Eine von zwei Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre
Das Buch habe ich soeben
ausgelesen und es hat mich zum Schluss hin richtig betroffen gestimmt, obwohl
es recht sachlich geschrieben ist. Keine Dramatik, obwohl ausreichend Gründe zur
Dramatik vorhanden wären. In einer Zeit wie dieser, konnte man sich einfach keine Sentimentalität leisten und man war gezwungen, streng rational zu
handeln, sonst wäre man an den Entscheidungen und den Handlungen regelrecht zerbrochen.
Oftmals liest sich das Buch wie eine Dokumentation aber nicht emotionslos. Mich
wird das Buch noch eine Weile beschäftigen.
Die Autorin hat souverän recherchiert
und ihre Recherchen hat sie recht authentisch wiedergegeben und sie erhält von
mir zehn von zehn Punkten. Ich habe vor, mir noch weitere Werke von Krechel anzuschauen,
und evtl. zu lesen.
Was mich immer wieder
erstaunt, ist, wie viel belletristische
Literatur es zum Nationalsozialismus schon gibt und wie viel neu geschrieben
wird. Aber besser Bücher schreiben, Bücher schreiben, Bücher schreiben, als zu
verstummen.
Es gab mehrere Punkte, die
mich zum Staunen gebracht haben, obwohl mir die Erkenntnisse dazu nicht neu
sind.
Erstaunlich, dass Zeitgenossen
zu der damaligen Zeit den Hitlerwahn nicht begreifen konnten und glaubten nicht
zu wissen, dass es Nazi-Opfer, Nazi-Verbrechen gab. Menschen, die gezwungen
waren, das Land zu verlassen, wenn sie überleben wollten, war für viele
Deutschen nicht nachvollziehbar. Und wenn Menschen ins Exil flüchteten und nach
Kriegsende wieder nach Deutschland reemigrierten, dann wurden viele ähnlich wie Deserteure bezeichnet, die zu feige gewesen wären, in den Krieg zu ziehen.
Erstaunlich, wenn man die eigenen
Kinder wegschicken muss, es waren meist Kinder gut situierter Familien, um
deren Leben zu retten. Kinder, die äußerlich wohlgenährt und gut gekleidet in
England ankamen, hatte man dort erst die Nöte dieser Kinder aus Deutschland nicht wirklich
abgenommen.
In diesem Buch geht es um die
Familie Kornitzer, Richard und Claire und deren beiden Kinder Georg(e) und
Selina. Beide Kinder wurden nach England geschickt, um ihr Leben zu schützen. In
England gab es die Quäker, eine Organisation, die verfolgte Kinder aufnahm, und
sie schützte.
Richard Kornitzer, Jurist von
Beruf, Richter im Zivilrecht, ist auf dem Papier Jude, seine Frau Claire ist
Protestantin. Richard K. emigrierte nach Kuba ins Exil, seine Frau Claire
sollte nachkommen, aber das Nachreisen durch verschärfte Gesetze misslang und
so wurde auch das Ehepaar auseinandegerissen und entfremdet. Durch die
Nürnberger Gesetze galt Claire als unrein, und wurde von der Gestapo während eines
Verhörs gefoltert.
In Kuba, ein ziemlich korruptes
Land Mittelamerikas, galt Kornitzer als
Deutscher und die Deutschen wurden wegen ihrer Präzision in der Arbeit gern
gesehen... . Er musste für das Visum nicht nur viel Geld hinlegen, nein, er
musste auch Patente nahweisen und an Kuba weiterreichen.
Die Familie Kornitzer war
zehn lange Jahre getrennt und hatten sich auseinandergelebt, als der Krieg
schließlich vorbei war. Die Kinder, die in einer englischen Pflegefamilie
lebten und groß geworden sind, konnten ihre Eltern nicht mehr als Eltern
ansehen, zu lange ist es her, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Sie
begriffen die Nöte nicht, dass die Eltern gezwungen waren, das Leben ihrer
Kinder in die Auswanderung zu geben, um sie zu retten. Der Sohn George, das ältere Kind, nahm mit
18 Jahren die englische Staatsbürgerschaft an, und wollte mit Deutschland und
dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben. Zu grauenvoll waren für die Kinder
die Verbrechen. Grauenvoll, dass die Eltern sie in ein fremdes Land schickten
und sie dort alleine ließen. Es müssen viele Jahre vergehen, bis die Kinder die
Reife erlangen , um das elterliche Verhalten zu begreifen.
Richard Kornitzer hat durch
seine Frau wieder zurück nach Deutschland gefunden. Claire hatte beim Roten
Kreuz eine Vermisstenanzeige aufgegeben.
Nach dem Krieg beantragte
Kornitzer bei der Wiedergutmachungsbehörde Schmerzensgeld in Form von Wiedergutmachung,
das vielen Juden, die als Nazi-Opfern gelten, zustand. Bei den Behörden sei man
allerdings der Meinung, dass ein Drittel der Antragsteller Betrüger seien, so
dass der Antrag in vielen Fällen abgelehnt wurde. Kornitzer wurde zwar nicht
als Betrüger hingestellt, aber seine Beweggründe auf Antragstellung wurden
relativiert, so dass der Antrag erstmal nicht bearbeitet werden konnte. Wenn
solche Menschen wie Kornitzer kein Anrecht auf Wiedergutmachung haben, wer denn
sonst sollte dieses Schmerzensgeld erhalten?
Wie viele Bücher müssen noch
geschrieben werden, um das Unglaubliche, das Unfassbare endlich zu verstehen?
Da ich nun schon soviel von meinen Eindrücken geschrieben habe, ohne meine Zitate einzufügen, werde ich zu dem Buch noch eine zweite Buchbesprechung anschließen.
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Manchmal muss die Wahrheit erfunden werden
(Siegfried Lenz)
Gelesene Bücher 2013: 26
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86