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Sonntag, 3. Januar 2021

John Irving / Owen Meany (1)

 Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Was für ein toller Irving. Mit welcher Raffinesse er hier seine Fäden gesponnen hat, um seine Leser*innen in den Bann zu ziehen. Einmal hatte ich mich sogar so richtig gefoppt gefühlt, ich hatte echt gedacht, der Autor will uns Leser*innen hinters Licht führen, uns einen Streich spielen. Ich war total desillusioniert an einer Stelle, auf die ich sehnsüchtig gewartet hatte, endlich eine Antwort auf eine bestimmte Frage zu erhalten. Mehrere hunderte von Seiten musste ich mich in Geduld üben, bis die Antwort schließlich erfolgte. Eine Antwort, mit der ich partout nicht gerechnet hatte. Ich war total perplex. Doch durch das aufmerksame Weiterlesen, man musste sich weiterhin in Geduld üben, kam für mich die Erlösung. Nein, Irving wollte nicht über uns Leser*innen witzeln, sondern Schabernack treiben zu einer bestimmten Institution ... und manchmal sogar zu bestimmten spießigen Figuren, die mich auch amüsiert haben.

Aber Irving ist auch fair, keine mir gestellte Frage ließ er offen, die Antworten kamen alle erst in späteren Kapiteln, was ich als angenehm empfunden habe, weil es den Reiz hatte, unbedingt weiter lesen zu müssen. Manchmal kam eine Antwort erst nach mehreren hundert Seiten. Eine weitere Antwort kam erst zum Schluss. 852 Seiten, man bekam genug Zeit, alle diese Antworten zu finden. Somit war man echt gefordert, mit den Figuren mitzugehen und mitzudenken, wobei viele meiner Hypothesen nicht aufgegangen sind.

Ich habe auf Facebook so viel darüber geschrieben, dass ich jetzt gesättigt vom vielen Schreiben bin und ich mir ein paar Notizen von dort hier auf meinen Blog hieven möchte.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Dieses Mal ziehe ich meine Buchbesprechung anders auf, da das Buch dermaßen tiefgründig ist, auch die Figuren sind sehr außergewöhnlich und vielfältig, dass ich hier überhaupt nicht sagen kann, wer von den vielen Figuren mir besonders gut gefallen hat. Es waren mehrere. Selbst meine Identifikationsfigur hat sich im Laufe des Lesens gewandelt. Wobei ich mich meistens in Owen gespiegelt hatte, der vor allem in der Welt der Erwachsenen sich so sehr kritisch bezogen hatte, in dem er sich ihr auflehnen musste. Das Schöne an ihm, er ging seinen Weg ... Owen war auch seinem besten Freund John gegenüber eine sehr große Stütze. In der Schule und im späteren Leben, auch weil er Johns Mutter ein Versprechen abnehmen musste ... 

Meine Rezension / Meine Leseerfahrung mit dem Buch
Als ich Owen Meany in der hiesigen Nacht beendet habe, ließ er mich sehr nachdenklich und traurig zurück. Irgendwie befand ich mich am Ende in einem Trance ähnlichen Zustand. Erst war ich zum Schluss etwas gelähmt, musste einiges noch sacken lassen. Was ich vor 450 Seiten durch das Lesen zwischen den Zeilen vermutet hatte, hob sich Irving die Details hierzu für den Schluss auf. 

Owen Meany - Für mich der beste Irving / Die Kindheit von Owen und John
Aber wie ich schon auf der #Diogenes Verlag - backlistlesen - Seite auf Facebook geschrieben habe, ist dieses Buch der beste Irving, den ich bisher gelesen habe. Dieser sehr kritische, differenzierte und recht authentisch geschriebener Gesellschafts- und Familienroman erschien 1990 im Diogenes Verlag, 1989 fand die Erstveröffentlichung in Amerika statt.

Nicht nur, dass das Buch eine Kindheit zweier unterschiedlicher Jungen der 1950-er und 1960-er Jahre behandelt, beide 1942 geboren, schließt das Werk zu dem noch eine umfassende Amerikanische Geschichte mit ein, ohne das Buch damit zu überladen .... 

John Irving war seiner Zeit voraus / Politischer Weitblick, der in die Zukunft führt
Ich hänge außerdem dem Gedanken nach, ob Irving so etwas wie einen Weitblick hatte? Konnte er damals, als er das Buch schrieb, z. B. einen Donald Trump, der einerseits eine Witzfigur darstellt, andererseits eine sehr gefährliche Kreatur im Politikum ist, voraussehen? Mich hat dieses Buch auch hierbei sehr beeindruckt, und sicher bin ich mit diesen wenigen Zeilen noch lange nicht fertig mit der inneren Verarbeitung. 

John Iring - Owen Meany und Günter Grass - Oskar Matzerath
Zwischenzeitlich hat mich diese kleine Figur Owen an den kleinen Oskar von der Blechtrommel erinnert. Oskar wollte nicht erwachsen werden, weil auch er mit der erwachsenen Welt nicht klar kam und hat recht früh gelernt, deren Macken zu durchschauen, um dagegen zu rebellieren. Ich hatte aber noch nicht den Mut, diese Parallele Owen zu Oskar zu ziehen, und ziehe sie jetzt, nach dem ich mit dem Buch durch bin.

Wo spielt die Handlung?
Die Kindheit der beiden Protagonisten John Wheelwright und Owen Meany spielt in Gravesend, New Hampshire, im Bundesstaat der Vereinigten Staaten. Der erwachsene John wandert durch eine Identitätskrise als Amerikaner nach Kanada aus und lässt sich dort einbürgern. Die Amerikanische Geschichte umfasst die Nachkriegszeit, John F. Kennedy, die 1968er Bewegung, Vietnam Krieg, u. v. m.

