Sonntag, 24. Juni 2012

Verena Lueken / New York (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre



Das Buch hat mir ganz gut gefallen. Allerdings ist es für mich unverständlich, wenn GegenwartsautorInnen sich noch immer der Begriffe wie "Rasse" und "Irrenanstalt" bedienen. Irrenanstalt, meine Güte, fühle mich ins fünfzehnte Jahrhundert zurückversetzt, dabei schreiben wir das Jahr 2012. 

Doch nun Schluss mit der Kritik und ab in die Buchbesprechung:

Nach dem Lesen dieses Buches wüsste ich nicht, ob ich noch Lust auf das Reisen nach New York hätte. Einerseits eine faszinierende Stadt, andererseits eine Stadt, die wieder abschrecken kann. Eine riesen Metropole. New York zählt als die Hauptstadt der Welt, eine Welthauptstadt mit vielen Gegensätzen und Widersprüchen. Viel Glanz und Glamour, Reichtum, Arroganz, entgegengesetzt Bettler, Obdachlose, Slums, hohe Kriminalität und hohe Mordrate... , wobei ich diese Extreme in einer so riesen Stadt eher als normal bezeichne. Je mehr Menschen in einer Stadt leben, desto größer sind die sozialen und ethnischen Unterschiede. Gewinner und Verlierer gibt es überall auf der Welt und in jeder größeren Stadt.

Der Autor Fitzgerald, der ein Essay zu New York geschrieben hat mit dem Titel My Lost City, der  von der Autorin zitiert wird:
Mit Schaudern sah der New Yorker, was er nicht hatte, dass die Stadt nicht etwa eine endlose Kette von Straßenschluchten war, sondern Grenzen hatte. Und mit dieser schrecklichen Gewissheit, dass New York schließlich doch noch eine Stadt und kein Universum ist, brachte das glänzende Gefüge seiner Imagination zu Boden.
New York, die auch als Gossenstadt bezeichnet wird, ist die Armut vieler Menschen dermaßen hoch, etliche nicht einmal für den Unterhalt ihrer eigenen Kinder aufkommen können. Damit wenigstens Neugeborene  vor Aussetzung bewahrt werden können, hatte man 1894 vor einem Waisenhaus eine Wiege stehen, in der hilflose Mütter ihre Kinder hinein legen konnten... .

Etwas bedauerlich finde ich an dem Buch, dass an vielen Textstellen die Jahreszahl nicht aufgeführt ist, und man gezwungen ist, Nachschlagewerke zu Rate zu ziehen. 1994 zum Beispiel zählte New York über dreißigtausend Obdachlose, dreizehntausend von ihnen waren Kinder. Der damalige New Yorker Bürgermeister Rudolf Giuliani, der die Stadt von 1994-2001 regierte, brachte Ordnung in die Metropole. Obdachlose, Bettler und Menschen mit Kavaliersdeliktfilm wurden schwer gefahndet. Obdachlose wurden aus der Stadt verdrängt.
Giuliani war sich darin einig, dass Bagatellevergehen streng verfolgt werden müsste. Bettler in der U-Bahn, Trinker am Straßenrand, Feuerwerkshändler in Chinatown, Kleindealer, Graffitikünstler und T-Shirt-Verkäufer ohne Lizenz machten bittere Zeiten durch. (...)
New York war von Beginn an die Stadt der Außenseiter. Noch heute trifft man, wenn man an einem strahlenden Tag, wie sie in New York die Regel sind, auf die Straße tritt, die ganze Welt. Es gibt nicht mehr viele Hugenotten, nicht alle Schwarzen auf einen Stammbaum von Sklaven zurück, und die Asiaten und die Latinos haben die Europäer in ihrer Zahl längst übertroffen.
 Mitte des siebzehnten Jahrhundert besetzten die Briten New York, aber sie wurden hier, auch nach einhundertfünfzig Jahren, trotz kultureller Einfluss, niemals heimig. 
In überpropotionaler Zahl belegten sie die Kerker und Gefängnisse, die Armenhäuser und die Irrenanstalten.
 
 New York zählt auch zu der Stadt mit den meisten Brücken..  
Sie umfasst zweitausensiebenundzwanzig Brücken über Flüsse und Buchten, von denen der Archipel umgeben ist, über Straßen, Wege und Senken, Brücken für Fußgänger und Züge, für Lastwagen und Autos.
Dies stelle ich mir sehr schön, vor allem auch die Brücken für Fußgänger. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass sich viele Menschen von eine dieser Brücken das Leben nehmen.

New York City zählte 2005 mehr als 8 Millionen Einwohner und im gesamten Bundesstaat über 22 Millionen. Im New Yorker Einwanderungviertel Queens zählen etwa 160.000 verschiedene Nationalitäten.

Viele Menschen, und je mehr Menschen die Stadt umfasst, desto größer kann die Einsamkeit sein, fühlten sich in dieser Masse dermaßen verloren:
Der Schriftsteller William Maxwells bemerkte einmal,  New York könne man auf den Bürgersteigen weinen, in vollkommener Intimität.
Doch es gab auch Menschen in der Politik, die sich konstruktiv für die Stadt eingesetzt hatten. Robert Moses z.B., Stadtplaner in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, nutzte die Korruption aus, die in der Verwaltung herrschte, um seine Ideen umzusetzen aber ohne sich persönlich zu bereichern. Auch im sozialen Bereich war er recht aktiv:
Er ließ Parks bauen, weitere Brücken und Kinderspielplätze. Für all dieses brauchte er, was New York nicht hatte, nämlich Platz. Also verbreiterte Manhattan, indem er der Insel durch Landaufschüttungen einen schmalen Uferstreifen hinzufügte. Auch ließ er Zigtausende Bewohner umsiedeln, vor allem Arme und unter ihnen wiederum vor allem Schwarze und Puertorikaner, die er in neuerrichteten sozialen Wohnbauviertel in Brooklyn und in der Bronx unterbrachte.
Und nun, noch ein letzter Punkt, der mich interessiert hat, ist, dass New York Mitte des neunzehnten Jahrhunderts als der größte Rindfleischlieferant galt und sowohl die Schlächterei als auch die Fleischverpackung zu dem wichtigsten Wirtschaftszweig zählte. Na, das wundert mich ja nicht bei den Fastfoodketten wie z.B. Mc. Donald, die mittlerweile fast auf der ganzen Welt verbreitet sind.

Ich hatte mal eine Doku im Fern gesehen, als Tierschützer sich für die richtige Haltung der Zuchttiere einsetzten, und sie auch an die Öffentlichkeit gingen. Diese wurden ziemlich stark gemobbt und man drohte ihnen mit ihrem Leben... .

1676 wurde das erste öffentliche Schlachthaus in New York gegründet, und hat somit alle privaten Schlachthäuser verdrängt. Private Schlächtereien wurden verboten, da nur noch in gemeindeeigenen Häusern das Schlachten erlaubt war.

Wenn es nach mir ginge, bräuchten wir gar keine Schlachthäuser mehr. 

Lueken hat einige Autoren zitiert, die zu New York Werke verfasst hatten. Eines davon besitze ich selbst und habe Lust bekommen, es noch einmal zu lesen:

Das Fegefeuer der Eitelkeit, geschrieben von Tom Woolfe. Nehme ich mir in meinen Sommerferien vor, da es ein dicker Wälzer ist. 

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

SuB:

Amin: Der Klang der Sehnsucht
Dickens: Schwere Zeiten
Donoghue: Raum
Frank: Rücken an Rücken
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Obrecht: Die Tigerfrau
Osorio: Mein Name ist Luz
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

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