Sonntag, 23. Juni 2019

Berufliche Neuorientierung / Selbstfindungsphase

Seite 152 – 162  

Auf den folgenden zehn Seiten strebt der junge Marcel Proust unter dem Druck seiner Eltern eine berufliche Laufbahn an. Ein Dilemma, wie man es schon von verschiedenen anderen Künstlern her kennt. Die Schriftstellerei als Existenzsicherung scheint für Prousts Vater zu ungewiss zu sein. Schreiben als Hobby neben einem anderen Beruf ist durchaus machbar. Aber Proust schreibt nicht zum reinen Vergnügen, sondern professionell. Profession bedeutet in meinen Augen, einen ganzen Arbeitstag mit dem Schreiben zu verbringen. Damit ist nicht nur das Schreiben impliziert, sondern auch die Zeit, die er auf der Suche nach seinem Stoff noch zusätzlich benötigt. Wo soll da noch Zeit sein, einem anderen Beruf nachzugehen? Ich denke dabei auch an die vielen Profimusiker, die Virtuosen unter uns, die täglich mindestens acht Stunden mit Übungen zubringen, wie ich mir von echten Profis habe sagen lassen. Ein Laie übt wahrscheinlich nicht einmal eine Stunde am Tag.

Proust sucht verzweifelt nach Kompromissen, später nach einer patenten Lösung.

September 1892, 22 Jahre
Brief an Robert de Billy

Er schreibt in dem Brief an seinen Freund Robert de Billy, spricht sich in dem Brief aus, dass er in der allergrößten Verlegenheit stecken würde, da er auf den Druck seines Vaters sich für eine berufliche Laufbahn entscheiden müsse. Durch Anraten seines Vaters strebt Proust eine Beamtenlaufbahn zwischen dem Rechnungshof und dem Dienst im Außenministerium in Paris an. Aber beides empfindet Proust als eine >>geisttötende Laufbahn<<. Obwohl Proust Jura studiert hat, und er sein Lizenziat im Oktober 1893 bestanden hat, drängte sein Vater auf eine zügige Berufswahl. Im Folgenden zeigt Proust dem Freund seine innere Not, für die sein Vater wenig Verständnis aufzubringen scheint. Ich zitiere folgende Textstelle, da ich so sehr mit Proust mitfühlen kann:
Ach, mein Freund, mehr denn je wäre mir Ihr Rat hier teuer, und ich leide sehr unter ihrer Abwesenheit. Möge sie doch ein schöner Brief durch das allmächtige Wunder der kommunizierenden Geister aufheben. – Genießt die höhere Verwaltungslaufbahn nicht zu wenig Ansehen? Was bleibt da noch, wo ich entschlossen bin, weder Anwalt zu werden noch Arzt, noch Priester, noch -, (154).

Ende September 1893 schreibt Proust diesbezüglich an den Vater …

… und bittet indirekt erneut darum, seine Studien in Philosophie und in der Literatur weiter fortsetzen zu dürfen, worauf der Vater sich in Schweigen hüllte. Aber Proust ist nachgiebig, zeigt sich weder motzig, noch rebellisch dem Vater gegenüber und sucht nach einer Lösung, mit der beide gut leben können.
Mon cher petit Papa,ich habe immer gehofft, deine Erlaubnis für die Fortsetzung der literarischen und philosophischen Studien zu erhalten, für die ich mich geschaffen glaube. Aber da ich sehe, dass mit jedem Jahr nichts weiter als eine immer aufs Praktische gerichtete Disziplin auf mich zukommt, will ich mich lieber gleich für eine dieser praktischen Laufbahn entscheiden, die du mir vorschlugst. Ich werde ernstlich darangehen, ganz nach Deiner Wahl, die Aufnahmeprüfung für den diplomatischen Dienst oder für die École nationale des Chartes vorzubereiten. (155)

Aus der Fußnote ist zu entnehmen, dass die École national … die Schüler auf einen höheren Dienst für Bibliotheken, Archiven und Museen vorbereitet.
Was die Anwaltskanzlei angeht, so würde ich noch tausend Mal lieber bei einem Wechselmakler anfangen. Du kannst übrigens sicher sein, dass ich es dort keine drei Tage aushalten würde! Es ist nicht so, dass ich nach wie vor alles außer der Beschäftigung mit Literatur und Philosophie für verlorene Zeit hielte. Aber unter mehreren Übeln gibt es kleinere und größere. Ich habe mir, selbst in den Tagen meiner größten Verzweiflung, nie etwas Furchtbareres als eine Anwaltskanzlei vorstellen können. Der Botschaftsdienst, der mir jene ersparen würde, scheint mir zwar nicht meine Berufung zu sein, aber ein Ausweg. (155f)

Auf der Seite 152 schreibt Proust weiterhin an Robert de Billy. Zur Erinnerung; Proust lernte de Billy im Militärdienst kennen. Sie waren beide in Orléans stationiert. Proust verbrachte nur ein Jahr beim Militär, danach kehrte er nach Hause zurück, um zu schreiben. Dadurch, dass Proust Asthmatiker war, war es leicht, vom Militärdienst befreit zu werden.

Auf den folgenden Seiten findet Proust noch andere Autoritäten, mit denen er über seine Zukunft spricht, da er noch immer nach Auswegen sucht, auch wenn er ernsthaft bemüht ist, es seinem Vater recht zu machen.

