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Donnerstag, 24. September 2015

Maarten `t Hart / Die Sonnenuhr (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Dieser Krimi, der alles andere als blutrünstig ist, hat mir recht gut gefallen. Ich wusste gar nicht, dass Maarten ´t Hart Krimis schreibt. Es hat mich nun neugierig gestimmt, welches Genre er in seinen anderen Bänden behandelt.

Da dies ein Krimi ist, darf man keine Zeile zu viel erzählen, weshalb ich mich hier recht kurz halten werde.
Interessant fand ich die Persönlichkeit der Protagonistin namens Leonie Kuyper, die, als ihre beste Freundin Roos stirbt, in deren Identität schlüpft. Leonie bezeichnet es selbst als das große Verlangen, in Roos´ Haut zu kriechen.

In die andere Haut zu kriechen fand ich bildlich gesehen total schön ausgedrückt.

 Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Leonie Kuyper führt ein bescheidenes Leben als Übersetzerin – bis ihre beste Freundin Roos, die Laborantin mit den knallroten, superlangen Fingernägeln, an einem Sonnenstich stirbt. Roos hat sie zur Alleinerbin bestimmt, allerdings unter einer Bedingung: dass sie für die drei geliebten Katzen sorgt und in ihr Apartment zieht! Als Leonie sich auf diesen Deal einlässt, entdeckt sie nach und nach verwirrende Geheimnisse im Leben ihrer Freundin. Maarten ’t Hart, der große Erzähler und Meister witziger Dialoge, hat einen komischen und höchst spannenden Roman geschrieben. 
Roos war eine recht exzentrische Natur, die ziemlich lange und farbige Fingernägel trug, und später erwiesen sich diese für mich als Leserin als ihre potentielle Waffen. Roos spürte, dass sie nicht mehr lange leben würde und rechnete mit einem Feind, der sie zu töten beabsichtigt. Roos lebt trotz ihrer Attraktivität partnerlos. Sie besitzt drei Katzen, die sie im schlimmsten Fall versorgt wissen möchte. Roos trifft, wie schon aus dem Klappentext zu entnehmen ist, alle notwendigen Vorkehrungen.

Ihr Umfeld fand ihre Fingernägel so ziemlich ordinär. Aber diese Form von Fingernägeln galten so für mich als das Markenzeichen Roos´ schlechthin. Immer wieder wird Roos mit der Frage konfrontiert:
>>Warum denn nur diese Nägel?<<
>>Weil ich es schön finde.<<
>>Schön? Ist es nicht einen kleinen Tick ordinär?<< (…)
>>Was ordinär oder vulgär ist, musst du nicht meiden, auch das hat einen Platz im Leben.<< 
In dem Stück lassen sich noch mehr Weisheiten finden, wie z. B. was man unter Glück verstehen kann. Aus Leonies und Roos´Sicht:
Wo Gunst ungleich verteilt ist, scheint Missgunst unabwendbar. Jemand wie ich ist nicht für das Glück geboren. Warum, weiß ich nicht. Früher habe ich mehr darunter gelitten als heute. Alles Glück verkehrt sich so schnell in Kummer. Fehlt dir Glück, dann ersparst du dir Leid. Bei Gewinn droht Verlust. Gewinnst du nicht, kannst du nichts verlieren. 
Alles andere lest selbst.

Mein Fazit     
                               
Dieses Buch ist eher nicht für KrimileserInnen geeignet, die sehr viel Spannung und Action gewohnt sind.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten …
  
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Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha Christie)

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Montag, 16. Februar 2015

Maarten ´t Hart / Das Paradies liegt hinter mir (1)

 Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Habe die Autobiografie soeben beendet und sie hat mir recht gut gefallen.

