Freitag, 20. März 2020

Ian McEwan / Liebeswahn (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Nun habe ich meinen achten McEwan beendet und ich kann gar nicht sagen, welcher mir am besten gefallen hat. Welcher mir partout nicht zugesagt hat, weil er mich nicht überzeugen konnte, gab es nur einen. Auf meinem Blog habe ich den Autor als Leseprojekt laufen, und alle Rezensionen sind hier abrufbar.

Obwohl ich bewusst keine Krimis und auch keine Psychothriller lese, es sei denn, dass sich der Lesestoff in diese Richtung entpuppt, ohne dass man vorgewarnt wurde, muss ich dann Ausnahmen machen. Meistens bekommt man es in diesem Genre mit grausamen Szenen zu tun, ganz häufig brutale Tierszenarien, wie auch bei Liebeswahn aber hier nur vereinzelt. Aber ich habe diese schnell wieder verdrängt und vergessen.

Bei Krimis und Psychothrillers halte ich mich immer kurz, um inhaltlich nicht zu viel von der Spannung preiszugeben. Mal schauen, was ich hier zusammenbekomme, ohne zu viel zu verraten.

Hier geht es zum Klappentext, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Der Held dieser Geschichte ist Joe Rose. Er ist von Beruf ein naturwissenschaftlicher Schriftsteller, Physiker, und lebt mit seiner Lebensgefährtin namens Clarissa Mellon. Clarissa ist Hochschuldozentin. Sie unterrichtet Linguistin und englische Literatur. Sie und Joe leben in einem Apartment im Norden Londons. Sie sind beide ein glückliches Paar, bis das Schicksal ihre Beziehung unter eine schwere Prüfung stellt.

Joe und Clarissa befinden sich auf einem Picknick, als sie mitbekommen, wie ein großer Ballon, der mit Helium gefüllt ist, und in dem sich ein Kind in dem Korb befindet, technisch gesehen in Schwierigkeiten gerät. Joe und andere Männer, die sich in der Nähe befanden, rennen zu dem Ballon, um das Kind zu retten. Neben dem Korb, an ein Tau festhaltend, befand sich der Großvater des Jungen, der versucht, Herr der Lage zu werden, verliert aber selbst die Kontrolle. Die Retter klammerten sich an das Seil, um den Ballon auf die Erde zu bugsieren, doch irgendwas ging schief, sodass er unaufhaltbar wieder nach oben trieb. Nun hatten auch die Helfer die Kontrolle verloren. Nach und nach ließen sie sich zu Boden fallen, außer John Logan, der einfach nicht rechtzeitig loslassen konnte, weil er unbedingt das Kind retten wollte. Logan stürzt, als der Ballon schon zu hochgestiegen war, und kommt dadurch ums Leben.
Joe leidet durch Logans Tod unter Schuldgefühlen.
Ich hatte das Seil losgelassen. Ich hatte geholfen, John Logan zu töten. (2000, 49)
Nach dem Sturz lernt er noch am Unfallort Jed Parry kennen, seinen Stalker, und wird ihn nicht mehr los. Parry bekennt seine Liebe zu ihm, die allerdings in keine sexuelle Richtung geht, eher in eine obsessive religiöse …

Welche Szenen haben mir nicht gefallen?
Die Szenen mit der Polizei fand ich grausam, als Joe sich hilfesuchend an sie wendet. Aber die Sicherheitskräfte schätzen den Zwischenfall mit Parry nicht als bedrohlich ein. Von zu starken objektiv infizierten Fragen wird es für die Profis schwierig, auf Joes Nöte einzugehen.

Die Szenen mit Clarissa fand ich ebenfalls deprimierend, die ähnlich wie die Polizeibeamten reagiert. Auch sie nimmt ihren Partner nicht für voll, und strickt daraus ein psychisches Leiden, das von ihm ausgehen würde ...

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Dass am Ende die Abrechnung kam.

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Keine.

Welche Figur war mir antipathisch?
Clarissa Mellon.

Meine Identifikationsfigur
Joe Rose.

Cover und Buchtitel
Das Cover ist selbsterklärend. Der Buchtitel ist sehr gut getroffen.

Zum Schreibkonzept
Auf den 356 Seiten ist das Buch in 24 Kapiteln gegliedert. Die Geschichte ist aus mehreren Perspektiven erzählt. Am Ende gibt es einen Anhang, den ich nur quergelesen habe, da ein Teil davon aus einer Begriffsklärung besteht. McEwan geht auf den klinischen Fachbegriff Clérambault-Syndrom ein. Da ich beruflich aus der Psychiatrie komme und mir der Begriff vertraut ist, habe ich ihn im Buch nicht weiter vertiefen müssen. Aber für andere Leser*innen kann dieser Part des Buches hilfreich sein. Es folgt ein Fallbeispiel. Im Anschluss gibt es eine Erörterung, dann eine Schlussbetrachtung, die aus zwei Teilen besteht. Die Handlung wird aus Jeds Ichperspektive beendet, als er Joe seine Sichtweise in einem Brief offenbart. Leider kann ich hier keine Details nennen, sonst nehme ich den anderen Leser*innen die Spannung weg. Das ist der Nachteil bei Krimis und Psychothrillers, dass man keinen Satz zu viel schreiben darf. Obwohl ich hier aus Parrys Brief gerne herauszitieren würde.

Meine Meinung
Das Buch ist kein typischerer Psychothriller, dafür ist er nicht spannend genug, aber spannend von der Konstruktion der menschlichen Psyche her. Der Focus ist hier mehr auf menschliches und psychologisches / psychiatrisches Verhalten gesetzt, was sehr wohl mit realistischen Fällen verglichen werden kann. Hierbei hat der Autor über seinen Stoff sehr gut recherchiert. Mit dem Ende war ich allerdings nicht ganz zufrieden, da er im Anhang gepackt war. Hier erfährt man erst, was mit Parry passiert ist.

Mein Fazit
Sehr lesenswert. Mit bester Empfehlung.

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Ich habe selber beim Diogenes Verlag eine Anfrage gestellt. Vielen herzlichen an die Pressereferentin Susanne Bühler für die Zusendung dieses Leseexemplars.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (sachlich, fantasievoll, distanziert)
2 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere 
2 Punkte: Authentizität der Geschichte; 
2 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur, Gliederung vorhanden 
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

12 von 12 Punkten


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Jeder kann die Welt mit seinem
Leben ein wenig besser machen.
(Charles Dickens)

Gelesene Bücher 2020: 06
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Gelesene Bücher 2017: 60
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Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
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Gelesene Bücher 2011: 86


Der Mensch ist mehr als nur die biologische Erbmasse.
Er ist, was er innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)
Die Herkunft eines Menschen
Die Wurzeltheorie verdammt Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur, weil sie eine andere Hautfarbe, eine andere Religion oder einen anderen Namen tragen. Die meisten haben ihre Wurzeln dort geschlagen, wo sie geboren wurden und / oder dort, wo sie ihr ganzes Leben zugebracht haben.

Es lebe die menschliche Vielfalt in Deutschland und überall.
(M. P.)