Ich habe feuchte Augen bekommen, denn ich bin durch mit der
Autobiographie und mir ist Fallada und dessen Familie total ans Herz
gewachsen. Hans Fallada hat einen großen Platz in meinem Herzen
errungen.
Hans Fallada hat genau einen Tag vor mir Geburtstag und ist gerade mal siebzig Jahre und einen Tag vor mir geboren. Aber er selbst wurde leider nur vierundfünfzig Jahre , vielleicht überlebe ich ihn .
Wäre er älter geworden, sicher hätte er noch weitere Bücher verfasst.
Aber es ist wie es ist. Jeder Todeszeitpunkt ist der richtige. Es gibt
keinen falschen, vgl. T. Mann. Der Wille zum Glück.
Zur Erinnerung:
Hans Fallada, ist, wie dies aus dem Klappentext hervorgeht, nur sein
Pseudonym, denn ich möchte gerne erinnern, dass er mit richtigem Namen
Rudolf Ditzen heißt. Aber für mich bleibt er Hans Fallada, solange auf
den Büchern kein anderer Name steht... .
Ich habe heute auf einer anderen Seite gelesen, dass Fallada doch an
einer traumatischen Neurose litt, die Krankheitserscheinungen in der
vorliegenden Autobiografie allerdings noch keine Rolle spielen. Ich
vermute mal, dass sie später im erwachsenem Alter, zum Ausbruch kam,
aber wohl in der Kindheit schon latent angelegt war, wie an manchen
Textstellen angedeutet wurde.
In seinem Werk "Der Trinker", so glaube ich, lassen sich eigene Erfahrungen ableiten... . Mal sehen.
Ich werde über die Pathologie in der Biografie zu Fallada "Mehr Leben als ein Leben", geschrieben von Jenny Williams, hoffentlich mehr erfahren.
Die Familie zieht nach Leipzig um und Hans das Gymnasium wechseln muss.
Für die Eltern stellt sich die Frage, welches Gymnasium das geeignetere
wäre. Auf dem einen Gymnasium würde Hans ein halbes Jahr untergestuft
werden, in die Obertertia, und würde aber ohne Aufnahmeprüfung an der
Schule aufgenommen werden, während er auf dem anderen Gymnasium ein
halbes Jahr übergestuft werden würde, käme in die Untersekunda. Der
Vater empfiehlt die zweite Alternative, und Hans schließt sich den
väterlichen Empfehlungen an, aber es ist sehr viel Schweißarbeit
gefordert. Denn Hans muss im Anschluss von vielen Einzelstunden die
Aufnahmeprüfung für die Untersekunda bestehen. Der Vater meldet
Einzelstunden in der Schule an, so dass Hans keine Zeit mehr bleibt für
Hobbys, da er acht Stunden täglich bis zur Prüfung mit Hilfe
verschiedener Fachlehrern pauken, pauken, pauken muss, und sich die
Paukerei zu Hause fortsetzte.
Nach der Aufnahmeprüfung wartet der Vater vor der Tür auf seinen Sohn,
und Hans bemüht sich, eine grimmige Fassade aufzusetzen, doch wer kennt
seine Kinder besser als ein Fallada-Vater. Der Vater grinst in die
Fassade hinein und ist sich sicher, dass Hans die Prüfung bestanden hat.
Tja, Hans Schauspieltalent versagen eben bei solchen Vätern.
Der Vater ist überaus stolz auf seinen Sohn und möchte seinen Eifer
belohnen. Er dürfe sich etwas wünschen und er wolle gewiss auch nicht
sparen. Hans wünscht sich ein Fahrrad und der Vater ist völlig entsetzt,
weil ihm nicht bekannt war, dass Hans Fahrradfahren könne. Sie machen
vor einem Fahrradgeschäft Halt:
Nun wohl, mein Sohn, hier ist eine stille Straßen, und so wirst du nun erst einmal eine kleine Prüfung ablegen vor mir und dem Händler. Erst dann wird zum Ankauf geschritten. Du kommst heute aus den Prüfungen nicht heraus , Hans".
Auch hier besteht Hans seine Prüfung und bekommt das beste Rad, das der Händler zu bieten hat.
Das Rad hat einhundertfünfunddreißig Mark gekostet, Vater hat mir etwas Solides, etwas fürs Leben gekauft. Nur die krumm nach unten gebogene Lenkstange hatte er abgelehnt.
"Nein, nein, ich kenne das! Die sitzen so wie Affen auf dem Rade. Ich möchte dich doch nicht in dieser Richtung ermuntern, Hans, ich gebe noch immer nicht die Hoffnung auf, dass du dich mit den Jahren zum Menschen entwickelst. "
Wenn Vater den Sohn neckte, war er immer in allerbester Stimmung.
