Donnerstag, 21. Juni 2012

Atik Rahimi / Stein der Geduld (1)

 Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch habe ich nun durch. Ich habe große Hochachtung vor dem männlichen Autor, der für die Frau, in diesem Fall als das schwache und stark benachteiligte Geschlecht, Partei ergriffen hat. Das Buch ist monologisch aufgebaut, was mir ein bisschen zu viel war, da sich viele Gedanken recht oft wiederholt haben. Das mag für die Verarbeitung der Betroffenen wichtig sein aber für mich als Leserin nicht unbedingt notwendig. Ich war recht schnell gesättigt von dem Buch und bin froh, dass ich es jetzt durch habe. Ein paar wenige Textstellen waren für mich nicht wirklich authentisch, s. u. ... .

 Wie ja schon aus dem Klappentext zu entnehmen ist, kümmert sich eine Frau und zweifache Mutter zweier kleiner Mädchen um ihren im Koma gefallenen Ehemann, der im heiligen Krieg angeschossen wurde. ... . Sie versorgt ihn mit Infusionen, bestehend aus einer Wasser-Salz-Zucker- Lösung, die sie selbst zusammenstellt. Die Frau spricht mit ihrem Mann lange Monologe über ihre benachteiligte Situation als Frau. Sie spricht sich aus, parallel dazu spricht sie Gebete nach dem Rosenkranz. Die Familien, die sie längst verlassen haben, da keine Hoffnung besteht, dass der Mann je wieder aus dem Koma erwachen würde und sei ihn  als tot abgeschrieben haben. Sie bekommt Vorwürfe und Schuldzuweisungen für die ausbleibende Genesung zu hören, da ihre Gebete nicht ausreichend und nicht tief genug wären. 

Sie klagt:"Es ist leicht gesagt, man soll neunundneunzig mal am Tag einen der neunundneunzig Namen Gottes aufsagen… und das neunundneunzig Tage lang! Der Mullah, dieser Schwachkopf, hat keine Ahnung, was es heißt, allein zu sein mit einem Mann, der…", sie findet das Wort nicht oder wagt nicht, es auszusprechen, "…ganz allein zu sein mit zwei kleinen Mädchen!", schimpft sie leise vor sich hin.

Der komatöse Ehemann ist ihr eine Belastung, besser wäre es für sie gewesen, er wäre gestorben, denn dann hätte sie in ihrer Familie, vielmehr in der Familie ihres Mannes einen Platz bekommen. Nun steht sie da, alleine mit den Kindern, ohne Arbeit und weiß nicht wie es weitergeht.
Deine Brüder haben uns im Stich gelassen! Die Feiglinge! Sie haben mich nicht mitgenommen, weil du am Leben warst! Wenn…"  Sie schluckte ihren Speichel hinunter, und mit ihm ihre Wut. Etwas weniger erregt fährt sie fort:" wenn du… tot gewesen wärst, hätte die Sache anders ausgesehen… ." Sie bricht den Gedanken ab. Zögert. Nach einem langen Atemzug entschließt sie sich: " Ein inneres Kichern verstellt ihre Stimme . Vielleicht hätten sie lieber gehabt, du wärst tot gewesen."  Sie zittert. "Dann hätten sie mich… ficken können! Mit ruhigem Gewissen." 
Sie sind zehn Jahre verheiratet gewesen, aber nur drei Jahre haben sie wie Eheleute zusammengelebt. Die anderen sieben Jahre befand sich ihr Mann im heiligen Krieg, der noch immer fortgeführt wird. Sie war sehr jung, als sie ihrem Mann versprochen wurde. Und da er von dem Krieg sobald nicht zurück kam, wurde sie verehelicht mit dem Foto ihres Mannes. Sie beide kannten sich nicht. Als ihr Mann für kurze Zeit von dem Krieg beurlaubt wurde, traf er seine unbekannte Ehefrau bei seinen Eltern vor. Seine Frau musste beaufsichtigt werden. Die eigenen Eltern wurden von den Schwiegereltern abgelöst. In seiner Kriegsabwesenheit idealisierte sie ihren Mann, war stolz darauf, dass er im Namen Allahs kämpfte:
"Das gab mir Hoffnung, machte mich stolz. In gewisser Weise was dir anwesend. In jedem von uns."
Solange der Mann abwesend war, musste sie bei ihrer Schwiegermutter im Bett schlafen, die über sie ound über ihre Keuschheit wachte. Nicht nur die anderen fanden das normal, sie selbsts auch, denn
Zur Zeit meiner Verlobung wusste ich nichts über die Männer. Nichts über das Leben als Paar. Ich kannte meine Eltern. Und was für ein schönes Beispiel?! Mein Vater interessierte sich nur für seine Wachteln, seine Kampfwachteln!
Als sie klein war, rächte sie sich bei ihrem Vater, da er ihnen mehr Liebe entgegengebrachte als seiner Familie.. Sie nahm die Wachtel aus dem Käfig und warf sie der Katze zum Fraß, die sie tötete und auch verzehrte.
Der Vater sperrte sie in den Keller für zwei Tage, zusammen mit wilden Katzen... . 

In dem Buch geht es auch viel um Intimitäten, mit der nicht gespart wird und es mir ein wenig zu viel war, so stark in ihre körperliche Privatsphäre einzudringen, wobei ich mir schon sehr gut vorstellen kann, dass diese Monologe, zu ihrem Mann gesprochen, etwas befreiendes haben kann. 

Letztendlich hat das Buch nichts Neues gebracht, da wir, die westlichen Länder, sehr gut über die Problemlage der Frau und den Umgang der Religiosität der islamischen Länder von den Medien informiert werden. Vielleicht bin ich aus diesem Grund so schnell müde geworden, allerdings diesmal aus der Sicht einer Betroffenen, die es deutlich macht, wie sehr sie sich als Frau unterdrückt fühlt, und wie sehr sie darunter leidet.

Ich mache nun hier Schluss und Verweise bei Interesse auf das Buch. 
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Nicht authentisch waren für mich die Szenen, als Soldaten in die Wohnung der Frau eingebrochen sind, und sie ihrem Mann nochmals in den Kopf geschossen hatten, da sie ihn als Feind verdächtigten, und empört darüber waren, dass dieser Mann sich nicht rührte. Die Frau war nicht anwesend. Nun, das fand ich nicht wirklich glaubhaft. Überhaupt wie die ganze Szene dargestellt wurde, eigentlich recht lächerlich aber ich möchte sie nicht wiedergeben, es hat mir gereicht, sie zu lesen. 
Merkwürdig fand ich noch, dass die Frau von dem Schuss nichts mitbekam, und als sie das Zimmer des Mannes erneut betreten hatte, hätte sie sehen müssen, dass der Mann einen Kopfschuss erlitt und nun wirklich tot hätte sein müssen. Aber sie behandelt den Mann weiterhin wie einen Komatösen. Normal erschrickt man über den Anblick, vor allem wenn alles mit Blut verschmiert ist. Aber darüber wurde nicht ein Wort verloren... .
Die nächste Szene, die mir auch nicht glaubwürdig erschien, ist diese Szene mit ihren noch sehr kleinen Kindern, die zwar der Mutter widersprachen, als die Mutter bat, den Vater in seiner Ruhe nicht zu stören. Sie befanden sich weinend in der Wohnung, ohne dass die Mutter sich wirklich um sie gekümmert hat.... .
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

SuB:


Amin: Der Klang der Sehnsucht
Dickens: Schwere Zeiten
Donoghue: Raum
Frank: Rücken an Rücken
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Obrecht: Die Tigerfrau
Osorio: Mein Name ist Luz
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

 

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