Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Der vorliegende Band von Meyerhoff hat mir sehr gut
gefallen. Von allen drei Bänden fand ich den letzten am spannendsten. Manche
Szenen fand ich ein wenig zu detailliert, weshalb ich einen Punkt abgezogen
habe.
Ich verfolgte mit großem Interesse Joachims Ausbildung auf
der Schauspielschule. Das ist, als würde man hinter die Kulissen der werdenden
SchauspielerInnen schauen. So eine Ausbildung, sie ist wahrlich kein
Zuckerschlecken. Ein dickes Fell braucht man dafür schon, wie man aus dem
Kontext entnehmen kann ...
In Alle Toten fliegen
hoch, dritter Band, habe
ich damit gerechnet, dass auch in diesem Band Familienmitglieder sterben. Und
ich behielt recht. Da ich aber nicht zu viel verraten möchte, so halte ich mich
hierzu bedeckt.
Auch das Leben der Großeltern fand ich interessant, obwohl
sie doch auf ihre Weise ein recht spießiges Leben führen. Ihnen ist der Luxus
in ihrem Haus fast lieber, als Menschen, von denen sie besucht werden. Gepolsterte
Sitzgarnituren werden z. B. mit maßgefertigten Plastikhüllen abgedeckt,
wenn sich Kinder in ihrer Villa aufhalten. Die Großeltern sind so eigen, so
speziell, dass ich doch recht oft über ihr Verhalten vor mich hin schmunzeln
musste. Zum Beispiel mussten die Ruhezeiten über den Tag verteilt strikt
eingehalten werden. Niemand durfte sich zu diesen Zeiten bewegen, auch der
junge Enkel nicht.
Joachims Schauspielschule befindet sich in München, sodass
er von Norddeutschland in den Süden ziehen musste. Da er in München aber keine
bezahlbare Wohnung finden konnte, durfte er sich in der Villa seiner Großeltern
einquartieren. Er bekam das rosa Zimmer. Das rosa Zimmer muss man sich so
vorstellen, dass die Gardinen, die Bettwäsche, Tücher... alles
in rosa geschmückt wurde. In dem Zimmer durfte der Enkel nichts verrücken, nicht
im Geringsten etwas verändern. Er durfte in dem Zimmer nichts Persönliches
gestalten. In dem rosa Zimmer fühlte sich Joachim wie in einem Hotelzimmer ...
In dem Villenviertel sind auch die Nachbarn recht
speziell. Auch sie waren schon sehr alt, und auch ihnen galt die Stille als das höchste Gut. Sie haben sich
stumme Hunde angeschafft, die nicht laut kläffen konnten. Extra gezüchtet. Ich
habe keine Ahnung, ob es tatsächlich solche gezüchteten Hunde gibt, ich gebe
nur wieder, was ich gelesen habe.
Schon oft hatte ich mir ausgemalt, wie ein Einbrecher über diesen Zaun klettern und von den stummen Hunden angefallen werden würde. Mucksmäuschenstill würden sie sich auf ihn stürzen und ihn mit spitzen Zähnen innerhalb von Sekunden, ohne dass er auch nur hätte schreien können, bis auf die Knochen abnagen und diese dann im Garten vergraben.
Joachims Ausbildung auf der Schauspielschule verläuft
unverändert kompliziert. Die meisten LehrerInnen sind mit ihm sehr unzufrieden.
Joachim ist psychisch gesehen dermaßen blockiert, und er schafft es nicht, sich
von den Blockaden zu befreien. Mehrfache harte Kritik musste Meyerhoff sich von
den DozentInnen gefallen lassen.
Meyerhoff ist, wie wir LeserInnen auch, ein
leidenschaftlicher Buchliebhaber. Er brachte es sogar fertig, sich in ein Buch
zu verlieben. Das imponierte mir. Er besuchte die größte Buchhandlung Münchens
und machte die Bekanntschaft mit den Büchern von Carson McCullers. Ich habe
mich darüber sehr gefreut, denn Carson McCullers zählt zu meinen Lieblingen. Durch
mein McCullers-Leseprojekt habe ich alle ihre Romane gelesen. Meyerhoff hat
sich mit dem Roman Uhr ohne Zeiger eingedeckt
... Ein Abenteuer erlebt Meyerhoff mit einem für ihn recht teuren Bildband. Er
traut sich und klaut sich das Buch. Jede BuchliebhaberIn kommt
früher oder später in solch eine Versuchung, der sie schwer oder gar nicht
widerstehen kann.
