Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es war recht spannend zu lesen.
Carola Stern hat es gut drauf, über andere Persönlichkeiten zu schreiben. Es ist ihr gelungen, das Leben von Friedrich Cohn und Clara Viebig darzustellen. Vor allem Clara Viebig ist für ihre Zeit ein anerkannter Schriftsteller gewesen. Niemand wusste, dass sie eine Frau war. Dazu später mehr. Sie ist Jahrgang 1860 und hat bis 1952 gelebt. Ihr Mann Friedrich Cohn ist jüdischer Abstammung.
Über Clara Viebig, die oft in Künstlerkreisen verkehrte, und sie dadurch Fontane und seine Familie kennenlernte, erfährt man auch ein wenig über Fontanes Familie, als die Tochter Martha, mit 35 Jahren schon stark über das heiratsfähige Alter hinaus, beschlossen hatte, einen Mann zu heiraten, der zweimal Witwer war und zwanzig Jahre älter ist als sie selbst. Die Verlobung fand auch still und heimlich statt. Als Martha den Eltern von der Verlobung und den Heiratsabsichten verkündete, war besonders die Mutter schockiert über die Partnerwahl. Sie lehnte die Verbindung kategorisch ab, wobei der Vater die Kinder so frei erzogen hatte, dass sie ihre PartnerInnen selbst auswählen durften, ganz nach Neigung, statt nach Vorschrift und Tradition.
Theodor Fontane musste zugeben, dass der Verlobte ein Feingeist war; er war gebildet und vermögend, das entschädigte alles andere.
Doch auch in der Fontane-Familie gab es ein schwarzes Schaf. Sohn Friedrich zählte als Einziger in der Familie, der so gar keine intellektuellen Ambitionen entwickelte, und wurde vom Vater dadurch ein wenig benachteiligt.
Friedrich hat es die meiste Zeit seines Lebens schwer gehabt, Anerkennung beim Vater zu finden. Viel hält Fontane nicht von ihm. >>Friedel ist ein guter, lieber Junge, aber unbedeutend<<, urteilt er über den Sohn. Den acht Jahre älteren Theo beauftragte er, den Bruder, der nur ein mäßiger Schüler ist, und die Schule vorzeitig verlässt, >>in Zucht<< zu nehmen. Auch die Mutter findet keine Worte zur Verteidigung des Jüngsten: er könne >>schließlich nichts dafür<<, schreibt sie in einem Brief, >>dass ihm das geistige Plus seiner Herren Geschwister versagt worden ist (Martha als männlich mit eingerechnet)<<. (38)
Fontane und die Juden. Oft habe ich mir schon die Frage gestellt, ob Fontane ein Antisemit war. In der Kaiserzeit wurden die Juden in der gehobenen Berufswahl benachteiligt. Bestimmte akademische Berufe durften sie nicht ergreifen.
Leider habe ich das Zitat verloren, aber Clara Viebig wurde Zeugin, als Fontane gegen die Juden öfters abfällige Bemerkungen von sich gab. Fontane war zwar kein aktiver Gegner, mit einigen Juden war er auch befreundet, doch hintenherum gab er schon antisemitische Äußerungen kund. Ab wann gilt jemand als Antisemit? Gewährt man bestimmten Schriftstellern eine höhere Toleranzgrenze? Ich finde schon, dass man abfällige Bemerkungen gegen bestimme Völkergruppen sehr wohl als rassistisch bezeichnen kann.
Ich freue mich, dass sich diese Frage auch andere schon gestellt haben, wie ich aus dem Internet eruieren konnte …
C. Viebigs Bücher wurden nicht unter ihrem vollen Namen gedruckt. Der Vorname wurde mit einem C. abgekürzt. Es sollte verheimlicht werden, dass sie eine Frau ist, und die Leser zu der damaligen Zeit, wie schon bekannt, ihre Vorlieben hauptsächlich zu den männlichen Autoren hatten.
Was schrieb C. V. für Bücher? Sie schrieb hauptsächlich sozialkritische Bücher und zeigte die Missstände armer Leute in Deutschland auf. Sie sieht in dem französischen Schriftsteller Emile Zola ein großes Vorbild. Sicher ist sie von seinen Büchern beeinflusst, denn wie er möchte sie die gesellschaftlichen und sozialen Missstände aufdecken und anprangern. Sie stieß bei Literaturkritikern allerdings auf großen Widerstand:
Viele Kritiker (…) werfen der Autorin vor, in >> abstoßender Wirklichkeit>> zu wühlen, sprechen von sinnlicher >>Rinnsteinkunst<<. Da sind sie sich einig mit dem selbsternannten obersten Kunstrichter des Reiches, dem Kaiser, der gar nichts von solcher >>Elendsliteratur<< hielt. Die Kunst, so verkündet er, solle die >>unteren Stände<< schließlich nicht weiter hinabziehen, sondern aufrichten, emporheben. Wenn sie >>in den Rinnstein niedersteigt<<, fährt der Kaiser schweres Geschütz auf, >>nichts weiter tut, als das Elend noch scheußlicher hinzustellen, wie es schon ist, dann versündigt sie sich damit am deutschen Volke<<. (49)
Im Nationalsozialismus versuchten die Viebigs, so unauffällig wie nur möglich zu leben. Friedrich Cohn ist entsetzt über die politische Entwicklung, wo er sich doch im Kaiserreich dermaßen geopfert hatte, um akzeptiert zu werden. Opfer heißt, viele Juden durchliefen einen Prozess der Assimilation und haben dadurch ihre eigene Kultur über Bord geworfen. Friedrich Cohn konvertierte und wurde Mitglied der katholischen Kirche …
Friedrich Cohn zerbricht an dem Nationalsozialismus und stirbt an Herzversagen.
Clara Viebig zeigte sich politisch wenig versiert, auch vertrat sie nicht die Rolle der Frau. Die gesellschaftliche Stellung war ihr sehr wichtig. Sie galt als vornehm, vermögend, aber auch als konservativ. Im Haushalt verkehrten mehrere Bedienstete. Und sie setze eine junge Frau auf die Straße, weil sie unehelich schwanger war. Für diese junge Frau wurde die Entlassung mit dem werdendem Kind zur absoluten Katastrophe.
C. Viebigs Bücher waren bei der Bücherverbrennung nicht dabei. Eigentlich eine Beleidigung, weil es doch danach aussah, als gehöre sie nicht zu den bedeutsamen Schriftstellern. Sie selbst litt zwar nicht darunter, wahrscheinlich war ihr das nicht mal bewusst, im Gegenteil, nach dem Tod ihres Mannes versuchte sie den Nazis zu beweisen, dass sie nicht mit einem Juden verheiratet war, und zückte sogar den Hitlergruß, damit ihre Bücher wieder neu aufgelegt werden konnten. C. V. lebte nach dem Tod ihres Mannes noch zwanzig Jahre. Wie Carola Stern stellte auch ich mir die Frage, weshalb sie nach ihrem Ableben sich nicht zu ihrem Mann hat beisetzen lassen? Ihr Leichnam wurde in das Grab des Vaters gelegt.
Da ich nicht zu viel verraten möchte, mache ich nun hier Schluss und kann das Buch wärmstes weiterempfehlen.
Von Carola Stern steht noch eine ungelesene Autobiografie im Regal. Ich kannte bisher die Autorin gar nicht und werde sicher das Buch auch gerne lesen.
Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Es ist gut recherchiert, der Ausdruck ist gelungen, man konnte sich in allen Menschen sehr gut hineinversetzen.
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Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)
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