Im November 1893 schreibt er an Charles Grandjean und bittet um seinen Rat. Das bedeutet, er ist noch immer auf der Suche, seinen Beruf zu finden, aber wie es scheint, findet er nur in den hoch geistigen Künsten seine berufliche Heimat. Würde er sich für die Beamtenlaufbahn im Rechnungshof entscheiden, so müsse er dort schätzungsweise nach zweijähriger Vorbereitungszeit eine Aufnahmeprüfung ablegen, von der Proust schon jetzt weiß, dass er die Prüfung nicht bestehen werde. Allerdings sucht Proust eine unentgeltliche Anstellung im Museum, um über Umwegen doch in der École de Chartes ein Lizenziat in Literatur ablegen zu können.
 Während dieser Zeit könnte ich, wenn ich feststelle, dass es mir dort gefällt, ganz nach Ihrem Belieben die École des Chartes, ein Lizenziat in Literatur, die École du Louvre oder ganz einfach persönliche Arbeiten vorbereiten – und zwar dergestalt, dass daraus eine Laufbahn für die Zukunft wird, und in Erwartung des noblen und diskreten Rahmens einer Existenz, die ich durch das Studium schöner Dinge zu inspirieren und zu veredeln versuchen würde. (157)

Weitere Details sind den Briefen zu entnehmen.

Mit dem richtigen Beruf versucht Proust, einen Lebenssinn zu bestimmen, ohne das Gefühl zu bekommen, in Zukunft sein Leben vertan zu haben. Doch er ist ambivalent, er weiß nicht so recht, wie er seine beruflichen Pläne umsetzen soll, solange ihm die Unterstützung seines Vaters fehlt. Weiter schreibt er um Rat bittend an Grandjean:
Aber ach, Ihr wunderbarer kritischer Geist wird auch diesen neuen Ballon zerplatzen lassen – oder sagen wir, ich freue mich darüber, denn Sie verscheuchen für mich die Trugbilder, die das Gefährlichste überhaupt sind, und ersparen mir auf diese Weise grausame Enttäuschungen. (158)

Er weiß, dass die Jugend vorbei ist und somit der Ernst des Lebens beginnt.
Da es früher oder später nicht mehr reicht, sein Leben zu erträumen, sondern man es leben muss, hätte ich große Enttäuschungen zu gewärtigen – die größte wäre die, sein Leben vertan zu haben -, wenn Ihre Erfahrung und Ihre Intuition meinem allzu phantasievollen und zu unwissenden guten Willen nicht zur Vorsicht rieten. (Ebeda)

Ich erlebe diese Briefe als einen stillen Hilferuf. Still deshalb, weil Proust diplomatisch bleibt und auch seinen Vater nicht beschimpft. Er schwankt zwischen den Erwartungen und den Forderungen seines Vaters, und zwischen seinen eigenen Plänen, die auch aus seiner Sicht tatsächlich scheitern könnten. Was ist, wenn der Vater recht hat, und alle seine beruflichen Pläne sich nicht so umsetzen lassen, wie er sich dies vorstellt?

Zum Schluss habe ich mich gefragt, weshalb Proust Jura studiert hat? Wurde er dazu gezwungen? Später geht aus den Briefen hervor, dass er weder Medizin, noch Theologie … studieren wollte, so blieb ihm wohl nur noch die Justiz. Aber eine Karriere als Anwalt lehnt Proust vehement ab.

Später bekommt er von den Agenturen mehrere Angebote gemacht, entscheidet sich aber letztendlich, auf seinem Museumsplan zu beharren. Da ich nicht alles verraten möchte, erspare ich mir weitere Details.

Damit es hier nicht nur um Prousts berufliche Pläne geht, sondern zur Abwechslung auch mal um begabte Frauen, möchte ich als letztes hierzu noch einen Beitrag leisten.

Proust befindet sich auf Reisen. Wahrscheinlich zur Erholung. Derzeit ist er mit seiner Mutter in Trouville. Trouville-sur-Mer ist ein kleines französisches Seebad mit 4642 Einwohnern. Zuvor verbrachte er drei Wochen in der Schweiz, St. Moritz, und eine Woche am Genfer See. Er hat von seinen Reiseeindrücken in der Zeitschrift Revue blanche geschrieben. Er ist wieder von einer Dame angetan, Madame Jameson, eine musische Künstlerin, eine Pianistin, zu der sich Proust hingezogen fühlt. Er schreibt seinem Freund Robert de Billy, um über die Pianistin Auskunft zu erlangen, da der Freund diese Dame kennen würde. Proust schreibt, dass er sich schon bei Madame Straus erkundigt habe, bestätigte, dass Madame Jameson … 
… >recht patent ist, die Wohnung gut aufräumt, und überall schrubbt< (was sehr geistreich ist, aber meiner Ansicht nach eher auf andere Anwendung findet als auf diejenige, dich ich für eine so große Musikerin halte< und auf eine antikünstlerische und abscheuliche Weise spielt. (153)

Madame Straus scheint wohl gar nichts von den Künsten Jameson zu halten, drückt es aber eher in versteckter Weise aus, was Proust ein wenig irritiert, weshalb er eine andere Meinung sich bei dem Freund einholen möchte. Man weiß nicht mit Bestimmtheit, wie Madame Straus auf Talente anderer Damen tickt. Vielleicht empfindet sie einfach nur Neid. Madame Jamesons Herkunft stammt nicht aus der gehobenen Gesellschaft, weshalb Proust seinen Freund hierbei um Nachsicht bittet, da sie weder Herzogin noch Prinzessin und nur Protestantin sei. Vielleicht hat Madame Straus die Pianistin auch deshalb abgewertet bzw. sie auf das Können ihrer Hausarbeit reduziert, weil sie keinem Adel angehört. Sehr geistreich scheint Madame Straus aber auch nicht zu sein. Diese wenig geistreichen Menschen treten gehäuft aber auch in der Recherche auf. Sie sind mir nicht neu.

