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Sonntag, 5. April 2020

Marcel Proust und die Trauer um seine verstorbene Mutter

Foto: Pixabay
Weiter geht es mit den Seiten von 434 bis 458  

Dieses Mal greife ich auf die letzten zwanzig Seiten zurück, da ich letztes Mal meine Stichpunkte einfach unter den Tisch habe fallen lassen, sodass ich total vergaß, was ich mir notiert hatte. Das passiert mir immer, wenn mein Kopf zu voll ist mit noch anderen Gedanken. Deshalb hole ich dies hier nun nach.
Als die Mutter von Proust gestorben ist, haben Anne und ich uns gefragt, wie es nun mit ihm weitergehen wird? Schafft er ohne seine Mutter ein selbständiges Leben zu führen?
Er schreibt an

Anna de Noailles
Ende Sept. 1905
Sie nimmt mein Leben mit sich hinweg, so wie Papa das ihre mit sich hinweggenommen hat. (Heute habe ich sie noch bei mir, tot zwar, aber noch kann ich sie mit meiner Zärtlichkeit bedenken. Und dann werde ich sie nie wieder haben. (434)

Die Zeitung Figaro machte Jeanne Prousts Tod mit einem Nachruf öffentlich. In der Fußnote ist zu entnehmen:
Der Figaro vermeldet am Mittwoch, dem 27. September 1905 (…) den Tod von >Madame Adrien Proust geb. Weil, Witwe des Professors an der Medizinischen Fakultät (…). Sie verstarb in Paris, rue de Courcelles, im Alter von 56 Jahren. Die Trauergemeinde versammelt sich im Hause der Verstorbenen. Die Beisetzung findet statt auf dem Friedhof Père-Lachaise. Die Dahingegangene war die Mutter des bekannten Schriftstellers Marcel Proust und des Doktors Robert Proust.< (435)
Diese Traueranzeige hat mich tief berührt, allerdings habe ich mich an dem Begriff Die Dahingegangene ein wenig gestört ... Der Friedhof Pére-Lachaise ist mir bekannt. Ich bin häufig schon dort gewesen, da ich hier in der Vergangenheit einige andere Künstler aufgesucht hatte. Damals kannte ich die Proust – Familie überhaupt noch nicht, weshalb ich einen weiteren Abstecher in diese Gefilde unternehmen werde. Ich hatte dieses Jahr eine Reise eine Woche nach Ostern gebucht, die ich allerdings wegen der Corona -Epidemie wieder stornieren musste.

Marcel Proust hat den Tod der Mutter nicht wirklich verwinden können und lässt sich dadurch im Dezember desselben Jahres in ein Sanatorium einweisen, wo er auch Schreibverbot verordnet bekommt, an das er sich nur sehr schwer halten kann.
Er schreibt

An Marie Nordlinger
6. Dezember 1905

Monsieur Marcel Proust befindet sich zur Behandlung in ein Sanatorium, wo es ihm untersagt ist, zu schreiben, aber Mademoiselle Mary soll wissen, dass er jederzeit voller Hochachtung, Dankbarkeit und Zärtlichkeit an sie denkt.

Aus der Fußnote ist zu entnehmen:
Nach einigem Zögern hatte Proust sich Anfang Dezember (…) in das private Sanatorium des Doktor Sollier in Boulogne-sur-Seine (Bolognas Billancourt) (…) begeben. Er blieb dort bis zur letzten Januarwoche 1906. Trotz des Schreibverbots schickte Proust aus dem Sanatorium kurze Briefe an Robert de Billy und Louisa de Monard (…). Das vorliegende Schreiben an Marie Nordlinger ist nicht unterzeichnet, die Handschrift konnte nicht identifiziert werden. (435)

Ich denke, dass Proust den Brief an Marie Nordlinger von einer anderen Person hat ausfertigen lassen. Das Schreiben ist in der dritten Person geschrieben. Da er schon durch seine eigenen multiplen Erkrankungen vom gesellschaftlichen Leben eingeschränkt ist, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass ein Schreibverbot für ihn wie eine schwere Strafe aufgefasst wird. Die Briefe waren für ihn damals das Tor zur Welt, das nun hier geschlossen wurde. Aber ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass das viele Briefeschreiben die Gesundheit noch weiter beeinträchtigen kann. Das kenne ich aus eigener Erfahrung, als ich in meinen jungen Jahren selbst viel geschrieben hatte, wühlte mich das Schreiben immens auf. Ich selbst trage vom vielen Schreiben sogar eine Narbe am linken Mittelfinger mit mir herum.