Viele für mich interessante Zitate habe ich mir angestrichen, und werde schauen, ob ich sie alle hier einbauen kann. Bevor der Autor über seine Kindheit spricht, erfährt man über die große Anzahl seiner Namensvettern Maarten `t Hart. Erfreut ist er darüber nicht, denn dieser Maarten ´t Hart wäre lieber eine Persönlichkeit, die anderen nicht gleicht, und wenn es auch nur der Name ist. Doch eine Persönlichkeit wie keine andere ist er trotzdem allemal geworden …

Gleich auf der ersten Seite bin ich auf ein sehr schönes Zitat gestoßen, in dem vom Autor Friedrich Nietzsche zitiert wird:
Man muss also gewissen Menschen ihr Alleinsein gönnen und nicht so albern sein, wie es häufig geschieht, sie deswegen zu bedauern.
Dieses Zitat spricht mir aus der Seele, was mein Leben betrifft, und so wurde ich neugierig, was dieses Zitat mit dem Autor selbst zu tun hat.
Maarten ´t Hart ist ein Mensch, der keinesfalls mit der Masse schwimmt. Er ist gern mit sich alleine, um zu lesen und um seinen Gedanken nachzugehen. Er lehnt alles ab, was mit Gesellschaften zu tun hat, wie z.B. Vereine, Studentenvereinigungen und anderes mehr. Auf der Seite 226 erhält man die Antwort, die zu Nietzsches Zitat passt:
Während der Infotage an der Universität hörte ich die Worte >>Persönlichkeitsbildung<< und >>Vereinsamung<< immer wieder. Wer nicht bei einer Studentenvereinigung mitmache, vereinsame hoffnungslos, erklärte mir ein Vorsitzender nach dem anderen. Nun, hoffnungslos zu vereinsamen schien mir so ziemlich das Angenehmste zu sein, was einem Menschen widerfahren konnte. Vor allem, wenn man bedachte, was man in der Vereinigung so zu tun hoffte, und dieser hoffnungslosen Vereinsamung zu entgehen. (…). Tief im Herzen wusste ich ganz genau, dass es die seltsam hartnäckige Neigung der Menschen, sich in Gruppen zu organisieren und zusammenzutun, einzig und allein gab, weil alle Angst vor dem Alleinsein hatten. Niemand will der Tatsache ins Auge sehen, dass die menschliche Seele unheilbar einsam ist, und nur deshalb klumpt man zusammen, hockt beieinander, versucht, jede Gelegenheit zu ergreifen, um - in welchem Zusammenhang auch immer - beim Genuss von Speis und Trank miteinander zu schwätzen, zu plaudern und zu albern. Ich hatte jedoch entdeckt, dass die besten Stunden meines Lebens die gewesen waren, in denen ich ganz allein die Maaskant entlangspazierte; ich wusste, dass man, wenn man die schlichte Tatsache unserer unheilbaren Einsamkeit einfach akzeptierte, daraus eine göttliche Kraft zur Zufriedenheit entwickeln konnte.
Die Autobiografie behandelt die Kindheit, Jugend und frühes Erwachsenenalter. Auf den ersten Seiten lernt man den kleinen, vierjährigen Maarten ´t Hart kennen, der für den Kindergarten angemeldet war und der darauf bestand, am ersten Tag nicht von der Mutter dorthin begleitet zu werden. Der kleine Maarten schaffte es tatsächlich, sich alleine auf den Weg zu machen und ist dort heil angekommen. Natürlich blieb die Mutter unauffällig im Hintergrund.

Als Nächstes erzählt der Autor über seine frühen Schuljahre, gerade die ersten beiden Jahre wären nicht gerade freundlich verlaufen.

