Montag, 20. Oktober 2014

Isabell Allende / Mein Leben, meine Geister (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich gestern Abend noch durch bekommen, und es hat mir sehr gut gefallen. Es  umfasste gerade Mal zweihundertsechzig Seiten und habe jede Menge Zettelchen darin haften, wegen der für mich vielen wichtigen Gedanken der Autorin und teilweise auch wegen der schönen Zitate.

Ich kann diese Lektüre jeder/m LeserIn empfehlen, die oder der sich näher mit Isabel Allendes Leben als Kind, als Mensch, als Feministin, als Ehefrau, als Mutter, Großmutter … und als Schriftstellerin befassen möchte. Sie geht auch viel auf ihre geschriebenen Bücher ein. Es finden zwischen ihr und ihrer Gesprächspartnerin Zapata viele und recht ausführliche Buchbesprechungen statt. Eine Kunst, so viele Themen auf so wenigen Seiten zustandezubringen. 

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Mit jedem Wort, das ich schreibe, gebe ich mich zu erkennen", sagt Isabel Allende, und auch in diesem Interviewband zeigt sie sich so persönlich und unverstellt wie in ihren Büchern, in denen sie immer einen Teil ihrer eigenen Geschichte verarbeitet. Die Trauer um den Tod ihrer Tochter Paula, Chile, ihr Leben in Kalifornien, jugendlicher Übermut und politisches Engagement, ihre Romane und Erzählungen, aber auch der nicht immer einfache Alltag mit ihrem zweiten Mann Willi und der großen Familie unter einem Dach und natürlich ihre große Leidenschaft, die Literatur- über (fast) alles spricht Isabel Allende hier vertraut und offen mit ihrer Freundin, der Literaturprofessorin Celia Correas Zapata. Vom Geisterhaus bis zu Porträt in Sepia: Das Leben und die Innenansichten einer außergewöhnlichen Frau, die trotz vieler Schicksalsschläge nie den Humor verloren hat, und einer der meistgelesenen Schriftstellerinnen dieser Zeit, die in diesen Gesprächen tut, was sie am besten kann: erzählen - ernsthaft, aber immer mit einem Augenzwinkern.
Die Autorin schreibt, wie sie spricht. Ich sehe zwischen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache kaum einen Unterschied. Ihre Ausdrucksweise erlebe ich zudem als recht fantasievoll:
Schreiben ist ein langsamer, stiller und einsamer Prozess. Jedes Buch ist eine ins Meer geworfene Flaschenpost; ich weiß nicht, welche Ufer es erreicht und in wessen Hände es gelangt. Es ist immer eine wunderbare Überraschung, wenn ich Zuschriften von begeisterten Lesern bekomme, denn das bedeutet, dass jemand meine Seiten gelesen hat, dass sie nicht vom Meer verschluckt wurden. (15)
Ich habe mir die Frage gestellt, was die Autorin mit ihrem Schreiben bezwecken möchte und welche Ziele sie darin verfolgt? Möchte sie mit ihren Büchern die Welt verändern? Oder schreibt sie des Schreibens willen? Ich habe folgende Antwort erhalten:
Wenn ich schreibe, geht es mir nicht darum, grundlegende Erkenntnisse zu vermitteln, eine Botschaft zu verkünden oder die Geheimnisse des Universums zu erklären, ich versuche einfach nur, im Ton eines vertrauten Gespräch zu erzielen. Ich habe keine Antworten, nur Fragen, immer dieselben Fragen, die mich ständig verfolgen.
Isabel Allende war schon als Kind mit einer blühenden Fantasie ausgestattet. Sie verschlang ihre Bücher und "feierte" die Literaturfiguren wie echte Helden, die sich plötzlich aus den Büchern nach außen hin selbstständig machen. Sie las oft nachts unter der Decke mit einer Taschenlampe. Dazu Zapata:
Eine fantastische Welt nimmt Isabel gefangen, und sie entwickelt die Vorstellung, die Figuren aus den Büchern würden die Seiten verlassen und im Dunkeln durch das Haus wandern. Hexen, Piraten und allerlei andere Bösewichter schleichen um sie herum, und in den Spiegel erscheint der allgegenwärtige Teufel, sodass sie schneller an ihnen vorbeihuscht, um dem Bösen nicht ins Gesicht schauen zu müssen. (43)
I. A. verarbeitet in ihren Werken Teile ihres Lebens. Vieles davon ist Wirklichkeit, die in ein literarisches Muster verpackt ist, vieles ist aber auch Fiktion.
Alles, was ich schreibe, hat autobiografische Elemente. Wenn du Angst , Liebe, Traurigkeit, Leidenschaft, Verlangen und alles, was es sonst noch an Gefühlen gibt, nie selbst erlebt hast, wie willst du sie dann beschreiben? In meinen Liebesszenen fließen Dinge ein, die ich erlebt habe, aber häufig nur in meiner Fantasie. (155) 
Da Isabel als Südamerikanerin mit vielen verschiedenen ethnischen Gruppen zu tun hat, auch mit Menschen anderer Hautfarbe, hat sie sich in ihrem Leben und in ihren Büchern viel mit dem Menschenbild auseinandergesetzt. Gerade durch den Rassismus, der z.B. vermehrt auch in Amerika grassiert, war sie gewzungen, sich dieser Thematik zu stellen. Sie gebraucht leider oft den Begriff Rasse, der bei uns in Deutschland mittlerweile, bezogen auf Menschen, umstritten ist. Selbst im DUDEN wird darauf hingewiesen.

Sprachtipp:
Ob der biologische Begriff der Rasse auch auf Menschen Anwendung findet, ist inzwischen wissenschaftlich höchst umstritten. Wenn auf entsprechende Unterschiede Bezug genommen werden muss, sollten deshalb Ausweichformen wie Menschen anderer Hautfarbe gewählt werden.
© Duden - Das Synonymwörterbuch, 5. Aufl. Mannheim 2010 [CD-ROM]

Zu welchen Erkenntnissen Allende kommt, fand ich interessant und plausibel, denn innerlich sind sowieso alle Menschen gleich und äußerlich sind alle Menschen  verschieden. Den Menschen auf die Hautfarbe zu reduzieren, das war nicht Allendes Stil.
Die Welt ist sehr groß, aber wir Menschen sind über allen mehr oder weniger gleich. Wir haben zwar versschiedene Kulturen, Sprachen, Traditionen und Hautfarben, empfinden aber Gefühle wie Angst, Liebe, Habgier oder Zärtlichkeit alle auf die gleiche Art und Weise. Ich habe gelernt, mich mit dieser großen Menschenmasse, von der ich nur ein winziges Teilchen bin, zu identifizieren. (49f)
Diesen Prozess der Identifikation mit allen Menschen der Erde habe ich auch mitgemacht, dadurch, dass ich ebenfalls mit mehreren unterschiedlichen Kulturen und Sprachen aufgewachsen bin. Und über diese Entwicklung bin ich sehr stolz, weil sie mich bereichert hat. Viele Menschen leiden unter Xenophobie, haben Angst, Fremde könnten ihnen etwas wegnehmen. Nun, noch mehr freut es mich, zu wissen, dass auch andere diesen Entwicklungsprozess durchlaufen sind, auch wenn es nicht sehr viele sind, die ich persönlich kenne. 

Isabel Allende wird weltweit gedruckt und gelesen. Es taucht die Frage auf, ob im Ausland die Verlage versucht hätten, das Manuskript zu kürzen?
Nein, aber meine finnischen Verleger haben mich einmal gefragt, ob sie fünfzehn Prozent des Buches streichen dürften, weil es in ihrer Sprache zu lang sei. Fünfzehn Prozent wovon? Von jedem Satz? Von jeder Seite? Ein Roman ist doch keine Salami. (83)
Hier musste ich so lachen. Das Buch mit einer Salami zu vergleichen …

I. A. hat recht spät ihr erstes Buch herausgebracht. Sie war Anfang vierzig, als Das Geisterhaus erschien. Was hat sie denn die Jahre davor gemacht?
Bis dahin hatte ich mich immer nur an der Peripherie der Literatur bewegt, ich hatte Zeitungsartikel, Kindergeschichten, Drehbücher, zwei in mehrere Sprachen übersetzte Romane und Millionen von Briefen geschrieben, fühlte mich aber noch nicht als Schriftstellerin. (99)
Dazu Zapata:
Neben ihrer Arbeit als Redakteurin und Fernsehmoderatorin schrieb Isabel Allende damals Kindergeschichten und Theaterstücke. Anfang der siebziger Jahre wurden außer dem Botschafter noch zwei musikalische Komödien aufgeführt, die viele Leute in Chile zum Lachen brachten. (90) 
Sie hatte Glück und jede Menge Fähigkeiten. Ohne ein politikwissenschaftliches Studium schlug sie die Journalistenlaufbahn ein. Aber sie unterrichtete auch an einer Schule. Es war ihr wichtig, finanziell unabhängig zu sein, und erst, als sie mit ihren Büchern leben konnte, gab sie den Lehrauftrag und weitere Neben- bzw. Hauptbeschäftigungen, die nichts mit Literatur zu tun hatten, auf.