Owen Meany ist eine hochsensible und strenggläubige Persönlichkeit, die ihn aufgrund seiner Kleinwüchsigkeit über einen Gendeffekt zu einem besonderen Menschen im Positiven wie im Negativen macht. Owen Meany  ist groß im Denken und groß im Fühlen ... Aber er ist mit seinen 150 cm nicht nur klein geraten, auch sein Kehlkopf ist von dem Gendeffekt betroffen, der Owen dadurch mit einer extrem auffälligen, schrillen Stimme ausstattet, die selbst mit dem Älterwerden nicht aus ihm herauswachsen will ... Er muss sich bei den Gleichaltrigen aber auch bei den Erwachsenen durchsetzen, um gesehen zu werden. Die Stimme allerdings verschafft ihm mit der Zeit Gehör ... Er verfolgt durch seine kleinwüchsige Besonderheit eine religiöse Mission, und fühlt sich von Gott auserwählt, diese Mission zu erfüllen. 

Owens Vater ist im Steinbau tätig und führt ein eigenes Granitgeschäft. Die Mutter lebt angeblich wegen einer schweren Feinstauballergie hinter verschlossenen Türen und Fenstern und zeigt ein seltsames Verhalten auch Owen gegenüber. Die Eltern sind sehr religiös, waren erst Katholiken, sind allerdings aus der katholischen Kirche ausgetreten, da ihnen das Leben aus bestimmten Gründen von der Kirche her schwer gemacht wurde und sind in die Episkopalkirche konvertiert, in der auch die Familie Wheelwright angebunden ist, die zuvor zu den Kongregationalisten zählte ...

Owen selbst ist stark dem Gott-Glauben gebunden und schon in Kinderjahren bibelfest. Er zeigt allerdings eine extrem starke Rebellion der katholischen Kirche gegenüber ...

Auch John Wheelwright hat Ecken, da er vaterlos ist. Seine alleinerziehende Mutter Tabitha  verschweigt ihm den Namen des Erzeugers ... Es ist Owen, der sich ihm bei der Vatersuche behilflich zeigt ... So richtig alleinerziehend ist die Mutter aber nicht, denn in Johns Erziehung wirkt auch ihre Mutter Harriet mit ein. 

Zwischen Owen und John entwickelt sich eine besondere und lebenslange Freundschaft. Owen ist körperlich zwar klein geraten, aber zeigt immense geistige Größe und erhält als Schulbester jeden Schulabschluss, den er haben wollte … Er wird sogar an der Gravesent - Akademy Schulsprecher und kritischer Autor einer regelmäßigen Schülerzeitung. 

Eine besondere Rolle spielt auch Johns Mutter in Owens Leben, allerdings nicht nur, dass sie die durch sein Einwirken über einen sportlichen Unfall tödlich aus dem Leben gerissen wurde …

Cover und Buchtitel 

Das Cover hat mich sehr angesprochen und noch vor dem Lesen musste ich mich fragen, welche Bedeutung es haben könnte? Die Auflösung ist dem Buch zu entnehmen. Das Motiv, eine ärmellose Schneiderpuppe mit dem roten Kleid, ist als ein Double mit Johns Mutter in Verbindung zu bringen.

Zum Schreibkonzept
Das Buch beginnt mit einer Widmung an John Irvings Eltern. Auf der folgenden Seite gibt es zwei Bibelverse, anschließend einen dritten Spruch, der sich auch an die Christmenschen richtet. Diese drei Verse bereiten die Leser*innen auf die Hauptthemen des Buches vor.

Owen spricht in Großbuchstaben. Im Buch ist ein Kapitel mit Die Stimme belegt. 

Anschließend ist ein Inhaltsverzeichnis abgedruckt, das mit neun Kapiteln untergliedert ist. Das Werk umfasst 852 Seiten. Am Ende ist eine Danksagung mit abgedruckt.

Der Schreibstil ist flüssig und sehr authentisch sind die Lebensereignisse und die Charaktere aller Figuren beschrieben. Die Geschichte wird in der Retroperspektive aus der Ich-Perspektive des erwachsenen Johnny Wheelwright erzählt.

Die Erzählperspektiven wechseln ab zwischen Vergangenheit (1950er und 1960er-Jahre) und der Gegenwart (1987).

Die Erzählstruktur ist sehr strategisch gewählt, sodass dadurch die Neugier bis zum Schluss lebendig bleiben konnte.

Meine Kritik?
Ich kann mir vorstellen, dass viele Owen als einen kleinen witzigen Gnom in der Luft zerreißen werden, obwohl er alles andere als witzig ist. Mir ist er dagegen wohlwollend ans Herz gewachsen. Mit seiner außergewöhnlichen charismatischen Art schafft er es, andere 
von seinen Ideen zu überzeugen und andere wiederum zur Weißglut zu bringen. Wie aus dem Werk zu entnehmen ist, war er durchaus auch ein Mensch, den man lieben konnte. Man kann Owen  mögen, man kann ihn aber auch als unausstehlich, unsympathisch und als unbequem wahrnehmen. Es gibt etliche Szenen, die aufstoßen lassen, dennoch halte ich zu ihm. Nicht nur, dass er Mut bewiesen hat, ein Leben seiner Art zu meistern, sondern weil er in der Lage war, sich kritisch einem System gegenüber zu stellen, das von anderen nicht hinterfragt wurde. Wobei Mut nicht der richtige Ausdruck ist. Er hat agiert, weil er nicht anders konnte. Er musste einfach Missstände aufdecken. Und er musste diese Missstände aufzeigen, den Menschen radikal den Spiegel vorsetzen, sie aufrütteln, wenn er weiter in seiner Welt überleben wollte. Ich beneide ihn, weil er mit seiner Energie so viel Kampfgeist bewiesen hat, und er damit viele Menschen zum Nachdenken bewegt hat. Er war in allem einfach schlagfertig aber nicht im Bösen, nicht in einer narzisstischen und egomanen Form. Ihm ging es nicht um Konkurrenz und um recht haben müssen, nicht um besser sein müssen als andere. Ihm ging es immer um die Sache selbst, für die er eingestanden hat.

