Der Bajazzo, eine Erzählung von 54 Seiten
|
ISBN-10: 3596512255 |
Nach allem zum Schluss und als würdiger
Ausgang, in der Tat, alles dessen ist es nun der Ekel, den mir das Leben - mein
Leben -den mir >alles das< und >das Ganze< einflößte.
So beginnt die
Erzählung von Thomas Mann, ob es nun Zufall ist oder nicht, aber irgendwie
passt der Anfang, überhaupt das gesamte Thema, ein wenig zu meiner letzten
Lektüre. Auch hier habe ich es mit einem Erzähler zu tun, der über sein Leben
voll Abscheu und Ekel spricht.
Die Novelle handelt von einem Ich -
Erzähler, zu einer Lebenszeit, als er dreißig Jahre alt war. Man erfährt auf
den ersten Seiten ein wenig von dessen Familie. Zwei ältere Schwestern, die
aber nach meinem Empfinden als Nebenfiguren keine außergewöhnliche Rolle
spielen, bleiben in meiner Buchbesprechung unerwähnt. Der Vater ist in der
Öffentlichkeit ein recht angesehener und geachteter Kaufmann, während die
Mutter klein, zierlich und recht mädchenhaft wirkt und sie als nicht besonders
hübsch beschrieben wird. Sie ist auf dem Gebiet der Literatur und dem Theater
sehr bewandert. Das große Interesse für Literatur und Theater machte sich auch
recht bald in dem Jungen, dem Erzähler, bemerkbar. Zu Weihnachten bekommt er
ein Spieltheater geschenkt, mit dem er leidenschaftlich seine Fantasien auslebt
und darin sogar auch Opern erfand… . Er beherrschte recht früh die
Fabulierkunst.
In der Schule zeigt er sich dadurch eher
verträumt und desinteressiert, und er brachte nicht die Leistungen zustande, die
der Vater von ihm erwartete. Mit siebzehn Jahren wurde er somit in die
Kaufmannslehre geschickt, und die Schule wurde vorzeitig beendet.
Der Vater zeigt sich nicht gerade
entzückt über seine Entwicklung und das Interesse und der Liebe zu den
literarischen Künsten. Er bezeichnet seinen Sohn als einen Bajazzo.
Bajazzo, eine
Spaßfigur, mit nicht ernstzunehmenden Chraktereigenschaften und Vorlieben,
entlehnt aus dem italienischen Volkstheater. Wobei mir der Protagonist gar
nicht so erscheint. Auf mich wirkt er, nachdem ich die Novelle durch hatte, ein
wenig ernst und nachdenklich, ein Bajazzo würde gar nicht so sehr sein Leben
reflektieren. Er wäre durch und durch ein Lebemensch.
Der Junge wirkte
außerhalb der Literatur und dem Theater nicht besonders ehrgeizig, aber er
begab sich brav und widerstandslos in die Lehre bei dem Holzhändler Schlievogt.
Es gelang ihm, sich dort gut anpassen und machte sich bei seinem Meister auch
recht beliebt. Mit der Zeit lernte er ein geregeltes und sicheres Leben zu führen,
das sich in feste Bahnen bewegt. Diese Lebensform würde aus meiner Sicht
partout nicht zu einem Bajazzo passen… . Doch als der Vater verstarb und
kurze Zeit darauf auch seine Mutter, erbte er eine fünfstellige Summe, so dass
er gut damit seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, ohne weiter seinen Beruf
als Kaufmann nachgehen zu müssen.
Er zog in eine andere Stadt, und begann
dort ein neues Leben.