Telefongespräch mit Anne:
Erneut haben Anne und ich unsere Leseeindrücke teilen können. Ja, Proust wird jetzt erwachsen und er spürt deutlich, dass sich seine Jugend und seine Träumereien so langsam dem Ende neigen. Trotzdem sind wir gespannt, wie es weitergehen wird, denn, dass er weiterschreiben wird, das wissen wir schon durch seine siebenbändigen Recherchen. Den letzten Band hat er kurz vor seinem Tod noch beenden können. Anne meinte, dass man neben dem Beruf sich trotzdem noch mit Büchern befassen könne, und ich war der Meinung, dass Proust sich mit Literatur als Hobby nicht begnügen wolle. Er wollte ganz frei sein für sein Schreiben, und so war er nicht bereit, dieses mit einem anderen Beruf zu teilen. Dazu habe ich oben schon einiges geschrieben. Interessant fand ich, dass Anne, die meine Buchbesprechung noch gar nicht gelesen hat, da ich noch am Werkeln bin, dieselben Gedanken und Ideen wie ich geäußert hat.

Ich weiß noch aus der Biografie, dass Proust die meiste Zeit seines Lebens im Bett zugebracht hat, weil er sehr krank war. Eine große Karriere, wie der Vater sie für ihn bestimmt hat, wird er dadurch nicht machen können.

Des Weiteren haben wir uns über den Briefpartner Robert de Billy ausgetauscht, da ich ihn total verdrängt hatte. Ich wusste nicht mehr, wer er war. Aus Annes Namensliste geht hervor, dass dieser Mensch nur Prousts Briefpartner war. Mehr ist aus der Fußnote nicht hervorgegangen. Ich wurde schließlich auf einer französischsprachigen Proust – Seite fündig. Weitere Erklärung sind oben im Text hinterlegt.

Wir sind beide auf nächstes Wochenende gespannt. Wir sind neugierig, wie bzw. ob Proust aus seiner Bedrängnis herausfinden wird, ohne es sich mit dem Vater zu verscherzen. Aber Ewachsenwerden bedeutet auch, sich gegen die elterlichen Erwartungen auflehnen zu können, auch wenn hier eine finanzielle Abhägnigkeit besteht.
____________
Das Herz hat Gründe,
die der Verstand nicht kennt.
(Marcel Proust)

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Samstag, 22. Juni 2019

Gary Shteyngart / Willkommen in Lake Success

Klappentext    
Am Puls des heutigen Amerika - »man möchte schreien, weil dieser Roman so wahr und so unglaublich lustig ist« (Richard Ford)Eines frühen Morgens entledigt sich Barry Cohen, Master of the Universe, der Fesseln seines allzu perfekten Lebens. Der Sohn eines jüdischen Poolreinigers hat eine traumhafte Karriere gemacht: Seine Hedgefonds spülen ihm Millionen aufs Konto, für ihn zählen nur Status, Ruhm, Prestige und Perfektion. Doch dann kommt der Tag des tiefen Falls: Er begreift, dass sein Sohn niemals in seine Fußstapfen treten wird. Mit nichts als seinen Lieblingsuhren im Gepäck flieht Barry mit einem Greyhound-Bus aus New York. Sein irrwitziger Plan: nach zwanzig Jahren seine College-Liebe Layla in El Paso zu treffen. Ob er mit ihr das echtere Leben von damals wieder aufnehmen kann? 
Bestsellerautor Gary Shteyngart nimmt uns in dieser Great American Novel mit auf eine turbulente Reise durch das zutiefst gespaltene Amerika der Vor-Trump-Ära - und erzählt von der Suche eines Mannes nach dem wahren Glück. Großherzig, klug und witzig!

Autorenporträt
Gary Shteyngart wurde 1972 als Sohn jüdischer Eltern in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, geboren und kam im Alter von sieben Jahren in die USA. Er legte 2002 mit »Handbuch für den russischen Debütanten« seinen Erstling vor, ein New-York-Times-Bestseller, der u.a. mit dem National Jewish Book Award for Fiction geehrt wurde. Es folgten die vielfach ausgezeichneten Erfolgsromane »Absurdistan« und »Super Sad True Love Story« sowie zuletzt sein autobiografisches Buch »Kleiner Versager«. »Willkommen in Lake Success« ist der vierte Roman des New Yorker Kultautors, er wurde mehrfach zu einem der besten Bücher des Jahres 2018 gekürt und wird von HBO als Serie mit Jake Gyllenhaal in der Hauptrolle verfilmt.
Meine ersten Leseeindrücke

Ich habe bisher erst 115 Seiten gelesen. Anfangs hatte ich Probleme, in die Handlung reinzukommen, aber mittlerweile habe ich den Tenor herausfinden können. Mir gefällt das Buch recht gut. Es stimmt neugierig und auch nachdenklich.