Mein Fazit
Ein Buch über Freundschaft, Religion, Liebe, Lügen, Politik. Ein großes Buch über Loyalität. Ein Buch über Wunder …

Nach dem Lesen musste ich die ganze Geschichte vom Anfang bis zum Ende nochmals vor meinem inneren Auge Revue passieren lassen. Dieser Irving hat es verdient, ein zweites Mal gelesen zu werden.

Viel Feingefühl, viel Esprit und jede Menge Weisheiten hat er in seine Geschichten gewoben.

Owen Meany ist in meine Seele eingezogen und wohnt da erst mal. 

Mein Highlight zum Jahresabschluss von 2020.

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Obwohl dieses Buch mittlerweile zu den modernen Klassikern zählt und es viele Irving-Fans schon nach der Erstveröffentlichung gelesen haben, gibt es doch noch einige wie mich, die erst jetzt empfänglich für diesen Buchtitel geworden sind. Im Netz wurde ich auf eine Buchbesprechung dazu aufmerksam und musste mir, nach dem ich den Klappentext studiert hatte, das Buch unbedingt auch zulegen.

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (sachlich, fantasievoll, distanziert)
2 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere 
2 Punkte: Authentizität der Geschichte; autobiographische Erzählweise
2 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur, Gliederung: Ungebunden
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

12 von 12 Punkten

________________

Das erste Wunder, an das ich glaube,
ist mein eigener Glaube.
(Owen Meany)

Gelesene Bücher 2020: 25
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Ich lese mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen und Tiere
besser zu verstehen.

Der Mensch ist mehr als nur die biologische Erbmasse.
Er ist, was er innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)

Die Herkunft eines Menschen

Die Wurzeltheorie verdammt Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur, weil sie eine andere Hautfarbe, eine andere Religion oder einen anderen Namen tragen. Die meisten haben ihre Wurzeln dort geschlagen, wo sie geboren wurden und / oder dort, wo sie ihr ganzes Leben zugebracht haben.

„Bäume haben Wurzeln, doch Menschen haben Beine, und der liebe Gott wird sich schon bei der Einrichtung der Welt auf diese Weise etwas gedacht haben. Im Grunde sind wir nicht dazu da, ortsfest wie ein Baum zu leben“.
(Denis Scheck im Interview mit Iris Wolf, aus ARD-Buchmessenbühne 2020)

Es lebe die menschliche Vielfalt in Deutschland und überall.
(M. P.)

 


Sonntag, 29. Juli 2018

John Irving / Bis ich dich finde (1)

Lesen mit Tina
Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Was für ein Mammutwerk. Viel zu viele Seiten. Man hätte den Stoff um Längen straffen können. Trotzdem habe ich mich bemüht, das Buch bis zur letzten Seite auszulesen. Mich hat die Handlung nicht wirklich überzeugt, weshalb ich mich in dieser Besprechung kurzhalten werde. Aber für alle LeserInnen, die gerne in die Welt der Tätowierer eintauchen möchten, wären mit diesem Buch gut beraten.

Hier geht es zum Klappentext, Autorenporträt und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Im ersten Teil lernen wir den vierjährigen Jack Burns kennen. Jack wurde 1965 geboren, ist Kanadier, lebt mit seiner alleinerziehenden Mutter Alice in Toronto.  Alice Stronach kommt ursprünglich aus Schottland, wo sie den Kindsvater namens Callum Burns kennengelernt hat. Callum Burns, von Beruf Organist, hatte während seines Musikstudiums seinen Vornamen geändert und sich seit dem für den Namen William entschieden. Der Vater von William heißt Alasdair. Nach Williams Geschmack viel zu schottisch, weshalb er den Namenswechsel vorgenommen hat.
Alice` Vater war von Beruf Tätowierer. Alice tritt beruflich in die Fußstapfen ihres Vaters. Sie beherrscht ihr Kunstwerk perfekt, sie hatte immer Kundschaft, ganz unabhängig davon, wo sie sich geografisch zeitweise niedergelassen hat. Der kleine Jack wird 1970 an der St. Hilda, ein anglikanisches Mädcheninternat, angemeldet. An dieser Schule hat auch sein Vater Musik unterrichtet, nur weiß das Jack nicht. Doch bevor es mit diesem Kapitel weitergeht, findet erst mal an Alice` Hand eine mehrjährige Reise nach Nordeuropa statt, mit der Absicht, Jacks Vater zu finden. Die ersten Länder waren Dänemark, Niederlande, Finnland, etc.

William Burns ist am ganzen Körper tätowiert. Überall ließ er seine Musiknoten auf die Haut ritzen. Ganze Kompositionen sind dort abgedruckt. In Amsterdam spielte er in einer Kirche für die Prostituierten, was sich als zu aufseherregend erwiesen hat. Obwohl Jack noch so klein ist, lernte er hier die Rotlichtfrauen kennen …  Alice versuchte erst gar nicht, Jack vor diesen an Lebensweise außergewöhnliche Frauen zu schützen, und so fragte der Kleine immer wieder seine Mutter, was z. B. eine Hure sei, als er mit diesem Sprachjargon in Berührung kommt. Eine Hure sei eine Prostituierte, eine Ratgeberin … 
Auf diesen Buchseiten bekommt man als Leserin den Eindruck vermittelt, dass William vor Alice flüchtet, und nichts von ihr und dem Kind wissen möchte, denn sobald Alice mit ihrem Sohn in das Land kommt, wo William sich aufhält, verschwindet er wieder. Aber das ist alles nur arrangiert, denn William musste Alice das Versprechen abnehmen, sich nicht dem Kind vorzustellen. William darf seinen Sohn sehen, aber nicht der Sohn den Vater. Jack konnte damals nicht wissen, dass er häufig seinem Vater gegenübergestanden hat … Als Jack größer wird, und immer wieder bei der Mutter nachfragt, wer denn sein leiblicher Vater sei, bekommt er keine Antwort ... Schwierig für ein Kind, sich eine Identität aufzubauen, zu der die Mutter einen Riegel vorgeschoben hat. 