Er hatte eine biestische Lehrerin, die versuchte, Maarten körperlich und geistig zu züchtigen. Er musste sich des Öfteren aus nichtigen Gründen sinnlose Gewalttaten über sich ergehen lassen. Maarten wendet sich an den Vater, der sich für seinen Jungen einzusetzen wusste, was mich sehr berührt hatte:
Wenn du meinen Sohn noch ein einziges Mal mit dem Lineal schlägst, dann verprügele ich dich mit diesem Stemmeisen.
Im darauffolgenden Grundschulljahr wurde seine Lehrerin von einem Lehrer abgelöst, der einen sehr guten Draht zu dem Musterschüler Maarten hatte.
Auch Maarten entwickelte eine gewisse Zuneigung zu dem Lehrer, indem er sich in ihn verliebte:
Ich liebte ihn, wie ich noch nie zuvor jemanden geliebt hatte. Augenblicklich lernte ich auch ein mir damals noch rätselhaftes Phänomen kennen: dass ich nämlich meine Liebe zu ihm nur äußern konnte, indem ich ihn quälte. Dass wahre Liebe gehässig ist und zum Quälen neigt, wurde mir erst viel später bewusst. (…) Aber ich versuchte sehr wohl, ihm das Leben so sauer wie möglich zu machen, obwohl ich genau wusste, dass er mich ebenso mochte wie ich ihn. Vom ersten Tag an nahm er mich vor meinen rachsüchtigen Klassenkameraden in Schutz.  
Ich erfuhr ein ähnliches Ereignis. Auch ich verliebte mich in der fünften Klasse in meine Klassenlehrerin, die es noch in den folgenden Schuljahren noch blieb, und der ich das Leben zu dieser Zeit recht schwer machte und erst später im Studium wurde mir bewusst, weshalb ich das tat und warum ich für diese Lehrerin eine tiefe Zuneigung empfand. Ich wollte nicht, dass sie die Gründe erfuhr, weshalb ich sie äußerlich so ablehnte. So ziemlich erstaunt bin ich von Maarten gewesen, als er von dieser Liebe berichtete. Ich dachte, dass nur mir so etwas passieren konnte. Nun bin ich doch sehr erleichtert zu lesen, dass ausgerechnet Maarten, eine sehr intelligente Persönlichkeit, ebenso von diesem Erlebnis ergriffen wurde und sogar in der Lage war, diese in seiner Autobiografie mitzuteilen. Doch nichts Peinliches? Manchmal wünschte ich mir allerdings, dass meine damalige Lehrerin den Grund erfahren würde, weshalb ich ihr das Leben im Unterricht so schwer machte.

Maarten kommt aus einem ärmlichen Elternhaus. Sein Vater war Totengräber von Beruf. Die Verwandten waren Bauern und Handwerker. Maarten war der einzige in seiner Klasse, der ein Gymnasium besuchte. In dieser Schule waren die Schüler recht gut betucht. Als Maarten sich mit einem Klassenkameraden angefreundet hatte, lud er diesen zu sich nach Hause ein. Der Klassenkamerad war ziemlich schockiert über die ärmliche Wohneinrichtung und über die einfache Lebensweise der ´t Harts.

Voller Abscheu äußerte er Maarten seine Frage:
„Hier wohnst du doch nicht etwa?“ Nach diesem ersten Besuch wollte er nichts mehr von mir wissen. Meinen Klassenkameraden erzählte er, ich sei ein Habenichts. Ich war verletzt und wagte es nie wieder, Freunde mit nach Hause zu nehmen. 
Maarten war ein Büchernarr. Jede freie Minute brachte er mit dem Lesen zu. Selten, dass er auf Menschen trifft, die seine Zuneigung zu Büchern mit ihm zu teilen vermochten. Nicht einmal unter den StudentInnen traf er Gleichgesinnte. Die StudentInnen seiner Zeit waren eher mit dem lustigen Studentenleben beschäftigt, das aus Feiern bestand und weniger mit dem Studium selbst.  Es klingt recht merkwürdig, wie die Professoren die Leistungen ihrer StudentInnen zensierten. Die Prüfungen erwiesen sich alles andere als seriös.

Für Maarten waren die Bücher auch aus dem Grund wichtig, weil sie ihm Lebenserfahrungen boten. Für einen anderen waren Bücher der belletristischen Sorte nur Gefühlsduseleien:
„Lebenserfahrung?", warf der andere ein. "Ach Mann, diese ganze Gefühlsduselei, das soll Lebenserfahrung sein? Nein, wenn du Lebenserfahrung willst, dann fahre zehn Jahre zur See."
„Wenn du meinst", sagte ich, "aber immerhin lernt man aus den Büchern, wie man mit Sprache umgeht, und man kann den guten Stil genießen."
"Den guten Stil?", sagte er, "ich habe gerade Vestdijik gelesen, und ich sage dir, der kann gar nicht schreiben, er versucht, alles so kompliziert wie möglich zu sagen, er hasst die Einfachheit und Klarheit schlichter Sprache. Guter Stil? Düsterer Stil, gediegener Stil, gekünstelter Stil willst du wohl sagen." 
So wie Marteen sich hier beschreibt, muss er ein Multitalent, ein Genie gewesen sein, nicht nur, was das Lesen an Büchern betraf, s. unten. Er war in der Lage, in seiner Freizeit geistig bis zu fünf Bücher am Tag zu verzehren:

Seine Mutter äußert sich recht besorgt über den Rückzug mit den Büchern:
"Du kannst doch nicht immer lesen", meinte sie, und da war ich durchaus ihrer Meinung.Wenn ich im Sommer an einem ganz normalen Ferientag morgens um sechs aufstand, hatte ich um neun bereits ein erstes Buch aus, um zwölf das zweite, um drei das dritte und noch vor dem Abendessen das fünfte. Für nach der Mahlzeit hatte ich mir da noch ein ordentlich dickes Buch mit rund vierhundert Seiten aufbewahrt, und das reichte so gerade bis zur Schlafenszeit. Aber fünf Bücher am Tag, davon wird man mit der Zeit doch ziemlich rammdösig. 
Fünf Bücher am Tag? Ich muss gestehen, das fällt mir schwer, zu glauben. Ich lese in drei Stunden ca. siebzig Seiten, da schafft Maarten ein ganzes Buch. Schwer vorstellbar. Ich könnte so viel auf einen Schlag geistig gar nicht wirklich verarbeiten.

Man erfährt auch ein wenig über Maartens Sicht zur Schriftstellerei. Maarten bezeichnet den Schriftsteller als jemand, der, verglichen zu anderen Berufen, am wenigsten beschäftigt ist. Auch diese Sichtweise stimmt mich kritisch:
Ein Schriftsteller ist jemand, der nur selten schreibt. Ich denke, es gibt keinen anderen Beruf, der einen am Tag so wenig beschäftigt ist. (…) Der merkwürdigste Aspekt des Schreibens ist, dass die Außenwelt alles tut, um den Schreibprozess zu unterbrechen. Nie ruft jemand an oder schickt einen Brief und teilt mit, er wünsche sich nichts mehr, als dass man weiter schreibe. Nein, man möchte etwas anderes als das Schreiben selbst: eine Lesung, ein Interview, eine Ausstellungseröffnung, eine Signierstunde, ausführliche Antworten auf Fragen wie >>haben Sie Mozart persönlich gekannt?<< oder >>Warum haben Sie das Buch Schwärmen für einen Regenbrachvogel geschrieben?<< Man könnte diese Dinge zur literarischen Arbeit zählen, würde man davon nicht immer wieder derart aus der Konzentration gerissen, dass eben diese literarische Arbeit behindert wird. 
Maarten schreibt über seine Erlebnisse mit eigenen Texten. Nur nach wenigen Zeilen bricht er das Schreiben ab, legt das Blatt in die Schublade, und lässt es für einen gewissen Zeitraum darin, damit der Stoff noch weiter in seinem Geiste reifen konnte. Kann man aber diese Art des Schreibens auf alle AutorInnen schließen? Es gibt durchaus Schriftsteller, die sehr wohl mit dem Schreiben über viele Stunden am Tag beschäftigt sind.

Ich komme nun so langsam zum Ende, habe mir viel über das Lesen … rausgeschrieben. Natürlich gibt es in der Autobiografie noch vieles Andere, wie z.B. die Glaubenssuche, damit verbunden das kritische Hinterfragen der verschiedenen Konfessionen der Christen und der Bibel. Politische Gedanken zum Nationalsozialismus bekommt man zu lesen.
Auch zu seinen Erfahrungen an der Universität im Fachbereich Biologie und Verhaltensforschung waren recht interessant, sowie seine starke Liebe zur Musik, weshalb ich t´Hart als Multitalent bezeichne. ´t Hart promovierte später, als er schließlich seine Karriere als Schriftsteller begann. Das alles und mehr lest selbst.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. 
_________
Die Welt ist eine Metapher
(H. Murakami)

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Mittwoch, 21. Mai 2014

Maarten ´t Hart / Das Wüten der ganzen Welt (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Ich fand das Buch recht interessant. Hat eine Menge gezeigt zu der niederländischen Gesellschaft aus dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit zu den späten 1950er Jahren.

Es ist ein Krimi, liest sich aber nicht unbedingt wie ein Krimi. Hat nämlich den Vorteil, dass sämtliche Ereignisse im Buch authentisch wirken und nicht so gekünstelt und gestelzt aufgebaut sind, wie ich sie aus einigen anderen Krimis kenne ...