Diese Szene fand ich einfach auch sehr schön, die Vater-Sohn-Beziehung,
die ich unbedingt festhalten wollte, damit sie vielerorts wenigstens auf
dem Papier reell bleibt.
Als ich die Szenen mit dem Fahrradkauf gelesen hatte, überkam in mir der
der leise Verdacht, ob Fallada mit dem Fahrrad nicht verunglücken
werde. Hans Fallada erwies sich in seiner gesamten Kinderzeit als extrem
unfallgefährdet, deshalb war mir der Verdacht so nahe, der sich später
auch bestätigt hatte.
Hans erlitt einen so bösen Unfall, auf die Details möchte ich nicht
eingehen, dass er über einen längeren Zeitraum in der Klinik
rehabilitiert und versorgt werden musste und sein Fahrrad ward nie mehr
gesehen. Und hier ein kleiner Textauszug aus Falladas Sicht:
Aber, wie schon früher gesagt, ich war damals fast Fatalist, ich nahm auch diesen Unfall hin, wie ich anderes hingenommen hatte. Es war nun einmal so, dass sich ausgesprochenes Pech im Leben hatte, damit musste ich mich eben abfinden. Am Anfang Frühling, Ferien, Untersekunde, neues Rad. Am Ende: Winter, nacharbeiten in der Schule, doch noch Obertertia, das zertrümmerte Rad war verschwunden, und es gab keinerlei Aussicht auf ein neues. Ja, alle Anstrengungen bei Herrn Dr. Dackelmann waren doch umsonst gewesen. Umsonst hatte ich den Verdacht eines Holzkopfes durch übermäßiges Büffeln zu zerstreuen versucht. Umsonst war ich an vielen Winternachmittagen hinterher an Professor Muthesius durch das dunkelnde Schulzimmer gestampft. Umsonst hatte ich die Prüfung >glänzend< bestanden. Ich kam nicht in die Untersekunde, ich wurde in die Obertertiar gesetzt. Ich hatte kein halbes Jahr übersprungen, ich hatte eines verloren!
Szenenwechsel: Hans macht zu Hause eine enttäuschende Entdeckung, als er
in der Bibliothek seines Vater ein Buch findet mit dem Titel: Wie erziehe ich unseren Sohn Benjamin - ein Ratgeber für deutsche Eltern.
Hans konnte nicht glauben, dass sich die Eltern solcher Bücher annehmen
und schämte sich für seinen Vater bis ins Mark. Fallada geht leider
nicht darauf ein, was an dem Buch so skandalös ist, und so bleibt mir
einfach wieder mal die Vermutung, mit der ich mich einsam zurückziehen
muss. Natürlich geht da auch die Fortpflanzung hervor, und sicher die
Erhaltung der Art . ... .
Ich stelle die Hypothese auf, dass der Ratgeber rassistisches
Gedankengut hat, und das lässt vermuten, weshalb die Kinder Karl May
nicht lesen durften. Nun ja, ich schätze mich als eine recht aufmerksame
Leserin ein, ich hätte ja auch die Karl-May -Szene einfach überlesen
können. Das habe ich aber nicht gemacht... . Und mich interessiert das
nach wie vor brennend.
Das Lesezeichen steckte an einer bestimmten Stelle, und ich las los. Und las. Und dann versteckte ich das Buch scheu an seinem alten Platz, ich schämte mich, dass Vater das gelesen hatte, und ich schämte mich noch mehr, dass ich wusste, Vater hat dies gelesen ...
Hier hat der junge Hans aufgehört, seinen Vater zu idealisieren aber
hier beginnt sein Leben als erwachsener Mann ... , und Fallada diese
neue Lebensphase als recht schmerzvoll erlebt.
An dieser Stelle mache ich Schluss und ich bleibe weiterhin dran mit
einigen Fragen, die mir noch offen geblieben sind. Lücken, die ich gerne
noch schließen möchte.
*****************
Ich gebe dem Buch neun von zehn Punkten. Deshalb neun und nicht zehn,
weil manche Infos nur angedeutet wurden und ich Vermutungen anstellen
musste, die sich bis zum Schluss der Lektüre nicht aufklären ließen.
Neun Punkte und nicht weniger aus dem Grunde, weil Fallada in
verschiedene Erzählstränge wechseln konnte, ohne dass die Autobiografie,
wie ich schon an anderer Stelle erwähnte, keine Chronologie aufwies,
und man trotzdem nicht die Orientierung verliert. Ich fühlte mich als
Leserin gut in dem Buch geführt. Das Buch war sehr interessant erzählt
und wirkte auf mich recht authentisch. Es hat mich neugierig gemacht,
weitere Biografien zu lesen. Ich fange gleich morgen an zu bestellen.
__________________
"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen." (T. Fontane)
SuB:
Dickens: Schwere Zeiten
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Proust: Sodom und Gomorrha
Remarque: Der schwarze Obelisk
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis
Gelesene Bücher 2012: 36
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