Derzeit wird das Buch auf Whatchareadin gelesen, und diesmal war ich die Erste, die gepostet hat, obwohl ich erst 32 Seiten gelesen hatte. Man wird auf den ersten Seiten des Buches mit vielen Details gefüttert, sodass ich das Bedürfnis verspürt habe, darüber zu schreiben. Außerdem hatte ich frei, und so stand mir mehr Zeit zur Verfügung. Später haben sich andere Leserinnen angeschlossen, die den gesamten Abschnitt, der bis zur Seite 105 reichte, rezensiert haben, und ich mich geärgert habe, sie gelesen zu haben, da man doch auch von den Meinungen anderer beeinflusst wird. Sie finden zum Beispiel den Protagonisten Barry unsympathisch, wo ich mich so früh noch gar nicht festlegen wollte, erst recht nicht, weil es noch mehr Figuren gab, die mir von ihrer Denkweise und ihrem Auftretetn her nicht gefallen haben. 

Das ist neben der Zeitnot noch zusätzlich ein Grund, weshalb ich mich in Zukunft von den Leserunden fernhalten möchte. Ich male mir selbst gerne ein eigenes Bild zu den unterschiedlichen Charakteren aus. Ich beobachte gerne die Figuren, ohne mir so schnellt ein Urteil bilden zu müssen. Ich präferiere einen Bücheraustausch mit wenigen Lesepartner*innen. In der Regel sind das ein bis zwei Leute. Aber ich genieße es auch sehr, alleine zu lesen. 

Am Ende des Buches verlinke ich aber wie immer meine Buchbesprechung mit der Leserunde.

Weitere Informationen zu dem Buch

·         Gebundene Ausgabe: 432 Seiten
·         Verlag: Penguin Verlag (15. April 2019)
·         Sprache: Deutsch, 24,-€
·         ISBN-10: 3328600698

Hier geht es zu der Verlagsseite



Sonntag, 16. Juni 2019

Briefkontakt mit Robert de Montesquiou

Seite 142 – 152    

Auf den folgenden zehn Seiten beginnen die Briefe nun richtig schwierig zu werden, da es hier ausschließlich um Literaturgespräche geht, was zwar spannend ist, aber vieles ist für uns schwer vorstellbar. Einfacher wird es, wenn das Zwischenmenschliche zwischen Proust und seinen Zeitgenossen auch eine Rolle spielt. Aber es macht mir großen Spaß, mich mit dem Gelesenen schriftlich zu befassen und mich mit Anne auszutauschen. Aber man merkt ganz deutlich, wie Prousts Leben aus der Literatur heraus sprießt. Sein Leben ist Literatur. Und Literatur ist sein Leben. 

25.06.1893, noch ist hier Proust 21 Jahre alt

Der Brief geht an Robert de Montesquiou, *07.03.1855 in Paris, gest. 11.12.1921 in Menton (süd-osten Frankreich)
Montesquiou hat zu dieser Zeit zwei Lyrikbände geschrieben, wovon der zweite Le Chef des odeurs sauaves erst im Januar 1894 erscheinen sollte. Der erste Gedichtband Les Chauves – Souris, wurde 1892 verlegt. Proust ist ganz hin- und weg von den Gedichten, die recht blumige Bilder darstellen, weil sie auch blumig geschrieben sind, wobei dies sicher Naturbetrachtungen sind. Viele Gedichte aus der Natur, so schwärmt Proust mit folgenden Worten:
Seit heute Morgen liege ich auf dieser Sternenweide und bewundere diesen Blütenhimmel, und ich bin bezaubert von all diesen Düften, berauscht von all dieser Klarheit, und wie die Lotophagen (Lotosesser, Anm. M. P.) habe ich keinen Gedanken mehr an eine Rückkehr und wünsche auch nicht, dass es eine solche gebe.

Total trunken ist Proust von den Gedichten Montesquious aus dem zweiten Gedichtband. Er sieht die Natur geistig vor sich, als würde er mitten auf einer Wiese liegen. Das finde ich genial, wie sehr er die Gedichte inhaliert, als seien sie eine Droge. In der Natur findet Proust das Göttliche …
Aber für alles, was nicht Gegenstand des Denkens ist – denn die göttliche Vernunft, die solches erfasst, ist frei von Zeit, Raum und Bezügen -, für alles, was vollkommen geheimnisvoll wie die Musik oder der Glaube, finden sich hier (…) Verse, die es erahnen lassen und es offenbaren, in dem sie es verkörpern. (143)

Wow, wie schön sich mir dieses proustische Bild vor Augen offenbart. Ich kann mir so gut vorstellen, wie Proust sich von diesen wundervollen Gedichten verzaubern lässt. Proust bittet um ein Foto des Dichters. Platonische Liebe?
Das sind nur kleine Ausschnitte, dich ich hier beschrieben habe. Weitere Gedanken zu den Gedichten sind dem Buch zu entnehmen.