Auffallend und interessant war für mich das Leben der gläubigen Menschen, das sich hier durch das ganze Buch hindurchzieht. Wie die Menschen damals ihren Glauben gelebt hatten, kenne ich eher aus dem Katholizismus. Ich entnehme dem Buch verschiedene Formen der Konfessionen. Damit meine ich nicht Protestanten und Katholiken. Nein, innerhalb der Protestanten gibt es noch andere Gruppierungen, wie z. B. die Reformierten und die Evangelischen und sich mir die Frage gestellt hat, ob denn nicht alle Protestanten durch Luther reformiert sind?
Der Protagonist und Icherzähler dieses Romans nennt sich Alexander Goudveyl, der als Einzelkind in einer etwas konservativen Familie aufwächst. Wie aus dem Kontext zu entnehmen ist, sind Alexanders Eltern recht einfache Leute. Zudem leben die bibelfesten Eltern streng gläubig, und der Sohn hinterfragt sehr oft die religiösen Theorien seiner Eltern.

Ich gebe noch einmal den Klappentext rein:
Maarten ’t Hart schildert in seinem Roman die kleine Welt eines südholländischen Städtchens. Dort, in der President Steynstraat, ist der Komponist Alexander Goudveyl als Sohn eines Lumpenhändlers aufgewachsen, großgezogen mit Gebeten und den alten Geschichten vom Krieg. 30 Jahre später erinnert er sich an diese Zeit, vor allem an den 22. Dezember 1956, einen regennassen Samstagnachmittag, an dem der Polizist Vroombout ermordet wurde.
Ein wenig perfide zeigten sich Alexanders Eltern anderen Menschen gegenüber, die über eine andere Lebensweise verfügen. Sie warnten ihren Sohn vor allem vor Menschen, die weder einen Glauben, noch Gebot und Gott kennen würden. Wiederum andere Menschen mieden Alexanders Eltern, da sie Blutwurst aßen, und Blutwurst, so stehe es in der Bibel, sei zum Verzehr strikt verboten, da die Wurst nicht blutfrei sei.

Der Autor schafft es, diese rigiden religiösen Anschauungen ein wenig mit Humor zu behandeln, was mir auch gut gefallen hat. Im Folgenden geht es um die Reinwaschung von Sünden und welche Funktion die Taufe hat. Der junge Alexander tritt dabei beobachtend in seiner kindlich-naiven-kritischen Form auf:
>>Ist denn das äußere Wasserbad selber die Reinwaschung von Sünden? Es heißt nein; denn nur das Blut von Jesus Christus und der Heilige Geist reinigen uns von aller Sünde.>>
>>Dass man von Blut sauber werden könne, scheint mir fragwürdig. Blutflecken, sagt meine Mutter immer, sind gerade die gemeinsten Flecken.<< (106)
Über diese Textstelle musste ich laut lachen.

Zu den Kirchensteuern zeigt sich der sparsame Vater Goudveyl recht genervt:
>>Feste kirchliche Beiträge! Feste kirchliche Beiträge! Die sind nicht ganz bei Trost, wie können sie es wagen! Also, wenn es jemanden gibt, der kein Geld nötig hat, dann Gott. Wofür sollte es denn ausgeben?<< (41)
Weitere Szenen sind dem Buch zu entnehmen.

Alexander war ein begabtes Kind, vor allem in der Musik. Er bringt sich die Grundkenntnisse des Klavierspielens autodidaktisch bei. Erst später erhält er privaten Musikunterricht. Er hat Glück, denn zu Hause steht ein altes Klavier, auf dem er üben kann. Das Klavier, der Marke Blüthner, hatte allerdings für die Eltern so gar keinen Wert, bis eines Tages ein Interessent erscheint, und viel Geld für das alte Stück hinlegt. Alexander ist schwer enttäuscht und der Vater versucht den Sohn zu trösten, hat beim Kirchenorganist durchsetzen können, dass er auf der Orgel spielen darf. Alexander zeigt sich entsetzt:
>>... aber ich bin doch kein Kirchenorganist. (…) Ich weiß überhaupt nicht, wie man diese Pedale…<<
>>Mit den Füßen, das machst du mit deinen Füßen.<<
Noch ein Lacher ...
In dem ganzen Buch dreht sich vieles um die Musik. Das hat mir sehr gut gefallen, da ich Musik selbst auch sehr schätze. Es wurden viele Bachkantaten rezitiert. Alexander hegt den tiefen Wunsch, Komponist zu werden. Doch sein Freund, der Apotheker, auch sehr musikalisch, warnt ihn davor:
>>Wenn du in der Musik etwas erreichen willst, musst du unglaublich gut sein, du hast so viele Konkurrenten, die alle dasselbe wollen. Wenn du die Musik wirklich liebst und sie auch weiterhin lieben willst, musst du sie zu deiner Geliebten machen. Du darfst sie niemals heiraten.<< (153)
Das fand ich eine so schöne Metapher. Sie ging in mir auf wie eine Blüte. Fantastisch.