Die Europareise endet kurz vor Jacks Einschulung. Die Reise wird erneut aufgenommen, als Jack erwachsen ist und seine Mutter an einem Hirntumor gestorben ist. Doch dafür sorgen andere Personen, die ihn auf diese Suche ermuntern. 

In der Zwischenzeit kommt es zu vielen Ereignissen. Auf dem Mädcheninternat lernt Jack, fünf Jahr alt, die zwölfjährige Emma kennen. Emma ist ein außergewöhnliches Mädchen, die Jack sexuell missbraucht. Sie grapscht immer wieder nach Jacks Penis´ aber ohne ihm Schmerzen zuzufügen. Und dies über seine gesamte Kindheit hinweg. Als Erwachsene setzt sich das Penisgrapschen fort. Trotzdem entsteht eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen beiden, sodass dieser sexuelle Missbrauch sich für Jack nicht wie ein sexueller Missbrauch angefühlt hat. Emma kann nicht anders, sie fühlt sich zu Jungen hingezogen, die jünger als sie selbst sind. Jungen, die alle noch Jungfrau sind. Später erfährt man als Leserin, was mit Emmas Kindheit passiert ist, denn auch sie erlitt einen sexuellen Missbrauch vonseiten ihres Stiefvaters, der allerdings nicht mehr bei der Mutter lebt.

Beide Kinder, sowohl Jack als auch Emma, haben keinen Schutz von ihren Müttern erfahren … Ihre psychischen Probleme schleppen beide mit in das erwachsene Leben.

Nach der Schule ergreifen beide einen Künstlerberuf. Emma wird Schriftstellerin und Jack Schauspieler. Häufig übernimmt Jack Frauenrollen und geht als solche auf der Bühne auch gekleidet. Nicht selten wird Jack mit einem Transvestiten verwechselt.

Jack schafft es nicht, eine längere Bindung zu einer Frau aufzubauen, und bleibt, ähnlich wie auch Emma, beziehungsunfähig. Emma kann nach wie vor Sex nur mit minderjährigen Jungen auf ihre Weise genießen, da sie unter einem Vaginismus leidet.

Jack hat immer wieder Kontakt zu einer Frau, die, ähnlich wie Emma, auch ständig seinen erigierten Penis in ihren Händen hält …

Später begibt sich Jack in Psychotherapie und arbeitet nach dem Konzept der Therapeutin seine Kindheit in chronologischer Reihenfolge auf. Hier soll er auch lernen, seinem Vater zu verzeihen, dass er angeblich nicht für ihn gesorgt habe. Auf den Schlusskapiteln begibt Jack, nachdem er sich erneut auf die Europareise aufgemacht hat, in ein psychiatrisches Sanatorium, wo er auf eine wichtige Bezugsperson trifft. Nach dem Tod der Mutter begibt er sich auch auf Wahrheitssuche, die ihn freimacht von den Urteilen seiner Mutter. Hier lernen wir Alice neu kennen, denn Jack trifft jede Menge Leute, die er zu seiner Mutter hin interviewen kann und merkt, dass das Bild zu ihr recht verzerrt ist. Ob Jack es schafft, von seinen seelischen Störungen geheilt zu werden und ob er es schafft, seinen Vater zu finden, möchte ich hier offenlassen.

Das Schreibkonzept
Auf den 1140 Seiten bekommt man es mit fünf Teilen zu tun, die in 39 Kapiteln gegliedert sind. Vor dem Inhaltsverzeichnis sind zwei prosaische Verse abgedruckt. Der erste Vers ist Irvings Sohn und dessen Kindheit gewidmet. Der zweite Vers ist von William Maxwell, amerikanischer Journalist und Schriftsteller, der Also dann bis morgen, über das Geschichtenerzählen geschrieben hat.

Bis ich dich findeCover und Buchtitel?  
Das Cover und den Buchtitel finde ich sehr gut getroffen. Bis ich dich finde, hat sich Jacks Mutter Alice als Tattoo auf ihren Körper einritzen lassen. Doch der Titel passt auch zu Jacks Lebenssituation.

Identifikationsfigur
Keine

Meine Meinung
Es ist ja bekannt, dass John Irving ein Faible für schräge Figuren hat. Hier in diesem Buch sind es die Transvestiten, Homosexuellen, und sexuell andersgeartete Figuren ... Aber manchmal fand ich die Figuren nicht wirklich treffend. 
Ich habe das Buch als viel zu sexistisch erlebt. Ständig dieses Sexualisierende an den Figuren fand ich zu viel, viel zu dick aufgetragen. Jack sitzt zum Beispiel mit zwei Frauen im Kino und beide Frauen wollen seinen Penis halten. Der Roman ist sehr penislastig, sehr sexualisierend. Frauen, die sich ihrem unteren Genital ein Tattoo stechen lassen, haben keine Probleme, sich vor den Kindern Jack und Emma nackt zu zeigen. Wie ging es Irving damit, ständig die Genitalien, männliche und weibliche, vor sich zu sehen, während er dieses Buch geschrieben hat? Sind das reine Männerfantasien? Ich fand das alles nicht authentisch, nicht glaubwürdig genug. Die Figuren in diesem Buch scheinen alle über eine sehr geringe Schamgrenze zu verfügen.
Auch Jack lässt sexuell alles mit sich machen. Jede Frau kann kommen, und ihm an den Penis fassen. Lediglich die Schlusskapitel sind etwas von dieser Art von Sexualisierung befreit.