In einem späteren Brief an seinem Cousin, im Juni 1906, erfährt man, dass Proust nach dem Sanatorium sechs Monate lang sein Bett nicht habe verlassen können. Eine sehr lange Zeit, die ihn regelrecht gebeutelt hatte.
Aber Sie wissen vielleicht, dass ich nach Mamas Tod ein Sanatorium aufsuchen musste. Danach bin ich hierher zurückgekommen, habe aber mein Bett oder mein Schlafzimmer in den letzten sechs Monaten nicht verlassen können. (452)

Aus der Fußnote ist zu entnehmen:

Anspielung an seinen vorigen Brief an Robert Dreyfus, wo Proust über das Wort >glücklich< schreibt:
Seit Mamas Tod hat dieses Wort keinen Sinn mehr für mich (…). (458)  

Weiter geht es nächstes Wochenende von 459 - 469.
___________________
Man kann nur über das gut schreiben,
was man liebt.
(Marcel Proust zitiert Ernest Renan)

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Sonntag, 30. Juni 2019

Marcel Proust und die Korrespondenz mit Reynaldo Hahn

Seite 162 – 173  

Auf den folgenden zehn Seiten haben wir, Anne und ich, mit zwei Ausnahmen nicht viel finden können, was uns in unserem Denken hätte weiterbringen können.
Aber in einer Sache konnte unsere Neugier befriedigt werden, und zwar darin, dass sich Marcel wohl bei seinen Eltern, was die Berufsfindung betrifft, hat durchsetzen können. Er hatte sich im Dezember 1893 an der Pariser Sorbonne Universität in Philosophie eingeschrieben und bestand sein Lizenziat im März 1895 nach mehreren Nachhilfestunden, die seine Mutter in Auftrag geben hatte. Die Nachhilfestunden nahm Proust bei seinem ehemaligen gymnasialen Philosophielehrer Alphonse Darlu.

Proust muss in Philosophie wahrscheinlich, wie aus der Fußnote hervorgeht, unter der Anleitung von Alphonse Darlu jede Menge Aufsätze schreiben, wovon einer das Glück behandelt, in dem Proust beweisen soll, dass es das Glück auch gibt, und tut sich schwer damit.
Ich muss Aufsätze schreiben, in denen ich beweisen soll, dass es ein Glück gibt. Da ich ein guter Schüler und Sohn bin, tue ich das auch, da ich ein schlechter Philosoph bin, tue ich es nur schlecht.

Wahrscheinlich hat Prousts Mutter deshalb Nachhilfestunden erwirkt, um ihren Sohn bei den Abschlussprüfungen zu unterstützen. Man kennt Proust ja nur als Musterschüler, während er dies in Philosophie nicht zu sein scheint. Aber ich vermute eher, dass dies nicht einer intellektuellen Fehleistung geschuldet ist, sondern dass Proust seine eigene philosophische Sichtweise zu manchen Dingen hat. Denn wie soll er über das Glück schreiben können, wenn er so seine Zweifel dazu hat?
Aber vor allem glaube ich nicht daran. Ich glaube, dass jeder sein eigenes Glück hat – wenn er es denn hat. Und ein Wunsch, der für jemanden ein Glück herbeiruft, das er vielleicht gar nicht haben will, wäre ein recht unvorsichtiger Wunsch.

Dabei denke ich an einen Spruch, der lautet, passe auf, was du dir wünschst, denn er könnte in Erfüllung gehen. Proust schreibt dazu an Horac de Landau. Mir ist dieser Briefpartner fremd. 
Ich weiß nicht genau, was Sie begehren, und so spreche ich sehr vage Wünsche aus. Aber ich mache mir keinerlei Sorgen über ihre Verwirklichung. Sie tragen das Glück in sich: Das ist der sicherste, wenn nicht der einzige Weg, es zu erlangen. (164) 

Weitere Details über das Glück sind dem Buch zu entnehmen. Obwohl Proust so jung ist, ist er ein so weiser Mensch, dass er mich damit innerlich tief berührt. Er lässt mich an meine eigenen philosophischen Gedanken denken, die ich auch in diesem Alter reichlich hatte.

Weitere Korrespondenzen erfolgen auf diesen Seiten mit dem Dichter Robert de Montesquiou, der uns mittlerweile vertraut ist. Auf eine davon möchte ich kurz eingehen. Genaues Datum kann im Buch nicht wiedergegeben werden, da mit Fragenzeichen versehen.

Robert de Montesquiou (Schriftsteller)
13. Mai 1894, Marcel ist noch 22 Jahre alt

In dem Brief bittet Proust seinen Briefpartner, die beigefügte Studie zu lesen. Auf welche Studie sich Proust bezieht, ist laut der Fußnote nicht eruierbar, weshalb ich nicht wirklich näher darauf eingehen möchte. Interessant ist halt, dass diese Studie etwas mit dem Dichter selbst zu tun haben muss. Eine Kritik an Montesquiou? Proust schreibt;
>wenn Sie die Güte haben, die beigefügte Studie zu lesen, werden Sie verstehen, warum ich Ihnen heute Abend besonders dankbar bin (die Studie ist alt, ich hätte Sie Ihnen nicht geschickt, aber sie ist – leider! – auch aktuell, und zwar Ihretwegen). Gestatten Sie mir, dass ich keine Rechtfertigungen hinzufüge.

