Montag, 26. November 2018

Inger-Maria Mahlke / Archipel (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre   

Nach 324 Seiten musste ich das Buch definitiv abbrechen. Ich habe mich das ganze Wochenende damit gequält. Und heute ist mein freier Tag und möchte ihn mit spannenderen Inhalten ausfüllen.

Aber keine Sorge, meine beiden Lesepartnerinnen Tina und Sabine St. gefällt das Buch recht gut. Die Geschmäcker dürfen auch gerne unterschiedlich bleiben. Da ich am Wochenende meine ganze Zeit dem Buch geopfert habe, werde ich daher meine inhaltliche Buchbesprechung kurzhalten.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Man bekommt es hier mit einer spanischen Familie mehrerer Generationen zu tun, die auf den kanarischen Inseln lebt. Zu Beginn des Romans lernen wir drei Generationen kennen. Das jüngste Glied dieser Familie ist Rosa Bernadotte Baute, Anfang zwanzig, hatte ein Studium begonnen, ist aber an einer Arbeit Was von meinem Vater übrig blieb gescheitert. Sie arbeitet nun in einem Seniorenheim Asyl der barmherzigen Schwestern für in Not gefallene Alte, in dem ihr Großvater Julio Baute, 95 Jahre alt, als Portier tätig ist. Der Großvater ist gleichzeitig Bewohner dieses Heimes.

Julio Baute ist der Vater von Ana Baute, die 52 Jahre alt ist und Mutter von Rosa. Sie ist politisch aktiv, und steht eher auf der konservativen Seite. Auch sie hat ein Studium absolviert und ist Verwaltungswissenschaftlerin. Eine ganz andere Richtung als die von Rosa und ihrem Mann Felipe.

Felipe Bernadotte, 53 Jahre alt, ist mit Ana verheiratet und der Vater von Rosa. Er kommt aus einer adligen Familie. Felipe hatte auch studiert, hatte aber sein Studium aus politischen Gründen abbrechen müssen. Felipe war politisch eher links orientiert. Nach dem Abbruch seines Studiums verbrachte er seine Zeit vormittags als ein einfacher Bauer, und nachmittags geht er hauptsächlich in einen Klub und lässt sich in der dazugehörigen Bibliothek mit Alkohol berieseln.

In der Familie ist auch eine Haushaltskraft namens Eulalia tätig, die Felipe mit in die Ehe gebracht hat. In dem Roman wird auch Eulalias Herkunft beleuchtet.

Es scheint hier in der Familie jede Menge Probleme zu geben, die allerdings nicht angegangen werden. Man spricht nicht darüber, man hält sie im Stillen aus. Dass Felipe am Nichtstun leidet und die Langeweile mit Alkohol kompensiert, wird an verschiedenen Stellen deutlich. Außerdem scheint er sich als Versager zu sehen, dass er den Erwartungen seines adligen Standes nicht zu erfüllen weiß.

Sein adliger Name Bernadotte war sein eigentliches Problem, mit dem er kritisch umgegangen ist. Eine familiäre Belastung, die weit in die Franco – Diktatur zu reichen scheint ... Felipe wollte kein Bernadotte mehr sein, und beschloss, nur noch einfache Gartenarbeiten zu verrichten, da er sich politisch als gescheitert betrachtet… Felipe zählte sich zu den letzten Konquistadoren, spanische Eroberer südamerikanischer Kolonien ...

Die Handlung beginnt im Jahre 2015 und endet 1919.

Zum Schreibkonzept
Dieses Schreibkonzept hat mir eigentlich gefallen. Obwohl es anstrengend war, die Handlungen von hinten nach vorne zu lesen. Der Roman besteht aus 17 Kapiteln und vereinzelt aus Unterkapiteln. Aber vieles, was die Autorin thematisch aufreißt, bleibt unvollständig und unaufgeklärt. Am Ende des Buches befindet sich ein Glossar, mit dem man nicht wirklich etwas anzufangen weiß. Außerdem werden viele spanische Sätze nicht übersetzt. 

Cover und Buchtitel?
Damit hat sich Sabine St. befasst, die gleich zu Beginn gegoogelt hat, was die Autorin mit dem Buchtitel Archipel gemeint haben könnte. Ich hatte eher gehofft, die Autorin gibt zu ihrem Titel einen Hinweis. Auf jeden Fall habe ich Archipel als eine Inselgruppe Spaniens aufgefasst, siehe Näheres dazu auch auf Wikipedia.