Mein Fazit?
Die ersten zwei bis dreihundert Seiten fanden Tina und ich richtig spannend. Doch zur Mitte hin flachte das Niveau ab. Dann kam glücklicherweise die Lesepause, die mir gutgetan hat, sonst hätte ich es nicht geschafft, das Buch bis zum Ende zu lesen.
Für mich insgesamt ein anstrengendes Buch, das ich lieber quer hätte lesen sollen, da es für mich viel zu zeitaufreibend war. So bin ich nun vor dem nächsten voluminösen Irving gewappnet und werde mich im Vorfeld erkundigen, ob die vielen Seiten es wert sind, gelesen zu werden.

Ich werde später die Buchbesprechung mit Tinas verlinken, die es auch bei weniger schönen Titeln schafft, ihre Rezension gründlich zu schreiben, da, wo es mir einfach an Geduld fehlt.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
1 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
9 von 12 Punkten.

Hier geht es zu Tinas Buchbesprechung. Leider haben wir uns dieses Mal nicht so ausführlich ausgetauscht. Das lag sicher an der Länge des Buches und wir zu unterschiedlichen Zeiten mit dem Buch durch waren. Bei mir selbst war nach der Besprechung die Luft raus. 
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Die Vernunft hat ihre Grenze gestoßen.
Nur der Glaube wächst immerdar.
              (John Irving)

Gelesene Bücher 2018: 29
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Freitag, 5. Juli 2013

John Irving / In einer Person (1)

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Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre


Zu dem Buch habe ich außerhalb meines Blogs vierundzwanzig Beiträge verfasst, die ich nun hier auf dieser Seite in Tagebuchform übertragen werde. Das Buch hat in mir widersprüchliche Gefühle ausgelöst, dass ich gar nicht vor hatte, es bis zum Ende zu lesen. Das Thema erlebe ich als recht anstrengend. Es stellte sich mir die Frage, weshalb ich mich mit dieser Thematik auseinandersetzen möchte, wo ich doch so keine Vorurteile diesen Menschen gegenüber habe? Und muss ich denn über die Gefühle diese Menschen so genau Bescheid wissen? Nun, dann kam es doch anders, siehe Beiträge unten.
Der Protagonist und der Ich - Erzähler dieses Buches ist Billy Abbot. Er ist Schriftsteller, siebzig Jahre alt und schreibt aus seiner Perspektive über sein Leben als Transgender auf, das bis weit in seine Jugend von dreizehn Jahren reicht.

Sonntag, 30.06.2013, 14:24 Uhr
In dem Buch nimmt man an vielen Literaturgesprächen teil und viele AutorInnen sind mir sogar bekannt. Alle Ibsen Dramen werden besprochen und sollen im Laientheater First Sister Players in Vermont, New - England, aufgeführt werden. Von Ibsen habe ich auch alle Stücke gelesen, weiß also, von was die Menschen in dem Buch reden.
Interessant fand ich, dass der Autor die Bronté Bücher Sturmhöhe und Jane Eyre nicht als Frauenliteratur abtut.
Es geht um den jungen William, gerufen wird er Billy, der 13jährig in der Pubertät steckt, und Bücher sucht, die ihm die Möglichkeit geben, sich mit dem Inhalt des Buches zu identifizieren.
Billy hatte bisher so keinen Bezug zur Literatur, da die Mutter hauptsächlich billige Abenteuer- und Liebesromane gelesen hatte, für die sich Billy alles andere als begeistern konnte. Billy ist von Charles Dickens  Buch Große Erwartungen sehr angetan und sieht in Dickens ein großes Vorbild zum Schriftsteller. Erst sein Stiefvater Richard schafft es, dem jungen Menschen weitere interessante Bücher nahe zu bringen. In den von der Bibliothekarin Miss Frost empfohlenen Bronté-Bücher könnte man Geschichten finden, ohne sich in Sciencen-Fiktion zu flüchten, und man musste weder Western noch Liebesromane lesen, um zu träumen.

Mo. 01.07.2013, 11:45 Uhr
John Irvings Hauptthemen betreffen meist die Sexualität, so wie auch in diesem Buch. Alles Figuren, die anders sind. Homosexuelle, Transvestiten, Bisexuelle. Transgender in einem Begriff  ausgedrückt... . Ich verstehe nun auch, was mit dem Buchtitel In einer Person gemeint ist. Bei einem Bücherkauf lese ich nicht immer die Klappentexte, lasse mich eher vom Buchtitel gerne überraschen.
In dem Laientheater Sister Player werden die weiblichen Rollen hauptsächlich von männlichen Schauspielern gespielt.
Ich weiß ehrlich gesagt immer noch nicht, wie ich selbst zu dem Buch stehe. Ist das ein Thema für mich? Weckt es meine Neugier? Ehrlich gesagt nicht besonders. Ich habe keine Probleme, diese speziellen Menschen zu akzeptieren, speziell sind wir irgendwo doch auch alle, aber ich habe nicht so viel Lust, zu sehr in diese Thematik einzusteigen. ... .
Interessant finde ich die These, dass in jedem Menschen beide Pole vorhanden sind, und dass jeder Mensch in der Lage wäre, sich auch im selben Geschlecht zu verlieben, wären da nicht die gesellschaftlichen Konventionen. Auch damit habe ich keine Probleme. Meine mich zu erinnern, dass Simone de Bouvoir dieselbe These vertritt, siehe Buch Das andere Geschlecht.
Das Thema hatte mich mit Anfang zwanzig gestreift, und ich mich damit auseinandergesetzt habe. Irgendwie bin ich damit durch, das glaubte ich.

