Montag, 3. November 2014

Hans Fallada / Der Alpdruck (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Lesen mit Anne ...

Das Buch habe ich nun durch. Ähnlich wie Anne war auch ich schnell in der Geschichte drin. Und auch in dieser Geschichte bin ich über so viel Unmenschlichkeit gestolpert, und es war die Unmenschlichkeit, die mich entsetzt hat. Diesmal schreibt Fallada über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit bis 1946. Anfangs war ich sehr gespannt, ob die beiden Protagonisten Herr Dr. Doll und seine Frau diese schweren Zeiten überleben werden. Ich war eifrig am Lesen und voller Erwartung, es mögen sich doch irgendwie bessere Zeiten auftun, da ja nun der Krieg vorbei war.

Fallada selbst war ein Morphinist, was sich auch in diesem Band widergespiegelt hat, wobei mir diese Szenen mit dem exzessiven Morphiumkonsum ein wenig verzerrt vorkamen, denn die Dosis war so hoch, das hätte ihnen in Wirklichkeit das Leben gekostet. Ich verweise auf das Buch ...

Nach meinem Geschmack war das jetzt nicht der beste Band, den ich von Fallada gelesen habe, vielleicht bin ich ja jetzt ein wenig von seinen Büchern resistent geworden, da die Themen immer mit denselben Symbolen besetzt sind und mich dadurch nichts mehr überraschen kann. Aber wie sollte Fallada anderes schreiben? Das genau waren ja die Themen seiner Zeit.

Fallada ist nur dreiundfünfzig Jahre alt geworden. Er starb an einer Herzschwäche, was mich nicht gewundert hat. Ein sehr sensibler Mensch und Autor, der am gebrochenen Herzen einfach sterben musste.

Ein paar Zitate habe ich mir wieder markiert, doch zuvor gebe ich zur Erinnerung noch einmal den Klappentext rein:
Berlin, Stunde null – ein bedeutender Fallada April 1945: Der Krieg ist vorbei, doch nachts verfolgen den Schriftsteller Dr. Doll Träume vom Bombentrichter, der ihn nicht freigibt. Er will etwas tun gegen den Alpdruck der Mitschuld, doch er kann es niemandem recht machen als Bürgermeister einer Kleinstadt, eingesetzt von der Roten Armee. Er stiehlt sich fort und flüchtet in den Drogenrausch. Im Chaos des zerbombten, nur auf dem Schwarzmarkt funktionierenden Berlin entgleitet ihm seine junge, morphiumsüchtige Frau, und er hat, um zwei Leben zu kämpfen, als er zaghaft beginnt, wieder an eine Zukunft zu glauben.
Eine schwere Zeit, selbst dann noch, als der Zweite Weltkrieg vorbei war. Die Waffen schweigen, die Bomben schweigen, und die Panzer rücken ab. Man müsste sich darüber freuen. Das können die Menschen aber nicht. Die sozialen Nöte sind noch lange nicht überstanden. Armut, Wohnungsmangel, Lebensmittelknappheit, auch die Menschlichkeit ist den Menschen abhandengekommen. Und das alles in einer kalten und nassen Jahreszeit, sodass die Mängel nochmals potenziert erscheinen. Die einen sind mutig, und nehmen sich das Leben, die anderen sind auch mutig, indem sie sich entscheiden, am Leben zu bleiben …

Der Krieg und was danach kommt nimmt den Menschen die letzte Würde. Fallada schreibt am Schluss vom kranken Herzen Deutschlands, das wieder genesen müsse.

