Montag, 8. April 2013

Carson McCullers / Das Herz ist ein einsamer Jäger (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich gestern Abend zu Ende gelesen, und bleibe bei meiner anfänglichen Meinung, dass es aus meiner Sicht seine zehn von zehn Punkten verdient hat.

Das Buch ist sehr facettenreich geschrieben, was auch für die Differenziertheit der verschiedenen Subjekten und Charaktere der Figuren spricht. Die literarische Sprache fand ich auch sehr angenehm, zudem noch fantasie- und humorvoll.

Das Buch behandelt Themen wie die Weltwirtschaftskrise, Rassismus in Amerika in den 1930er Jahre, Einsamkeit, Tod und Gewaltverbrechen. Die Geschichte spielt im Staat Georgia.

Ich habe viel angestrichen, werde aber nur wenig rausschreiben, aufgrund dessen, weil das Buch so vielseitig ist, möchte ich die Textstellen nicht zu sehr aus ihren Zusammenhängen herausschneiden. 

Das Buch beginnt zwei taubstumme Männer zu beschreiben, Sirus Antonapoulus und John Singer, beide sind durch das gemeinsame Schicksal ihrer körperlichen Behinderung stark verbunden und sie eine enge Freundschaft pflegen, bis eines Tages der Vetter von Antonapoulus ihn in ein Heim einweisen läßt, weit von dem Staat Georgia entfernt. John Singer bleibt seinem Freund treu, und bringt einige Strapazen auf sich, Sirus regelmäßig alle paar Monate zu besuchen. Den weiteren Verlauf dieser Freundschaft ist dem Buch zu entnehmen.

In dem Buch lebt nicht nur ein Protagonist. Neben John Singer gibt es noch die vierzehnjährige Mick Kelly, ein recht intelligentes, verträumtes und musikbegabtes Mädchen, das sich dringend ein Klavier wünscht, im Stillen Stücke komponiert, doch durch tragische familiäre Umstände bleibt dieser Wunsch unerfüllt.

Ihr geht ein Musikstück von Mozart durch den Kopf und summt die Melodie nach. Der Freund Harry erkundigt sich, was sie da singen würde? 
"Ein Stück von einem, der Mozart heißt."
"Klingt wie ein deutscher Name."
"Wird wohl auch einer sein:"
"Faschist?"
"Was?"
"Ich meine, ist dieser Mozart ein Faschist oder ein Nazi?" Mick überlegt eine Weilchen: "Nein. Die sind was Neues und Mozart ist schon eine ganze Weile tot." 
Mick fühlt sich ganz besonders zu John Singer hingezogen. Sie empfindet für ihn eine geheime innere Liebe, die stärker ist als die Liebe zu ihrem Vater.
Auch hier findet die Beziehung eine Wende und sorgt für Überraschung… .

Dann gibt es noch den schwarzen Dr. Copeland, Mediziner von Beruf, und ziemlich enttäuscht und frustriert darüber ist, dass die Schwarzen weiterhin diskriminiert werden, sowohl politisch als auch gesellschaftlich, obwohl sich die Gesetzeslage zu ihren Gunsten verändert hat. 

Gefallen hat mir eine Szene zwischen den schwarzen Dr. Copeland und seiner erwachsenen Tochter Portia. Dr. Copeland bezeichnet selbst alle Schwarzen als Neger, als Portia sich darüber aufregt:
"Die ganze Zeit benutzt du dieses Wort - >Neger< , (…). Das ist so ein Wort, das die Leute verletzt. Sogar das alte einfache> Nigger< ist besser als dieses Wort. Höfliche Leute  ,-ganz gleich, welcher Hautfarbe - sagen immer > Farbige<."
Ich finde, dass die Autorin verglichen mit anderen AutorInnen ihrer Zeit voraus war. Die kritische Auseinandersetzung mit diesen Begriffen wie Neger / Nigger habe ich vor allem bei Mark Twain vermisst, den ich oftmals für rassistisch hielt. Immerhin rechnete er den Weißen aus, wie viel Geld man bei der Haltung von Sklaven einsparen könnte. 
Bin froh zu lesen, dass es andere AutorInnen gab, die sich mit diesen Begriffen kritisch auseinandergesetzt haben. Dann gilt nämlich das Argument nicht mehr, dass zu jener Zeit es üblich war, diese Begriffe zu gebrauchen. In Mark Twains Büchern wimmelt es geradezu von der Bezeichnung > Neger<. Mark Twain ist ein Zeitgenosse von Carsen McCullers.
Selbst meine Generation gebraucht noch immer den Begriff >Negerküsse<… , >Negerlippen<, >Neger<. 
"Jeder hat seine Gefühle - ,völlig egal wer-, und keiner geht gern in ein Haus, wo er weiß, dass seine Gefühle verletzt werden." (127)

Jake Blount ist der alkoholsüchtige Weltverbesserer, der fest an seine Wahrheit glaubt, und überzeugt davon ist, dass, wenn alle Menschen die Wahrheit wüssten, so gäbe es Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit für alle.

Dann gibt es noch Biff Barron, der ein Café betreibt und ein großes Herz für Kinder und behinderte Menschen hat.

Diese Menschen haben alle eines gemeinsam. Sie sind innerlich extrem einsam und alle fühlen sich mehr oder weniger zu John Singer hingezogen.

