Sonntag, 24. August 2014

Isabel Allende / Das Siegel der Tage (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Hier spricht die private Isabel Allende.

Sie erzählt viele spannende Geschichten aus ihrem Leben. Doch hauptsächlich richtet sie ihren Monolog auf die verstorbene Tochter Paula, die an einer Stoffwechselerkrankung litt und daran verstarb. Sie glaubt an die Wiedergeburt der Seele. Allende durchläuft durch den Tod ihrer Tochter eine schwere Krise, die schwerste in ihrem Leben, die sie aber übersteht, und darüber hinauswächst.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Isabel Allende ist die Meisterin des Erzählens, und ihre vielköpfige Familie bietet einen reichen Fundus an unglaublichen Geschichten. Die Erfolgsautorin hat sie in diesem Buch, das sie an die verstorbene Tochter Paula richtet, aufgeschrieben: Liebschaften und unverhoffte Trennungen spielen eine Rolle ebenso wie zwei lesbische buddhistische Nonnen, die sich wie selbstverständlich eines elternlosen Säuglings annehmen, oder ein stoischer Buchhalter, der sich auf Befehl seiner chinesischen Mutter auf die Suche nach einer Ehefrau macht.
Man bekommt es mit vielen interessanten Persönlichkeiten zu tun. Fasziniert haben mich vor allem die Charakterzüge der Großmutter Hilda: 
Sie sprach nie schlecht über andere, suchte vor Auseinandersetzungen das Weite, ertrug klaglos anderer Leute Dummheit und konnte sich nach Belieben unsichtbar machen. (98) 
Man lernt Tong kennen, ein Chinese, der unglücklich verheiratet ist, er sich aber nicht hat scheiden lassen wollen. Auch die Frau wollte sich nicht scheiden lassen, um den bürokratischen Aufwand zu umgehen:
Tong ging stramm auf die fünfzig zu, sah aber aus wie ein junger Student, schlank, klein, mit einer Matte steifer Haare und immer in Jeans und Turnschuhen. Mit seiner Frau sprach er seit zwölf Jahren kein Wort, obwohl sie noch immer zusammen unter einem Dach wohnten, aber sie ließen sich auch nicht scheiden, weil sie ihre Ersparnisse nicht aufteilen wollten und panische Angst vor seiner Mutter hatten, einer winzigen und Furcht einflößenden Greisin, die seit dreißig Jahren in Kalifornien lebte und glaubte, im Süden Chinas zu sein. (153)
Zwölf Jahre unter einem Dach zu leben, ohne miteinander ein Wort zu wechseln, das muss ja schon eine Kunst sein.