Wer Bach liebt, dem empfehle ich dringend zu diesem Buch. Im Schlussteil ist ein kleines Brevier beigefügt, in dem die Werke verschiedener deutscher Komponisten zum Nachhören aufgelistet sind. 

Über das Kriminalistische möchte ich nicht viel sagen, außer, dass zu der Zeit, als Alexander auf der Orgel seine Stücke einübte, ein Mord verübt wurde und er angeblich der einzige indirekte Zeuge war … Er nahm den Schuss lediglich akustisch wahr, aber ohne am Tatort gewesen zu sein.

Alexanders Vater hatte seinen Sohn einmal wöchentlich mit dem Knallen einer Papiertüte erschrecken wollen. Alexander gewöhnte sich an dieses Ritual, aber um seinem Vater die Freude nicht zu vergönnen, tat er immer so, als würde er von dem Tütenknallen erschrecken. Dieses Knallen der Tüte war so stark verinnerlicht, dass Alexander den Pistolenschuss mit dem lauten Knall der Tüte verwechselte … Alexander begibt sich selber auf Spurensuche, um den Täter ausfindig zu machen, der den pädophilen Freund getötet hat, weil er sich selbst bedroht fühlt.

Mehr verrate ich nicht. Aber diese Szene zwischen Vater und Sohn hatte mich schon sehr nachdenklich gestimmt. Da scheint das Kind reifer zu sein als der Vater selbst, passt sich aber dem widernatürlichen Spiel an. Was ein Kind so alles leistet.
Da ich beruflich hauptsächlich mit Menschen zu tun habe, ist es für mich selbstverständlich, dass ich solche Szenen nicht überlese ... Außerdem ist mir diese Art von Interaktion, natürlich ohne den Pistolenschuss, zwischen dem Kind und dem Erwachsenem aus eigener Erfahrung bekannt. Mein eigener Großvater hatte damals zu uns Kindern immer Fratzen geschnitten. Ich fand die Fratzen gar nicht lustig, habe aber so getan, als müsste ich darüber lächeln. Auch ich wollte ihm die Freude nicht nehmen, sich als Komiker darzustellen.
Maarten ´t Hart hat es einfach gut drauf, das Allzumenschliche in seinen Büchern wiederzuspiegeln. Und da ist es völlig egal, aus welchem Land diese Menschen kommen.
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Musik ist eine Weltsprache
(Isabel Allende)

