Lesen mit Janine B.
Eine
Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Nun bin ich
durch mit Wells, und das Buch hat mir sehr gut gefallen, sodass ich beschlossen
habe, ihn zu meinen LieblingsautorInnen zu küren. Das war jetzt mein drittes
Buch von ihm und alle drei fand ich sehr interessant.
Die Handlung
ist eigentlich schnell erzählt, und gebe zur Erinnerung nochmals den
Klappentext rein:
»Ich habe keine Angst vor der Zukunft, verstehen Sie? Ich hab nur ein kleines bisschen Angst vor der Gegenwart.«Jesper Lier, 20, weiß nur noch eines: Er muss sein Leben ändern, und zwar radikal. Er erlebt eine turbulente Woche und eine wilde Odyssee durch Berlin. Ein tragikomischer Roman über Freundschaft, das Ringen um seine Träume und über die Angst, wirklich die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Im Nachwort
konnte entnommen werden, dass der Buchtitel ursprünglich eine andere Fassung
hatte und mit Der Traumfänger betitelt wurde, wobei
mir der alte Titel besser gefallen hat, da ich Jesper Lier keineswegs für einen
Spinner gehalten habe, auch wenn der Titel komikhaft gemeint ist. Ein junger
Mensch, der auf der Suche ist, seinen Lebensweg als Schriftsteller zu finden, der
auch in der Liebe seinen Halt sucht, und er nirgends so richtig anzukommen scheint.
Aus meiner
Sicht hat Jesper Lier alles richtig gemacht, denn er hat die Erfahrungen
gebraucht, die er gemacht hat. Auch wenn er später in eine schwere und
schmerzvolle Krise verfällt und so manches an seinem Verhalten bereut. Krisen sind immer eine
Chance, sich aus dem tiefsten Inneren selbst zu finden, und Verhaltensmuster
über Bord zu werfen, die nicht zu einem passen. Jesper hat mit zwanzig Jahren
die Erfahrung gemacht, die manch andere erst in der Mitte ihres Leben machen.
Wenn überhaupt.
Auch ist es ein
Buch über Freundschaft, die in der Krise schwere Zeiten durchstehen muss, und
erst am Ende jener Krise zeigt sich, wie stark diese Freundschaft tatsächlich ist.
Nach dem Abitur
verlässt Jesper das Elternhaus in München und zieht in die Hauptstadt Berlin, in eine sehr unattraktive Souterrainwohnung. Jesper
befindet sich auf der Suche nach seiner Identität. Er möchte unbedingt
Schriftsteller werden, und so manches Mal vermischt er Fiktion und Realität. Und
in der Zwischenzeit, bis er sich selbst gefunden hat, belügt er seine Umwelt. Seiner Mutter erzählt
er, was er alles in Berlin treiben
würde. Studium und feste Partnerschaft … Seiner Tante, die permanent fragt, ob
er einen Verleger gefunden habe, so erwidert er ihr mit einer positiven
Antwort.
Jesper hat
zudem noch mit dem Verlust seines Vaters zu kämpfen, der vor mehreren Jahren tragisch
verstorben ist. Auch wenn Jesper auf cool macht und so tut, als würde ihn der
Tod seines Vaters wenig ausmachen, so ist das nur die Flucht, sich mit der
Trauer auseinanderzusetzen. Dabei sind sich beide sehr ähnlich. Vater und Sohn
hatten nicht die beste Beziehung. Aber was wusste Jesper schon von den
Problemen seines Vaters? …
Jesper verliert
nicht nur seinen Vater, sondern auch einen wichtigen Freund, der 72 Jahre alt
ist und pensionierter Germanistikprofessor war. Dieser Freund sollte Jespers
Manuskript lesen, sein erstes Buch in einem Umfang von über tausend Seiten mit
dem Titel Leidensgenossen …
Auch sein
Freund Gustav liest das Manuskript, allerdings nur quer:
Du hast dein erstes scheiß Telefonbuch geschrieben.
Zudem befasst
sich Wells auch in diesem Buch wieder mit
der Einsamkeit, in die nicht nur alte Menschen getrieben werden können. Damit
zeigt mir der Autor, wie viel menschliche Reife er selbst in seinen jungen
Jahren schon besitzt. Wer sie nicht besitzt, kann auch nicht darüber schreiben.
Er beschreibt eine Episode über einen alten Menschen, der schon zwei Wochen tot
in der Wohnung lag. Niemand hatte ihn vermisst. Es lag an dem
Verwesungsgestank, der die Nachbarn dazu trieb, den Hausmeister zu rufen. Was
für ein trauriger Fall und wie arm die Mitwelt doch ist. Jesper stimmt dies
sehr betroffen und identifiziert sich als ein einsamer junger Mensch mit diesem
Schicksal des alten Menschen. Er weiß, dass dies jedem Menschen passieren kann,
der alleine lebt. Seine Mutter, die in München lebt, besitzt nicht einmal die
Festnetznummer, da Jesper vorgegeben hat, kein Telefon zu besitzen. Wie würde sie im Falle eines tödlichen Ereignisses davon erfahren?