Meine Identifikationsfigur
Keine

Meine Meinung
Ich konnte nach 324 Seiten nicht mehr weiterlesen, da ich völlig an den Erwartungen, was ich hoffte, was mir das Buch bieten sollte, rundum gescheitert bin. Auch habe ich mich zu stark vom Klappentext verleiten lassen. Die Figuren waren mir zu flach, und die historischen und politischen Zusammenhänge nicht ausreichend genug zusammengefügt. Immer mal wieder kurz angerissen, mehr ist aber nicht passiert. Dadurch, dass das Buch von hinten nach vorne gelesen wird, war ich sicher, mehr von dem Franco-Regime zu lesen zu bekommen, sobald ich in diese Epoche eindringen würde. Doch nach 324 Seiten, als ich auch die 1970er Jahre hinter mich gebracht habe, hat sich inhaltlich nichts an der politischen Beschreibung verändert, sodass ich nun nicht anders konnte, als das Buch abzubrechen.

Wo waren Franco und sein Regime? Immerhin regierte er von 1939 bis 1977. Der Klappentext hat mehr versprochen, als dass er einhalten konnte. Wie kann man über eine Zeit schreiben, ohne die Politik mit zuberücksichtigen? Franco war nicht irgendein Politiker. Er war ein Diktator Spaniens. Er kann nicht einfach an den Menschen vorbei gelebt haben, die stark unter seinem Regime gelitten haben mussten ... Immerhin war er noch lange an der  Macht, als bei uns der Zweite Weltkrieg längst vorbei war. Politische Andeutungen? Ist mir definitiv zu wenig gewesen. 

Außerdem wurden viele Konflikte der Protagonist*innen nur angerissen und dafür hat sich die Autorin mit vielen Details aus dem Alltag ausgelassen …

Aber das waren nicht die alleinigen Gründe; zudem waren mir die Figuren zu distanziert dargestellt. Ich habe mich des Öfteren gefragt, ob die Figuren eine Psyche haben? Außerdem nimmt man wenig Anteil an ihren Gedanken und an ihren Gefühlen. Sie werden größtenteils von der Autorin beschrieben und gelenkt. (Ich meine das nicht naiv, ich meine das literarisch. Figuren so zu beschreiben, als wären sie eigenständig und dadurch lebendig, ist für mich eine literarische Kunst, wem das gelingt). Mir kommt die Autorin wie die Mutter ihrer Figuren vor, die sie zur besseren Koordinierung an der langen Leine hält und ihnen nicht zutraut, für sich selbst zu sprechen.

Sabine und Tina sind der Meinung, dass die Autorin die Gefühle den Lerser*innen überlässt. Ich glaube eher, dass die Autorin Gefühle nicht so leicht auszudrücken weiß. Um das herauszubekommen, müsste man ein weiteres Buch von der Autorin lesen, um ihren Schreibstil besser unter die Lupe zu nehmen, und um die Bücher miteinander zu vergleichen.

Tinas und Sabines Meinung
Beide finden den Schreibstil gut aber sie konnten auch meinen Abbruch nachvollziehen. Tina meinte, dass auch ihre Buchhändlerin von diesem Familienroman nicht wirklich begeistert gewesen wäre. Auch sie könne den Buchpreis nicht richtig nachvollziehen, denn es hätte in dieser Shortliste auch noch andere gegeben, die ihn verdient hätten. Tina hätte sich auch mehr politische Hintergründe gewünscht, während Sabine für die Politik Spaniens nicht so viel Interesse hat aufbringen können.

Wenn Tina und Sabine mit dem Buch durch sind, werde ich Tinas Buchbesprechung mit meiner verlinken, in der sicher auch Sabines Eindrücke festgehalten werden. Sabine hat keinen Blog.

Ich bin mal gespannt, was ich auf den letzten hundert Seiten verpasst haben könnte. Aber das, was mir fehlt, kann ich später bei Tina nachlesen und mich zusätzlich mit Sabine verbal austauschen.  

Mein Fazit?
Für mich ist dies ein Buch für Literaturwissenschaftler*innen, Literaturkritiker*innen, für Deutschlehrer*innen und für die Vielleser*innen, die für ein Buch dieser Art jede Menge Zeit und Geduld aufbringen können.

