Eine Erzählung von Thomas Mann
Fischer TB-ISBN 978-3-596-51135-8 |
Thomas Mann wurde 1875 in Lübeck geboren und wohnte seit 1894 in München. 1933 verließ er Deutschland und lebte zuerst in der Schweiz am Zürichsee, dann in den Vereinigten Staaten, wo er 1938 eine Professur an der Universität in Princeton annahm. Später hatte er seinen Wohnsitz in Kalifornien, danach wieder in der Schweiz. Er starb in Zürich am 12. August 1955.
Thomas Mann zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit ihm erreichte der moderne deutsche Roman den Anschluss an die Weltliteratur. Manns umfangreiches und vielschichtiges Werk hat eine weltweit kaum zu übertreffende positive Resonanz gefunden. Für seinen ersten großen Roman Die Buddenbrooks erhielt er 1929 den Nobelpreis für Literatur.
Eine Novelle von elf kurzen Seiten, und trotzdem gibt es viel
nachzudenken. Mir ist sie am Schluss ein wenig rätselhaft
geblieben und vielleicht schaltet sich der Literaturfreund mephisto ein, ein THOMAS MANN - Kenner, und kommt mit mir ins Gespräch.
Diese Novelle habe ich gestern Abend noch gelesen und was mir bei Thomas
Mann auffällt, ist, er lässt in mir immer irgendwelche Gefühle zurück,
was ich bei Fontane beim Stechlin so gar nicht erlebt habe. Mich hat
emotional bei dem Stechlin und in Stechlin gar nichts wirklich berührt.
Als der alte Stechlin gestorben ist, hat es mich ziemlich kalt gelassen.
Damit möchte ich eigentlich sagen, dass Thomas Mann alles andere als
gefühlsarm ist. Ich schätze trotzdem seine Neutralität als Autor sehr. Als Mensch fände ich es allerdings nicht passend, immer neutral sein zu
müssen. Im Leben muss man oftmals auch parteiisch sein, wenn man sich
für etwas einsetzen möchte.
So, nun zurück zu der Erzählung, die ich gestern Abend nachdenklich
abgeschlossen hatte, da sie einen Ausgang zeigte, mit dem ich absolut
nicht gerechnet habe.
Die Novelle beschreibt das Leben eines Philosophen, der recht sicher mit
den letzten Monaten seines Lebens rechnet. Er weiß auch sein exaktes
Todesdatum, als sei er mit dem Tod verabredet, und der Tod keinerlei
Flexibilität und Erbarmen zeigt, das Datum zu verschieben.
Nun ist der Herbst da, und der Sommer wird nicht zurückkehren; niemals werde ich ihn wieder sehen …
Das Meer ist grau und still, und ein feiner, trauriger Regeln geht hernieder. Als ich das heute Morgen sah, habe ich vom Sommer Abschied genommen und den Herbst begrüßt, meinen vierzigsten Herbst, der nun wirklich unerbittlich herangezogen ist. Und unerbittlich wird er jenen Tag bringen, dessen Datum ich manchmal leise vor mich hin spreche, mit einem Gefühl von Andacht und stillem Grauen …
Der Tod ist für den zwölften Oktober angesagt, zu seinem vierzigsten Geburtstag... .
Der Protagonist ist Graf, und lebt am Meer, zuletzt befand er sich mit
einem kleinen Mädchen namens Asuncion spazierend nach Kronshafen. Ein
Diener lebt mit im Haus, das Mädchen ist eine Nachbarin, die dem Grafen
wohlwollend zugewandt ist.
Der Graf lebt recht zurückgezogen und ihm ist nach Stille zu Mute,
möchte eigentlich so wenig wie nur möglich mit Alltäglichkeiten
konfrontiert werden. Er möchte seine letzten Tage sinnvoll abschließen
können, als er sich von seinem Diener gestört fühlt, der zu nicht
verabredeter Zeit sich im Hause des Grafens nützlich macht, als sich der
Graf daraufhin bei seinem Diener beschwert:
Wie könnte er mich verstehen? Er weiß es ja nicht. Ich will nicht, dass Alltäglichkeit und Langeweile an meine letzten Tagen rühre. Ich ängstige mich davor, dass der Tod etwas Bürgerliches und Gewöhnliches an sich haben könnte. Es soll um mich her fremdartig und seltsam sein an jenem großen, ernsten, rätselhaften Tage - am zwölften Oktober …
Der Graf hatte sich schon in jungen Jahren viel über den Tod Gedanken
gemacht, denn im Alter von neunzehn Jahren überkam ihn eine Ahnung, als
müsse er zu seinem vierzigsten Geburtstag sterben. Aber weshalb der
vierzigste Geburtstag?
Ich wusste mit neunzehn (...), dass ich mit vierzig sterben müsste, und irgend eines Tages, als ich mich eindringlich fragte, an welchen Tages geschehen werde, da wusste ich auch den Tag! (...) Tage, an denen ich zurückdenken kann und in Erinnerungen mich verlieren, sind selten. Wie viele Jahre sind es, dass ich nur vorwärts zu denken vermag, nur zu warten auf diesen großen und schauerlichen Tag, auf den zwölften Oktober meines vierzigsten Lebensjahres!
Wie kann ein Mensch leben, ständig den Tod vor Augen zu haben? Selbst, wenn man dieses Thema philosophisch betrachtet.
Die Novelle scheint auch etwas Magisches zu haben, dass der Mensch durch
seinen eigenen Einfluss den Todestag hervorzurufen in der Lage sei:
Oh, es ist eine stete Verbindung zwischen dem Menschen und dem Tode! Du kannst mit deinem Willen und deiner Überzeugung an seiner Schwere saugen, du kannst ihn herbeiziehen, dass er zu dir tritt, zu der Stunde, an die du glaubst …
Mit diesem Zitat lässt es mich vermuten, dass der Graf nicht älter als
vierzig Jahre werden wollte. Man kann die Gründe erahnen, weshalb er die
Grenze nicht auf fünfzig und höher angesetzt hat, aber man weiß es nicht
wirklich. Vielleicht fühlt er sich mit vierzig Jahren alt genug um zu
sterben, wobei ich mich frage, ob er überhaupt gelebt hat? In der
letzten Novelle wurde ja auch noch einmal deutlich, dass nicht die
Anzahl der Jahre bedeutend sind, um sterben zu können. Es geht ein wenig
um ars moriendi, die Kunst zu sterben.
Die kleine Asuncion befindet sich wieder bei dem Grafen auf Besuch und
er stellt dem Kind eine recht persönliche Frage zu seinem möglichen
Ableben:
Meine kleine Asuncion! Wenn du wüsstest, dass ich dich werden verlassen müssen. weinst du, weil ich > krank< sei? Ach, was hat das damit zu tun! Was hat das mit dem zwölften Oktober zu tun!…
Weshalb ist es dem Grafen so wichtig zu wissen, ob das Kind nach seinem Tod um ihn trauern wird?
Auch Gedanken um den Suizid beschäftigen den Grafen, ob der Mensch das
Recht hat, freiwillig aus dem Leben zu scheiden? Irgendwie weiß ich nicht
so recht, zu welcher Meinung ich mich entschließen soll? Denn mal
spricht er davon, dass er als Jugendlicher seinen Todestag heraus
bekommen konnte, in Form einer nach festgelegten schicksalshaften
Fügung, und ein andermal spricht er davon, dass er seinen Tod selbst
bestimmen könnte... .
Was ist Selbstmord? Der freiwillige Tod? Aber niemand stirbt unfreiwillig. Das Aufgeben des Lebens und die Hingabe an den Tod geschieht ohne Unterschied aus Schwäche, und diese Schwäche ist stets die Folge einer Krankheit des Körpers oder der Seele, oder beider. Man stirbt nicht, bevor man einverstanden damit ist …
Bin ich einverstanden? Ich muss es wohl sein, denn ich glaube, dass ich wahnsinnig werden könnte, wenn ich am zwölften Oktober nicht stürbe …
Am zehnten Oktober schien wohl der Tod, als sei er personifiziert, in der
Nacht bei dem Grafen gewesen. Obwohl der Graf den Tod nicht gehört und auch
nicht gesehen hat, habe er mit ihm gesprochen:
Es ist lächerlich, aber er benahm sich wie ein Zahnarzt! - "Es ist am besten, wenn wir es gleich abmachen", sagte er. Aber ich wollte nicht und wehrte mich. Mit kurzen Worten habe ich ihn fortgeschickt.
"Es ist am besten, wenn wir es gleich abmachen!" Wie das klang! Es ging mir durch Mark und Bein. So nüchtern, so langweilig, so bürgerlich! Nie habe ich eine Kälte und hohnvolleres Gefühl von Enttäuschung gekannt.
Auch diese Textstelle fand ich ein wenig absurd. Das Bedürfnis zu haben,
ohne Langweile sterben zu müssen, den Tod als etwas Interessantes, Spektakuläres
zu erleben, empfand ich wie ein Zwang. Sicher kann das Sterben interessant
sein, aber ich glaube nicht daran, dass der Tod metaphysisch beeinflussbar ist.
Es kommt zu einer Wende, es ist der elfte Oktober, dreiundzwanzig Uhr, eine Stunde vor dem zwölften Oktober. Was passiert da? Das möchte ich nicht verraten. Lest einfach selbst.
Ich mache nun eine kleine Thomas Mann Pause und nehme mir nächste Woche die Erzählung vor: Der kleine Herr Friedman
Es ist eine sehr schöne Erzählung, die auch etwas länger als nur zehn Seiten ist und deshalb möchte ich mir gerne Zeit dafür nehmen. Außerdem benötige ich nun auch etwas Abstand.
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)
UB:
"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)
UB:
Dickens: Schwere Zeiten
Fallada: Damals bei uns daheim
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Proust: Sodom und Gomorrha
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis
Gelesene Bücher 2012: 35