Selbst wenn der Krieg vorbei ist, sind die Ausmaße und die Wirrungen nicht mitbeendet. Der Nationalsozialismus ist längst nicht aus dem Inneren der Menschen verbannt. Viele trauern Hitler nach, der doch alles besser machen würde, wäre er doch nur noch am Leben.
Wie oft hörte Dr. Doll die Worte: "Ja unter dem Führer gab es dies und jenes viel reichlicher-!" Ihnen allen, und vielen darunter, die früher keine Nazis gewesen waren, schien plötzlich die Zeit unter der Hitler Tyrannei wie eine gelobte, wie eine gute Zeit. Die Schrecken des Krieges mit seinen Bombennächten, die in Blut und Tod gesandten Männer und Söhne, die Schändung Unschuldiger - all das war schon wieder vergessen. Sie rechneten nur, dass sie früher ein wenig mehr Brot oder Fleisch bekommen hatten. Sie schienen unverbesserlich, manchmal war es fast unerträglich, unter ihnen zu leben; (260). 
Ich dachte, mich verlesen zu haben, als Fallada den Begriff Nazismus nach dem Krieg bei den Leuten noch weiter gebrauchte. Meint Fallada wirklich den Nazismus? Oder doch eher Narzissmus? Aber der Begriff Narzissmus wäre hier fehlbesetzt. Nein, er meint tatsächlich den Nazismus. Hat nicht Hitler den Krieg begonnen und verloren? Können die Menschen noch immer in einem solchen falschen Irrglauben leben? Ja, doch, sie können ... Keine Reue, nur die Sehnsucht nach dem Führer ... 

Einige andere litten in ihrer Vergangenheitsbewältigung noch unter dem Trauma, das die Nazis verursacht hatten, dass sogar die Kinder in der Schule bespitzelt wurden, indem Lehrer sieben und achtjährigen Fragen stellten, wo z. B. die Eltern das Hitlerbild in der Wohnung aufgestellt haben?
„Wie macht es dein Vater am Morgen - sagt er Guten Morgen oder sagt er Heil Hitler? - Spricht euer Radioapparat nicht manchmal eine Sprache, die du nicht verstehst -?" (80)
Dr. Doll ist Schriftsteller. Er ist von dem Nationalsozialismus dermaßen geschockt, dass er es nicht schafft, wieder Bücher zu schreiben. Aber er wird zum Bürgermeister ernannt und findet erstmal darin eine Beschäftigung, einen Wiederbeginn im neuen Deutschland, das noch in Trümmern liegt.

 Viele Menschen wenden sich an ihn, verlangen Lebensmittel, Kleider, Wohnung …
Doch auch der Bürgermeister hatte auch nichts, aber er ging los. Er suchte, wo Parteigenossen großen Überfluss hatten, und gab von diesem Überfluss der Volksgenossin, nicht reichlich, aber ausreichend. Doch stand am folgenden Tage eine andere weinende Frau vor ihm, die Nachbarin der eben Neuversorgten, auch eine Mutter von Kindern, auch blutarm, und die eben Beschenkte, die eben Ausgestattete hatte der Nachbarin über Nacht die Wäschelumpen von der Leine gestohlen! Deutsche gegen Deutsche, jeder für sich allein, immer weiter gegen die ganze Welt und alle ankämpfen. (93)
Was die Kriegsfolgen aus Menschen machen, zeigte dieses Beispiel.