Anfang Juli 1893 korrespondiert Prost erneut mit Montesquiou. Gesprächsgegenstand sind nicht nur die Gedichte, sondern hier geht es zur Abwechslung mal wieder um eine bestimmte Frau. Ein brisantes Thema, denn auch hier scheint Proust vor Rätseln zu stehen. Viel mehr vergleicht Proust die Schönheit dieser Frau mit den Gedichten des Dichters. Die Dame, um die es hier geht, ist die Comtesse de Greffulhe, geb. 04.Juli 1860, gest. 21.08.1952. Die Dame habe auf Proust einen großen Eindruck hinterlassen, und so bittet er den Dichter, ihm der Dame ausrichten zu lassen, wie sehr er sie bewundert habe, da Montesquiou öfters mit dieser Dame zu tun bekommen würde. Aber mir war nicht klar, in welcher Verbindung Montesquiou zu ihr stand. Dies wird sich später klären, siehe am Ende unter Telefongespräch mit Anne.
Sie trug eine Frisur von polynesicher Anmut, und malfarbene Orchideen fielen ihr bis in den Nacken wie die >Blumenhüte<, von denen Renan spricht. Sie ist schwer zu beurteilen, wahrscheinlich, weil beurteilen vergleichen heißt und nichts an ihr auszumachen ist, was man weder bei einer anderen noch irgendwo sonst hätte sein können. Doch das ganze Mysterium ihrer Schönheit liegt im Glanz, vor allem im Rätsel ihrer Augen. Nie habe ich eine so schöne Frau gesehen. Ich habe nicht dazu gebeten, ihr vorgestellt zu werden, und werde nicht einmal Sie darum bitten, denn außer der Aufdringlichkeit, die darin liegen könnte, würde ich, wie mir scheint, eine eher schmerzhafte Verwirrung empfinden, wenn ich mit ihr zu sprechen hätte. Aber es wäre mir lieb, sie würde von dem großen Eindruck hören, den sie auf mich gemacht hat, (…) . Ich hoffe, Ihnen weniger zu missfallen, indem ich diejenige bewundere, die Sie über alles bewundern und die ich von nun an nach Ihnen, Ihnen gemäß (…) >in Ihnen< bewundern werde. (145f.)

Dass die Augen das Fenster zur Seele sind, ist bekannt, und dies nicht nur bei den Augen einer Frau.
Auch hier idealisiert Proust sowohl den Dichter als auch die Comtesse, und er hofft insgeheim, der Dichter würde sie ihm vorstellen. Er unterzeichnet mit Ihr respektvoller Bewunderer … .

In einem weiteren Brief vergleicht Proust Montesquiou mit dem Dichter Charles Baudelaire, geb. 09.04.1821 in Paris, gest. 31.08.1867 ebenda. Proust ist der Meinung, dass beide Dichter gut in die Zeit des 17. Jahrhunderts passen würden. Er erwähnt hierbei Verse von Maxime und Corneille. Aber welchen Maxime und welchen Corneille er meint, entzieht sich völlig meiner Kenntnis. Von Charles Baudlaire besitze ich einen Gedichtband von Die Blumen des Bösen. Habe ich vor vielen, vielen Jahren von einem Freund geschenkt bekommen.

04. August 1893, 22 Jahre
Schreibt Proust wieder an Daniel Halévy
Proust, Halévy, Gregh und de la Salle planen gemeinsam, ein Scheibprojekt in Form eines Briefromans. Inspiriert sind sie durch das Vorbild Theophile Gautier (u. a. m.), s. Fußnote 1, Seite 148f. Proust bittet Daniel, längere Briefe zu schreiben, da seine Briefe zu kurz ausfallen würden.
Sie alle schreiben unter einem Pseudonym. Proust bittet alle Teilnehmer, die Briefe gut aufzubewahren, um sie später in der Reihenfolge nochmals lesen zu können. Aus der Fußnote 1, Seite 45, geht hervor, dass das Schreibprojekt gescheitert war.

Im September 1893 schreibt Proust Monsieur Natanson, das muss der Redakteur der Literaturzeitschrift Revue Blanche sein, und bittet ihn, ein paar Gedanken zu dem neuen Gedichtband zu Montesquiou zu schreiben, bevor er im folgenden Jahr veröffentlicht werde. Proust selbst hat eine Novelle geschrieben, Mélancolique …, siehe Fußnote Seite 152.

Telefongespräch mit Anne, 16.06.2019
Uns ist beiden aufgefallen, dass selbst die Fußnoten, die eigentlich sehr umfangreich sind, Lücken aufweisen. Wir wussten beide nicht, wer denn die Dichter aus dem 17. Jahrhundert waren? Wer sind Maxime und Corneille? Ich hatte gegoogelt und es gab zig Maximes. Mit Corneille war ich erfolgreicher, denn es handelt sich um den Dichter Pierre Corneille, der 1606 in Rouen geboren und 1684 in Paris gestorben ist. Er war Dichter und Dramatiker.

Anne hat im Netz herausgefunden, dass Montesquiou homosexuell war, denn seine blumige, lyrische Sprache ließ sie stutzig werden. Aus den Briefen geht das noch nicht hervor, bin aber gespannt, ob diese Thematik später aus Prousts Feder noch fließen wird.

Und wir hatten beide den Eindruck, dass Proust Montesquiou idealisiert hatte, demgegenüber auch die Comtesse Gremfulhe, die nachweislich eine Cousine des Dichters gewesen ist. Leider ging diese Info weder aus Prousts Briefen, noch aus der Fußnote hervor. Das bedeutet, dass wir gezwungen sind, Nachforschungen zu betreiben, um die Briefe besser zu verstehen, was mit viel Arbeit verbunden ist.

