Donnerstag, 16. Oktober 2014

Gail Tsukiyama / Die Straßen der tausend Blüten (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich jetzt wenig darüber schreiben werde. Ich mache immer mehr die Erfahrung, dass es gute Bücher gibt, über die man fast unendlich lang schreiben möchte und andere gute, da genügt es, die Bücher nur gelesen zu haben. 

Ich gebe zur Erinnerung noch einmal den Klappentext rein:
Tokio 1939. In der Straße der tausend Blüten wachsen zwei Brüder ohne ihre Eltern auf, liebevoll umsorgt von ihren Großeltern. Wie diese träumen sie von einer Zukunft, die fest in den Traditionen des alten Japan verankert ist. Doch bald bricht im Land eine neue Zeit an, in der es keinen Platz mehr für die alten Werte zu geben scheint. Werden Hiroshi und Kenji ihren Weg in einer veränderten Welt finden? 
Die Einen nennen den Krieg Zweiter Weltkrieg, die Anderen nennen ihn den Pazifikkrieg. Es ist abhängig davon, wo man sich zu dieser Zeit, 1939, gerade auf dem Globus befindet. Doch egal wie sich der Krieg nennt, die Kriege zeigen alle die selben Gesichter; es wird auf die zivile Bevölkerung keine Rücksicht genommen, geschossen wird auch auf Kinder; es gibt nicht genug zu Essen; die einen verhungern im Krieg, andere werden Opfer von Bombenanschlägen, um nur ein paar wenige Schlagwörter zu gebrauchen … Und die, die zu den Überlebenden zählen, erleiden viele Verluste; Schuldgefühle,  weil sie z.B. überlebt haben und andere nicht, machen sich in der Seele dieser Menschen breit. Im schlimmsten Fall erleiden einige eine posttraumatische Belastungsstörung, die selbst noch nach Jahren nicht überwunden ist und diese unbewusst auf die nächste Generation übertragen wird ... Die Lebensmittelknappheit herrscht selbst dann noch, als der Krieg schon längst zu Ende ist. Japan musste vor den Amerikanern kapitulieren ... Und Japan hat viele Jahre gebraucht, um sich von dem Krieg wieder zu erholen. Mich hat das Buch sehr nachdenklich gestimmt. Sich immer wieder die Szene vor Augen halten, wie Jugendliche nach dem Krieg Leichen von den Straßen bergen. Diese Szene hat mich tief berührt.

Man bekommt demnach viele Menschenschicksale mit, die eine ganze Nation erschüttern lassen.

Wie aus dem Klappentext hervorgeht, nennen sich die beiden Protagonisten Hiroshi und Kenji. Hiroshi ist zwei Jahre älter als Kenji. Beide wachsen unterschiedlich auf, beide geben unterschiedliche Persönlichkeiten ab, beide respektieren sich gegenseitig in ihrem Anderssein.

Im Gegensatz zu Hiroshi kann sich Kenji partout nicht an seine Eltern erinnern. Sie haben beide Elternteile durch ein Bootsunglück, verursacht durch ein menschliches Versagen über Dritte, verloren …
Es sind die Großeltern, auch ganz tolle Leute, die ihnen viele Geschichten zu den Eltern erzählen. Demnach haben die beiden Jungen schon recht früh erfahren müssen, was es bedeutet, Menschen zu verlieren, und auch noch die, die ihnen am nähesten standen. Verlusterlebnisse nehmen durch den Ausbruch des Pazifikkrieges immer mehr zu. Unzählige Kinder werden zu Waisen und leben auf der Straße …

Die Großeltern dieser beiden Jungen suchen oft das Grab der ertrunkenen Eltern auf. Sie bringen Lebensmittel mit; viele Schalen werden mit Reis gefüllt, mit Gemüse, Früchten, Kuchen, und diese auf das Grab gestellt; damit die Geister der Verstorbenen nicht hungern müssen.
Das fand ich recht interessant.

Die Kinder werden erwachsen, trotz des Krieges schaffen sie es, erwachsen zu werden. Der ganze Stolz gilt den Großeltern, die die kleinen Jungen zu Männern verholfen haben und nicht mal der Krieg es geschafft hat, ihnen das Leben zu nehmen. Natürlich hatten sie auch Glück ...

Hiroshi wird ein spiritueller Kämpfer des Sumo-Ringens und Kenji geht dem Beruf der Kunst nach und wird Maskenschnitzer, obwohl er ein Studium der Architektur absolviert hat.

Beide Jungen heiraten und erleben durch ihre Partnerinnen heftigste Schicksalsschläge.

Ich möchte nicht mehr verraten ...

Man bekommt viele interessante zwischenmenschliche Beziehungen mit, und man nimmt an vielen Geschichten teil. Protagonisten? Sie, die restlichen noch unerwähnten Figuren, sie sind alle auf ihre Weise Helden. Die Überlebenden, die die Fähigkeit, das Glück und den Mut hatten, zu überleben. Und andere, die den Mut hatten, sich das Leben zu nehmen, weil der seelische Leidensdruck ein zu großer war ... Wahre Geschichten und Fabelgeschichten ... Es gab nichts in dem Buch, das belanglos auf mich wirkte. Mich hat alles fasziniert. Von der ersten bis zur letzten Seite. Und nichts war übertrieben dargestellt. 

Würde es noch weitere Bücher von der Autorin geben, so würde ich sie mir alle anschaffen. Es ist schade, dass viele gute Bücher, aus welchen Gründen auch immer, so unauffällig vom Markt wieder verschwinden. Sicher sind die geringen Verkaufszahlen daran schuld. 

Ich habe mich hier wirklich in Japan versetzt gefühlt ...

Das Buch ist authentisch geschrieben. Es ist gut recherchiert. Die Sprache ist fantasievoll und recht flüssig gewählt. Die Figuren waren alle recht differenziert dargestellt.

Aus diesen Gründen erhält das Buch von mir zehn von zehn Punkten.
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Manchmal geschehen die Dinge vielleicht auch,
 damit wir die Gelegenheit erhalten,
etwas über uns selbst zu erfahren.
(Gail Tsukiyama)

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