Proust äußert Kritik, durchleuchtet das Innenleben dieses Dichters und schon aus den letzten Briefen ging hervor, dass er lernen wolle, sich für seine Meinung nicht mehr rechtfertigen zu wollen. 
Ich verzichte von nun an darauf, da ich davon überzeugt bin, dass wir uns, sobald eine gewisse Tiefe erreicht ist, nicht verstehen können, was ich allerdings nicht allzu tragisch nehme. Die Maxime >Wohl dem, der zu hören weiß< ist zu eng gefasst. Wer nur schlecht hört, kann auf andere Weise >köstlich< sein. Warum sollte man aus griesgrämigem Starrsinn seinen Freuden entsagen?

Nun folgt ein Gedanke, der genial ist, und den ich mir erst hier auf meiner Seite, dann auf meine Brust schreiben werde, deshalb der Fettdruck, der dadurch durch mich  hervorgehoben ist …
Unser aller Schicksale sind vermutlich geschaffen, um gelebt, nicht aber um verstanden zu werden.

Warum will man das denn, dieses immer verstanden werden wollen? Wir leben nicht, um immerwährend anderen gefallen zu müssen. Man schränkt sich ein, wenn man immer nur das tut, was die Gesellschaft von einem erwartet.

Ich finde, dass auch dieser Brief voller Weisheit ist. 
>Wenn diejenigen, die Schicksale missverstehen, sie auf andere Weise verschönern, warum soll man sie mit Vorwürfen ermüden, die sie unvermeidlich weder hören noch verstehen und die Ihnen alles in allem höchst lästig sind. (162)

Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.

Schade finde ich nur, dass man nicht weiß, was diese Studie belegt und was sie mit dem Dichter faktisch gemeinsam hat.

September 1894, 23 Jahre
Briefpartner Roynaldo Hahn?

Hier schreibt Proust über seine Gedichte bzw. Prosastücke zur Mondscheinsonate, die er auch der Madame Straus hat lesen lassen, die von den romantischen Gedichten sehr angetan gewesen sein soll. Proust ist gespannt, wie Hahn die Gedichte interpretieren wird. Mit Hahn gehen auch musische Gespräche hervor wie z. B. über Wagners Musikstück Lohengrin.

16. September 1894 und 16. Oktober 1894, 23 Jahre
An Reynaldo Hahn, Komponist

Zwei fragwürdige Briefe, in dem Proust sich als Pony zu geben bekennt, und ich damit nichts anfangen konnte. Hierzu hatte Anne aber einen schönen und interessanten Gedanken, den ich gleich zitieren werde, da ich sie gebeten hatte, diesen Gedanken bzw. diese Assoziation dazu aufzuschreiben und mir zukommen zu lassen, da das Pony auf eine sexuelle Anspielung deuten könnte …

Annes Beitrag, nachdem wir heute Mittag über die Briefe uns ausgetauscht haben.

Ich freue mich, auch einmal mit einigen Gedanken zu den Briefen aufwarten zu können. Wenn ich auch nicht weiß, ob ich damit richtig liege:

Nach den heutigen Briefen von Proust bin ich noch ratloser als bei so manchen ohnehin schon. Mira und ich haben ja schon öfter einstimmig festgestellt, dass viele Briefe äußerst schwer zu verstehen sind, da uns die Antworten darauf fehlen.
Heute nun las ich Folgendes:

Brief vom 16. September 1894 - Seite 168
"Warum 'Marcel, das Pony'? Ich mag diese Neuheit nicht. Das hört sich an wie Jack the Ripper oder Ludwig der Zänker. Vergessen Sie nicht, dass dies kein Spitzname ist und dass ich, Reynolds, ganz wahrhaft Ihr Pony bin." 

Und weiter am 16. Oktober 1894 - Seite 169
"Ich werde Ihnen morgen einen ehrlichen Bericht über die Besorgung machen, mit der Sie mich beauftragt haben. Ich bin nicht allzu müde, und wenn Sie vorhatten, mich morgen im bois oder anderswo zu satteln, so wäre das möglich. Ich fürchte, dass Ihre Pläne für den Nachmittag weniger leicht durchzuführen sein werden, aber lassen Sie mir auf jeden Fall ausrichten, zu welcher Uhrzeit angespannt werden soll. Mit aller Hochachtung, Monsieur Mon Maitre, Ihr treues Pony.
[...] Um zu zeigen, dass Sie Ihrem ehrerbietigen, aber ungebildeten Pony seinen Stil verzeihen, streicheln Sie ihm über den rauen Kopf, den es zärtlich in ihre Hand schmiegt."

Hier nun saß ich da und dachte: Hm, was ist das jetzt. Und dann fiel mir das Wort "Rollenspiele" ein. 