Dr. Doll selbst ist seelisch am Ende, rappelt sich aber immer wieder auf. Lebt für eine längere Zeit in einem Sanatorium, das ihm helfen soll, von dem Morphium wieder loszukommen. Um die Realität zu verkraften, konsumierten er und seine Frau das Zeug in Überdosis ... Er kommt von dem Zeug los, nur das Schreiben will nicht so gelingen. Sein Verleger Völger versucht, ihn zum Schreiben zu animieren, ihn neu aufzumuntern:
"Aber ich weiß nicht-ich habe bisher noch keine Möglichkeit entdeckt. Vielleicht schreibe ich nie wieder ein Buch. Es sieht alles so trostlos aus. Wer sind wir denn noch, wir Deutsche, in dieser durch uns zerstörten Welt-? Zu wem sollen wir sprechen, zu den Deutschen, die keine Lust haben, uns anzuhören, oder zum Ausland, das uns hasst-?" (225)
Die Bürokratie; die Bürokratie und die starre Einhaltung von Gesetzen sind wichtiger als der Mensch. Auch wichtiger als kranke Menschen, die dringendst ärztliche Hilfe benötigen. Frau Doll ist schwer krank, sie sucht zusammen mit ihrem Mann einen Arzt. Es ist Nacht und kalt draußen. Es herrscht Ausgangssperre. Doch die Dolls benötigen nicht nur einen Arzt, sondern auch ein Dach über dem Kopf, da ihre Wohnung an andere vom Ordnungsamt weitervermietet wurde, als sie so lange leerstand. Sie finden keinen Arzt und geben sich der Polizeistation hin. Sie sind sicher, dass die Polizei ihnen helfen wird:
"Was wollen Sie denn-?", fragte der Polizist barsch.
"Wir sind vor einer Weile von auswärts mit der Bahn gekommen, und meine Frau ist krank. Die Unfallstelle ist geschlossen. Erlauben Sie, dass wir bis sechs in Ihrer Wachstube ein bisschen sitzen und uns aufwärmen?"
"Das kann ich nicht erlauben, das ist verboten", antwortete der Polizist.Sie verlegten sich auf Bitten, aufs Betteln. Es geschehe doch niemanden ein Schaden dadurch, sie würden auch ganz still sitzen! Aber der Polizeibeamte blieb unerbittlich: "Was verboten ist, kann ich nicht erlauben! Und überhaupt, was machen Sie jetzt auf der Straße? Es ist doch Sperrstunde!"
"Nehmen Sie uns deswegen doch ein bisschen fest, Herr Wachtmeister!", bat die junge Frau. "Dann ist es nichts Verbotenes mehr, wenn wir drin sitzen!"Aber auch für diesen Vorschlag war der Polizist nicht zu haben, plötzlich schlug er die Tür zu, und die beiden standen wieder allein auf der dunklen Straße. (103) 
Dieses Zitat hat mich so ziemlich betroffen gestimmt. Ein bißchen festnehmen, lol. Eine Festnahme wäre hier das kleinere Übel. Sie säßen im Warmen und bekämen etwas zu Essen.

Die Szenen in dem Sanatorium, wie ich eingangs schon geschrieben habe, hatte mich auch ziemlich betroffen gestimmt. In dem Sanatorium wurden viele, viele Ärzte behandelt, die alle unter der Drogensucht litten und in der Heilanstalt sich dem Entzug stellten. Auch diese Ärzte waren Menschen, die schwer mit der Wirklichkeit leben konnten, da sie berufsbedingt die Kriegsleiden und die Kriegsgebrechen täglich vor Augen hatten. Doch im Sanatorium wurden sie anonym behandelt. Niemand durfte wissen, dass sie Morphinisten sind. Sie laufen Gefahr, ihre Approbation zu verlieren.

Der Schluss hat mir sehr gut gefallen.

Nachtrag 07.11.2014:

Leider ist meine Lesepartnerin Anne für eine längere Zeit erkrankt, so dass sie ihre Leseeindrücke vorübergehend nicht ins Netz übertragen kann und ich keine Verlinkung zu ihrer Buchbesprechung vorzunehmen in der Lage bin. Wir tauschen uns nun hauptsächlich telefonisch aus.

Anne war der selben Meinung wie ich, dass die Szene mit dem Morphiumkonsum nicht realistisch war. Fallada war zu dieser Zeit selber in einer Heileinrichtung untergebracht und ist wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen, die Morphiumdosis richtig einzuschätzen.

In dem Buch existiert auch ein Kind, das seine Frau aus der ersten Ehe mitgebracht hat. Das Kind wurde nur zwei Mal erwähnt und fehlte völlig in den Familienzusammenhängen. Auch das ist untypisch für Fallada, der eigentlich präzise ist, Familien in ihren Nöten zu beschreiben. Auch dies ist wohl auf seinen Krankenzustand zurückzuführen.

Dieses Buch ist posthum herausgebracht worden und zählt zu Falladas letzten Werken. Und es könnte sein, dass gerade dieses Buch sehr viel autobiografisches Material bietet und verweise auf das Vorwort ...

______
Ich konnte immer nur sehr wenige Menschen auf einmal gern haben.
(Ernest Hemingway)

Gelesene Bücher 2014: 74
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Keine Kommentare: