Samstag, 26. Mai 2012

Hans Fallada / Damals bei uns daheim 2





Das Buch gefällt mir recht gut, nicht nur wegen des Humors… und nun weiß ich, woher Hans Fallada seine Neigung zur Menschlichkeit, die ich so sehr an ihm schätze, entwickelt hat.

Doch davon später mehr… .

Hans Fallada stammt aus einer sechsköpfigen Familie, und er das älteste Kind ist. Von den Geschwistern hat er zwei Schwestern, Elisabeth und Frieda und einen Bruder namens Ede.

Der Vater, Arthur Fallada, ist von Beruf Kammergerichtsrat, der später zum Amtsrichter aufgestiegen ist.

Arthur Fallada stammt aus einer langen Familientradition, in der es üblich war, dass der älteste Sohn den Beruf eines Juristen ergreift. Nun trifft es Hans, die Kette zu erweitern. Ich bin neugierig, ob es ihm gelingen wird, sich gegen diese berufliche Familiensitte aufzulehnen.

Die Mutter dagegen, Louise, stammt aus einer Pastorenfamilie… .

Als Erziehungswissenschaftlerin interessiere ich mich natürlich für die Erziehungsmethoden im Hause Fallada, und mir die Eltern, besonders der Vater, doch einen großen Eindruck bei mir hinterlassen haben.

Der Vater war gegen Gewalt und schlug seine Kinder nur seltenst. Doch Hans und sein Bruder waren keineswegs darüber so erfreut:

Ach Gott, was wären Ede und ich glücklich gewesen, wenn wir wie andere Jungens eine kräftige Tracht Prügel gekriegt hätten! Aber mein Vater war weder für Prügel noch für Schelten, alles Gewaltsame und Laute widerstrebt es seiner Natur. Er strafte haargenau auf dem Gebiet, auf die man gesündigt hatte.

Die Familie bereitete sich zu Hause auf einer Veranstaltung vor, und so wurde ein großes Mahl für die Gäste zubereitet. Die beiden Jungens Hans und Ede stürmten heimlich die Speisekammer, indem sie sich an dem Baumkuchen hermachten, so dass er den Gästen gar nicht mehr anzubieten war. Natürlich waren die Eltern recht verärgert, und während die Jungen abends in ihren Betten lagen und auf den Besuch ihrer Eltern lauerten, waren sie doch sehr erstaunt dass dieser ausblieb. Die Eltern ließen sich ihren Ärger nicht anmerken, und bestraften ihre Kinder ohne jeglichen Tadel und Vorwürfe, aber die Kinder bekamen dreimal am Tag über einen längeren Zeitraum nur noch Baumkuchen zu essen . Den Kindern ist dadurch der Appetit nach Baumkuchen gänzlich vergangen. Als sie wieder normale Kost vorgesetzt bekamen, aßen sie sogar Mahlzeiten, die sie vor der Kuchenzüchtigung für ungenießbar hielten. Nun wurde das anders, die Kinder aßen plötzlich alles, nur keinen Baumkuchen mehr. Diese Erziehungsmethode war mit Erfolg gekrönt.

Mein Vater hielt es in diesem Punkt mit den Homöopathen, kurierte Gleiches mit Gleichem, similia similibus , und konnte im Ganzen recht zufrieden mit den Ergebnissen seiner Erziehungsmethode sein, lag es nun an der Methode oder an den Kindern.

Viele Stellen in dem Buch finde ich recht lustig. Ein verstorbener Onkel von Hans vererbte der Familie diverses Geschirr und einen älteren Schrank, der beim Vater eher auf Ablehnung stieß:

Auf dem Wege der Erbschaft kam in unsere Familie der riesige Eichenschrank, der nach meines Vaters Ausspruch jeden Gedanken an Umziehen unmöglich machte. Es sei eine weitläufige Burg , kein Schrank. Selbst Berliner Möbelleute seien ihm nicht gewachsen …

Ein Möbelstück mit einer Burg zu vergleichen fand ich sehr originell.

Hans hatte einen festen gleichaltrigen Freund, der Sohn eines Arztes, der selbst auch Hans heißt, Hans Fötsch, mit dem er so einige elterliche Verbote betrieb. Mit dem Schlendern durch die Berliner Stadt gerieten die beiden unverhofft in das Scheunenviertel, ein sozialer Brennpunkt, der bekannt war für sozialen Abstieg und Kriminalität. Die beiden Jungen wurden auch belästigt, so dass sie sehr schnell die Flucht aus dem Scheunenviertel ergriffen hatten:

"Das war das Scheunenviertel", erklärte Fötsch. " Vater hat mir davon erzählt. Da trauen sich Große nicht mal bei Tage rein. Darin leben bloß Verbrecher."
"Das ist ausgeschlossen, Fötsch!" sagte ich. "Alle Verbrecher kommen immer gleich ins Gefängnis oder Zuchthaus.“

Fallada leitete dies aus dem Beruf seines Vaters ab und er der Meinung war, er müsste besser Bescheid wissen als der Freund. Allerdings wusste Fallada nicht, dazu war er noch zu sehr Kind, dass auch Ärzte berufsbedingt sehr viel herumkommen müssen, und sich sehr wohl mit den Wohnbezirken auskennen.

Die beiden waren über zwei Stunden von zu Hause entfernt, so dass sie es bis zum Abendessen nicht mehr rechtzeitig schafften. Falladas Mutter geriet in großer Sorge, da es in dem Hause nicht üblich war, sich zu verspäten, anders in der Familie des Freundes, wo über eine Verspätung hinwegsehen werden konnte:

Vater hatte sofort die Schwere des Falles begriffen, als meine Mutter ihm ihre Sorge offenbarte.
In seinem überaus geordneten Haushalt, in dem schon eine Verspätung von zwei Minuten als Übertretung, von zehn Minuten als Vergehen und von einer Viertelstunde als Verbrechen angesehen wurde, hat es eine Verspätung von eineinhalb Stunden überhaupt noch nicht gegeben! Das konnte nur ein Unglück bedeuten …

Diese Textstelle fand ich auch recht interessant, wobei sich die Kinder nur deshalb verspätet hatten, weil plötzlich Hans von einer Zwangsvorstellung ergriffen wurde, die Straßenbahn könne ausbrennen und er nicht den Mut hatte, in diese einzusteigen. Aus der Zeitung entnahm er mal, dass eine Straßenbahnen mit Schutzgittern ausgebrannt war und er sich darauf fixierte, dass nun alle Straßenbahnen mit Schutzgittern ausbrennen müssten und so wartete er auf die nächste Bahn, und wieder auf die nächste Bahn, bis er begriff, dass die Straßenbahnen in diesem Viertel alle so aussahen, er sich aber von seiner Zwangsvorstellung noch immer nicht erholen konnte. Der Freund hatte sich längst von Hans losgesagt, während Fallada erst am Abend gegen 23:00 Uhr zu Hause eintrudelte. Er log den Eltern eine Geschichte vor, da Hans nicht ahnen konnte, dass die Eltern schon längst informiert waren, dass sowohl er als auch der Freund sich in dem Scheunenviertel aufhielten und Hans es nicht schaffte in die Straßenbahn einzusteigen. Hans bereute seine Lügen, zum ersten Mal wurde er von seinem Vater übers Knie gelegt:

Und doch wäre vieles in meinem Leben vielleicht anders gekommen, wenn mein langmütiger Vater nicht gerade an diesem Abend die Geduld verloren hätte. Vielleicht hätte ich, nicht so summarisch abgestraft, den Mut gefunden, ihm von meinen Ideen über Elektrische mit Schutzgittern etwas zu erzählen, und vielleicht hätte er dabei doch - obwohl so etwas damals leicht als kindliche Albernheit abgetan wurde – aufgehorcht und sich gesagt: dahinter steckt etwas anderes, und zwar leider noch etwas Schlimmeres als Unpünktlichkeit und Schwindeln.
So habe ich meine ganze Jugend hindurch-und noch manches Jahr danach - an diese
immer wiederkehrende fixe Ideen gelitten und habe doch damals nie mit einem Menschen darüber sprechen können. Die Gelegenheit war mit jenem Prügelabend endgültig verpasst.

Im nä. Teil folgen weitere Textinterpretationen. 
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen." (T. Fontane)

UB:

Dickens: Schwere Zeiten
Fallada: Damals bei uns daheim
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Proust: Sodom und Gomorrha
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 35