Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Das Buch habe ich nun durch und es hat mir sehr, sehr gut gefallen. Es hat mich wieder intensiv gepackt, ähnlich wie bei der Schachnovelle.
Stefan Zweig ist so sprachbegabt. Bei ihm, und das findet man nicht bei jedem Autor, ist sowohl der Intellekt als auch das Gefühl sehr ausgewogen. Und seine psychologischen Kenntnisse sind überragend... . Aus diesem Grunde gebe ich dem Buch zehn von zehn Punkten. Gute Gedanken in schöne Bilder gepackt.
Ich habe mir viele Textstellen angestrichen, und versuche sie hier verarbeitend zu platzieren... .
Der Erzähler in dem Buch ist diesmal keine Romanfigur, die im Geschehen mitagiert. Er ist ein objektiver Betrachter, der von einem Baron zu berichten beginnt, der ohne Begleitung verreist und in ein Hotel einkehrt, indem es keine Spielpartner gibt. Er beklagt seine einsame Situation und sehnt sich nach weiblichem Kontakt... . Schon auf den ersten Seiten bekommt man ein Bild von diesem Subjekt, das alles andere als sympathisch ist... . Den Namen des Barons erfährt man nicht.
Und keine Gereiztheit ist ärgerlicher als die des Spielers, der mit den Karten in der Hand im Bewusstsein seiner Überlegenheit vor dem grünen Tisch sitzt und vergeblich den Partner erwartet. Der Baron rief nach einer Zeitung. Würde ich diese die Blicke über die Zeilen rinnen, aber seine Gedanken waren lahm und stolperten wie betrunken den Worten nach.
Um seine Einsamkeit zu killen, begibt er sich auf die Suche nach weiblicher Gesellschaft.
Er war selber den Frauen nicht unähnlich, die erst die Gegenwart eines Mannes brauchen, um aus sich ihre ganze Gewalt herauszuholen. Erst ein sinnlicher Reiz spannte seine Energie zu voller Kraft. Der Jäger in ihm witterte hier eine Beute.
Eine hübsche Dame trat in das Hotel ein, gemeinsam mit ihrem zwölfjährigen Sohn, die aus Wien kamen. Der Sohn war sehr kränklich, und sie suchten in diesem Hotel viel Ruhe und Genesung, allerdings geht nicht hervor, wo sich das Hotel befindet.
Nun überlegt sich der Baron, wie er Bekanntschaft mit dieser schönen Dame machen kann.
Der Baron begibt sich in die Nähe des Jungen namens Edgar und bietet ihm seine Freundschaft an. Edgar ist ein sehr einsames Kind und freut sich über die Bekanntschaft mit dem Baron. Der Baron war nicht wirklich an dem Kind interessiert, nein, er benutzte es,
(…) denn er wusste, ein paar Reisekinderhände bauten ihm die Brücke zu ihrem Herzen.
Sein Plan geht auf. Bald wusste der Baron alles über die Familie, dass sie jüdischer Herkunft sind, dass die Mutter mit einem Advokaten verheiratet ist und dass sie der Bourgeoisie angehören. Edgar war stolz nun einen erwachsenen Freund zu haben. Das war für ihn etwas ganz Besonderes und freute sich auf den Hund, den er von dem Baron versprochen bekommt. Der Junge ist völlig fasziniert von ihm und erzählt seiner Mutter über die Bekanntschaft seines neuen Freundes. Nun hat der Fisch angebissen... .
Zwischen der Mutter und dem Baron knüpft sich der Kontakt und er scheint immer inniger zu werden und das Kind wird plötzlich unwichtig, landet auf den Abstellgleis. Es stimmt Edgar recht betroffen und spürt sehr deutlich die veränderte Lage. Auch die Mutter behandelt ihn plötzlich so, als würde das Kind stören, so, als wäre er das fünfte Rad am Wagen. Edgar stellt den Baron zur Rede:
"Was habe ich Ihn getan, dass Sie nicht mehr auf mich achten? Warum sind Sie jetzt immer so mit mir? Und die Mama auch? Warum wollen Sie mich immer wegschicken? Bin ich Ihnen lästig, oder habe ich etwas getan?"
