Sonntag, 16. Juni 2019

Briefkontakt mit Robert de Montesquiou

Seite 142 – 152    

Auf den folgenden zehn Seiten beginnen die Briefe nun richtig schwierig zu werden, da es hier ausschließlich um Literaturgespräche geht, was zwar spannend ist, aber vieles ist für uns schwer vorstellbar. Einfacher wird es, wenn das Zwischenmenschliche zwischen Proust und seinen Zeitgenossen auch eine Rolle spielt. Aber es macht mir großen Spaß, mich mit dem Gelesenen schriftlich zu befassen und mich mit Anne auszutauschen. Aber man merkt ganz deutlich, wie Prousts Leben aus der Literatur heraus sprießt. Sein Leben ist Literatur. Und Literatur ist sein Leben. 

25.06.1893, noch ist hier Proust 21 Jahre alt

Der Brief geht an Robert de Montesquiou, *07.03.1855 in Paris, gest. 11.12.1921 in Menton (süd-osten Frankreich)
Montesquiou hat zu dieser Zeit zwei Lyrikbände geschrieben, wovon der zweite Le Chef des odeurs sauaves erst im Januar 1894 erscheinen sollte. Der erste Gedichtband Les Chauves – Souris, wurde 1892 verlegt. Proust ist ganz hin- und weg von den Gedichten, die recht blumige Bilder darstellen, weil sie auch blumig geschrieben sind, wobei dies sicher Naturbetrachtungen sind. Viele Gedichte aus der Natur, so schwärmt Proust mit folgenden Worten:
Seit heute Morgen liege ich auf dieser Sternenweide und bewundere diesen Blütenhimmel, und ich bin bezaubert von all diesen Düften, berauscht von all dieser Klarheit, und wie die Lotophagen (Lotosesser, Anm. M. P.) habe ich keinen Gedanken mehr an eine Rückkehr und wünsche auch nicht, dass es eine solche gebe.

Total trunken ist Proust von den Gedichten Montesquious aus dem zweiten Gedichtband. Er sieht die Natur geistig vor sich, als würde er mitten auf einer Wiese liegen. Das finde ich genial, wie sehr er die Gedichte inhaliert, als seien sie eine Droge. In der Natur findet Proust das Göttliche …
Aber für alles, was nicht Gegenstand des Denkens ist – denn die göttliche Vernunft, die solches erfasst, ist frei von Zeit, Raum und Bezügen -, für alles, was vollkommen geheimnisvoll wie die Musik oder der Glaube, finden sich hier (…) Verse, die es erahnen lassen und es offenbaren, in dem sie es verkörpern. (143)

Wow, wie schön sich mir dieses proustische Bild vor Augen offenbart. Ich kann mir so gut vorstellen, wie Proust sich von diesen wundervollen Gedichten verzaubern lässt. Proust bittet um ein Foto des Dichters. Platonische Liebe?
Das sind nur kleine Ausschnitte, dich ich hier beschrieben habe. Weitere Gedanken zu den Gedichten sind dem Buch zu entnehmen.

Anfang Juli 1893 korrespondiert Prost erneut mit Montesquiou. Gesprächsgegenstand sind nicht nur die Gedichte, sondern hier geht es zur Abwechslung mal wieder um eine bestimmte Frau. Ein brisantes Thema, denn auch hier scheint Proust vor Rätseln zu stehen. Viel mehr vergleicht Proust die Schönheit dieser Frau mit den Gedichten des Dichters. Die Dame, um die es hier geht, ist die Comtesse de Greffulhe, geb. 04.Juli 1860, gest. 21.08.1952. Die Dame habe auf Proust einen großen Eindruck hinterlassen, und so bittet er den Dichter, ihm der Dame ausrichten zu lassen, wie sehr er sie bewundert habe, da Montesquiou öfters mit dieser Dame zu tun bekommen würde. Aber mir war nicht klar, in welcher Verbindung Montesquiou zu ihr stand. Dies wird sich später klären, siehe am Ende unter Telefongespräch mit Anne.
Sie trug eine Frisur von polynesicher Anmut, und malfarbene Orchideen fielen ihr bis in den Nacken wie die >Blumenhüte<, von denen Renan spricht. Sie ist schwer zu beurteilen, wahrscheinlich, weil beurteilen vergleichen heißt und nichts an ihr auszumachen ist, was man weder bei einer anderen noch irgendwo sonst hätte sein können. Doch das ganze Mysterium ihrer Schönheit liegt im Glanz, vor allem im Rätsel ihrer Augen. Nie habe ich eine so schöne Frau gesehen. Ich habe nicht dazu gebeten, ihr vorgestellt zu werden, und werde nicht einmal Sie darum bitten, denn außer der Aufdringlichkeit, die darin liegen könnte, würde ich, wie mir scheint, eine eher schmerzhafte Verwirrung empfinden, wenn ich mit ihr zu sprechen hätte. Aber es wäre mir lieb, sie würde von dem großen Eindruck hören, den sie auf mich gemacht hat, (…) . Ich hoffe, Ihnen weniger zu missfallen, indem ich diejenige bewundere, die Sie über alles bewundern und die ich von nun an nach Ihnen, Ihnen gemäß (…) >in Ihnen< bewundern werde. (145f.)

Dass die Augen das Fenster zur Seele sind, ist bekannt, und dies nicht nur bei den Augen einer Frau.
Auch hier idealisiert Proust sowohl den Dichter als auch die Comtesse, und er hofft insgeheim, der Dichter würde sie ihm vorstellen. Er unterzeichnet mit Ihr respektvoller Bewunderer … .

