der Struktur her, speziell am Schluss, so hatte ich den Eindruck, konnte er nicht so leicht das Ende finden; vielleicht  hatte er ein Problem, sich von seinen Figuren zu lösen ...

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Beck ist nicht zu beneiden. Mit der Musikerkarriere wurde es nichts, sein sicherer Job als Lehrer ödet ihn an, und sein Liebesleben ist ein Desaster. Da entdeckt er in seiner Klasse ein unglaubliches Musiktalent: Rauli Kantas aus Litauen. Als Manager des rätselhaften Jungen will er es noch mal wissen, doch er ahnt nicht, worauf er sich da einlässt ... Ein tragikomischer Roman über verpasste Chancen und alte Träume, über die Liebe, Bob Dylan und einen Road Trip nach Istanbul. Ein magischer Sommer, in dem noch einmal alles möglich scheint.
Ich bin sehr gut in die Geschichte reingekommen und der junge Wells schafft es wirklich gut, sich mit einfachen Worten interessant auszudrücken.  

Die drei Protagonisten waren aus meiner Sicht schräge Figuren. Der Gymnasiallehrer Robert Beck fällt sehr auf. Ich habe noch nie so einen Lehrer erlebt, der es absolut nicht schafft, die professionelle Distanz zu seinen SchülerInnen zu wahren. Hierbei schlägt der Lehrer stark über die Stränge.

Und trotzdem habe ich sehr über das Buch geschwärmt, denn ich fand den Roman dennoch recht spannend. Ich habe mich auf keiner Buchseite langweilen müssen.

Bevor die eigentliche Geschichte beginnt, befindet man sich in Becks Gegenwart, der mittlerweile in Neapel lebt. Nach einer Seite wird man allerdings wieder nach Deutschland geführt, genauer gesagt nach München, wo man Teil des Alltags dieses Becks wird. Am Ende des Buches befinden wir uns wieder in Neapel und die ganze Story wird rund. Diese Art von Struktur hat mir gut gefallen.

Beck, 37 Jahre alt, ist ein recht frustrierter Gymnasiallehrer, der mitten in einer Midlifecrisis zu stecken scheint. Das ist auch kein Wunder, denn an der Schule, an der er unterrichtet, war er selbst Schüler. Auch sein Vater unterrichtete schon an diesem Gymnasium. Diesbezüglich zeigt sein Leben wenig Bewegung, auch wenn er es zuvor mit der Musik in einer Band probiert hat und er darin kläglich gescheitert ist, da er auch hier über das jämmerliche Mittelmaß nicht hinauskommt. Beck hinterfragt permanent sein Leben und selbst als Lehrer bezeichnet er sich als Durchschnitt, frustriert darüber, dass er es nicht schaffen würde, in seinem Leben etwas ganz Außergewöhnliches auf die Beine zu stellen:
Ich bin zu dumm für die Klugen und zu klug für die Dummen. (2009, 204).
Rauli Kantas, 17 Jahre alt, ist Becks Schüler und ein noch verstecktes Musiktalent. Rauli kommt ursprünglich aus Litauen und spricht schlecht Deutsch. Seine Familie ist mittellos, seine finnische Mutter gestorben, Vater arbeitslos ... In der Schule ist Rauli sehr schwach und es droht nach der Zeugnisübergabe seine Schulentlassung. Beck unterrichtet in Raulis Klasse Deutsch und Musik.

Dann gibt es noch den 27-jährigen Charlie, auch ein absoluter Versager und er scheint in der Selbstfindungsphase steckengeblieben zu sein. Charlie, dunkelhäutig, spielte einst mit Beck in einer Musikband, die aber aufgelöst wurde, da sie sich auf dem Musikmarkt nicht durchsetzen konnte. Charlie entwickelt sich immer mehr zu einem nervigen Hypochonder …

Zwischen diesen drei Protagonisten bildet sich ein Dreiergespann; Personen, die durch Robert Beck zusammengefügt werden, und sich, durch Charlie initiiert, zu dritt von jetzt auf gleich mit Becks Schrottauto auf eine abenteuerliche Reise in die Türkei begeben, damit er diese Reise nicht alleine machen musste …

