Donnerstag, 4. April 2013

Erich Kästner / Fabian (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Das Buch habe ich gestern Abend zu Ende gelesen und es hat mir sehr gut gefallen. Ich bin in Kästner ganz aufgegangen. Kästner ist für mich ein Teil seiner Literaturfigur was die Charakterzüge betreffen, und der sich Jakob Fabian nennt. 

Auf jeder Seite gab es etwas anzustreichen. Viele Textstellen sind mit Witz geschrieben. In den Witzen steckt eine großes Potenzial an Absurdität. Die Zeit, aus der Kästner schrieb, Weihmacher Republik bis hin zum Nationalsozialismus, waren viele Handlungen im politischen und gesellschaftlichen System größenteils absurd, mit der Logik einfach nicht zu erklären. Wie kann man sonst eine solche Zeit verstehen und ertragen wenn nicht mit Humor?

Jakob Fabian, knapp über 30, zündet sich in einer Kneipe sitzend eilig eine Zigarette an und rief den Kellner:
"Womit kann ich dienen?" fragte er. 
"Antworten Sie mir auf meine Frage." 
" Bitte schön."
"Soll ich hingehen oder nicht?"
" Wohin meinen der Herr?"
" Sie sollen nicht fragen. Sie sollen antworten. Soll ich hingehen oder nicht?" Der Kellner kratzte sich unsicher hinter den Ohren. Dann trat er von einem Plattfuß auf den andern und meinte verlegen: "Das Beste wird sein, Sie gehen nicht hin. Sicher ist sicher, mein Herr".
Fabian nickte. "Gut. Ich werde hingehen. Zahlen."
" Aber ich habe Ihnen doch abgeraten?"
" Deshalb geh ich ja hin! Bitte zahlen"
" Wenn ich zugeraten hätte, wären Sie nicht gegangen?"
" Dann auch. Bitte zahlen!"
" Das verstehe ich nicht", erklärte der Kellner ärgerlich."Warum haben Sie mich dann überhaupt gefragt?"
"Wenn ich das wüsste", antwortete Fabian. (11f)
Ich stehe auf diese Form von Humor.

Fabian verarscht total den Kleinbürger und den Spießer seiner Zeit. Brachte mich oft zum lachen, obwohl es recht ernst gemeint war.

In dem Buch steckt nicht nur eine große Portion Humor, nein, sondern auch viel Menschlichkeit, wofür Kästner eigentlich auch bekannt ist. In dem Buch ergreift er Partei für die Mitglieder einer Randgesellschaft. Ein Obdachloser, ehemals Bankangestellter, betritt die Kneipe, wird aber von dem Kneipenbesitzer sofort aufgefordert wieder zu gehen. Jakob Fabian setzt sich für ihn ein, und sorgt dafür, dass er bleibt.

Fabian lädt ihn an seinen Tisch ein. Daraufhin der Obdachlose:
"Das geht nicht! Man wird mich vom Tisch wegholen und mich hinausschmeißen."
"Das wird man nicht tun! Nehmen Sie sich zusammen! Bloß, weil Ihr Jackett geflickt ist und weil Ihnen der Magen knurrt, wagen Sie nicht, richtig auf dem Stuhl zu sitzen. Sie sind ja selber mitschuldig, dass man Sie nirgends durch die Tür lässt. (…)" Was sind Sie von Beruf?"
"Bankangestellter, wenn ich mich recht entsinne. Im Gefängnis war ich auch schon. Gott, man sieht sich eben um. Das einzige, was ich noch nicht erlebt habe, ist der Selbstmord. Aber das lässt sich nachholen". Der Mann saß auf der Stuhlkante und hielt die Hände zitternd vor den Westenausschnitt, um das dreckige Hemd zu verbergen. (28)
Das einzige, was ich noch nicht erlebt habe, ist der Selbstmord. Makaber.

Zu dieser Zeit konnte jeder Mensch von heute auf morgen arbeitslos werden.

Fabian bekommt ein Zwischenspiel in einem Kaufhaus mit, indem ein kleines Mädchen beim Diebstahl erwischt wird und der Abteilungschef das Kind zum Direkter zerren wollte. Fabian setzt sich auch hier ein, hier für das Kind, und er sich bei ihm erkundigt, weshalb es den Aschenbecher gestohlen habe und erfährt dabei, dass der Aschenbecher das Geburtstagsgeschenk für den Vater sein sollte. Es ging hin und her, dem Abteilungsleiter war es angeblich sehr wichtig, das Kind dem Direkter vorzustellen… Schließlich setzte sich Fabian durch und kaufte den Aschenbecher und schenkte ihn dem Mädchen. Ein echter Pädagoge.