Wirklich viel hat diese Unterredung nicht gebracht. Edgars Wesen verändert sich. Er lernt, sich zu beherrschen aber er lässt sich nicht mehr so einfach von dem Paar fortschicken, was nicht nur den Baron, sondern auch die Mutter verärgert. Aus dem lieben Knaben entwickelte sich ein Tyrann. Doch zu recht. Denn er hatte den Baron durchschaut, mittlerweile wurde ihm bewusst, dass er ihn benutzte, um sich seiner Mutter zu nähern. Er wusste, dass der Baron schamlos lügen konnte. Aber nicht nur der Baron …, später stellten sich die Lügen auch bei der Mutter heraus, die ein Versprechen dem Kind gegenüber nicht halten konnte:
Dass seine Mutter log, wusste erst seit gestern. Aber dass sie so schamlos sein konnte, ein offenes Versprechen zu missachten, das zerriss ihm sein letztes Vertrauen. Er verstand das ganze Leben nicht mehr, seit er sah, dass die Worte, in der er die Wirklichkeit vermutet hatte, nur farbige Blasen waren, die sich blähten und in nichts zersprangen. Aber was für ein furchtbares Geheimnis musste das sein, dass erwachsene Menschen so weit trieb, ihn, ein Kind, zu belügen, sich wegzustehen wie Verbrecher? In den Büchern, die er gelesen hatte, mordeten und betrogen die Menschen, um Geld zu gewinnen oder Macht oder Königreiche. Was aber hier die Ursache, was wollten diese beiden, warum versteckten sich vor ihm, was suchten sie unter hundert Lüge zu verhüllen? Er zermarterte sein Gehirn. Dunkel spürte er, dass dieses Geheimnis der Riegel der Kindheit zeigt, dass, es erobert zu haben, bedeutete, erwachsen zu sein, endlich, endlich ein Mann.
Man merkt, dass Edgar noch zu jung war, um die Lage der beiden Erwachsenen zu durchschauen, denn sonst wüsste er, dass die beiden zueinander ein sexuelles Interesse verspürten und Edgar zu einem Störfaktor sich entpuppte... .
Es entstehen größerer Reibereien zwischen der Mutter und ihrem Sohn, der Interessenkonflikt nimmt immer mehr zu. Edgar lässt sich weiterhin nicht so leicht abwimmeln. Und einmal verliert der Zwölfjährige gegenüber dem Baron vor aller Leute im Hotel die Beherrschung und sagt ihm ordentlich die Meinung. Die Mutter schickt ihn aufs Zimmer zurück, nachdem Edgar sich weigerte, sich bei dem Baron zu entschuldigen.
" Ein Lügner ist er, ein falscher Mensch. Was er tut, ist Berechnung und Gemeinheit. Er hat dich kennenlernen wollen, deshalb war er freundlich zu mir und hat mir einen Hund versprochen. Ich weiß nicht, was er dir versprochen hat und warum er zu dir freundlich ist, aber auch von dir will er etwas, Mama, ganz bestimmt. Sonst wäre er nicht so höflich und freundlich. Er ist ein schlechter Mensch. Er lügt. Sieh ihn nur einmal an, wie falsch er immer schaut. Oh, ich hasse ihn, diesen erbärmlichen Lügner, diesen Schurken…"
Edgar fühlt sich in der Rolle als Kind nicht mehr wohl, er fühlt sich ausgeschlossen aus der Welt der Erwachsenen und wünschte sich nichts sehnlicher, schnellstmöglich aus seiner Kindheit heraus zu wachsen, um der Erwachsenenwelt anzugehören:
Furchtbar, Kind zu sein, voll von Neugier und doch niemand fragen zu dürfen, immer lächerlich zu sein vor diesen Großen, als ob man etwas Dummes oder Nutzloses wäre.
Die Lage spitzt sich immer weiter zu, Edgar treibt es zu weit, seine Wutanfälle und Eifersucht beherrschen ihn, die starke Konsequenzen von seiten der Mutter nach sich ziehen. Aber seine Wutanfälle, so finde ich, sind berechtigt. Schließlich ist er ein doppeltes Mal enttäuscht worden und immer ist er es, von dem Einsicht erwartet wird.
Edgar wird im Zimmer eingesperrt… und ich mag nun nicht weiter erzählen..., um nicht noch mehr verraten zu müssen... .
Aber der Fortlauf der Erzählung findet noch seinen Höhepunkt, als Edgar versucht die beiden Erwachsenen geschickt nachzuspionieren, die so geheimnisvoll tun, um ihr Geheimnis zu enthüllen... Das Ende fand ich total schön, und so möchte ich zum Abschluss noch ein letztes Zitat anbringen:
Edgar war unfähig, an irgendetwas oder irgend jemanden mit Hass zu denken, er bereute nichts, und selbst für den Baron, den Verführer, seinen bittersten Feind, fand er ein neues Gefühl der Dankbarkeit, weil der ihm die Tür aufgetan hatte zu dieser Welt der ersten Gefühle.
Das fand ich auch total schön, dass Edgar, so jung wie er auch noch war, zu solchen tiefen Gedanken hineingefunden hat und er diese bittere Erfahrung als ein wichtiger Reifeprozess in das Erwachsenenalter zu verstehen lernte.
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)
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