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Das Herz hat Gründe,
die der Verstand nicht kennt.
(Marcel Proust)

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Samstag, 15. Juni 2019

Elke Söllner / Die heilende Kraft der Katzen

Klappentext    
Katzen trösten und machen uns glücklich – ein völlig neuer Ansatz für das Zusammenleben mit Katzen 
Katzen sind höchst sensible Geschöpfe. Sie können Gefühle wie Freude oder Angst empfinden. Diesen Fähigkeiten verdanken wir Menschen es, dass Katzen unsere Emotionen auffangen können und uns sogar eigene Krankheiten vor Augen führen können. Sie fungieren wie Hinweisschilder für unsere eigene Wahrnehmung und helfen uns dabei, uns unserer selbst besser bewusst zu werden. Darüber hinaus fungieren sie als Seelentröster und in manchen Situationen spenden sie uns fast therapeutische Kraft.
Wenn wir uns bewusst auf diese wunderbaren Tiere einlassen und uns mit ihrer mystischen Stärke, verbinden, wirken sie tatsächlich heilsam auf uns. Ein völlig neuer Aspekt im Zusammenleben mit Katzen!


Autorenporträt
PetCoach“ Elke Söllner ist zertifizierte Tierpsychologin, die von Kindesbeinen an von Tieren umgeben war. „Problemfälle“ schloss sie stets besonders in ihr Herz und auch nun widmet sie sich der Lösung von Problemen bei allen Arten von Haustieren. Sie verbindet eine tiefe Achtung und Respekt für das Seelenwesen Tier. Ihre besondere Leidenschaft und ihre Liebe gehört den Katzen. Die Tätigkeit an der Veterinärmedizinischen Universität Wien verhalf ihr zu wichtigen Erfahrungswerten im tiermedizinischen und psychosomatischen Bereich, die sie auch in ihren Beratungen weitergibt.

Meine ersten Leseeindrücke
Ich weiß nicht, ob ich am Ende das Buch rezensieren werde, da ich nichts Neues erfahren habe. Wenn ich doch rezensiere, dann hier auf dieser Seite, weil es keine große Besprechung geben wird. Ich warte bei einem Buch immer auf ein Aha-Erlebnis, das bis jetzt auf den 102 gelesenen Seiten ausgeblieben ist. Ich habe außerdem das Buch nicht gekauft, um von meiner Katze geheilt zu werden, sondern umgedreht, um meine Katze, die durch unseren Kater Mio stressgeplagt ist, zu heilen.

Kurz gesagt: 
Ich habe das Buch nun nach 104 Seiten abgebrochen. Mir ist meine Zeit zu kostbar, als dass ich mich weiterhin mit Büchern befasse, die mir nichts Neues zu bieten haben. Aber
das Buch ist nicht ungeeignet. Es ist zu empfehlen an Menschen, die noch nicht so viel zu Katzen gelesen haben.

Die Autorin hat noch ein anderes Buch geschrieben, das wahrscheinlich eher mein Bedürfnis abdeckt, von dem ich zuvor aber noch nichts gehört hatte, sie es aber in diesem vorliegenden Buch bewirbt. Das Buch heißt Die besorgte Katze, das ich mir soeben in der Buchhandlung teelfonisch bestellt habe, und vorhabe, es morgen Abend anfangen zu lesen.

Weitere Informationen zu dem Buch

·         Broschiert: 220 Seiten
·         Verlag: Goldegg Verlag (12. März 2019)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 3990600990

Hier geht es zu der Verlagsseite von Goldegg.


Sonntag, 9. Juni 2019

Konfliktklärung mit Monsieur Desjardins und Madame Straus

Seite 133 – 143   

Juli / August 1892 – Juni / Juli 1893 (21
 – 23 Jahre)

Auf den folgenden zehn Seiten bekommt man es mit einem Marcel zu tun, der sich mit 21 / 23 Jahren im Jurastudium befindet, und verschiedene Examensprüfungen vor sich hat.

Hier wendet sich Proust brieflich an Fernand Gregh. Fernand Gregh, geboren 1873, ist Prousts jüngerer Schulkamerad aus dem Lycee Concorcet. Gregh ist auch Mitbegründer der Literaturzeitschrift von Le Banquet. Gregh ist Schriftsteller und Literaturkritiker geworden. Marcel befindet sich allein in Paris, während seine Familie wegen mehrerer Asthmaanfälle ohne ihn nach Auteuil aufgebrochen ist. Proust sehnt sich nach Gesellschaft und bittet Gregh um einen abendlichen Besuch. Dass die Familie ihn alleine gelassen hat, wundert mich sehr, wo der Vater doch Arzt ist. An Asthma sind schon viele Menschen noch bis in den 1970er Jahren gestorben. Die Patient*innen erleiden einen grauenvollen Erstickungstod. Vielleicht war diese Atemwegserkrankung damals noch unerforscht. Aber wenn man mitbekommt, wie es einem Patienten dieser Art geht, wenn er sich in einem Anfall befindet, erschrickt man als Außenstehende gewaltig. Ein Asthmatiker hat ständig den Tod vor Augen.

Proust beschreibt sich hier als untröstlich, da ihm ein Examen bevorsteht, für das er den ganzen Tag lernen müsste. Aus der Fußnote ist zu entnehmen, dass er den ersten Teil seiner Jura-Prüfung ablegen müsse.

Proust ist immer sehr freundlich und wohlwollend zu seinen Briefpartner*innen.