Dazu ein Zitat:
Bis heute ist mir meine Entscheidung, den Fotoband nicht zu kaufen, sondern zu klauen, rätselhaft geblieben. Natürlich waren achtundvierzig Mark eine Menge Geld für mich, und doch wäre es ein Leichtes gewesen, zu meinen Großeltern zu sagen: >>Ich habe einen so tollen Fotoband gesehen und hab im Moment nicht genügend Geld. Könnte ich mir das vielleicht von euch leihen?<< Meine Großeltern hätten sich angelächelt und gefragt: >>Wie teuer ist er denn?<< Der von mir genannte Preis hätte sie nicht im Mindesten überrascht oder gar erschreckt. Wer Pinienkerne für acht Mark das Döschen
kauft, um damit Rotkehlchen zu füttern, dem können achtundvierzig Mark für einen Fotoband kaum mehr als ein liebevolles Nicken entlocken. Aber ich konnte sie nicht fragen, ich wollte es nicht. Ich wollte daran glauben, dass ich keine andere Wahl hatte, als das Buch zu stehlen. Ich wollte etwas Irrationales tun.
Dazu, lieber Joachim, fällt mir folgendes Zitat ein:
Ein Buch, das nicht wert genug ist, gestohlen zu werden, ist auch kein gutes Buch.
Irgendjemand von den Verlagen hat dies mal verlauten lassen,
habe aber vergessen, von welchem Verlag dieses Zitat stammt.
Ich möchte damit aber niemanden zum Stehlen animieren.
Und dann gab es noch einen weiteren und letztlich alles entscheidenden Grund für meine Absicht, den Fotoband nicht käuflich zu erwerben. Ich musste der Bedeutung, die die Bilder für mich in den letzten Tagen bekommen hatten, etwas entgegensetzen, das ein wenig Größe hatte, ein Wagnis war, und mich durch den Diebstahl wenigstens ansatzweise als ein den Fotografien Ebenbürtiger erweisen. Ich wollte nicht mit geliehenem, großbürgerlichen Großelterngeld bezahlen! Ich wollte auf eigenen Füßen stehen und stehlen gehen. Hunderte von abenteuerlichen Bildern auf abenteuerliche Weise in meinen Besitz bringen.
Und wie dieses Abenteuer ausgeht, verrate ich nicht. Aber es
ist spannend.
Ich mache hier nun Schluss. Zu den Großeltern habe ich ja
nun wirklich wenig geschrieben. Die Episoden mit den alten Leuten waren
manchmal sehr humoristisch dargestellt. Ja, es macht Spaß, diese zu lesen, auch
wenn manche Szenen auch Ärger bereiten konnten, weil die Großeltern eben auch
sehr zwanghafte Züge in ihrem Auftreten aufwiesen. Und diese vielen Zeremonien,
ganz besonders wie der Konsum von Alkohol zelebriert wurde, denen sich Joachim
angeschlossen hat, waren auch recht lustig.
Manchmal waren mir einige Szenen viel zu detailliert,
weshalb das Buch von mir nur neun von zehn Punkten erhält.
Mein Fazit?
Die Bände eins bis drei bauen nicht aufeinander auf. Man kann sie
voneinander unabhängig lesen. Ich habe ganz brav die Reihenfolge beachtet und war schließlich enttäuscht, dass die Bände nicht voneinander
abhängig waren … Eine Chronologie gibt es auch nicht. Die Einteilung in drei
Teilen ist eigentlich überflüssig. Der Autor hat sicher ein großes Interesse
daran, dass die LeserInnen alle Bände kaufen, so wie ich es getan habe. Mit dieser
Erfahrung würde ich mir einen vierten Band nicht mehr zulegen wollen. Bin nun
mehr als gesättigt.
Adieu, Joachim Meyerhoff!
__________
Wer sich im
Vertrauten verirrt
oder in der
Fremde verloren geht,
braucht nur
eine fürsprechende Seele,
um sich
gerettet zu fühlen.
(Petra
Oelker)
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