Meine Tage
vergingen fortab in Wirklichkeit dem Ideale gemäß, das von mir mein Ziel
gewesen war. Ich erhob mich von etwa um 10:00 Uhr, frühstückte und verbrachte
die Zeit bis zum Mittag am Klavier und mit der Lektüre einer literarischen
Zeitschrift oder eines Buches. Dann schlenderte ich die Straße hinauf zu dem
kleinen Restaurant, in dem ich mit Regelmäßigkeit verkehrte, speiste und machte
darauf einen längeren Spaziergang durch die Straßen, durch eine Galerie, in die
Umgegend, auf den Lerchenberg. Ich kehrte nach Hause zurück und nahm die
Beschäftigungen des Vormittags wieder auf: Ich las, musizierte, unterhielt mich
manchmal sogar mit einer Art von Zeichenkunst oder schrieb mit Sorgfalt einen
Brief. Wenn ich mich nach dem Abendessen nicht in ein Theater oder ein Konzert
begab, so hielt ich mich im Caffée auf und las bis zum Schlafengehen die
Zeitung.
Welche Literaturinteressierten
träumen nicht von solch einem Luxusleben?, selbst wenn dieses Leben durch den
Erzähler letztendlich doch infrage gestellt wird... . Je mehr er sich der
Kunst zuwandte, desto mehr kehrte er der Welt und den Menschen den Rücken. Er
hob sich auch von den anderen Menschen deutlich ab:
Die Tage aber
verstrichen, und es wurden Wochen und Monate daraus- Langeweile? Ich gebe zu:
Es ist nicht immer ein Buch zur Hand, das eine Reihe von Stunden den Inhalt
verschaffen könnte; übrigens hast du ohne jedes Glück versucht, auf dem Klavier
zu fantasieren, du sitzest am Fenster, rauchst Cigaretten, und unwiderstehlich
beschleicht dich ein Gefühl der Abneigung von aller Welt und dir selbst; die
Ängstlichkeit befällt dich wieder, die übelbekannte Ängstlichkeit, und du
springst auf, machst dich davon, um die auf der Straße mit dem heiteren
Achselzucken des Glücklichen die Berufs-und Arbeitsleute zu betrachten, die
geistig und materiell zu unbegabt sind für Muße und Genuss.
Eigentlich nimmt der
Erzähler schon recht deutlich wahr, dass sein Leben trotz der
vielseitigen Kunst recht einsam verläuft, doch er wagt sich nicht sich dem zu
stellen, und wertet sich auf, indem er die arbeitende Bevölkerung, verglichen
zu ihm und seinen Möglichkeiten, als unbegabt hinstellt. Letztendlich ist
dieses Urteil eher ein Selbstschutz, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass
ihm im Leben doch auch etwas ganz Wesentliches fehlt.
Auf den folgenden
Seiten erfährt man schließlich doch, dass er hin und wieder ein wenig müde von
der Einsamkeit ist. Seine Unzufriedenheit nimmt immer mehr zu, so dass er
schließlich sich doch eingestehen muss, dass er keinem bestimmten
Gesellschaftskreis angehört, indem er Bekanntschaften hätte knüpfen können.
Übrigens hatte ich hier wohl mit der Gesellschaft
gebrochen und auf sie verzichtet, als ich mir die Freiheit nahm, ohne ihr in
irgendeiner Weise zu dienen, meine eigenen Wege zu gehen, und wenn ich, um
glücklich zu sein, der Leute bedurft hätte, so muss ich mir erlauben, mich zu
fragen, ob ich in diesem Falle nicht zur Stunde damit beschäftigt gewesen wäre,
mich als Geschäftsmann größeren Stils gemein nützlich zu bereichern und mir den
allgemeinen Neid und Respekt zu verschaffen.
Als Geschäftsmann?
Wen muss er neidisch machen... ?. Hat er es nötig? Vielleicht hätte er sich im
Elternhaus besser durchsetzen müssen, um seine Begabungen in der Kunst weiter
zu entfalten. Aber auf einem professionellen Gebiet, auf dem sich
noch andere Künstler tummeln, und mit ihnen im Austausch bleiben würde. Aber er
besänftigt sich immer wieder mit nicht ganz aufrichtigen Gedanken:
Ah, ich habe aber
mein Leben zu meinem Wohlgefallen eingerichtet! Bin ich vielleicht nicht
glücklich? Eine Lächerlichkeit, diese Frage, und weiter nichts. (…) Es ist
wahr, dass ich allerhand vermag! Ich kann (…) mich am Flügel niederlassen, um
mir im stillen Kämmerlein meine schönen Gefühle voll auf zum Besten zu geben,
und das sollte mir billig genügen; denn wenn ich, um glücklich zu sein, der
Leute bedürfte - dies alles! Allein gesetzt, dass ich auch auf den Erfolg ein
wenig Wert legte, auf den Ruhm, die Anerkennung, das Lob, den Neid, die Liebe?