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Sonntag, 8. Dezember 2013

Maarten t´ Hart / Unter dem Deich (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe das Buch nun durch und es hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich anfangs Mühe hatte, reinzukommen. Ein wenig passt ja die Thematik zu meiner letzten Lektüre. Zur Erinnerung noch einmal der Klappentext:
In »Unter dem Deich« erinnert sich Maarten ’t Hart an sein Maassluis der 50er-Jahre, an ein Kindheitsparadies, wie es nicht mehr lange existieren sollte: Die alten Häuser unter dem Deich sollen abgerissen werden, viele Menschen drohen ihr Heim zu verlieren. In diesem Viertel wohnt auch die begabte junge Clazien, die aus ärmlichen Verhältnissen stammt und keine höhere Schule besuchen kann. Als Aushilfe in einem Lebensmittelladen lernt sie den stillen Piet kennen und beschließt, bei ihm zu bleiben. Die beiden heiraten, doch Claziens Sehnsucht nach gesellschaftlichem Aufstieg lässt sich nicht unterdrücken. Als sie Jan begegnet, einem Lehrer, der neu in die Stadt kommt, sieht sie in ihm einen Seelenverwandten. Sie verlässt Piet und glaubt, es endlich geschafft zu haben. »Unter dem Deich« entführt uns in eine untergegangene Welt und erzählt die tragische Geschichte der Irrungen und Wirrungen einer rastlosen Frau.
Für die Protagonistin Clazien hatte ich tiefes Verständnis. Ein hoch begabtes Kind, dem die höhere Schule vergönnt geblieben ist. Sie stammt aus einer einfachen Familie mit einem niedrigen Bildungsniveau. Dazu noch mittellos. Ein zu kleines und beengtes Haus, das voll mit Möbeln gestellt ist. In einem Schlafzimmer waren alle Familienmitglieder untergebracht. Zu viele kleine Geschwister. Clazien hatte keinen Raum für sich, in dem sie sich entfalten konnte, nicht die notwendige Ruhe, sich auf die Schule vorzubereiten. Sie schaffte es bis zur Fachoberschule. Die Eltern selbst sahen es nicht ein, das begabte Kind auf der höheren Schule zu begleiten und zu unterstützen. Teilweise auch aus versteckten Neidgefühlen, Angst, die eigene Tochter könne mal mehr wissen, als die Eltern. Auch dies hatte sich in letzter Zeit in vielen anderen Büchern wiederholt; neidende Eltern auf ihre begabten Kinder.

In dem Buch werden viele Geschichten aus dem Leben der Menschen erzählt. Manchmal auch mit absolut schwarzem Humor umrandet.

Im Folgenden geht es um eine männliche Figur, die zweimal verheiratet war:
"Er sprach immer von seiner ersten Frau." Sie war doch so eine prima Frau schon. Immer genau und sauber. Nie keine Probleme mit ihr gehabt. Was sie auch angepackt hat, die konnte alles. Ich wär wirklich zufrieden, wenn ich' nen Ableger von ihr hätte."
Einen Ableger von seiner Frau, *lol*. Auf so eine Idee muss man erst mal kommen. Prima Frau?, nie Probleme gehabt? *lol*.
Und dann fuhr er fort: "aber die, die ich jetzt hab, die is wie ein Knäuel Wolle voller Kletten. Steigt jeden Morgen mit griesgrämigem Gesicht aus dem Bett, während Janetje hier immer mit beiden Beinen zugleich losgesprungen ist. Womit ich sagen will: nie mit dem verkehrten Bein. Ach, ach, meine Janetje! Sie war wie ein Fahrrad, mit dem man spät zu Bett gehen und trotzdem morgens früh wieder bei der Arbeit sein kann. Sie kommt nie mehr zurück " (110f)
Fand ich ein originelles Zitat.

Die Mutter von Clazien ist Schneiderin. Aber sie nähte keine modischen, sondern eher alltagstaugliche Kleider. Der Vater Onderwater ist Arbeiter.
Die Familie bekommt Besuch und dieser zeigt sich erstaunt über das Auftreten der Familienmitglieder:
"Nachdem wir geklingelt hatten, erschien ein traurig dreinblickender Onderwater, der uns in die Wohnstube führte. Im Halbdunkel bemerkte ich eine Frau, die an einer Nähmaschine saß und sich nicht dazu herabließ, von ihrer Flickarbeit aufzuschauen. Offenbar benutzte sie ihren Mund als Nadelkissen; Dutzende von Nadeln ragten zwischen den Lippen hervor. Beim Ofen saß ein Mädchen in einem Lehnstuhl, das älter war als ich; ich hatte sie wiederholt auf dem Marktplatz mit einem Kreisel spielen sehen. Sie grüßte nicht, sondern guckte, als wollte sie uns für ihre Weihnachtstafel schlachten. Mein Vater schaute sie ebenfalls an, und Onderwater sagte:" Ja, ja, meine älteste Tochter! Wie kann sie so wachsen ohne Wurzeln!"
Auch eine starke Metapher, ohne Wurzeln zu wachsen. Drückt aber aus, dass Clazien keinen Platz in der Familie findet. Und beim weiteren Lesen auf den folgenden Seiten nimmt man als Leserin daran teil, wie Clazien nirgends wirklich in der Welt sich zugehörig fühlt. Ein ganz besonderer Mensch, der anders als andere Menschen ist. Andersartigkeit darf aber nicht sein, auch in der Familie Onderwater, die alles so belassen möchte, wie es ist. Als Arbeiter geboren? Als Näherin geboren? Dann finde dich damit ab. Clazien versucht immer wieder einen Weg für sich zu finden. Die Gesellschaft lässt es nicht zu, dass sie, ein Mitglied der niederen Gesellschaftschicht unten am Deich lebend, sie in die höhere aufzunehmen. Und so erfährt sie selbst mit ihrer engsten Freundin Maud und ihrem zweiten Mann eine Form von Diskriminierung und Ausschluss auf eine passive Art und Weise. Passiv deshalb, weil viel hintenrum passiert, Claczien auszuschließen.

