Sonntag, 17. Juni 2012

Erich Maria Remarque / Der schwarze Obelisk (2)


Zweite Buchbesprechung der o. g. Lektüre



Ich befinde mich nun auf der zweihundertsten Seite. 
Interessant finde ich, dass Remarque psychische Erkrankungen relativiert. Es geht um die an Schizophrenie erkrankte junge Frau Isabell, die in ihrer Traumwelt lebt und auf Lebenszeit in einer Psychiatrie untergebracht ist. Mir hat das Bild mit dem trinkenden Mond so gut gefallen:

Sie trinkt den Mond, aber nicht den glühenden Mond, sondern den kühlen. Der Mond würde wie Opal schmecken :D. Sie darf, während der getrunkene Mond durch ihren Körper hindurchscheint, kein Licht anknipsen, denn sonst würde der Mond in ihr verwelken  :D. 
Isabell wirkt alles andere als unglücklich und die Ideen, die ihr in während ihrer Erkrankung erscheinen, sind recht kreativ und recht weitblickend. Die Ärzte allerdings sehen das Krankhafte darin, dass multiple Persönlichkeiten in ihr leben würden, und diese sie zerreißen. Jede Persönlichkeit besitze eine andere Wahrnehmung und eine andere Identität. So flüchtet Isabell in ihre fiktive Welten, weg von der realen Welt. Sie wäre draußen nicht überlebensfähig. Kritisch hinterfragt Ludwig Bodmer das Krankheitsbild:
Hat nicht jeder normale Mensch auch ein Dutzend Persönlichkeiten in Sicht? Und ist der Unterschied nicht nur der, dass der Gesunde sie unterdrückt und der Kranke sie frei lässt? Wer ist der Kranke? 
Da ich ja selbst mit psychisch kranken Menschen zu tun habe und mich diese Frage ständig beschäftigt, sind die Menschen für mich erst wirklich krank, die Seelenschmerzen empfinden und sie aus eigener Kraft nicht mehr herausfinden. Es gibt aber tatsächlich viele Menschen, die auch in meinen Augen ver-rückter erscheinen als die wirklichen Kranken, auch deshalb, weil sie sich nicht in Behandlung befinden und sich selbst nicht hinterfragen, Diagnoselose Kranke bezeichne ich sie. Menschen dieser Art werden sogar in ihrem Umfeld positiv bestätigt, so dass sie ohne Skrupel und ohne Seelenschmerz ihre Unarten weiter ausleben und sie diese nichtsahnend bestimmten Mitmenschen aufdrängen. Ich denke ganz besonders an Leute, die recht erfolgreich in ihrem Leben sind. Menschen in der Politik, Menschen in der Leitungsfunktion, Menschen, die vermögend sind... . Bei diesen Persönlichkeiten ist die Toleranzgrenze von Seiten der Gesellschaft wesentlich höher, und diese Ver-rücktheiten dadurch weniger auffallen. Wenn solche Ver-rückten in ihrem Verhalten bestätigt werden, weshalb sollten sie denn auf die Idee kommen, ver-rückt zu sein?

Bei Isabell habe ich nicht den Eindruck, dass sie an ihrer Erkrankung leidet. Interessant wäre allerdings, ihr Leben außerhalb der geschützten Gemäuer zu verfolgen.

Bodmer verachtet eigentlich auch die Literatur, da sie, aus seiner Sicht, wenig Positives in der Welt bewirkt habe.
"Bücher haben überhaupt keinen Zweck, (…). Wenn man sieht, was hier alles geschrieben ist und wie es trotzdem in der Welt aussieht, sollte man nur noch die Speisekarte in den Lokalen und die Familiennachrichten im Tageblatt lesen."
Ich glaube, dass es in der Welt noch rabiater zugehen würde, wenn wir nicht geprägt wären von der Literatur. Aber (Klein)Krieg führt der Mensch nach wie vor zu jeder Zeit. Geistig gesehen, so meine Meinung, sind wir alles andere als zivilisiert. Eigentlich sind wir immer noch Buschmenschen, Primaten. Im Materiellen hat sich der Mensch natürlich in der westlichen Welt weiter entwickelt.