Schließlich versucht
er >Glück< zu definieren, wobei ich den Eindruck bekomme, dass er
>Glück< auch erzwingen will, um sein Leben damit als geglückt
rechtfertigen zu können:
Ich will und muss glücklich sein! Die Auffassung des
"Glückes" als eine Art von Verdienst, Genie, Vornehmheit,
Liebenswürdigkeit, die Auffassung des "Unglücks" als etwas
Hässliches, Lichtscheues, Verächtliches und mit einem Worte lächerliches ist
mir zu tief eigentlich, als dass ich mich selbst noch zu achten vermöchte, wenn
ich unglücklich wäre.
Ich denke, dass es
nicht so einfach ist zu verkraften, wenn man plötzlich die Erkenntnis machen
muss, dass man im Leben etwas ganz Wesentliches versäumt hat, obwohl der
Protagonist noch sehr jung ist, und sein Leben durchaus noch umlenken könnte:
Was dürfte ich
mir gestatten, um glücklich zu sein? Welche Rolle müsste ich vor mir spielen?
Müsste ich nicht als eine Art von Fledermaus oder Eule im Dunkeln hocken und
neidisch ich zu den Lichtmenschen hinüberblinzeln, den liebenswürdigen
Glücklichen? Ich müsste sie hassen, mit jenem Hass, denn nichts ist als eine
vergiftete Liebe, - und mich verachten!
Ja, er hat sich auch
in eine Frau verliebt, eine hübsche junge Dame, eine Theaterbesucherin, die
aber leider einem anderen Bewerber versprochen ist, wie er enttäuscht feststellen
musste. Aber zumindest lernt er das Gefühl der Liebe kennen..., selbst wenn er
nach dieser Enttäuschung auch die Liebe letztendlich in sich völlig verwirft
und sie als eine bloße, lästige Eitelkeit abtut:
Liebte ich, wenn
endlich einmal diese Frage erlaubt ist, liebte ich dieses Mädchen denn
eigentlich? Vielleicht… aber wie und warum? Weil diese Liebe nicht eine Ausgeburt
meiner längst schon gereizten kranken Eitelkeit, die beim ersten Anblick dieser
unerreichbaren Kostbarkeit reinigend aufbegehrt war und Gefühle von Neid, Hass
und Verachtung hervorgebracht hatte, für die dann die Liebe Vorwand, Ausweg und
Rettung war?
Ja, das alles ist Eitelkeit! Und hat
mich nicht mein Vater schon einst einen Bajazzo genannt?
Sicherlich haben ihn
die väterlichen Urteile geprägt, von denen er sich nicht hat lösen können,
vielleicht, weil er diese nicht ausreichend genug hinterfragt hat. Ein kleiner
Dialog zwischen den Eltern über den Sohn. Der Vater:
Seine Begabung,
von der du sprichst, ist eine Art von Bayazzobegabung, wobei ich mich beeile,
hinzuzufügen, dass ich dergleichen durchaus nicht unterschätze. Er kann
liebenswürdig sein, wenn er Lust hat, er versteht es, mit den Leuten umzugehen,
sie zu amüsieren, ihnen zu schmeicheln, er hat das Bedürfnis, Ihnen zu gefallen
und Erfolge zu erzielen; mit derartiger Veranlagung hat bereits mancher sein
Glück gemacht, und mit ihr ist er angesichts seiner sonstigen Indifferenz im
Handelsmann größeren Stils relativ geeignet."