Dez. 1892, 21 Jahre
Der nächste Brief geht an Paul Desjardins. Begründer der Zeitschrift Bulletin de L´Union pour láction morale, die am 07. November 1892 erstmals erschienen ist. Dies scheint keine sehr anspruchsvolle Zeitschrift zu sein, wie sich mein Verdacht aus der Fußnote bestätigen lässt. Proust entschuldigt sich bei Desjardins, dass er die Zeitschrift noch nicht abonniert habe.
Ein so schöner Brief, und wieder gebraucht dieser Marcel interessante Bilder im Ausdruck. In der Fußnote steht, dass mit dem Bulletin keinerlei literarischen Absichten verfolgt werden.
Proust kritisiert Desjardins. Es ist, als würde man einem Bettler Parfüm vor die Füße sprühen, statt ihn mit einem Mantel anzukleiden. Die Zeitschrift betrachtet Proust als etwas ganz Armseliges, ohne Esprit, das die Seele mit falscher Barmherzigkeit vertrocknen lässt.
Und gehorcht nicht derjenige, der Parfüm zu Füßen eines Armen versprühte, anstatt ihn zu kleiden, eher der künstlerischen Lust an einer so großartig unnützen Handlung als dem guten Willen, einem Armen etwas Gutes zu tun. (134)
Ich finde es sehr mutig von diesem jungen Menschen, wie er seine Partner mit (konstruktiver) Kritik konfrontiert. Auch hier schließt er den Brief sehr höflich und wohlwollend ab.

Anfang des Jahres 1893, 21,5 Jahre
Interessant ist auch der folgende Brief, der an Madame Geneviève Straus geht, mit der wir es schon aus den letzten Briefen zu tun bekommen haben.

Er bezeichnet diese Dame als geheimnisvoll aber auch als zu oberflächlich. Aber er würde geheimnisvolle Frauen lieben, was er in der Literaturzeitung Le Banquet geschrieben hat. Man darf Proust nicht begegnen. Er stellt öffentlich jeden Menschen an den Pranger, mit dem er es zu tun bekommt.
Aber ich kann sie nicht mehr ganz so lieben, und ich werde Ihnen sagen, warum, auch wenn das überhaupt keinen Sinn hat, aber Sie wissen ja, dass man seine Zeit mit Dingen verbringt, die keinen Sinn haben oder sogar schädlich sind, vor allem, wenn man liebt, und selbst dann, wenn man etwas weniger liebt. Sie glauben, dass man seinen Charme verfliegen lässt, wenn man zu offenherzig ist, und ich glaube, dass das stimmt. Aber ich muss Ihnen sagen, wie es sich mit Ihnen verhält. Man sieht Sie meist in Gesellschaft von zwanzig anderen Personen (…). Aber ich vermute, dass man es nach einigen Tagen doch schafft, Sie für einmal allein zu sehen. Sie haben nur fünf Minuten Zeit, und selbst während dieser fünf Minuten denken Sie an etwas anderes. Aber das ist noch gar nichts. Wenn man mit Ihnen über Bücher spricht, halten Sie das für pedantisch, wenn man mit Ihnen über Leute spricht, halten Sie das für indiskret (…) oder neugierig, wenn man Fragen stellt, wenn man mit Ihnen über Sie spricht, halten Sie das für lächerlich. So ist man schon hundertmal an dem Punkt angelangt, Sie für sehr viel weniger entzückt zu halten. (136)
Seine Zeit mit Dingen verbringen, die keinen Sinn machen, da keimte im Proust schon der Stoff für seinen Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Sinnlos die Zeit abzutun, wie ich es schon in meiner Proust Satire beschrieben habe, und freue mich, mich hier wieder bestätigt zu sehen. 

Proust spricht hier zum ersten Mal von einer platonischen Liebe, die ich aus den letzten Briefen herausgelesen hatte, besonders in der Korrespondenz mit Daniel Halévy. Proust scheint viel von seinen Mitmenschen zu halten, er empfindet für sie tatsächlich auch eine geschlechtslose, eine geistige Liebe. Das stimmt mich nachdenklich, denn es ist dadurch nicht erwiesen, ob er tatsächlich homosexuell ist.
Da ich Ihre hübschen Vorschriften über den falschen Ton befolgen will, möchte ich nicht genauer werden. Aber ich bitte Sie, denken Sie darüber nach. Seien Sie der platonischen Liebe gegenüber aufgeschlossener, in der Ihnen, wie ich Sie glauben und zu erlauben bitte, Ihr ergebener Diener respektvoll zugetan ist. (136f)
Ich denke, dass Madame Straus Probleme hatte mit Prousts Offenheit, weswegen sie sich schwertat, sich ihm zu öffnen. Er schwatzt halt auch tatsächlich alles heraus, was er mit seinen Mitmenschen erlebt, sie dazu noch in der Öffentlichkeit bloßstellt. Das mag nicht jeder.

Juni 1893, noch 21 Jahre
An Robert de Billy

In diesem Brief erfährt man, dass Proust im August nach Abschluss seiner Examensprüfung in die Schweiz nach St. Moritz reisen möchte, der von Monsieur Robert de Montesquiou und Madame Howland empfangen wird. Proust hat Madame Howland seine Erzählung Mélancolique … zukommen lassen.

Fasziniert finde ich, dass Proust so viele Literaturpartner*innen hat und er immer im Austausch gehobener literarischer Themen steht. Dafür bewundere ich ihn sehr.

Seine Examensprüfungen hat Proust alle bestanden.