Proust ist 23 Jahre jung, kam das für ihn damals schon infrage? Mira hat ja schon hier und da seine sexuelle Suche und Entwicklung erwähnt. 
Auf den Gedanken wäre ich aber nicht gekommen, wenn ich nicht vor Kurzem in einer Krimiserie von "Bones" die Folge "Der Fall der gerittenen Leiche" gesehen hätte. Da ging es um eben solche Rollenspiele.
Aber macht man solche schon in dem jungen Alter, in dem Proust sich befindet? Wenn man noch auf der Suche nach der eigenen Sexualität ist? Oder ist das nicht eher etwas, was man tut, wenn man schon "normale" Erfahrungen, seien es heterosexuelle, homosexuelle oder bisexuelle, gesammelt hat?
Aber vielleicht liege ich ja auch ganz falsch, und es hat etwas mit einem Theaterspiel oder mit Literatur zu tun, aus dem ich nicht schlau werde. In den Fußnoten war jedenfalls auch keine erläuternde Erklärung zu finden.

Liebe Anne,
ich finde deinen Beitrag sehr spannend. Wir werden nie die ganze Wahrheit erfahren, aber es ist durchaus erlaubt, über Gedanken und Assoziationen zu sprechen, die uns bei den Briefen kommen. Nichts anderes tut Marcel Proust ja auch. Und es ist schön, dass wir uns ergänzen, denn hier wäre ich ratlos geblieben, wäre dein Einwand nicht gewesen. Und dies mit den Rollenspielen kann durchaus möglich sein, da Proust in der Kunst alles schon ausprobiert hat, auch im Bereich des Theaters.

Deshalb dürfen wir weiterhin gespannt hoffen, was uns die nächsten Briefe offenbaren werden und was sie in uns innerlich auslösen.

Nachtrag; die sexuelle Anspielung über  das Pony lässt sich besser verstehen, wenn man weiß, wer Reynaldo Hahn ist, und bin dabei auf ein interessantes Buch gestoßen, das auf www.perlentaucher.de gepostet ist. Das Buch heißt:


Der Briefwechsel mit Reynaldo Hahn


Reynaldo Hahn ist drei Jahre jünger als Marcel Proust, ist Jahrgang 1874 und hat bis 1947 gelebt. Er ist 73 Jahre alt geworden. Viel älter als Proust. Aus dem Klappentext dieses Buches geht hervor, dass Reynaldo Hahn von Beruf Komponist war. Mit Proust soll er lebrnslang befreundet und zeitweise auch sein Geliebter gewesen sein. Sie lernten sich auf einer musikalischen Soiree kennen, und beide fühlten sich sofort zueinander hingezogen. 

Weiteres ist hier aus dem Klappentext zu entnehmen. Bitte runterscrollen.

Wir werden also noch öfters mit Reynaldo zu tun bekommen. 

______________
Unser aller Schicksale sind vermutlich geschaffen, 
um gelebt, nicht aber um verstanden zu werden.
(Marcel Proust)

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Sonntag, 23. Juni 2019

Berufliche Neuorientierung / Selbstfindungsphase

Seite 152 – 162  

Auf den folgenden zehn Seiten strebt der junge Marcel Proust unter dem Druck seiner Eltern eine berufliche Laufbahn an. Ein Dilemma, wie man es schon von verschiedenen anderen Künstlern her kennt. Die Schriftstellerei als Existenzsicherung scheint für Prousts Vater zu ungewiss zu sein. Schreiben als Hobby neben einem anderen Beruf ist durchaus machbar. Aber Proust schreibt nicht zum reinen Vergnügen, sondern professionell. Profession bedeutet in meinen Augen, einen ganzen Arbeitstag mit dem Schreiben zu verbringen. Damit ist nicht nur das Schreiben impliziert, sondern auch die Zeit, die er auf der Suche nach seinem Stoff noch zusätzlich benötigt. Wo soll da noch Zeit sein, einem anderen Beruf nachzugehen? Ich denke dabei auch an die vielen Profimusiker, die Virtuosen unter uns, die täglich mindestens acht Stunden mit Übungen zubringen, wie ich mir von echten Profis habe sagen lassen. Ein Laie übt wahrscheinlich nicht einmal eine Stunde am Tag.

Proust sucht verzweifelt nach Kompromissen, später nach einer patenten Lösung.

September 1892, 22 Jahre
Brief an Robert de Billy

Er schreibt in dem Brief an seinen Freund Robert de Billy, spricht sich in dem Brief aus, dass er in der allergrößten Verlegenheit stecken würde, da er auf den Druck seines Vaters sich für eine berufliche Laufbahn entscheiden müsse. Durch Anraten seines Vaters strebt Proust eine Beamtenlaufbahn zwischen dem Rechnungshof und dem Dienst im Außenministerium in Paris an. Aber beides empfindet Proust als eine >>geisttötende Laufbahn<<. Obwohl Proust Jura studiert hat, und er sein Lizenziat im Oktober 1893 bestanden hat, drängte sein Vater auf eine zügige Berufswahl. Im Folgenden zeigt Proust dem Freund seine innere Not, für die sein Vater wenig Verständnis aufzubringen scheint. Ich zitiere folgende Textstelle, da ich so sehr mit Proust mitfühlen kann:
Ach, mein Freund, mehr denn je wäre mir Ihr Rat hier teuer, und ich leide sehr unter ihrer Abwesenheit. Möge sie doch ein schöner Brief durch das allmächtige Wunder der kommunizierenden Geister aufheben. – Genießt die höhere Verwaltungslaufbahn nicht zu wenig Ansehen? Was bleibt da noch, wo ich entschlossen bin, weder Anwalt zu werden noch Arzt, noch Priester, noch -, (154).

Ende September 1893 schreibt Proust diesbezüglich an den Vater …

… und bittet indirekt erneut darum, seine Studien in Philosophie und in der Literatur weiter fortsetzen zu dürfen, worauf der Vater sich in Schweigen hüllte. Aber Proust ist nachgiebig, zeigt sich weder motzig, noch rebellisch dem Vater gegenüber und sucht nach einer Lösung, mit der beide gut leben können.
Mon cher petit Papa,ich habe immer gehofft, deine Erlaubnis für die Fortsetzung der literarischen und philosophischen Studien zu erhalten, für die ich mich geschaffen glaube. Aber da ich sehe, dass mit jedem Jahr nichts weiter als eine immer aufs Praktische gerichtete Disziplin auf mich zukommt, will ich mich lieber gleich für eine dieser praktischen Laufbahn entscheiden, die du mir vorschlugst. Ich werde ernstlich darangehen, ganz nach Deiner Wahl, die Aufnahmeprüfung für den diplomatischen Dienst oder für die École nationale des Chartes vorzubereiten. (155)

Aus der Fußnote ist zu entnehmen, dass die École national … die Schüler auf einen höheren Dienst für Bibliotheken, Archiven und Museen vorbereitet.
Was die Anwaltskanzlei angeht, so würde ich noch tausend Mal lieber bei einem Wechselmakler anfangen. Du kannst übrigens sicher sein, dass ich es dort keine drei Tage aushalten würde! Es ist nicht so, dass ich nach wie vor alles außer der Beschäftigung mit Literatur und Philosophie für verlorene Zeit hielte. Aber unter mehreren Übeln gibt es kleinere und größere. Ich habe mir, selbst in den Tagen meiner größten Verzweiflung, nie etwas Furchtbareres als eine Anwaltskanzlei vorstellen können. Der Botschaftsdienst, der mir jene ersparen würde, scheint mir zwar nicht meine Berufung zu sein, aber ein Ausweg. (155f)

Auf der Seite 152 schreibt Proust weiterhin an Robert de Billy. Zur Erinnerung; Proust lernte de Billy im Militärdienst kennen. Sie waren beide in Orléans stationiert. Proust verbrachte nur ein Jahr beim Militär, danach kehrte er nach Hause zurück, um zu schreiben. Dadurch, dass Proust Asthmatiker war, war es leicht, vom Militärdienst befreit zu werden.

Auf den folgenden Seiten findet Proust noch andere Autoritäten, mit denen er über seine Zukunft spricht, da er noch immer nach Auswegen sucht, auch wenn er ernsthaft bemüht ist, es seinem Vater recht zu machen.

Im November 1893 schreibt er an Charles Grandjean und bittet um seinen Rat. Das bedeutet, er ist noch immer auf der Suche, seinen Beruf zu finden, aber wie es scheint, findet er nur in den hoch geistigen Künsten seine berufliche Heimat. Würde er sich für die Beamtenlaufbahn im Rechnungshof entscheiden, so müsse er dort schätzungsweise nach zweijähriger Vorbereitungszeit eine Aufnahmeprüfung ablegen, von der Proust schon jetzt weiß, dass er die Prüfung nicht bestehen werde. Allerdings sucht Proust eine unentgeltliche Anstellung im Museum, um über Umwegen doch in der École de Chartes ein Lizenziat in Literatur ablegen zu können.
 Während dieser Zeit könnte ich, wenn ich feststelle, dass es mir dort gefällt, ganz nach Ihrem Belieben die École des Chartes, ein Lizenziat in Literatur, die École du Louvre oder ganz einfach persönliche Arbeiten vorbereiten – und zwar dergestalt, dass daraus eine Laufbahn für die Zukunft wird, und in Erwartung des noblen und diskreten Rahmens einer Existenz, die ich durch das Studium schöner Dinge zu inspirieren und zu veredeln versuchen würde. (157)

Weitere Details sind den Briefen zu entnehmen.

Mit dem richtigen Beruf versucht Proust, einen Lebenssinn zu bestimmen, ohne das Gefühl zu bekommen, in Zukunft sein Leben vertan zu haben. Doch er ist ambivalent, er weiß nicht so recht, wie er seine beruflichen Pläne umsetzen soll, solange ihm die Unterstützung seines Vaters fehlt. Weiter schreibt er um Rat bittend an Grandjean:
Aber ach, Ihr wunderbarer kritischer Geist wird auch diesen neuen Ballon zerplatzen lassen – oder sagen wir, ich freue mich darüber, denn Sie verscheuchen für mich die Trugbilder, die das Gefährlichste überhaupt sind, und ersparen mir auf diese Weise grausame Enttäuschungen. (158)

Er weiß, dass die Jugend vorbei ist und somit der Ernst des Lebens beginnt.
Da es früher oder später nicht mehr reicht, sein Leben zu erträumen, sondern man es leben muss, hätte ich große Enttäuschungen zu gewärtigen – die größte wäre die, sein Leben vertan zu haben -, wenn Ihre Erfahrung und Ihre Intuition meinem allzu phantasievollen und zu unwissenden guten Willen nicht zur Vorsicht rieten. (Ebeda)

Ich erlebe diese Briefe als einen stillen Hilferuf. Still deshalb, weil Proust diplomatisch bleibt und auch seinen Vater nicht beschimpft. Er schwankt zwischen den Erwartungen und den Forderungen seines Vaters, und zwischen seinen eigenen Plänen, die auch aus seiner Sicht tatsächlich scheitern könnten. Was ist, wenn der Vater recht hat, und alle seine beruflichen Pläne sich nicht so umsetzen lassen, wie er sich dies vorstellt?

Zum Schluss habe ich mich gefragt, weshalb Proust Jura studiert hat? Wurde er dazu gezwungen? Später geht aus den Briefen hervor, dass er weder Medizin, noch Theologie … studieren wollte, so blieb ihm wohl nur noch die Justiz. Aber eine Karriere als Anwalt lehnt Proust vehement ab.

Später bekommt er von den Agenturen mehrere Angebote gemacht, entscheidet sich aber letztendlich, auf seinem Museumsplan zu beharren. Da ich nicht alles verraten möchte, erspare ich mir weitere Details.

Damit es hier nicht nur um Prousts berufliche Pläne geht, sondern zur Abwechslung auch mal um begabte Frauen, möchte ich als letztes hierzu noch einen Beitrag leisten.

Proust befindet sich auf Reisen. Wahrscheinlich zur Erholung. Derzeit ist er mit seiner Mutter in Trouville. Trouville-sur-Mer ist ein kleines französisches Seebad mit 4642 Einwohnern. Zuvor verbrachte er drei Wochen in der Schweiz, St. Moritz, und eine Woche am Genfer See. Er hat von seinen Reiseeindrücken in der Zeitschrift Revue blanche geschrieben. Er ist wieder von einer Dame angetan, Madame Jameson, eine musische Künstlerin, eine Pianistin, zu der sich Proust hingezogen fühlt. Er schreibt seinem Freund Robert de Billy, um über die Pianistin Auskunft zu erlangen, da der Freund diese Dame kennen würde. Proust schreibt, dass er sich schon bei Madame Straus erkundigt habe, bestätigte, dass Madame Jameson … 
… >recht patent ist, die Wohnung gut aufräumt, und überall schrubbt< (was sehr geistreich ist, aber meiner Ansicht nach eher auf andere Anwendung findet als auf diejenige, dich ich für eine so große Musikerin halte< und auf eine antikünstlerische und abscheuliche Weise spielt. (153)

Madame Straus scheint wohl gar nichts von den Künsten Jameson zu halten, drückt es aber eher in versteckter Weise aus, was Proust ein wenig irritiert, weshalb er eine andere Meinung sich bei dem Freund einholen möchte. Man weiß nicht mit Bestimmtheit, wie Madame Straus auf Talente anderer Damen tickt. Vielleicht empfindet sie einfach nur Neid. Madame Jamesons Herkunft stammt nicht aus der gehobenen Gesellschaft, weshalb Proust seinen Freund hierbei um Nachsicht bittet, da sie weder Herzogin noch Prinzessin und nur Protestantin sei. Vielleicht hat Madame Straus die Pianistin auch deshalb abgewertet bzw. sie auf das Können ihrer Hausarbeit reduziert, weil sie keinem Adel angehört. Sehr geistreich scheint Madame Straus aber auch nicht zu sein. Diese wenig geistreichen Menschen treten gehäuft aber auch in der Recherche auf. Sie sind mir nicht neu.

Telefongespräch mit Anne:
Erneut haben Anne und ich unsere Leseeindrücke teilen können. Ja, Proust wird jetzt erwachsen und er spürt deutlich, dass sich seine Jugend und seine Träumereien so langsam dem Ende neigen. Trotzdem sind wir gespannt, wie es weitergehen wird, denn, dass er weiterschreiben wird, das wissen wir schon durch seine siebenbändigen Recherchen. Den letzten Band hat er kurz vor seinem Tod noch beenden können. Anne meinte, dass man neben dem Beruf sich trotzdem noch mit Büchern befassen könne, und ich war der Meinung, dass Proust sich mit Literatur als Hobby nicht begnügen wolle. Er wollte ganz frei sein für sein Schreiben, und so war er nicht bereit, dieses mit einem anderen Beruf zu teilen. Dazu habe ich oben schon einiges geschrieben. Interessant fand ich, dass Anne, die meine Buchbesprechung noch gar nicht gelesen hat, da ich noch am Werkeln bin, dieselben Gedanken und Ideen wie ich geäußert hat.