Auch der Humor wurde thematisiert, sowohl in Allendes Büchern als auch im realen Leben. Isabels Gedanken haben mich recht nachdenklich gestimmt, denn Humor würde oft auf Kosten anderer gäußert werden:
Humor enthält immer auch eine Dosis Grausamkeit. Über irgendjemand oder irgendetwas muss man sich lustig machen … es gibt aber auch harmlosere Grausamkeiten. (58)
Dabei wird speziell auf das Buch Aphrodite eingegangen, das wohl seeeehr humoristisch sein soll, und sich von den anderen Werken dadurch ein wenig abheben würde. Da ich Aphrodite noch nicht gelesen habe, kann ich wenig dazu sagen.

I. A. setzt sich in ihren Romanen auch mit Gut und Böse auseinander. Ihre Ideen hierzu finde ich sehr schön:
Zapata: In allen deinen Büchern setzt du dich auf die eine oder andere Weise mit dem Guten und dem Bösen auseinander. Das Böse wird durch korrupte Systeme verkörpert; Macht korrumpiert, so deine Aussagen.
Allende: Es sieht so aus, als hätte ich mehr Sympathie für die Unterwelt als für die Obrigkeit. (113f) 
Allende hat nicht nur Achtung vor ihren Büchern, noch viel mehr hat sie Achtung vor ihren LeserInnen.
Was ist ein Buch, bevor es jemand aufschlägt und liest? Doch nur ein Stapel am Rand zusammengeleimter Blätter … es sind die Leser, die ihm Leben einhauchen.
Dieses Zitat finde ich wunderschön.

Der Umgang mit Literatur? Mit dem nachfolgenden Zitat fühle ich mich sehr bestätigt, denn es gibt nicht nur eine Weise, mit Büchern umzugehen, nein, es gibt mehrere verschiedene, auch wenn uns die LiteraturwissenschaftlerInnen weismachen möchten, dass nur die ihrige die richtige sei:
Jeder Leser wird meine Romane auf seine Weise lesen, und so unterschiedlich wie die verschiedenen Interpretationen ausfallen mögen, so unterschiedlich sind auch die Kritiken gewesen.
Auf meine Frage hin, was Allende denn mit Geistern und esoterischen Themen zu tun hat? Konnte ich kaum eine Antwort finden, außer, dass ihre Großmutter, die in  Das Geisterhaus als die Clara auftritt, sehr medial gewesen sein soll, und wohl wirklich Geister gesehen habe. Allendes Mutter legte Tarotkarten. Und sie selbst? Sie spricht davon, als wären die Geister das Selbstverständlichste von der Welt, ohne dass diese von Zapata in Frage gestellt werden. Mehr konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

Wie so viele andere SchriftstellerInnen fechtet auch Isabel Allende oftmals innerhalb ihrer Geschichten einen Kampf mit ihren Figuren aus, mit denen so schwer fertig zu werden sei:
Ich musste diesen Geschöpfen viel von meinem eigenen Leben geben. Sie sind äußerst gefräßig: Sie verschlingen alles.
In dem Buch gibt es noch recht viel über ihr Leben und ihre Kindheit zu lesen, auch total interessant, selbst wenn ich diese Lebensphasen hier nicht erwähnt habe. Lest selbst.

Wegen dieser Vielschichtigkeit an Themen und der klaren und fantasievollen Sprache erhält das Buch von mir zehn von zehn Punkten.

Mit dem Hintergrund dieses Buches freue ich mich nun noch mehr auf die ungelesenen Werke, die ich mir peut á peut noch vornehmen werde.
______
Das Einzige, was man besitzt, ist die Liebe, die man gibt.
(Isabel Allende)

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