Kästner bricht in dem Buch auch sämtliche Tabus. Ein Beispiel von mehreren ist die Kinderprostitution:
Ein älterer Herr fand in dem Zimmer, das er zu Vergnügungszwecken betrat, zwar, wie er erwartet hatte, ein 16 jähriges entkleidetes Mädchen vor, aber es war leider seine Tochter, und das hatte er nicht erwartet…
Auf Seite 107 fasst Kästner alle Probleme dieser Zeit zusammen:
"Soweit diese riesige Stadt Berlin aus Stein besteht, ist sie fast noch wie einst. Hinsichtlich der Bewohner gleicht  sie  längst einem Irrenhaus. Im Osten residiert das Verbrechen, im Zentrum die Gaunerei, im Norden das Elend, im Westen die Unzucht, und in allen Himmelsrichtungen wohnt der Untergang."
" Und was kommt nach dem Untergang?"
Fabian pflückte einen kleinen Zweig, der über ein Gitter hing, und gab zur Antwort: "Ich fürchte, die Dummheit." (107)
Das Zitat könnte ich noch weiter in die Länge ziehen. Breche es aber ab, und verweise auf das Buch.

Fabian ereilt dasselbe Schicksal wie vielen seiner Zeitgenossen. Er verliert seinen Job, wird arbeitslos und der Kollege, der bleiben durfte, hatte das Glück, dass er weniger qualifiziert war und dadurch auch weniger verdiente und er nur deshalb den Job behielt. Absurd ist dazu noch, dass sich viele Arbeitslose schuldig fühlen, und die Schuld eher bei sich suchen, statt im System. Sie schämen sich in der Gesellschaft, so auch Fabian, der seiner Mutter erst den Verlust seines Arbeitsplatzes verheimlichte, obwohl sich die Mutter ihm gegenüber immer recht gütig verhielt. Sie ist keine Person, vor der man Angst haben müsste. Die Mutter besuchte ihn eines Tages, blieb über Nacht und Fabian tat am nächsten Morgen so, als würde er zur Arbeit gehen. Er verließ das Haus wie jeden Morgen auch… . Interessante Szene.

Fabian trifft eines Tages seinen alten Schuldirektor, der sich erkundigte, was sein ehemaliger Schüler beruflich so mache:
"Arbeitslos?" fragte der Direktor streng." Ich hatte mehr von ihnen erwartet."
Fabian lachte. „Die Gerechten müssen viel leiden", erklärte er.
"Hätten Sie nur damals ihr Staatsexamen gemacht", sagte der Direktor. " Dann stünden Sie jetzt nicht ohne Beruf da." (…)" 
"Auch wenn ich ihn ausübte. Ich kann Ihnen verraten, dass die Menschheit mit Ausnahme der Pastoren und Pädagogen nicht mehr weiß, wo ihr der Kopf steht. Der Kompass ist kaputt, aber hier, in diesem Haus, merkt das niemand. Ihr fahrt nach wie vor in eurem Lift rauf und runter, von der Sexta bis zur Prima, wozu braucht ihr  einen Kompass?"
Der Direktor schob die Hände unter die Flügel seines Gehrocks und sagte: "Ich bin entsetzt. Es gäbe keine Aufgabe für Sie? Gehen Sie und bilden Sie Ihren Charakter, junger Mensch! Wozu haben wir Geschichte geschrieben? Wozu haben wir die Klassiker gelesen? Runden Sie Ihre Persönlichkeit ab!" (233f)
Geschichte geschrieben, Klassiker gelesen, zeigt, wie viel der Direktor von seiner Bildung, die er anderen herangetragen hat, in seinem Leben wirklich umgesetzt hat? So gut wie gar nicht.

Am Schluss des Buches, vielmehr im beigefügten Anhang, entnehme ich ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit und das Recht auf Leben.
Im Dialog mit dem Direktor seines neuen Arbeitgebers, der erfährt, dass Fabian noch einem Nebenberuf nachgeht, regiert dieser völlig entsetzt:
"Sie, Sie haben einen Nebenberuf? Dachte ich mir doch! Was tun Sie denn?"
"Ich lebe", sagte Fabian.
"Leben nennen Sie das?" Schrie der Direktor." In Tanzsälen treiben Sie sich rum! Leben nennen Sie das? Sie haben ja keinen Respekt vorm Leben!"
„Nur vor meinem Leben nicht, mein Herr!" rief Fabian und schlug ärgerlich auf den Tisch."Aber das verstehen Sie nicht, und das geht Sie nichts an! Es besitzt nicht jeder die Geschmacklosigkeit, die Tippfräuleins über den Schreibtisch zu legen. Verstehen Sie das?" (259f)
Ich mache nun hier Schluss, habe viele Textstellen unerwähnt gelassen, um nicht zu viel aus dem Urprungstext herauszuschneiden. Wer sich von dem Inhalt angesprochen fühlt, so verweise ich diese auf das Buch.
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 „Wo viel Liebe ist, kann sich das Böse nicht verbreiten“
         (Aus der Zauberflöte, Mozart)

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