Ich weiß noch aus der Biografie, dass Proust die meiste Zeit seines Lebens im Bett zugebracht hat, weil er sehr krank war. Eine große Karriere, wie der Vater sie für ihn bestimmt hat, wird er dadurch nicht machen können.

Des Weiteren haben wir uns über den Briefpartner Robert de Billy ausgetauscht, da ich ihn total verdrängt hatte. Ich wusste nicht mehr, wer er war. Aus Annes Namensliste geht hervor, dass dieser Mensch nur Prousts Briefpartner war. Mehr ist aus der Fußnote nicht hervorgegangen. Ich wurde schließlich auf einer französischsprachigen Proust – Seite fündig. Weitere Erklärung sind oben im Text hinterlegt.

Wir sind beide auf nächstes Wochenende gespannt. Wir sind neugierig, wie bzw. ob Proust aus seiner Bedrängnis herausfinden wird, ohne es sich mit dem Vater zu verscherzen. Aber Ewachsenwerden bedeutet auch, sich gegen die elterlichen Erwartungen auflehnen zu können, auch wenn hier eine finanzielle Abhägnigkeit besteht.
____________
Das Herz hat Gründe,
die der Verstand nicht kennt.
(Marcel Proust)

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Sonntag, 16. Juni 2019

Briefkontakt mit Robert de Montesquiou

Seite 142 – 152    

Auf den folgenden zehn Seiten beginnen die Briefe nun richtig schwierig zu werden, da es hier ausschließlich um Literaturgespräche geht, was zwar spannend ist, aber vieles ist für uns schwer vorstellbar. Einfacher wird es, wenn das Zwischenmenschliche zwischen Proust und seinen Zeitgenossen auch eine Rolle spielt. Aber es macht mir großen Spaß, mich mit dem Gelesenen schriftlich zu befassen und mich mit Anne auszutauschen. Aber man merkt ganz deutlich, wie Prousts Leben aus der Literatur heraus sprießt. Sein Leben ist Literatur. Und Literatur ist sein Leben. 

25.06.1893, noch ist hier Proust 21 Jahre alt

Der Brief geht an Robert de Montesquiou, *07.03.1855 in Paris, gest. 11.12.1921 in Menton (süd-osten Frankreich)
Montesquiou hat zu dieser Zeit zwei Lyrikbände geschrieben, wovon der zweite Le Chef des odeurs sauaves erst im Januar 1894 erscheinen sollte. Der erste Gedichtband Les Chauves – Souris, wurde 1892 verlegt. Proust ist ganz hin- und weg von den Gedichten, die recht blumige Bilder darstellen, weil sie auch blumig geschrieben sind, wobei dies sicher Naturbetrachtungen sind. Viele Gedichte aus der Natur, so schwärmt Proust mit folgenden Worten:
Seit heute Morgen liege ich auf dieser Sternenweide und bewundere diesen Blütenhimmel, und ich bin bezaubert von all diesen Düften, berauscht von all dieser Klarheit, und wie die Lotophagen (Lotosesser, Anm. M. P.) habe ich keinen Gedanken mehr an eine Rückkehr und wünsche auch nicht, dass es eine solche gebe.

Total trunken ist Proust von den Gedichten Montesquious aus dem zweiten Gedichtband. Er sieht die Natur geistig vor sich, als würde er mitten auf einer Wiese liegen. Das finde ich genial, wie sehr er die Gedichte inhaliert, als seien sie eine Droge. In der Natur findet Proust das Göttliche …
Aber für alles, was nicht Gegenstand des Denkens ist – denn die göttliche Vernunft, die solches erfasst, ist frei von Zeit, Raum und Bezügen -, für alles, was vollkommen geheimnisvoll wie die Musik oder der Glaube, finden sich hier (…) Verse, die es erahnen lassen und es offenbaren, in dem sie es verkörpern. (143)

Wow, wie schön sich mir dieses proustische Bild vor Augen offenbart. Ich kann mir so gut vorstellen, wie Proust sich von diesen wundervollen Gedichten verzaubern lässt. Proust bittet um ein Foto des Dichters. Platonische Liebe?
Das sind nur kleine Ausschnitte, dich ich hier beschrieben habe. Weitere Gedanken zu den Gedichten sind dem Buch zu entnehmen.

