Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Mir hat das Buch von Thomas Hardy wiedermal sehr gut
gefallen. Ich habe es als sehr gesellschaftskritisch erlebt. Auch hier
behandelt er die Stellung einer Frau aus dem Ende des 19. Jahrhunderts und den
gesellschaftlichen Konventionen. Hardy hat sich, wie aus dem Anhang zu
entnehmen ist, auch mit diesem Roman bei einigen seiner Leserschaft unbeliebt gemacht. Es deprimierte ihn so sehr,
dass er mit dem Schreiben von Romanen aufhören und in die Poesie flüchten
wollte.
Das Buch Tess of the
d´Urbervilles wurde im Dezember 1891 in England veröffentlicht. Der Roman
spaltete seine LeserInnen in zwei Fronten. Die einen ehrten das Buch, andere
lehnten es vehement ab. Besonders Literaturkritiker zerrissen sein Werk.
Hardy behandelt hier für seine Zeit brisante Frauenthemen
wie z. B. die Sexualität vor der Ehe, die voreheliche Schwangerschaft und
die soziale Stellung einer Frau, die nicht den gesellschaftlichen Erwartungen
entspricht. Aber sind das wirklich nur Frauenthemen? Hinten im Klappentext
steht, dass der Roman zu den wichtigsten Frauenromanen der Weltliteratur
gehören würde. Ich glaube, das sind aber Themen, die sehr wohl auch Männer
betreffen ... Nur ist es in dieser Geschichte die Frau, die mit diesen Themen
benachteiligt und allein gelassen wird. Sie trägt besonders bei sexuellen
Fehltritten die alleinigen Konsequenzen …
Zum Leidwesen seiner LeserInnen behandelt Hardy auch
Tabuthemen wie Tod und Leid, da diese ebenso zum Leben gehören würden. Der
Autor wollte die nackte Realität aufzeigen und nichts beschönigen.
Aus dem Nachwort von Dorothee Birke:
Große Literatur, so schreibt Hardy, könne nur entstehen, wenn es
möglich sei, sich über die engen Moralvorstellungen der Hauptleserschaft dieser
Institutionen hinwegzusetzen und gerade das Verhältnis zwischen den
Geschlechtern ohne Prüderie und ohne den Blick durch eine rosarote Brille
darzustellen.
Mir sind folgende Szenen hängen geblieben, die mich tief
berührt haben. Tess, unsere Heldin dieses Romans, lebte ein völlig anderes
Leben und um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, war sie sich für keine Arbeit
zu schade. Sie arbeitete hart, sie wollte niemandem zur Last fallen, weder
ihren Eltern, und später auch nicht ihrem Gemahl, der sich von ihr abgewendet
hatte, als sie ihm ein Geständnis abgelegt hatte.
Bevor Tess Mister Clare kennengelernt hat und nach langem
Hin und Her ihn schließlich auch geheiratet hat, lag sie in einer vorehelichen
Beziehung mit Alec d´Urberville und wird von ihm schwanger. Man erfährt
allerdings nicht wirklich, wie die Schwangerschaft zustande gekommen ist und
man wusste nicht sofort, dass sie ein Baby erwartet. Auf einmal war der
Nachwuchs da. Erst wusste ich nicht, von wem dieses Kind ist und war doch
überrascht zu erfahren, dass Alec der Vater ist, wo Tess doch von diesem Mann
nicht wirklich etwas wissen wollte und auf seine penetranten
Annäherungsversuche total ablehnend reagiert hat. Er wirkte tatsächlich nicht
wirklich sympathisch und nutzte Tess´ soziale Lage aus. Deshalb die Frage, ob
Tess von Alec vergewaltigt wurde? Diese Antwort bleibt der Autor uns LeserInnen
bis zur letzten Seite schuldig.
Das Kind wurde schließlich unehelich geboren. Als Tess sich
ganz von Alec abgewendet hatte, brachte sie das Kind ohne sein Wissen zur Welt.
Kein Pfarrer war bereit, das uneheliche Kind zu taufen. Als das Kind
lebensbedrohlich erkrankte, nahm Tess schließlich die Taufe selbst in die Hand,
damit es nach seinem irdischen Ableben in das Himmelreich Gottes gelangen
konnte. Tess war keine Katholikin, sie ist protestantischer Herkunft und auch
die protestantischen Pfarrer waren sehr auf kirchliche und gesellschaftliche Normen
bedacht und ließen Tess mit ihren Sorgen allein. Tess eignete sich schließlich
selbst lateinische Bibeltexte an, taufte das Kind noch schnell vor dem Tod und
nach dem Tod hatte sie das Kind auch selbst bestattet.
Dies waren Szenen, die mich doch auch beschäftigt haben.
Obwohl Tess aus armen Verhältnissen stammt, hatte sie Glück
und sie genoss eine gewisse Schulbildung. Tess träumte davon, Lehrerin zu
werden, sie besaß dafür auch die entsprechende Begabung, doch sie geriet, auch
durch den schlechten Einfluss ihrer Eltern, in völlig andere Gefilde. Tess
sollte in den adligen Stand d´Urbervilles eingeheiratet werden, um ihren Namen aufzuwerten
und um gleichzeitig die Eltern damit aus der Armut zu holen … Doch die
elterlichen Pläne wollten nicht aufgehen und so geriet die Tochter immer mehr
auf Abwege. Deshalb nahm Tess auch jede Arbeit an, um den Eltern ein wenig
unter die Arme zu greifen … Sie litt unter großen Schuldgefühlen.
Tess wirkte auf mich in ihrer Charaktereigenschaft recht
naiv. In ihrer Gutgläubigkeit verlor sie wiederholt in der Beziehung mit diesen
beiden Männern ihre Menschenwürde. Sie nahm alle Schuld auf sich. Die Nöte
ihrer Eltern, die voreheliche sexuelle Beziehung und das uneheliche Kind. Sie
betrachtete sich selbst als sündiges Wesen, und traktierte sich
damit. Dass die anderen Bezugspersonen eine Teilschuld
hatten, blieb hier im Bewusstsein der betroffenen ProtagonistInnen völlig
unberührt.
Wie der Roman ausgeht, das möchte ich auf keinen Fall
verraten. Man wird den Ausgang dieser tragischen
Geschichte nicht erraten können, trotzdem stellte ich mir die Frage, wie realistisch
die Szenen zum Ende hin waren?
Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.
___
Ich hätte
zwei Leben gebraucht, doch ich habe nur eines gehabt. (Spruch auf einem
Grabstein)
(Bernardo
Atxaga)
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