Zweite von zwei Buchbesprechungen
zur o. g. Lektüre
In meiner zweiten Buchbesprechung
bearbeite ich die Zitate dieses Buches. Hier geht es allerdings hauptsächlich
um den betagten Jacob Jankowski, möchte aber nicht versäumen zu erwähnen, dass
das Buch neben der rauen Männerwelt auch eine interessante Lovestory
bereithält, auf die ich aber nur peripher
eingehen werde, um anderen LeserInnen nicht zu viel vorwegzunehmen.
Zuerst gebe ich zur Erinnerung
noch einmal den Klappentext rein:
Amerika zur Zeit der Wirtschaftskrise. Der junge Tierarzt Jacob Jankowski kann von Glück reden, als ihm ein Job beim Zirkus angeboten wird. Auch wenn es ein sehr bescheidener Zirkus ist: Nicht einmal einen Elefanten gibt es. Dafür aber eine wunderschöne Kunstreiterin. Doch Marlena ist verheiratet mit dem wahnsinnigen Dompteur. Irgendwann findet sich schließlich eine, wenn auch sehr eigensinnige Elefantendame. Keiner kann mit Rosie umgehen – bis Jacob ihr Geheimnis enthüllt. Und als sich gerade alles zum Guten zu wenden scheint, nimmt eine Tragödie ihren Lauf.
Ich finde das Buch sehr schön
aufgebaut, indem man es perspektivisch mit dem jungen und mit dem alten Jacob
zu tun bekommt. Beide Welten fand ich sehr interessant.
Der mittlerweile 93-jährige Jacob
Jankowski lebt völlig vereinsamt in einem Seniorenheim und denkt viel über
seine jungen Jahre nach. Er studierte damals Veterinärmedizin, als seine Eltern
kurz vor seinem Abschluss tödlich verunglückten. Jacob verlor dadurch auch Heim
und Haus, da die Eltern durch die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre hoch
verschuldet waren, weshalb sein Erbe an den Staat abgetreten wurde. Jacob
verkraftet diese Verluste nicht und verweigert an der Universität seine
Abschlussprüfung und schließt sich einem
Zirkus an, der einen Tierarzt auch ohne Examen jeder Zeit gebrauchen konnte.
Trotz seines betagten Alters ist
Jacob geistig recht fit, körperlich allerdings ein wenig schwach und ist auf
Gehhilfen angewiesen. Folgende Gedanken zu seinem Alter möchte ich gerne
festhalten, weil sie so schön sind:
Das Alter ist ein grausamer Dieb. Gerade wenn man das Leben halbwegs begreift, holt es einen von den Beinen und beugt einem den Rücken. Er bringt Schmerz und Verwirrtheit mit sich und lässt im Körper der eigenen Frau klammheimlich Krebs wuchern.
Als seine Frau Marlena, die er im
Zirkus als beliebte Kunstreiterin kennengelernt hatte, und die er bis zu ihrem
Tod abgöttisch geliebt hat, gestorben ist, ist Jacob mit seinem Leben nicht
mehr klargekommen und so wurde er zum eigenen Schutz von seinen Kindern ins
Seniorenheim eingewiesen.
Das Bild, das Alter mit einem Dieb
zu vergleichen, finde ich wunderschön.
Die Behandlung der alten Leute im
Heim scheint recht fragwürdig zu sein. Die Bewohner werden wie Kinder
behandelt, man bricht ihnen den eigenen Willen, um sie gegen Unfälle zu
schützen. Die banalsten und subtilsten Geschehen im Alltag eines Seniorenheims,
wie zum Beispiel das Zimmer am Morgen hell oder dunkel zu lassen, können
zwischen einer Altenpflegerin und dem Bewohner nervenaufreibend sein. Das hat
mich selbst auch schon recht kribbelig gestimmt. Jacob ist über die Behandlung
des Heims richtig entsetzt:
Zu den größten Demütigungen des Alters gehört es, dass andere einem unbedingt bei Dingen wie dem Baden oder den Gang auf die Toilette helfen wollen.Eigentlich kann ich beides alleine, aber sie haben solche Angst, ich könnte fallen und mir wieder die Hüfte brechen, dass ich ein Kindermädchen bekomme, ob ich will oder nicht. Ich bestehe grundsätzlich darauf, allein auf die Toilette zu gehen, und trotzdem ist immer jemand dabei, nur für den Fall, und aus irgendeinem Grund ist es immer eine Frau. Ich sage ihr dann, sie soll sich umdrehen, während ich meine Hose herunterlasse und mich setze, und dann schicke ich sie hinaus, bis ich fertig bin. Das Baden ist noch peinlicher, weil ich mich von einer Schwester bis aufs Adamskostüm ausziehen muss. Die Pflegerin Rosemarie hilft mir in die Duschkabine. >>So, dann halten Sie sich einfach an dem Griff dort fest …<<
>>Ich weiß, ich weiß. Ich habe schon mal geduscht<<.