Ich denke, dass es
genau das ist, was den Jungen beeinflusst hat, weshalb aus ihm nicht mehr
geworden ist. Er genießt seine Kunst im Stillen, obwohl er die
Fähigkeiten hätte, unter Menschen zu gehen, und im Austausch mit anderen
Künstlern diese dort weiter zu entfalten und die Welt mit seinen künstlerischen
Fähigkeiten zu bereichern.
Wohlüberlegt, ich
kann nicht umhin, mir diese so friedliche und lächerliche
Begriffsunterscheidung zugestehen: Die Unterscheidung zwischen >innerem und
äußerem Glück< ! >Das äußere Glück<, was ist das eigentlich?- Es gibt
eine Art von Menschen, Lieblingskinder Gottes, wie es scheint, deren
>Glück< das Genie und deren Genie das >Glück< ist, nicht Menschen,
die mit dem Widerspiel und Abglanz der Sonne in ihren Augen auf eine leichte,
anmutige und liebenswürdige Weise durchleben, pendeln, während alle Welt sie
umringt, während alle Welt sie bewundert, belobt, beneidet wird und liebt, weil
auch der Neid unfähig ist, sie zu hassen. :-).
Zu diesem Zitat muss
man gar nichts mehr hinzufügen, ich schreibe gewisse Textstellen eigentlich nur
heraus, weil sie mir so gut gefallen. Eigentlich hätte ich in vier Sätzen sagen
können, worum die Erzählung handelt, und was die Quintessenz von ihr ist.
Aber was den Erzähler für mich so
sympathisch macht, ist die Auseinandersetzungen mit seinem Leben, das Abwägen
von Für und Wider, auch wenn die Erzählung nicht gerade optimistisch endet,
aber sie keineswegs unrealistisch macht. Er setzt sich auseinander, denkt
kritisch über sein Leben nach, aber als Ekel
habe ich sein Leben gewiss nicht empfunden.
Mit einem Zitat begonnen, schließe ich mit einem Zitat ab:
Scheint es nicht,
dass sich die inneren Erlebnisse eines Menschen desto stärker und angreifender
sind, je dégagierter, weltfremder, und ruhiger er äußerlich lebt? Es hilft
nichts: Man muss leben; und wenn du dich wehrst, ein Mensch der Aktion
zu sein, und dich in die friedlichste Einöde zurückziehst, so werden die
Wechselfälle des Daseins dich innerlich überfallen, und du wirst deinen
Charakter in ihnen zu bewähren haben, seist du nun ein Held oder ein Narr.
ENDE !
Nachgedanke:
Es gibt einsame
Menschen, die nach ihren Möglichkeiten nichts unversucht gelassen haben, sich in das gesellschaftliche
Leben zu mischen, und brachten Projekte auf die Beine, die jedoch allesamt gescheitert sind. Auch in der Gesellschaft fühlen sich diese Menschen recht einsam,
einsamer als die Kunst hinter ihren vier Wänden… .
Mir hat die Novelle gut gefallen und gebe ihr sieben von zehn Punkten. Sieben Punkte und nichtzehn aus dem Grund, da das Thema nicht wirklich authentisch ausgearbeitet war. Den Bajazzo habe ich in dem Protagonisten keinesfalls erkennen können. Dafür war er zu ernst und zu reflektiert. Am Anfang der Novelle wird man auf ein Leben vorbereitet, das von dem Erzähler als recht ekelhaft empfunden wird. Auch das kommt nicht wirklich gut zur Geltung. Ich finde das Leben, das der Erzähler uns mitteilt, alles andere als ekelhaft und abstoßend.
Ich gebe der Novelle sieben von zehn Punkten. Sieben und nicht mehr, weil mir der Ich-Erzähler als Bajazzo nicht wirklich authentisch wirkte. Sieben und nicht weniger, weil man sich gut in die Erzählung einfinden kann und der sprachliche Ausdruck recht gehoben ist.
____________________________
„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)
SuB:
Dickens: Schwere Zeiten
Frank: Rücken an Rücken
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Remarque: Der schwarze Obelisk
Rahom: Stein der Geduld
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis
Gelesene Bücher 2012: 42
Gelesene Bücher 2011: 86