Beck lernt die 27-jährige Studentin Lara kennen, und merkt erst mit der Zeit, was er an ihr hat. Denn Beck ist alles andere als beziehungstauglich. Ständig läuft er davon, sobald Probleme in der Paarbeziehung aufkommen …
Beck verliebt sich zudem auch in seine 17-jährige Schülerin Anna Lind und erfährt in einem Schülerinnengetuschel, dass Anna Lind in Robert Beck verliebt ist. Beck belauscht beinahe unbemerkt den Gesprächen ... Doch auch Rauli verliebt sich in Anna und es kommt zwischen Beck und Rauli zu einem Konflikt, der aber mehr im Stillen ausgetragen wird, weitestgehend zumindest …

Beck ist nicht nur auf Anna eifersüchtig, sondern auch neidisch auf Raulis Musiktalent, das überdurchschnittlich sei. Beck fördert aber den Jungen auf dem Gebiet der Musik, trifft sich auch privat mit ihm und nimmt immer mehr die väterliche Rolle ein, die auch bei den anderen Jungen und Mädchen mittlerweile bekannt wird und stößt dabei auf das Gespött seiner SchülerInnen ... Spätestens hier hätte der Schulleiter Beck zur Rede stellen müssen.
Rauli führt ein Außenseiterleben, konsumiert Drogen, schreibt viele Zettelchen … Beck, der Möchtegernvater, lauert ihm auf, um mehr seinem sozialen Leben auf den Grund zu gehen …

Wer mehr über diese Geschichte und diesen Menschen erfahren möchte, dem empfehle ich zu diesem Buch.


Mein Fazit?

In dem Roman findet man jede Menge Weisheit, tiefgründige Gedanken und viele englischsprachige selbstgeschriebene Songs. Ich liebe zwar Musik, ich kenne mich aber mit der Musikwissenschaft viel zu wenig aus. Ich könnte jetzt nicht auf Anhieb sagen, ob ein Musiker Talent hat oder nur Durchschnitt ist, weshalb ich über die Musik hier wenig geschrieben habe. Aber die Musik nimmt in diesem Roman einen großen Raum ein, den ich auch als Musikunkundige trotzdem interessant fand.

Zudem hat mir persönlich ein Gedanke in diesem Buch besonders gut gefallen, den ich einfach hier festhalten muss. Die Frage, die sich Rauli stellt: Ist, wer gedankenbegabt ist, automatisch auch gedankengefährdet?

Dies fand ich sehr schön, denn ich kenne einige Menschen, die von sich behaupten, sie hätten Schwierigkeiten, sich über etwas, z. B. über ein gelesenes Buch, Gedanken zu machen. Ich kenne diese Schwierigkeit überhaupt nicht, denn mir geht es ein bisschen wie Rauli. Es denkt in mir von allein, ich muss nicht viel nachdenken, die Gedanken kommen immer von selbst, bei jedem Thema … Und ob man gedankengefährdet ist, könnte ich sogar bejahen, wenn man innerlich ganz unruhig wird, weil zu viel da ist und zu viel nachkommt, und man noch nicht fähig ist, diese von selbstkommenden Gedanken in Worte zu fassen. Danke, lieber Benedict Wells, für diesen wiederum so tollen Gedanken.

Insgesamt hat mir das Buch sehr gut gefallen, lediglich manche Szenen waren mir zu realitätsfremd. Dass ein Lehrer so stark in die Privatsphäre seines Schülers dringt, fand ich ein wenig surreal. So etwas spricht sich im wirklichen Leben normal in der Schülerszene recht schnell rum, penetrante Begebenheiten, die bis zu den Ohren des Schuldirektors dringen würden, der dem Lehrer Konsequenzen androhen müsste. Auch die abenteuerliche und eigentlich die kopflose Reise in die Türkei fand ich wenig glaubwürdig. Einem Charlie traue ich das zu, einem 17-jährigen Schüler auch, aber keinem Menschen, der vom Bildungsniveau wie Beck gestrickt ist.

Deshalb neun von zehn Punkten.

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus

Weitere Informationen zum Buch:

Für dieses zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar möchte ich mich recht herzlich beim Diogenes Bücherverlag bedanken.

Taschenbuch
464 Seiten
erschienen am 01. Dezember 2009

978-3-257-24022-1
€ (D) 12.00 / sFr 16.00* / € (A) 12.40
* unverb. Preisempfehlung

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