Anfang Juli 1893 korrespondiert Prost erneut mit Montesquiou. Gesprächsgegenstand sind nicht nur die Gedichte, sondern hier geht es zur Abwechslung mal wieder um eine bestimmte Frau. Ein brisantes Thema, denn auch hier scheint Proust vor Rätseln zu stehen. Viel mehr vergleicht Proust die Schönheit dieser Frau mit den Gedichten des Dichters. Die Dame, um die es hier geht, ist die Comtesse de Greffulhe, geb. 04.Juli 1860, gest. 21.08.1952. Die Dame habe auf Proust einen großen Eindruck hinterlassen, und so bittet er den Dichter, ihm der Dame ausrichten zu lassen, wie sehr er sie bewundert habe, da Montesquiou öfters mit dieser Dame zu tun bekommen würde. Aber mir war nicht klar, in welcher Verbindung Montesquiou zu ihr stand. Dies wird sich später klären, siehe am Ende unter Telefongespräch mit Anne.
Sie trug eine Frisur von polynesicher Anmut, und malfarbene Orchideen fielen ihr bis in den Nacken wie die >Blumenhüte<, von denen Renan spricht. Sie ist schwer zu beurteilen, wahrscheinlich, weil beurteilen vergleichen heißt und nichts an ihr auszumachen ist, was man weder bei einer anderen noch irgendwo sonst hätte sein können. Doch das ganze Mysterium ihrer Schönheit liegt im Glanz, vor allem im Rätsel ihrer Augen. Nie habe ich eine so schöne Frau gesehen. Ich habe nicht dazu gebeten, ihr vorgestellt zu werden, und werde nicht einmal Sie darum bitten, denn außer der Aufdringlichkeit, die darin liegen könnte, würde ich, wie mir scheint, eine eher schmerzhafte Verwirrung empfinden, wenn ich mit ihr zu sprechen hätte. Aber es wäre mir lieb, sie würde von dem großen Eindruck hören, den sie auf mich gemacht hat, (…) . Ich hoffe, Ihnen weniger zu missfallen, indem ich diejenige bewundere, die Sie über alles bewundern und die ich von nun an nach Ihnen, Ihnen gemäß (…) >in Ihnen< bewundern werde. (145f.)

Dass die Augen das Fenster zur Seele sind, ist bekannt, und dies nicht nur bei den Augen einer Frau.
Auch hier idealisiert Proust sowohl den Dichter als auch die Comtesse, und er hofft insgeheim, der Dichter würde sie ihm vorstellen. Er unterzeichnet mit Ihr respektvoller Bewunderer … .

In einem weiteren Brief vergleicht Proust Montesquiou mit dem Dichter Charles Baudelaire, geb. 09.04.1821 in Paris, gest. 31.08.1867 ebenda. Proust ist der Meinung, dass beide Dichter gut in die Zeit des 17. Jahrhunderts passen würden. Er erwähnt hierbei Verse von Maxime und Corneille. Aber welchen Maxime und welchen Corneille er meint, entzieht sich völlig meiner Kenntnis. Von Charles Baudlaire besitze ich einen Gedichtband von Die Blumen des Bösen. Habe ich vor vielen, vielen Jahren von einem Freund geschenkt bekommen.

04. August 1893, 22 Jahre
Schreibt Proust wieder an Daniel Halévy
Proust, Halévy, Gregh und de la Salle planen gemeinsam, ein Scheibprojekt in Form eines Briefromans. Inspiriert sind sie durch das Vorbild Theophile Gautier (u. a. m.), s. Fußnote 1, Seite 148f. Proust bittet Daniel, längere Briefe zu schreiben, da seine Briefe zu kurz ausfallen würden.
Sie alle schreiben unter einem Pseudonym. Proust bittet alle Teilnehmer, die Briefe gut aufzubewahren, um sie später in der Reihenfolge nochmals lesen zu können. Aus der Fußnote 1, Seite 45, geht hervor, dass das Schreibprojekt gescheitert war.

Im September 1893 schreibt Proust Monsieur Natanson, das muss der Redakteur der Literaturzeitschrift Revue Blanche sein, und bittet ihn, ein paar Gedanken zu dem neuen Gedichtband zu Montesquiou zu schreiben, bevor er im folgenden Jahr veröffentlicht werde. Proust selbst hat eine Novelle geschrieben, Mélancolique …, siehe Fußnote Seite 152.

Telefongespräch mit Anne, 16.06.2019
Uns ist beiden aufgefallen, dass selbst die Fußnoten, die eigentlich sehr umfangreich sind, Lücken aufweisen. Wir wussten beide nicht, wer denn die Dichter aus dem 17. Jahrhundert waren? Wer sind Maxime und Corneille? Ich hatte gegoogelt und es gab zig Maximes. Mit Corneille war ich erfolgreicher, denn es handelt sich um den Dichter Pierre Corneille, der 1606 in Rouen geboren und 1684 in Paris gestorben ist. Er war Dichter und Dramatiker.

Anne hat im Netz herausgefunden, dass Montesquiou homosexuell war, denn seine blumige, lyrische Sprache ließ sie stutzig werden. Aus den Briefen geht das noch nicht hervor, bin aber gespannt, ob diese Thematik später aus Prousts Feder noch fließen wird.

Und wir hatten beide den Eindruck, dass Proust Montesquiou idealisiert hatte, demgegenüber auch die Comtesse Gremfulhe, die nachweislich eine Cousine des Dichters gewesen ist. Leider ging diese Info weder aus Prousts Briefen, noch aus der Fußnote hervor. Das bedeutet, dass wir gezwungen sind, Nachforschungen zu betreiben, um die Briefe besser zu verstehen, was mit viel Arbeit verbunden ist.

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Das Herz hat Gründe,
die der Verstand nicht kennt.
(Marcel Proust)

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