Ich habe mir die Bewertung auf Amazon angeschaut. Dieses Buch wurde im Durchschnitt mit nur 2,5 Sternen votiert. Ich vergebe keine Punkte. Ich bin nicht in der Lage, dieses Buch zu bewerten …

Meine abschließende Frage: Wie hat es dieser Roman zu einem Buchpreis geschafft?

Hier geht es zu Tinas Buchbesprechung.

Wie man an Tinas Buchbesprechung sehen kann, hat jede Leser*in unterschiedliche Erwartungen. Meine politischen Erwartungen haben sich definitiv nicht erfüllt. Politische Andeutungen? War mir zu wenig. Zu viele Alltagsbeschreibungen, zu wenig politsche Fakten.

In den Köpfen und in der Psyche der Menschen passiert in einer Diktatur wesentlich mehr, als die Autorin hat deutlich machen können. Der gesamte Lebensalltag wird in einer restriktiven  und repressiven Politik in Beschlag genommen. 

Viele wissen nicht, wie sich eine Diktatur anfühlt ...

Und die Figuren? Waren mir alle viel zu seelenlos ... 

Mahlke hat bei mir ausgespielt. Hätte ich vorher Tinas Buchbesprechung gelesen, dann wäre meine Entscheidung gefallen. Mein Geld hätte ich mir für dieses Buch sparen können. Habe mich echt betrogen gefühlt. Und noch die kosbare FREIZEIT, die ich dafür geopfert habe. Nie wieder. In Zukunft breche ich früher ein Buch ab. Und da ist es mir ganz egal, was andere dazu denken. Dann schwimme ich eben auch gerne mal gegen den Strom. 

In der Regel mag ich ja intellektuelle Literatur. Ich lese ja sonst auch recht anspruchsvolle Bücher.

Adieu, Inger-Maria Mahlke. Das war wohl nix mit uns beiden. Ich verdiene kein Geld für das Lesen, Sie aber für das Schreiben. 
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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

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Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


4 Kommentare:

Ina Degenaar hat gesagt…

Das ist ja ziemlich niederschmetternd, deckt sich aber mit meiner Erfahrung, dass ein preisgekröntes Buch noch lange nicht gefallen muss.
LG, Ina

Sabine hat gesagt…

Ich bewundere, dass du dir trotz dieses persönlichen Lese-Desasters (als das du es ja empfindest) soviel Arbeit mit der Aufarbeitung machst!
Auf ein Neues! Natürlich werden wir dir das Ende des Buches mitteilen. Aber ich befürchte fast, dass es keines geben wird. Die Autorin denkt nach eigener Angabe beim Schreiben nicht an die Leser. Insofern vermute ich einfach nur ein Schweigen, das man mit eigenen Gedanken füllen kann - sofern man noch die Lust dazu hat ;)

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

Naja, Sabine, da gibt es nichts zu bewundern. Eine Buchbesprechung gehört für mich auch bei abgebrochenen Büchern dazu. Ich möchte ja belegen und begründen, was bei mir zu einem Abbruch beigetragen hat. Und ob dies nun alles nur eine persönliche Meinung ist, wage ich mittlerweile zu bezweifeln. Gestern Abend habe ich die Buchbesprechung mit Facebook verlinkt, und wer hätte das gedacht, als eine Literaturexpertin sich mir angeschlossen hat, und mir ganz offen mitgeteilt hat, dass auch sie das Buch abgebrochen hätte. Da habe ich gestaunt, wo ich doch in der Rezension geschrieben habe, dass dies ein Buch für die Profis sei … Mehr sage ich jetzt nicht, habe alles in meiner Besprechung begründet.

Liebe Ina,
vielen Dank für dein Verständnis. Wer von uns bricht denn schon gerne ein Buch ab?

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

P.S.und wenn Mahlke tatsächlich beim Schreiben weniger an die LeserInnen gedacht hat, dann finde ich erstrecht, hätte jemand anderes den deutschen Buchpreis verdient. Ich denke auch, dass der Schluss offen bleibt. Noch weiter zurück in die Vergangenheit gibt es viele Figuren, die uns anfangs begleitet haben, nicht mehr. Ich hatte keine Nerven mehr für die vierte und fünfte Generation, wenn die ersten drei Generationen noch gar nicht geboren waren.