John Singer ist jemand, dem man sein ganzes Herz ausschütten kann, ohne darüber zu tratschen. Wie ist ein Tratsch über einen Taubstummen denn auch möglich?

Schon auf den ersten Seiten musste ich ein wenig über gewisse Textstellen schmunzeln, als John Singer ein Kärtchen mit sich herumträgt, auf dem sein Name und darunter seine Behinderung markiert ist:
Ich bin taubstumm, kann aber von den Lippen ablesen. Bitte nicht schreien.  (91)
John Singer ist ein sehr sensibler Mensch, der über seine Seele hört, wie man mit ihm spricht. Nicht über die Akustik.

Worte haben auch im Stillen Potenzial… .

Dasselbe, dass der Mensch auch ohne Worte trotzdem in der Lage ist zu streiten, trifft man nicht nur bei Taubstummen, (122).

John Singer bekommt einmal mit, als der betrunkene Jake Blount sich über ihn lustig macht.
Er wusste, dass der Betrunkene sich über ihn lustig machte. Aber selbst da hatte er seine Würde bewahrt.(138)
Ich habe mich gefragt, wie das möglich ist, die Würde zu bewahren, wenn andere sich über einen hermachen? Ich denke eher, dass John Singer den betrunkenen Jake nicht wirklich ernst genommen hat, und seine Anmache nicht an sich herangelassen hat, und zu ihm Distanz wahrte.
Schön finde ich allerdings später die Entwicklung dieser Beziehung, gehe aber nicht näher darauf ein. 

Der Nationalsozialismus in Europa, speziell aber in Deutschland, weckte in Amerika großes Aufsehen und die Amerikaner verurteilten alle Deutschen zu Naziverbrecher. In der gleichen Zeit wurden in Amerika die Schwarzen weiterhin schwer misshandelt, noch immer ihren Menschenrechten beraubt. Im Grunde begannen sie das selbe Verbrechen den Schwarzen, wie die Nazis in Deutschland den Juden gegenüber. Sie aberkannten den Schwarzen das Recht, Mensch zu sein. Nichts anderes tat Hitler mit den Juden. Noch heute beschimpfen viele AmerikanerInnen die Deutschen als Nazis. Wie kann ein Mensch, in diesem Fall der Durchschnitts - Amerikaner, nur so blauäugig sein, moralisch über andere Länder herzufallen?
Die Nazis berauben die Juden ihrer Rechte, ihres Geldes und ihrer Kultur. Bei den Negern hier ist das schon immer so gewesen. Und wenn man ihnen nicht in tragischer Weise - wie in Deutschland - ihr Hab und Gut in großem Maßstab gestohlen hat, so liegt das allein daran, dass die Neger von Anfang an keinerlei Reichtum erwerben durften. (487f)
Es hat eine lange Entwicklung gebraucht, bis der schwarze Mensch die selben Rechte gesetzlich zugesprochen bekam wie die Rechte der Weißen.

Beeindruckt war ich von einer anderen Figur, Willi, der Sohn vom Doktor, der zu Unrecht ins Gefängnis gesteckt und dort körperlich so schwer misshandelt wurde, dass er an den Folgen litt und ihm seine Füße amputiert werden mussten:
"Ich habe das Gefühl, als wenn meine Füße immer noch weh tun. Ich hab so schreckliche Schmerzen in den Zehen. Da unten, wo meine Füße sein sollten, wenn sie noch an meinen B-B-Beinen wären. Nicht da, wo meine Füße jetzt sind. Das ist so schwer zu verstehen. Meine Füße tun mir immer so schrecklich weh, und ich weiß nicht, wo sie sind. Sie haben sie mir nicht wieder gegeben. Dies sind g-g-ganz woanders. Über hundert Meilen fort." (471)
Der idealistische Jake Bouton sei der Meinung, wie oben schon erwähnt, dass, um das Elend in Amerika zu stoppen, ginge nur über die Wahrheitsfindung. Er kann nicht verstehen, dass Amerika, das als das reichste Land der Welt bezeichnet wird, darin noch immer so viele Menschen hungern müssen. Die Reichen seien nur reich, weil die Armen von ihnen ausgebeutet werden würden. Er stellt sich die Frage, wie man eine ganze Gesellschaft zu Wissenden macht?
Die einzige Lösung ist, dass die Menschen wissend werden. Wenn sie erstmal die Wahrheit kennen, kann man sie nicht länger unterdrücken. Wenn nur die Hälfte aller Menschen die Wahrheit kennt, ist der Kampf schon gewonnen. (…) Wir müssen die Menschen zu Geschöpfen mit sozialem Bewusstsein erziehen, zu Menschen, die in einer geordneten, kontrollierten Gesellschaft leben, in der sie nicht gezwungen sind, Unrecht zu tun, um überleben zu können. (490 / 496).
An dieser Stelle mache ich nun Schluss. Im Folgenden noch mein Fazit:

Es wird immer Menschen geben, die von einer Regierung politisch oder gesellschaftlich ausgegrenzt werden, umso mehr muss man sich mit diesen benachteiligten Gruppen solidarisieren, ein Zeichen setzen und zu ihnen halten.

Der Autorin ist es gelungen, die Probleme in dem Buch authentisch wiederzugeben. 
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 „Wo viel Liebe ist, kann sich das Böse nicht entfalten“
         (Aus „Die Zauberflöte“, Mozart)

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