Di. 02.07., 09:48 Uhr
In dem Buch werden alle Intimitäten offen ausgelebt. Tabus? Kennt der Autor nicht. :) Und die ewige Suche nach der wahren sexuellen Identität wird hier beschrieben.
Billy interessiert sich nicht nur für Männer, sondern auch für reife Frauen mit kleinen Brüsten. Seinem Großvater bekennt er, dass er eine sexuelle Neigung zu Männern habe, und er fühle sich gleichzeitig zu reifen Frauen hingezogen, doch dies verschweigt er ihm. Der Großvater, der Verständnis für seinen Neffen zeigt, ihn sogar vor der wütenden Mutter beschützt, weiß aus eigener Erfahrung, was sein Neffe durchmacht, da er selbst zu den Transgendern zählt. Und so empfiehlt er seinem Neffen, sich an die Bibliothekarin Miss Frost zu wenden, die ihm Bücher zur Homosexualität empfehlen kann.
Als Billy Miss Frost kennenlernt, fühlt er sich zu ihr sexuell hingezogen. Doch nicht nur zu ihr. Ebenso für Eiaines Mutter entwickelt er sexuelles Interesse.

11:43 Uhr
Billy bekommt von seinem Stiefvater Richard ein Dutzend Kondome geschenkt. Sicherheitshalber, damit nichts passiert. Er kann noch nicht wissen, dass Billy dafür keine Verwendung hat, obwohl er gelegentlich in eines masturbieren wollte. Die restlichen wollte er seiner Jugend- und Sexfreundin Elaine schenken.
Billy und Elaine haben sich in erste sexuelle Versuche begeben, während Billy dabei an Miss Frost, die Bibliothekarin und Elaine an den Schüler Kittredke dachte, in dem Elaine eigentlich verliebt ist.
Billy stiehlt den BH von Elaine. In seinem Zimmer legt er sich den BH an und geht damit zu Bett, als er von seiner Mutter überrascht wird. Die Mutter ist schockiert, teilte ihm aber mit, das Elaine schwanger ist. Billy rechtfertigte sich, dass nicht er für die Schwangerschaft verantwortlich sei, so erhält er von der Mutter eine Ohrfeige. Sie hätte es lieber gesehen, Elaine wäre von Billy schwanger geworden. Für die Mutter wäre Elaines Schwangerschaft das kleinere Übel, ein Zeichen dafür, dass ihr Sohn normal ist. Diese Szene fand ich wenig authentisch.

12:05 Uhr
Kittgens Mutter, so wird von Elaine durch verschiedene Beobachtungen vermutet, habe bis zu seinem Alter von 15 Jahren Sex mit ihrem Sohn gehabt.
In dem Buch gibt es nichts, was nach gesellschaftlicher Sitte normal wäre. Elaine und Billy reden über diese Inzucht, als wäre es das Normalste von der Welt. Keine Empörung, kein Entsetzen.
Elaine bekundet Billy, dass sie nie eine lesbische Beziehung eingehen würde. Recht widersprüchlich, als sie schließlich zugibt, dass sie doch "damit experimentierte, lesbisch zu sein", wie auch immer sie diese Experimente auslebte.
Auch Elaine wird von Billy ein wenig maskulin im Erscheinen beschrieben, worauf er abfährt. Haare kurz, männliche Züge im Gesicht, aber das Weibliche dominiert. In einer Person. Kein Mensch ist nur weiblich oder nur männlich.

13:07 Uhr
Erstaunlich sind für mich Irvings sexuelle Phantasien, speziell Frauen gegenüber. Schließlich ist er der Schriftsteller und legt in seinen Figuren gewisse Phantasien hinein. Elaine geht zusammen mit Kittredkes Mutter nach Europa, um das Kind abzutreiben. Mrs. Kittredkes kennt keine Grenzen. Nach der Abtreibung kontrolliert sie permanent Elains Körper, speziell auch ihre Genitalien und legt ihr Binden in die Hose, die auch immer wieder von ihr inspiziert werden, mit der fadenscheinigen Begründung, sie wolle nur sehen, wie stark die Blutungen seien, und ob sich diese noch im Normbereich befinden würden. Elaine, die sich bei Billy über diese für sie unangenehme Erfahrung ausspricht:
Ich war mit keinem anderen Menschen je so intim wie mit dieser schrecklichen Frau. Ich werde nie wieder mit jemandem so nahe sein. (...) Sie hat mich fürs Leben gezeichnet. 
Da fragt man sich als Leserin, weshalb sie das hat mit sich machen lassen?
Ich finde diese Szene dermaßen unpassend und geht konform mit vielen sexuellen Männerfantasien. Bin ein wenig darüber enttäuscht.

13:29 Uhr
Das Buch behandelt zu hundert Prozent die menschliche Sexualität in all ihren Formen und Facetten. Einerseits verständlich, wenn man bedenkt, wie viel Leid sie weltweit einem Menschen durch die gesellschaftlichen Vorgaben, was richtig und falsch ist, beschert hat, obwohl die Sexualität das Natürlichste von der Welt ist. Wo fängt die Moral an? Und wo hört sie auf? Vielleicht möchte Irving mit seinem Buch provozieren. Doch Menschen, die andere Menschen in ihrem Sosein nicht tolerieren können, lesen solche Bücher erst gar nicht.

13:56 Uhr
Billy ist noch immer in Miss Frost verliebt, mittlerweile ist er 18 Jahre alt und bekennt sich zu ihr:
"Gleichaltrige Mädchen interessieren mich nicht", versicherte ich Miss Frost. "Anscheinend fühle ich mich zu älteren Frauen hingezogen.""Mein lieber Junge", bekam ich wieder von ihr zu hören. "Nicht auf mein Alter kommt es an - sondern darauf, was ich bin."
 Das fand ich ein sehr weiser Gedanke. Miss Frost ist eigentlich diejenige, die Verständnis für den Jungen aufbringt und ermuntert ihn, seine Triebe nicht zu unterdrücken, sondern sie auszuleben. Nur so wäre es möglich, die eigene sexuelle Identität zu finden.