Die
Todesthematik bezieht Jesper auch auf sich und malt sich demnach seinen eigenen Tod aus.
Wie würde sein weiteres Umfeld darauf reagieren, wer würde davon überhaupt erfahren?
Die fünfzehn, zwanzig wichtigsten Menschen aus deinem Leben erfahren sofort davon. Aber der Rest? Der Rest weiß erstmal gar nichts von deinem Schicksal. Dein alter Schulfreund, der jetzt in Kanada lebt? Fehlanzeige. Auf eine seltsame, falsche Art bleibst du dort noch lebendig, bis die Nachricht deines Ablebens auch die entlegensten Ecken der Welt erreicht hat. Erst dann bist du richtig tot. (2016, 141)
Mit der
Beziehung scheint es auch nicht voranzugehen. Jesper wirkt sehr ernst für sein
Alter, kommt bei den Menschen, verglichen zu seinem Freund Gustav, nicht
wirklich gut an, was aber eher an seiner Unsicherheit liegt, weshalb er nicht
authentisch wirkt.
Seiner neuen
Bekanntschaft Miriam, in die er sich unglücklich verliebt, stellt er sich als
einen Menschen vor mit einem traurigen Verstand und einer lächelnden Seele, als
Miriam ihn darauf anspricht, dass er zu ernst für sein Alter wirken würde.
Jespers Suche
nach seinem Weg erweist sich nicht als ganz einfach. Er weiß, dass er nicht so
enden möchte wie die meisten, spießigen Erwachsenen:
All diese miesen kleinen Kreaturen mit ihren sicheren Einkommen, ihren sauberen Wohnungen und ihrem vergeudeten, leeren Leben. Mir war heiß. (253)
Wobei Jesper
selbst unter dieser Leere leidet. Aber er ist blutjung, und muss sich noch
finden. Sein Traum, Schriftsteller zu werden, lässt ihn einfach nicht los, bis
er seinem Chef einer Zeitung, in der er
als Jobber angestellt ist, sein Manuskript für eine kritische
Beurteilung vorlegt …
Jesper verfällt
immer mehr in eine Krise, als er hört, was er gar nicht hören möchte, doch am
Ende schöpft er daraus wichtige lebenswichtige Erkenntnisse:
Doch es gibt Fehler, die notwendig sind. Manchmal muss man ein kleines bisschen sterben, um wieder ein wenig mehr zu leben. (314)
Mein Fazit?
Ich habe zu
Beginn meiner Besprechung schon gesagt, dass die Geschichte eigentlich schnell
erzählt ist, aber das Spannende liegt vielmehr darin, was zwischen den Zeilen passiert.
Zudem habe ich auch in diesem Buch die Sprache als recht einfach, aber doch
sehr bildhaft erlebt. Sie drückt viel
Symbolkraft aus, was mich sehr angesprochen hat.
Ich habe mir
nur einzelne Szenen rausgepickt, die für mich bedeutsam waren, und
habe versucht, sie so zu beschreiben, dass ich nicht zu viel verraten muß. Das ist
nicht immer leicht. Aber ein Buch bis zur letzten Seite zu lesen und es wieder zuzuklappen
scheint mir zu wenig zu sein. Ich habe es gerne, mir gute Handlungen und gute Gedanken
rauszuschreiben, sie in meinem Blog zu verewigen, damit sie nicht verloren
gehen und so bleibt mir die Verbindung zu diesem Buch und zu dem Autor immer
erhalten.
Zudem fand ich
nicht nur die Handlung, sondern auch die Charaktere gut getroffen. Dem Autor
ist es zudem gut gelungen, menschliche Probleme aufzuzeigen und die Art und
Weise, psychisch damit umzugehen.
2
Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
Zehn von zehn
Punkten.
Janine und ich hatten viel Stress, weshalb wir so lange für das Buch gebraucht haben, wobei ich noch nicht weiß, wie weit sie ist. Es steht noch ein Austausch via Chat an, und ich werde später, wenn dieser Austausch stattgefunden hat, über diesen noch eine nachträgliche Ergänzung vornehmen. Es eilt nicht.
Weitere Informationen zu dem Buch
Taschenbuch
320 Seiten
erschienen am 01. September 2016
978-3-257-24384-0
€ (D) 12.00 / sFr 16.00* / € (A) 12.40
320 Seiten
erschienen am 01. September 2016
978-3-257-24384-0
€ (D) 12.00 / sFr 16.00* / € (A) 12.40
Und hier geht es auf die Verlagsseite von Diogenes.
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Es ist immer
besser, etwas zu bereuen, was man getan hat, als etwas, was man nicht getan
hat.
(Benedict Wells)
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