Sonntag, 31. August 2014

Agota Kristof / Die Analphabetin (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Es ist zwar recht dünn vom Umfang her, trotzdem gehen wichtige Informationen aus der Erzählung hervor. Zur Erinnerung gebe ich nochmals den Klappentext rein:
Fremd in einer fremden Sprache – und doch wurde sie zu einer der wichtigsten Schriftstellerinnen der Gegenwart. Nach einer wohlbehüteten Kindheit in Ungarn hatte Agota Kristof unter der kommunistischen Herrschaft zu leiden. Als ihr Vater verhaftet wurde, musste das junge Mädchen in ein staatliches Internat. 1956 floh Agota Kristof mit ihrem Mann und ihrem vier Monate alten Kind in die französischsprachige Schweiz. Dort war sie plötzlich eine Analphabetin und musste eine völlig neue Sprache erlernen
Die Autorin spricht aus ihrer Kindheit in Ungarn. Ihr Vater ist Lehrer einer kleinen Dorfschule, in der mehrere Klassen in einem Raum unterrichtet werden. Das Dorf ist recht ärmlich, es gibt dort nicht einmal fließendes Wasser im Haus.

Agota lernte lesen, noch bevor sie eingeschult wurde. Die Schule befindet sich neben ihrem Elternhaus. Wenn Agota zu Hause etwas angestellt hatte, wurde sie von der Mutter zum Vater in die Klasse geschickt, der sie bestrafen sollte. Doch der Vater schickte sie mit einem Bilderbuch in die hintere Sitzreihe.

Das fand ich so sympathisch. Das Kind mit einem Bilderbuch zu bestrafen …

Agota konnte mit vier Jahren schon fehlerlos lesen und sie tat in ihrer Freizeit nichts anderes, als zu lesen. Ihr Großvater war stolz auf seine Enkelin. Älter geworden tut Agota fast nichts anderes als lesen und zieht das Unverständnis ihrer Mitmenschen auf sich:
Abgesehen von diesem großväterlichem Stolz, wird mir meine Lesekrankheit eher Vorwürfe und Verachtung einbringen: "Sie tut nichts. Sie liest die ganze Zeit."
"Sie kann sonst nichts."
"Das ist die bequemste Beschäftigung, die es gibt."
"Das ist Faulheit."
 Und vor allem: "Sie liest, anstatt…"
Anstatt was?
"Es gibt so viel Nützlicheres, nicht wahr?" 
Noch jetzt, wenn das Haus sich morgens gelehrt hat und alle meine Nachbarn zur Arbeit gehen, habe ich fast ein schlechtes Gewissen, dass ich mich an den Küchentisch setze, um stundenlang Zeitung zu lesen, anstatt… zu putzen oder das Geschirr von gestern Abend zu spülen, einzukaufen, die Wäsche zu waschen und zu bügeln. (11f) 
Ich kenne diese Reaktionen selbst zu gut. Auch heute noch gibt es Menschen, die das Lesen eher als Faulheit bezeichnen. Meist sind das Leute, die beruflich und in ihrer Freizeit so gar nichts mit Büchern zu tun haben und mehr handwerklich o. a. geprägt sind, und dadurch eher eine materielle Einstellung haben.

Agota wird nach der Grundschule auf ein Mädcheninternat gesteckt, als der Vater vom Militär abgeholt und ins Gefängnis gesteckt wird. Die Mutter konnte sich nicht alleine um drei kleine Kinder sorgen. Deshalb besuchten die Kinder kein Eliteinternat, sondern eines, in dem viele Waisenkinder und arme Kinder zu finden sind.

Agota erfährt von dem Tod Stalins, 1953, da ist sie schon achtzehn Jahre alt, aber noch immer Internatsschülerin.
Stalin ist tot. Wir wissen es seit gestern Abend. Im Internat wird die Traurigkeit zur Pflicht gemacht. Wir gehen schlafen, ohne miteinander zu sprechen.
Die Trauer aufzwingen, sie ins Pflichtprogramm einbauen, wobei junge Menschen in diesem Alter sehr beeinflussbar sind, das erlebt Agota auch auf dem Internat.
Unser Klassenlehrer erwartet uns. Er sagt:"Um elf Uhr läutet die Schulglocke. Sie werden sich erheben, um eine Schweigeminute einzulegen. Bis dahin schreiben Sie einen Aufsatz mit dem Thema > Stalins Tod<. In diesen Aufsatz schreiben Sie alles, was der Genosse Stalin für Sie war. Zuerst ein Vater und dann ein heller Leitstern." (37)
Agota wird erwachsen, heiratet, bekommt ein Baby und 1956 ergreift sie aus politischen Gründen zusammen mit ihrem Mann und der kleinen Tochter die Flucht, als Ungarn von Russland dominiert wird. Sie fliehen in fremde Länder, deren Sprache Agota nicht spricht, und sie sich dadurch als Analphabetin bezeichnet, die alles wieder von vorne lernen muss.
Fünf Jahre nach meiner Ankunft in der Schweiz spreche ich Französisch, aber ich lese es nicht. Ich bin wieder zur Analphabetin geworden. Ich, die ich mit vier Jahren lesen konnte. (72)
Hier mache ich einen Punkt. Was aus der Flucht geworden ist, lest selbst.

Das Buch erhält von mir wegen der Würze in der Kürze zehn Punkte. Man konnte sich leicht in die Figuren einfinden. Das Leben der Autorin klingt sehr authentisch. Die literarische Sprache fand ich auch recht gut getroffen.
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