14:25 Uhr
Ich finde es Klasse. In dem Buch tauchen so viele Bücher auf, die ich auch gelesen habe. Billy spricht mit Miss Frost, ob er so weit sei, Madame Bovary zu lesen. Ich erinnere mich sehr gut an das Buch, muss aber zugeben, dass dieses Buch eine alte Schullektüre war, die im Deutsch Leistungskurs behandelt wurde. Deshalb auch die Vorkenntnisse. Emma Bovery heiratet als junges Mädchen einen Mann, der voll den Erwartungen ihres Standes entspricht. Der Mann ist Arzt, und beide bekommen auch schon recht bald ein Kind. Emma wird immer mehr in festgesetzte Bahnen, die die Institution Ehe mitbringt, gepresst, so dass sie sich schon sehr bald darin zu langweilen beginnt. Liebeshungrig und abenteuerlustig wie sie aufgrund ihres jungen Alters ist, begeht sie einen Seitensprung mit einem Mann, der ihr emotional mehr zu bieten hat, als ihr angetrauter Ehemann, der alle gesellschaftliche Normen zwar erfüllt, aber tot langweilig ist. Wohlstand, gehobener Beruf, Heirat und Kinder sollten die Sicherheit geben, die sich ein Mensch dieser Klasse wünscht. Obwohl Emma Boverys Ehemann sich als einen sehr liebenswürdigen Partner erweist, kann sie trotzdem nicht anders, folgt ihren Neigungen, und gerät dadurch auf Abwegen. Ihr Mann Charles übersieht völlig, dass seine Frau in der Ehe unglücklich ist. Er vertraut auf seinen Beruf, auf die Ehe und dass er Familienvater ist. Er ist rundum zufrieden, daher hinterfragt er die diese gesellschaftlichen Regeln nicht, von denen sich Emma Bovery erdrückt fühlt. Madame Bovery verstrickt sich dagegen immer mehr in ihrem Schwarm, und weiß nicht, wie sie da wieder herauskommen soll... . Der Bezug zu Irving ist der, dass seine Literaturfiguren in dem Buch vieles an Sexualität ausprobieren, sie ausleben, so widersprüchlich sie auch sein mögen, bevor sie sich in eine Ehe begeben. Madame Bovery hatte diese Möglichkeit nicht gehabt und stürzte sich mit dem Seitensprung ins Unglück. Sie war Klosterschülerin und nach ihrem Schulabschluss waren die Wege der Ehe durch den Vater für sie schon vorgezeichnet.

20:45 Uhr
Billy setzt sich mit Literatur mancher Autoren auseinander, die ihm helfen, sich zu finden und seine sexuellen Neigungen besser zu verstehen. Er liest James Baldwin, der sich als betroffener schwarzer Amerikaner in seinen Büchern mit Rassismus und der (Homo)-Sexualität befasst. Folgendes Zitat möchte ich gerne festhalten, weil es so sehr die Nöte eines sexualtätigen Menschen beschreibt:
Ja, dieses beunruhigende Hingezogensein zu Knaben und Männern ließ mich den, wie Baldwin es nannte, "furchtbaren Peitschenhieb öffentlicher Moral" fürchten, doch noch viel mehr ängstigte mich die Stelle, in der die Reaktion des Erzählers beschrieben wird, als er mit einer Frau Sex hat - "ihre Brüste jagten mir eine Heidenangst ein, und als ich in sie drang, bekam ich Angst, nie wieder lebendig rauszukommen.
Besonders den letzten Satz fand ich psychologisch betrachtet mehr als beeindruckend. Einfach ein interessantes Bild, diese archaische - unbewusste infantile Angst, die vergleichbar ist mit der kindlichen Angst vor dem Gefressenwerden. Ein Archetyp, ein kollektives Symbol (C. G. Jung), wie man sie oft schon bei kleinen Kindern erfährt.

Eigentlich wollte ich das Buch erst abbrechen, aber jetzt stecke ich zu tief drin, dass ich es zu Ende lesen werde. Ist doch ein recht brisantes Thema, und man nie fertig sein wird, sich mit dieser Thematik weiter zu befassen.

21:45 Uhr
Nun erfahre ich etwas, womit ich so gar nicht gerechnet habe, obwohl ich hätte damit rechnen sollen. Billy kommt dahinter, dass Miss Frost ein Mann war und ist völlig entsetzt. Billy und Miss Frost haben gemeinsam gevögelt, aber Miss Frost wollte vaginal nicht angefasst werden. Ich bin erstaunt. Ich hätte deshalb damit rechnen müssen, weil in dem Buch es nicht eine Figur gibt, die irgendwie so tickt, wie der Durchschnittsbürger sie haben will. Miss Frost besitzt einen Penis.
Billy hat es aber nicht durch Sex herausbekommen, denn er hatte wohl ihre / seine sexuellen Grenzen respektiert, sondern durch ein Jahrbuch der damaligen Schule, die Miss Frost besucht hatte und sie dort ein ER war, ein Jüngling mit männlichem Vornamen Al. Demgegenüber musste sie oder er eine Geschlechtsumwandlung vorgenommen haben. Aber nur teilweise?

Mi. 03.07., 09:47 Uhr
Billy schockiert seine Tante Muriel, Mutters Schwester, als sie sich nach seinem Wohlbefinden erkundigt:
"Ah, hallo, Billy, - wie geht's denn immer so? Hoffentlich sind alle normalen Beschäftigungen eines jungen Mannes in deinem Alter so befriedigend für dich, wie sie sein sollten!" Worauf ich wie aus der Pistole geschossen erwiderte: "Es ist zu keiner Penetration gekommen - mit anderen Worten, nichts von dem, was die allermeisten Leute unter Sex verstehen. So wie ich es sehe, Tante Muriel, bin ich noch Jungfrau."
Na, so ganz stimmt das nicht, dass es in dem Buch nur sexuell Andersorientierte / Transgender gibt. Nein, es gibt auch drei Durchschnittsmenschen. Billys Mutter, die Souffleuse des Theater First Sister Players; ihre Schwester, Billys Tante Muriel und ihre Mutter, also Billys Großmutter.
Billys Mutter stiehlt seinen BH, den er unter seinem Kopfkissen versteckt hielt und zerreist ihn in tausend Stücken. Sie wird mit Billys sexueller Identität nicht fertig, wobei Billy durch das Herumexperimentieren noch immer am Herausfinden ist, wer er ist oder was er ist.