In einem weiteren Brief vergleicht Proust Montesquiou mit dem Dichter Charles Baudelaire, geb. 09.04.1821 in Paris, gest. 31.08.1867 ebenda. Proust ist der Meinung, dass beide Dichter gut in die Zeit des 17. Jahrhunderts passen würden. Er erwähnt hierbei Verse von Maxime und Corneille. Aber welchen Maxime und welchen Corneille er meint, entzieht sich völlig meiner Kenntnis. Von Charles Baudlaire besitze ich einen Gedichtband von Die Blumen des Bösen. Habe ich vor vielen, vielen Jahren von einem Freund geschenkt bekommen.

04. August 1893, 22 Jahre
Schreibt Proust wieder an Daniel Halévy
Proust, Halévy, Gregh und de la Salle planen gemeinsam, ein Scheibprojekt in Form eines Briefromans. Inspiriert sind sie durch das Vorbild Theophile Gautier (u. a. m.), s. Fußnote 1, Seite 148f. Proust bittet Daniel, längere Briefe zu schreiben, da seine Briefe zu kurz ausfallen würden.
Sie alle schreiben unter einem Pseudonym. Proust bittet alle Teilnehmer, die Briefe gut aufzubewahren, um sie später in der Reihenfolge nochmals lesen zu können. Aus der Fußnote 1, Seite 45, geht hervor, dass das Schreibprojekt gescheitert war.

Im September 1893 schreibt Proust Monsieur Natanson, das muss der Redakteur der Literaturzeitschrift Revue Blanche sein, und bittet ihn, ein paar Gedanken zu dem neuen Gedichtband zu Montesquiou zu schreiben, bevor er im folgenden Jahr veröffentlicht werde. Proust selbst hat eine Novelle geschrieben, Mélancolique …, siehe Fußnote Seite 152.

Telefongespräch mit Anne, 16.06.2019
Uns ist beiden aufgefallen, dass selbst die Fußnoten, die eigentlich sehr umfangreich sind, Lücken aufweisen. Wir wussten beide nicht, wer denn die Dichter aus dem 17. Jahrhundert waren? Wer sind Maxime und Corneille? Ich hatte gegoogelt und es gab zig Maximes. Mit Corneille war ich erfolgreicher, denn es handelt sich um den Dichter Pierre Corneille, der 1606 in Rouen geboren und 1684 in Paris gestorben ist. Er war Dichter und Dramatiker.

Anne hat im Netz herausgefunden, dass Montesquiou homosexuell war, denn seine blumige, lyrische Sprache ließ sie stutzig werden. Aus den Briefen geht das noch nicht hervor, bin aber gespannt, ob diese Thematik später aus Prousts Feder noch fließen wird.

Und wir hatten beide den Eindruck, dass Proust Montesquiou idealisiert hatte, demgegenüber auch die Comtesse Gremfulhe, die nachweislich eine Cousine des Dichters gewesen ist. Leider ging diese Info weder aus Prousts Briefen, noch aus der Fußnote hervor. Das bedeutet, dass wir gezwungen sind, Nachforschungen zu betreiben, um die Briefe besser zu verstehen, was mit viel Arbeit verbunden ist.

______________
Das Herz hat Gründe,
die der Verstand nicht kennt.
(Marcel Proust)

Gelesene Bücher 2019: 21
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


2 Kommentare:

Anne hat gesagt…

Sehr schön geschrieben, liebe Mirella. Wenn wir uns unterhalten und Du über Proust sprichst, kann ich mir richtig vorstellen, dass Du zu jedem Brief etwas schreiben könntest. Aber das würde den Rahmen sprengen, ich weiß.
Mich würde ja mal interessieren, warum das Brief-Roman-Projekt gescheitert ist. Mal schaun, ob das noch mal Erwähnung findet. Ich freue mich erst mal auf die nächsten zehn Seiten.

Liebe Grüße, Anne

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

Liebe Anne,
ja, ich kann unmöglich auf alle Briefe eingehen, darüber haben wir gesprochen. Ich suche mir das Beste aus, was mir an Prousts Einstellung und schriftlicher Ausdruck gefällt und auch, was mich stutzig stimmt. Und seine Kontakte finde ich zudem noch interessant, und auch hier schreibe ich mir die besten heraus, diesmal war es Robert de Montesquiou aber ich habe mich gefreut, dass Proust nun auch mit Daniel Halévy eine literarische Freundschaft hat bilden können. Beide Schrftsteller sind jetzt in meinem Hirn gespeichert und nicht mehr wegzudenken. Proust bildet uns, so finde ich. Es ist gar nicht so wichtig, alles festhalten zu müssen, was er geschrieben hat, davon gibt es im Netz genug nachzulesen, wichtiger ist mir, eine innere Beziehung zu dem Gelesenen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. So wie wir das Lesen derzeit praktizieren, bleibt mir innerlich so viel haften, dass es mich mit Freude erfüllt, und auch dich, Anne, wird Proust auf deine Art eine wichtige Rolle spielen, die auch für dich nicht mehr wegzudenken ist. Und er verbindet uns beide. Schön, dass du dich auf dieses langwierige Leseprojekt hast einlassen können. Und ich bin mal gespannt, wann denn der Brief kommt, als Proust an eine Katze schreibt :-).
Liebe Grüße, Mira