Es gibt wirklich nichts, worüber sich der Ich - Erzähler keine Gedanken macht. Vom Krieg geprägt, ein richtiger Pazifist geworden, hinterfragt er wiederholt die verschiedenen Religionen unter den verschiedenen Soldaten, die alle an verschiedenen Göttern glauben. Und jeder betet zu seinem Gott, er möge den Krieg in seinem Land gewinnen lassen... :D.
Die Pastor segnen das Denkmal ein; jeder für seinen Gott. Ich habe im Felde, wenn wir zum Gottesdienst befohlen wurden und die Pastoren der verschiedenen Bekenntnisse für den Sieg der deutschen Waffen beteten, oft darüber nachgedacht, dass er ebenso englische, französische, russische, amerikanische, italienische und japanische Geistliche für die Siege der Waffen ihrer Länder beteten, und sie haben mir Gott dann so vorgestellt wie eine Art von eiligem Vereinspräsidenten in Nöten, besonders wenn zwei gegnerische Länder des gleichen Bekenntnisses beteten. Für welches sollte Gott sich entscheiden? :D Für das mit den meisten Einwohnern? Oder das mit den meisten Kirchen? Oder wo war seine Gerechtigkeit, wenn ein Land gewinnen ließ, das andere aber nicht, obschon auch dort fleißig gebetet wurde? Manchmal kam er mir auch vor wie ein gehetzter Alter Kaiser über viele Staaten, der dauernd zu Repräsentationen musste und immer die Uniform zu wechseln hatte - jetzt die katholische, dann die protestantische, die evangelische, die anglikanische, die reformierte, je nach dem Gottesdienst, der gerade gehalten wurde, sowie ein Kaiser bei den Paraden von Husaren, Grenadieren, Artillerie und Marine.
Pastoren sind eben auch nur Menschen, die nichts anderes tun, als ihren Beruf zu vertreten und zu verteidigen. Unsere Welt, der Mensch an sich, besteht eben aus Widersprüchen. Allerdings habe ich ein wenig ein Problem, wenn Gott für alle Taten, die der Mensch verübt, verantwortlich gemacht wird. Heißt es nicht in der Bibel, ich schenke euch die Erde und macht sie euch untertan?

Es gibt keine Antworten auf viele Fragen, wobei es viele Männer  damals gegeben hat, die gibt es heute noch immer, die gerne, heroisch und heldenmütig in den Krieg gezogen sind. Es stellt sich mir andersherum die Frage, braucht der Mensch einen Krieg, um die Sinnlosigkeit besser erfahren zu können? Wobei Krieg für viele Länder  nicht wirklich als sinnlos aufgefasst wird ... .

Es gibt auch ein paar Szenen in dem Buch, die mich recht amüsiert haben, auch wenn sie von einem schwarzen Humor geprägt sind. Es geht um einen Tischler, der in Zeiten des Krieges große Geschäfte macht mit dem Bauen von Särgen. viele Menschen bekommen Angst vor ihm, wenn in der Werkstatt ein Sarg herumsteht. Mit der Ausnahme einer älteren und vornehmen Dame, die so frei war, und ein Probeliegen forderte. Der Tischler berichtet aus seiner Erfahrung:
Einmal, in Hamburg, hat sich eine Dame, der war es egal. Es machte ihr sogar Spaß. Sie war scharf drauf. Ich füllte den Sarg halb voll mit weichen weißen Hobelspänen aus Tanne, die riechen immer so romantisch nach Wald. Alles ging gut. Wir hatten mächtigen Spaß, bis sie wieder heraus wollte. Es war irgendwo noch etwas von dem verdammten Leim an einer Stelle auf dem Boden nicht ganz trocken gewesen, die groben Späne hatten sich verschoben, und die Haare der Dame waren in den Leim geraten und festgeklebt. Sie ruckte ein paar Mal, und dann ging das Schreien los. Sie glaubte, es wären Tote, die sie bei den Haaren festhielten. Sie schrie und schrie (...).
Auf den weiteren Seiten werden recht viele Gedanken festgehalten, von Soldaten, die längst aus dem verlorenen Krieg zurückgekehrt sind, aber ihre Köpfe und Ohren auch jahrelang danach noch voller Kriegsgeräusche behaftet sind. Viele leiden an einer Posttraumatischenbelastungsstörung und sind psychiatrisch untergebracht. Viele sogar auf Lebenszeit.
Das Leben in einem Geschöpf zu beenden ist immer wie ein Mord. Zeitlichen Kriege war, würde ich sogar ungern eine Fliege. Trotzdem hat mit der Stück halb heute Abend gut geschmeckt, dass man getötet hat, damit Sie es essen. Das sind die alten Paradoxe und verhindern Schlussfolgerung. Das Leben ist ein Wunder, auch in einem Kalk und in einer Fliege. Besonders in einer Fliege - diese Akrobaten mit ihren tausenden von Augenfacetten. Es ist immer ein Wunder. Aber es wird immer beendet. Warum töten wir im Frieden einen kranken Hund und nicht einen kranken Menschen? Aber wir morden Millionen in nutzlosen Kriegen.
Mit dem Morden von kranken Menschen sind diejenigen gemeint, die das Leben vor lauter  Schmerzen nicht mehr ertragen wollen. Im Krieg sind viele Soldaten so schwer verwundet gewesen, es war abzusehen, dass sie nicht überleben würden, und man ihrem Bedürfnis nach einer Erlösungsspritze nicht nachkommen wollte,  wonach sie so sehr verlangten.

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)


SuB:

Dickens: Schwere Zeiten
Frank: Rücken an Rücken
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Remarque: Der schwarze Obelisk
Rahom: Stein der Geduld
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

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