Isabel Allende ist ein Mensch, der sehr stark auf sein Äußeres bedacht ist. Gerade mal 1,50 m groß steht sie oft auf hohen Schuhen und auch ihre Haut wirkt straff wie bei einer Dreißigjährigen. Sie ist Jahrgang 1942, also schon über siebzig. Aber man sieht ihr das nicht an.
Es ist wohl üblich, dass sich die Prominenz in Amerika liften lässt. Dazu zählt auch Isabel Allende. Aber sie wirkt keineswegs arrogant, nein, sie wirkt sehr menschlich, die offen über ihre Schwächen schreibt. Allende hat Angst vor dem Älterwerden, und so setzt sie sich immer wieder mit ihrem Alter auseinander. Sie erhält von der Mutter nützliche und weise Tipps:
>>Nimm Kalzium und Hormone<<, riet sie mir, >>damit die Knochen dich nicht im Stich lassen wie mich.<<  Sie schärft mir ein, ich solle auf mich achten, gut zu mir sein, die Stunden auskosten, die doch so schnell vorbei sind, nicht mit dem Schreiben aufhören, damit mein Geist rege bleibt, und meine Yogaübungen machen, damit ich mich bücken kann und weiterhin allein in meine Schuhe komme. Auch rät sie mir, nicht zu viel Energie in jugendliches Aussehen zu verschwenden, denn wie sehr ich sie auch zu kaschieren versuchte, man sehe mir die Jahre doch an, und nichts sei erbärmlicher als eine Alte, die als Lolita daherkommt. Kein Zaubertrick stoppt den Verfall, er lässt sich nur ein bisschen aufhalten. >>Über fünfzig macht die Eitelkeit nur noch Kummer<<, versicherte mir diese Frau, die immer als Schönheit galt. Aber mich schreckt die Hässlichkeit des Alters, und ich werde mich gegen sie wehren, solange meine Gesundheit es erlaubt; deshalb habe ich mich liften lassen, denn noch ist die Salbe, die Zellen verjüngt, nicht gefunden. (202f)
Doch es gibt auch Phasen, in denen Allende das Älterwerden sehr wohl auch konstruktiv zu betrachten weiß:
Ich erlebe das Älterwerden als eine Reise nach innen und als den Beginn einer neuen Freiheit; ich konnte bequeme Schuhe tragen, musste keine Diät mehr halten und nicht mehr der halben Welt gefallen, sondern nur noch denen, die mir wirklich etwas bedeuteten. Früher waren meine Fühler stets darauf gerichtet, männliche Schwingungen in der Atmosphäre wahrzunehmen; mit über fünfzig wurden sie welk, und heute fühle ich mich nur noch zu meinem Mann Willie hingezogen. (199)
Ich empfehle allen LeserInnen dieses oder ein anderes Buch, das ihr Leben beschreibt, bevor sie sich auf die Romane stürzen. In diesem Buch erfährt man recht viel über Allendes Romane, mit welchen Intentionen sie zustande kamen und in welcher Schreibphase sie sich gerade befand.
Ich wusste noch gar nicht, dass sie eine dreibändige Jugendliteratur schrieb, kenne nur einen Band von ihr, es existieren aber wohl noch zwei weitere, die ich mir aber nicht anschaffen werde. Die Autorin hatte für sich entschieden, nur noch Bücher für Erwachsene zu schreiben, da sie vom Verlag her so viele Vorgaben hatte berücksichtigen müssen, damit die Bücher jugendtauglich wären. Die Welt sei, wie sie sei, man müsse sie nicht beschönigen, auch vor Kindern nicht, die sehr wohl wüssten, wie es in der Welt zugehen würde.
Die Vorstellung, dass ich mit einer >>positiven Botschaft<< schreiben soll, macht mich krank. Ich sehe keinen Grund, die Kleinen zu schonen, die sowieso jede Menge Mist mitbekommen; im Internet können sie sich fette Frauen beim Geschlechtsverkehr mit Eseln ansehen oder Drogendealer und Polizisten, die einander gegenseitig in widerlicher Weise foltern. Wie naiv zu glauben, man könne ihnen über die Seiten eines Buches positive Botschaften vermitteln; damit erreicht man bloß, dass sie nicht lesen. (366f)
Isabel Allende bereist die Welt und gerät so zu ihren Buchthemen. Sie beobachtet die Menschen des jeweiligen Landes, die Kultur und sammelt Informationen und geht Recherchen nach, die für Abenteur- und für historische Romane notwendig sind. Sie schreibt also nicht einfach drauf los … Und doch entstehen viele Geschichten auch aus ihrem Unbewussten. Daraus entsteht ein Mix aus eigenen Erfahrungen, aus  Intuition, aus Recherchen und Fantasie.
Ich werde häufig gefragt, woher die Anregungen zu meinen Büchern stammen. Ich wüsste es nicht zu sagen. Auf der Reise des Lebens sammle ich Erfahrung, die in die tiefsten Schichten der Erinnerung sinken, dort Wurzeln ziehen, sich wandeln und zuweilen wie seltsame Pflanzen aus anderen Welten an die Oberfläche durchstoßen. Woraus besteht dieser reiche Nährboden des Unbewussten? Wieso werden manche Bilder zu Motiven, die uns wieder und wieder in Träumen oder im Schreiben begegnen? Ich habe mich in verschiedenen Genres bewegt und vielfältige Stoffe bearbeitet, mir kommt es vor, als würde ich in jedem Buch alles neu erfinden, selbst den Stil, aber ich tue das nun seit über zwanzig Jahren und bin nicht blind für die Wiederholungen. In fast jedem meiner Bücher gibt's wagemutige Frauen, die aus ärmlichen Verhältnissen stammen, verletzlich sind und dafür vorgesehen, ein Leben in Demut zu führen, sich jedoch dagegen auflehnen und für die Freiheit jeden Preis zu zahlen bereit sind. (363f)
Nachdem ich ein paar Bücher von ihr gelesen habe, kann ich das nur bestätigen.

Isabel Allende erlebt ihre Romanfiguren innerlich als authentisch. Sie sieht sie vor sich, als wären sie real. Und genau das ist es, was meiner Meinung nach ihre Bücher so glaubwürdig macht. Zum Abschluss noch ein letztes Zitat:
Etwa in der Mitte jedes Buches, wenn ich nicht mehr ich bin, die Frau, sondern eine andere, die Erzählerin, kann ich die Figuren auch sehen. Sie tauchen aus dem Zwielicht auf und stehen leibhaftig vor mir, ich kann ihre Stimmen hören und ihren Geruch atmen, sie überfallen mich in meinem Häuschen, drängen sich in meine Träume, bevölkern meine Tage und verfolgen mich sogar auf der Straße. Aber wenn ich mein Leben niederschreibe, ist es anders, weil die Figuren Menschen aus einer Familie sind, die leben, die ihre Vorstellungen und ihre Konflikte haben. Hier geht es nicht darum, die Fantasie anzustacheln, sondern um den Versuch, das Erlebte wirklich nachzuvollziehen. (390)
Ich beende hiermit meine Aufzeichnungen. Ich habe mich sehr wenig zu Allendes Familie, ihrer Sippschaft, wie sie es selbst nennt, bezogen, und verweise auf das Buch. Sie alle sind lesenswerte Persönlichkeiten.

Ich habe mir im Buchladen noch zwei andere Bücher bestellt, die persönlichen Inhalts sind.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Es ist klar geschrieben, die Figuren recht differenziert und authentisch dargestellt, und die Themen bzw. die vielen unterschiedlichen Geschichten stimmten mich bis zur letzten Seite neugierig.
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Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)

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