17:35 Uhr
Billy lässt sich von Elaine einen neuen BH schenken. Elaine hat damit absolut keine Probleme, als Billy sie um einen weiteren BH bittet. Im Gegenteil, er könne so viele BHs von ihr haben, so viele er wolle. Eine sehr tolerante Jugendfreundin, die bis ins hohe Alter Bestand hat.
Billy kennt seinen leiblichen Vater Franny noch nicht. Der Vater war ca. fünf Jahre älter als seine Mutter. Billy erfährt, dass der Vater sich auch für Frauenkleider interessierte und auch welche trug. Was ist daran so schlimm? Der Mann muss sich mehr emanzipieren, schließlich gibt es Frauen, die Männerkleider tragen und es heute das Normalste von der Welt ist. Billys Mutter fand das anfangs anziehend, weshalb sie sich mit ihm zusammen tat, heiratete ihn, doch sie stieß hierzu wider Erwarten sehr schnell an ihre Grenzen und ließ sich von ihm wieder scheiden..

Wenn der Mensch seine Triebe nicht unterdrücken würde, so gäbe es mehr sexuell Andersorientierte auf der Welt als wir ahnen können. Ähnlich wie mit den LinkshänderInnen, die umerzogen wurden. Heute wird nicht mehr umerzogen und man sieht mehr LinkshänderInnen als noch vor sechzig Jahren.

Manche Szenen finde ich ein wenig skuril. Miss Frost und Billy liegen nackt im Bett, und mitten in ihrer Konversation halten sie sich gegenseitig den Penis des Anderen / der Anderen in ihren Händen. Nicht, dass ich diese Erfahrung anzweifeln möchte, aber sie klingt in Worte gepackt einfach nur banal.

Do. 04.07.2013, 07:55 Uhr
Billys Großvater ist Witwer geworden. Er ist 84 Jahre alt und verbringt seine alten Tage allein in seinem Haus in der Kleidung seiner verstorbenen Frau. Der Großvater besaß abnehmbare Gummibrüste und eine Perücke.
Auch Billy ist älter geworden, Mittlerweile ist er Ende dreißig. Mit 19 Jahren bekennt er sich zu seiner sexuellen Identität. Auf jeden Fall ist er nicht monosexuell, das fände er mehr als langweilig, sondern eher bisexuell und praktiziert den Sex mit allerlei Geschlecht. Und doch findet er in einer einzigen Person nicht das, was er braucht. Eigentlich wäre Miss Frost die geeignetste Partnerin von allen.
Interessant fand ich auch zu lesen, dass Miss Frost bei der Geschlechtsumwandlung auch weibliche Hormone geschluckt hat... oder noch schluckt.
Billy ist mit 36 Jahren Romanautor und schreibt an sein viertes Buch. Die Bücher behandeln die Themen, die ihn ein Leben lang beschäftigt haben und ihn bis zu seinem Tode noch beschäftigen. Über die verschiedenartige sexuelle Identität. Über die Vorurteile in der Gesellschaft und über die mangelnde Toleranz gegenüber Transgender. Auch schreibt er über die natürlichen Bedürfnisse, wie z.B. Kinderwunsch, die viele Mensch haben. Billy hegte auch den Kinderwunsch, der unerfüllt blieb. Es scheiterte an der geeigneten Partner/in.

14:00 Uhr
Ich befinde mich nun in den letzten Zügen. Noch achtzig Seiten, dann habe ich das Buch durch und bin auf den Iriving Geschmack gekommen, so dass ich unbedingt das Buch noch einmal Gottes Werk und Teufels Beitrag lesen werde.
Doch auf den letzten 180 Seiten, man befindet sich in den 1980er Jahren, wird man regelrecht erschlagen von den vielen (Aids)- Erkrankungen und den Todesfällen der sexuell andersoriendierten Menschen.

Tatsächlich nehmen in dem Buch Transvestiten Östrogene ein. Welchen Gefahren sich so ein Mensch aussetzt, gibt mir stark zu denken, da Östrogene durch üble Nebenwirkungen ernsthafte Erkrankungen hervorrufen können. Werden diese weiblichen Hormone abgesetzt, setzt z.B. der Bartwuchs wieder ein und macht deutlich, dass sie ein Leben lang auf Östrogene angewiesen sind, trotz der starken Nebenwirkungen und macht den Konflikt deutlich, dem diese Menschen ausgesetzt sind. Ich empfinde es als ganz schön anstrengend, über eine weibliche Person zu lesen, deren Seele in einem Männerkörper steckt, und deshalb bin ich nun froh darüber, mit dem Buch durch zu sein.

Mein Fazit?
Schwierig. Das Laientheater ist für mich ein Symbol zur realen Welt, die eine Bühne ist, in der die Menschen ihre Rollen (aufgedrückt) bekommen und diese bestmöglich ausführen. Manche Rollen sind harmlos, manche weniger. Doch in dem Buch gibt es so gut wie keine harmlose Rolle und finde dadurch das Buch ein wenig einseitig.
 Irgendwie fand ich manche Szenen nicht wirklich gut dargestellt. Ein wenig zu überspitzt, zu stark sexualisiert, wohinter ich typische Männerfantasien vermute. Nach meinem Geschmack oftmals nicht wirklich authentisch genug. Ein zweites Mal würde ich das Buch keinesfalls lesen. Aber ich bin so neugierig geworden, dass ich mich mit anderen Büchern von Irving versuchen möchte, um diese Bücher miteinander zu vergleichen. Das spornt mich an. Im nächsten SuB-Spiel ist Irving demnach wieder dabei.
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Die meisten verlassenen Stätten der Kindheit werden mit der Zeit nicht farbiger, sondern blasser.
(John Irving)

Gelesene Bücher 2013: 44
Gelesene Bücher 2012: 94
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