Samstag, 2. April 2016

Thomas Hardy / Tess (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Mir hat das Buch von Thomas Hardy wiedermal sehr gut gefallen. Ich habe es als sehr gesellschaftskritisch erlebt. Auch hier behandelt er die Stellung einer Frau aus dem Ende des 19. Jahrhunderts und den gesellschaftlichen Konventionen. Hardy hat sich, wie aus dem Anhang zu entnehmen ist, auch mit diesem Roman bei einigen seiner Leserschaft  unbeliebt gemacht. Es deprimierte ihn so sehr, dass er mit dem Schreiben von Romanen aufhören und in die Poesie flüchten wollte.

Das Buch Tess of the d´Urbervilles wurde im Dezember 1891 in England veröffentlicht. Der Roman spaltete seine LeserInnen in zwei Fronten. Die einen ehrten das Buch, andere lehnten es vehement ab. Besonders Literaturkritiker zerrissen sein Werk.

Hardy behandelt hier für seine Zeit brisante Frauenthemen wie z. B. die Sexualität vor der Ehe, die voreheliche Schwangerschaft und die soziale Stellung einer Frau, die nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht. Aber sind das wirklich nur Frauenthemen? Hinten im Klappentext steht, dass der Roman zu den wichtigsten Frauenromanen der Weltliteratur gehören würde. Ich glaube, das sind aber Themen, die sehr wohl auch Männer betreffen ... Nur ist es in dieser Geschichte die Frau, die mit diesen Themen benachteiligt und allein gelassen wird. Sie trägt besonders bei sexuellen Fehltritten die alleinigen Konsequenzen …

Zum Leidwesen seiner LeserInnen behandelt Hardy auch Tabuthemen wie Tod und Leid, da diese ebenso zum Leben gehören würden. Der Autor wollte die nackte Realität aufzeigen und nichts beschönigen.

Aus dem Nachwort von Dorothee Birke:

Große Literatur, so schreibt Hardy, könne nur entstehen, wenn es möglich sei, sich über die engen Moralvorstellungen der Hauptleserschaft dieser Institutionen hinwegzusetzen und gerade das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ohne Prüderie und ohne den Blick durch eine rosarote Brille darzustellen.

Mir sind folgende Szenen hängen geblieben, die mich tief berührt haben. Tess, unsere Heldin dieses Romans, lebte ein völlig anderes Leben und um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, war sie sich für keine Arbeit zu schade. Sie arbeitete hart, sie wollte niemandem zur Last fallen, weder ihren Eltern, und später auch nicht ihrem Gemahl, der sich von ihr abgewendet hatte, als sie ihm ein Geständnis abgelegt hatte.

Bevor Tess Mister Clare kennengelernt hat und nach langem Hin und Her ihn schließlich auch geheiratet hat, lag sie in einer vorehelichen Beziehung mit Alec d´Urberville und wird von ihm schwanger. Man erfährt allerdings nicht wirklich, wie die Schwangerschaft zustande gekommen ist und man wusste nicht sofort, dass sie ein Baby erwartet. Auf einmal war der Nachwuchs da. Erst wusste ich nicht, von wem dieses Kind ist und war doch überrascht zu erfahren, dass Alec der Vater ist, wo Tess doch von diesem Mann nicht wirklich etwas wissen wollte und auf seine penetranten Annäherungsversuche total ablehnend reagiert hat. Er wirkte tatsächlich nicht wirklich sympathisch und nutzte Tess´ soziale Lage aus. Deshalb die Frage, ob Tess von Alec vergewaltigt wurde? Diese Antwort bleibt der Autor uns LeserInnen bis zur letzten Seite schuldig.

Das Kind wurde schließlich unehelich geboren. Als Tess sich ganz von Alec abgewendet hatte, brachte sie das Kind ohne sein Wissen zur Welt. Kein Pfarrer war bereit, das uneheliche Kind zu taufen. Als das Kind lebensbedrohlich erkrankte, nahm Tess schließlich die Taufe selbst in die Hand, damit es nach seinem irdischen Ableben in das Himmelreich Gottes gelangen konnte. Tess war keine Katholikin, sie ist protestantischer Herkunft und auch die protestantischen Pfarrer waren sehr auf kirchliche und gesellschaftliche Normen bedacht und ließen Tess mit ihren Sorgen allein. Tess eignete sich schließlich selbst lateinische Bibeltexte an, taufte das Kind noch schnell vor dem Tod und nach dem Tod hatte sie das Kind auch selbst bestattet.

Dies waren Szenen, die mich doch auch beschäftigt haben.

Obwohl Tess aus armen Verhältnissen stammt, hatte sie Glück und sie genoss eine gewisse Schulbildung. Tess träumte davon, Lehrerin zu werden, sie besaß dafür auch die entsprechende Begabung, doch sie geriet, auch durch den schlechten Einfluss ihrer Eltern, in völlig andere Gefilde. Tess sollte in den adligen Stand d´Urbervilles eingeheiratet werden, um ihren Namen aufzuwerten und um gleichzeitig die Eltern damit aus der Armut zu holen … Doch die elterlichen Pläne wollten nicht aufgehen und so geriet die Tochter immer mehr auf Abwege. Deshalb nahm Tess auch jede Arbeit an, um den Eltern ein wenig unter die Arme zu greifen … Sie litt unter großen Schuldgefühlen.

Tess wirkte auf mich in ihrer Charaktereigenschaft recht naiv. In ihrer Gutgläubigkeit verlor sie wiederholt in der Beziehung mit diesen beiden Männern ihre Menschenwürde. Sie nahm alle Schuld auf sich. Die Nöte ihrer Eltern, die voreheliche sexuelle Beziehung und das uneheliche Kind. Sie betrachtete sich selbst als sündiges Wesen, und traktierte sich
damit. Dass die anderen Bezugspersonen eine Teilschuld hatten, blieb hier im Bewusstsein der betroffenen ProtagonistInnen völlig unberührt.

Wie der Roman ausgeht, das möchte ich auf keinen Fall verraten. Man wird den Ausgang dieser tragischen Geschichte nicht erraten können, trotzdem stellte ich mir die Frage, wie realistisch die Szenen zum Ende hin waren?

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

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Ich hätte zwei Leben gebraucht, doch ich habe nur eines gehabt. (Spruch auf einem Grabstein)
(Bernardo Atxaga)

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