Maud und Clazien befinden sich in einem Café:
"Claczien war sich bewusst, dass sie Messer und Gabel - Besteck, (…) nie so würde benutzen können, wie Maud es tat, die seit Kindesbeinen daran gewöhnt war. Alle ihre Bewegungen kamen ihr hölzern und plump vor, ohne die unübersehbare Grazie, die auf der anderen Seite des Tisches so beiläufig an den Tag gelegt wurde. Sie fühlte, die Ober wussten, sahen, erkannten, dass sie ein Mädchen aus dem einfachen Volk war und immer bleiben würde. Sie wandten sich an Maud, fragten Maud, ob es schmeckte, ließen Maud den Wein kosten, brachten Maud die Rechnung. Sie dachte an Goethes Zeilen. Auf der Fachoberschule hatte Clazien genug Deutsch gelernt, um die Verse mehr oder weniger verstehen zu können.
" Könnte man auch glauben, eine Perücke wurde etwas ändern."

Diese Szene fand ich recht traurig und nachdenkenswert zugleich. Man kann es nicht wirklich verstehen, warum Menschen so ticken.

Clazien bereist mit Maud Paris. Sie wollten die Pariser Mode kennen lernen und auch zu den feinen Damen zu gehören. Clazien ist entsetzt, als sie die vielen obdachlosen Menschen sieht, parallel existierend zu dem Glanz und Glamour:
"Wie feinfühlig die Pariser doch sind! So feinfühlig, dass sie es ganz normal finden, bedient zu werden."
Auch wieder ein Zitat gepackt in einem humoristischen Widerspruch... .

Originell fand ich auch eine andere Szene. Wenn die Feuerwehrleute zu wenig Brände zu löschen hatten, dann wurden aktiv Brände gelegt, damit sie Arbeit hatten und sich die Feuerwehr über Wasser halten konnte. Man nennt sie die "Anzündgruppe".
"Wozu braucht man die denn?"" Schau", sagte ein Feuerwehrmann," wir können doch nicht das ganze Jahr auf dem faulen Hintern sitzen. Es muss doch ab und zu ein Feuerchen geben. Sonst verdienen wir doch nichts." 
"Und die Männer legen dann einfach ein Feuer?"
" Wenn es nicht genug normale Brände gibt."
" Ich glaube dir kein Wort."" So, du glaubst also, das ganze ist ein netter Scherz? (…) Werden die Tage länger, werden die Fröste strenger. " (132)
Über diese Art von Logik musste ich arg lachen. Auch wenn sie ernst gemeint ist.

In dem Buch wird auch viel die katholische Kirche aufs Korn genommen. Ich gehe jetzt darauf nicht näher ein und verweise alles andere auf das Buch.

Die Lektüre beginnt mit einem Prolog und endet logischerweise mit einem Epilog.

Mein Fazit

Überaus positiv fand ich, dass der Autor Partei für die Frau ergriffen hat. Indirekt kritisiert er, dass sie in der Kirche und auch in der Gesellschaft stark benachteiligt ist. Das fand ich schön. Man muss im Leben auch mal für eine bestimmte Menschengruppe Partei ergreifen dürfen. Man kann nicht immer nur neutral sein, nur der Objektivität wegen. Man muss sich einmischen, wenn man ein bisschen die Welt verändern möchte.


Aus einer anderen Szene ging zum Beispiel hervor, wie ein Arbeiter seiner Frau die Lohntüte abgegeben hatte, und sie war es, die das Geld einteilte.

Wegen des literarischen Reichtums an poetischer und fantasievoller Ausdrucksweise erhält das Buch von mir zehn von zehn Punkten.
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Gelesene Bücher 2012: 94 
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