Diese gut gemeinten
Behandlungsmethoden können recht aufreibend sein, sogar als entwürdigend habe
ich sie empfunden. Unprofessionell, wenn das Heimpersonal wütend und beleidigt
sich von dem Bewohner abwendet, wenn dieser sich deren Anforderungen zu widersetzen
versucht.
In seinem Zimmer wird Jacob wieder
herausgefordert, sein Grundbedürfnis, über sich selbst entscheiden zu wollen,
verteidigen zu müssen:
Ich mag mich irren, aber ist dies hier nicht mein Zimmer? Vielleicht möchte ich die Jalousie erst gar nicht offen haben. Ich kann Ihnen sagen, ich bin es gründlich leid, dass jeder meint, er wüsste besser, was ich will, als sich selbst.
Auch von seiner Familie fühlt
Jacob sich missverstanden. Fünf Kinder hat er und jede Menge Enkelkinder und
doch hat kaum einer Zeit für ihn. Sie behandeln ihn, als wäre Altsein eine böse
und ansteckende Krankheit. Auch sie versuchen, ihn zu schonen. Jacob fühlt sich
der Familie gegenüber nicht mehr zugehörig:
Ich fühle mich von dem Leben meiner Kinder und Kindeskinder ausgeschlossen. Es geht viel vor sich, aber darüber sprechen sie in meiner Gegenwart nicht, weil sie mich nicht aufregen wollen. Von einigen habe ich Wind bekommen, aber sobald ich nachfrage, machen sie dicht. Wir dürfen Opa nicht aufregen, nicht wahr?Warum? Das würde ich gerne wissen. Diese merkwürdige Praxis, jemanden zu seinem Schutz auszuschließen, finde ich schrecklich, denn sie drängt mich vollkommen aus dem Spiel. Wenn ich nicht weiß, was in ihrem Leben los ist, wie soll ich mich dann am Gespräch beteiligen?
Kaum jemand aus der Familie
interessiert sich für sein Leben. Wenige wissen, dass man auch im Alter ein
denkendes und ein empfindendes Geschöpf bleibt. Schließlich altern im Gegensatz
zum Körper Gedanken und Gefühle nicht. Jacob gibt sich trotzdem Mühe, das
Verhalten seiner Familie zu verstehen.
Mit meinen Binsenweisheiten kann ich meine Familie nicht lange fesseln, das kann ich ihnen kaum übel nehmen. Meine wahren Geschichten sind alle angestaubt. Was bringt es schon, wenn ich aus erster Hand von der spanischen Grippe erzählen kann, vom Aufkommen des Automobils, Weltkriegen, kalten Kriegen, Guerillakriegen und dem Sputnik - das ist alles längst Geschichte. Was habe ich sonst schon zu bieten? Ich erlebe ja nichts mehr. So ist es, wenn man alt wird, und ich glaube, da genau liegt der Hund begraben. Ich bin nicht bereit, alt zu sein.
Nun ja, man lässt ihn ja auch
nicht am Leben teilhaben ...
Jacob möchte unbedingt den Zirkus
besuchen, der, nicht weit vom Seniorenheim, aufgebaut ist. Dadurch, dass er
viele Jahre seines Lebens beruflich im Zirkus beschäftigt war, fühlt er sich
nach wie vor von dem Zirkus angezogen. Er ist mit seinem Sohn verabredet, der
ihn für diesen Ausflug begleiten sollte, und der selbst die ersten sieben Jahre
seines Lebens im Zirkus zugebracht hatte. Der Sohn vergisst die Verabredung,
ausgerechnet diese, die Jacob so wichtig ist. Er ist mehr als enttäuscht ...
So, hier mache ich nun Schluss,
damit ich nicht zu viel verrate. Ich kann nur sagen, der Schluss ist
vielversprechend und nicht vorhersehbar.
Ich habe in meiner ersten
Buchbesprechung viel über die grausame Behandlung der Zirkustiere geschrieben.
Ich spare mir die Zitate dazu, weil sie mir zu heftig waren. Ich habe Herzblut
empfunden.
Habe aber auch geschrieben, dass
die Autorin Sara Gruen nicht nur ein Herz für Tiere hat, sondern auch für
Menschen. Das spürt man in jeder von ihr geschriebenen Zeile. Auch die Behandlung
der alten Menschen im Seniorenheim hat sie recht authentisch wiedergegeben.
Ebenso die Ganoven, Erpresser und
die Mörder von Zirkusmitarbeitern, die nachts Menschen aus dem fahrenden Zug
geworfen haben, weil sie finanziell für den Zirkus nicht mehr tragbar waren.
Weil sie zu alt, zu krank oder unfähig waren. Wie schon gesagt, am Ende rächt
sich alles.
Die Liebesbeziehung zwischen Jacob und der verheirateten,
tierliebenden Marlena, die anfänglich keine Liebesbeziehung werden durfte, weil
sie mit dem brutalen Dompteur namens August verheiratet war, ist recht spannend
zu lesen.
______
Alleinsein
hat nichts damit zu tun, wie viele Menschen um dich herum sind.
(J.R.
Moehringer)
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