Telefongespräch mit Anne
Auch Anne ist der Meinung, dass es gar nicht klar ist, dass Proust homosexuell ist. Seine blumige Sprache lässt dazu verleiten. Bei uns ist diese Art von Ausdruck gar nicht üblich. Schon gar nicht von einem Mann.
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Das Herz hat Gründe,
die der Verstand nicht kennt.
(Marcel Proust)

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Samstag, 8. Juni 2019

Ian McEwan / Maschinen wie ich (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre          

Leider hat mich dieses Buch von McEwan, der eigentlich zu meinen Lieblingsautor*innen zählt, nicht ganz überzeugen können. Deshalb werde ich mich hierzu kurzhalten.

Das Buch ist an sich nicht schlecht geschrieben, nur die Episoden mit dem Roboter Adam gingen nicht an mich. 

Hier geht es zur Buchvorstellung; zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Der Protagonist Charlie Friend, 32 Jahre alt, schafft sich einen humanoiden Roboter der Marke Adam an. Adam ist nicht irgendeine Maschine, denn er besitzt verglichen zu anderen künstlichen Geräten ein Bewusstsein. Adam ist männlich und es gibt dazu einen weiblichen Part namens Eva. Die Käufer dieser menschenähnlichen Maschine können sich aussuchen, ob sie einen Adam oder eine Eva haben möchten. Adam ist in der Lage, sich selbst Energie zuzuführen, in dem er sich mit einem Kabel an die Strombox anschließen kann, wenn sein Akku verbraucht ist. Adam kann aber noch mehr. Er kann Haiku schreiben. Er kann philosophieren und sonst intellektuelle Gespräche führen. Er ist mit einem Silikonchip ausgestattet. Die Maschine kann von seinem Besitzer durch die Festlegung verschiedener Präferenzen so eingestellt werden, dass daraus eine Persönlichkeit entsteht, so, wie der Besitzer sie haben möchte. Die Wissenschaft ist allerdings noch lange nicht fertig. Sie versucht weiterhin, das menschliche Gehirn zu imitieren. Da das menschliche Gehirn nach wie vor Rätsel aufgibt, ist die Imitation nicht einfach nachzubauen... Adam kostete Charlie 86 000 Pfund. Entwickelt wurde diese menschenähnliche Maschine von Alan Turing, größtes Genie des digitalen Zeitalters. Charlie selbst hat ein Buch über die künstliche Intelligenz geschrieben. Durch verschiedene gelesene belletristische Lektüren wie z. B. von Leo Tolstoi und George Orwell begann Charlie, sich für imaginäre Menschen zu interessieren.

Charlie verliebt sich in die junge Studentin Miranda, die zehn Jahre jünger als er selbst ist. Mit der Zeit entwickelt sich zwischen den beiden tatsächlich ein Paar und Charlie erfährt durch Adam, dass Miranda es nicht ernst mit der Beziehung meint und ihn dadurch verraten und betrügen würde. Wie kommt diese Maschine dazu, solche Prognosen zu stellen, fragt sich Charlie?
Aber Adam kann noch mehr. Er kann sich verlieben, er kann Sex haben, denn er hat Gefühle … Nur, wo kommen diese Gefühle her? 

Ein paar Zeilen zu Mirandas Leben. Sie trägt ein tiefes Geheimnis mit sich herum, das sie später Charlie offenbart. Es geht um Peter Corringhe, ein junger Mann, der im Knast sitzt, und der kurz vor der Entlassung steht. Miranda hat es geschafft, ihm ein Sexualverbrechen anzulasten, das er nicht an ihr verübt hat und sie nun Angst hat, er könnte sich nach seiner Entlassung rächen und Miranda töten. Diese Lüge hat etwas mit ihrer besten Freundin Mariam zu tun, ein Mädchen aus pakistanischer Familie …

Des Weiteren gibt es noch den kleinen Mark, der aus einer sozialschwachen Familie stammt und bei dem zusätzlich das Kindeswohl gefährdet ist. Mark ist vier Jahre alt, als Charlie ihn auf dem Spielplatz kennenlernt und beobachtet, wie er von der Mutter hart angepackt wird. Charlie mischt sich ein, zeigt Zivilcourage, ergreift das Wort für das Kind, bis plötzlich der Vater auftaucht, und Charlie fragt, ob er den Kleinen  geschenkt bekommen haben möchte? Die Frage ist kein Witz, sie ist ernst gemeint ...

Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.

Welche Szenen haben mir gar nicht gefallen?
Vorsicht Spoiler
Ich habe nicht verstanden, weshalb Charlie Adam mit einem Hammer zerstört hat. Er hätte es einfacher haben können. Ohne Kraftaufwand. Er hätte Adam, um ihn wieder loszuwerden, einfach das Stromkabel wegnehmen können, sodass er nicht mehr aufladbar wäre.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Die Fürsorge, die man dem kleinen Mark hat entgegenbringen können.

Welche Figur war für mich ein Sympathieträger?
Miranda.

Welche Figur war mir antipathisch?
Marks Eltern.

Meine Identifikationsfigur
Keine
 
Cover und Buchtitel
Fand ich sehr ansprechend, da man den Unterschied zwischen Mensch und Maschine nicht  sehen kann und dies sehr nachdenklich stimmt. Aber wären sie von den Gesichtern her auch nicht zu unterscheiden?

Zum Schreibkonzept
Auf den 404 Seiten ist das Buch in neun Kapiteln gegliedert. Der Schreibstil ist flüssig geschrieben und in der Ichperspektive der Hauptfigur Charlie erzählt. Am Ende gibt es noch eine Danksagung, aus der man entnehmen kann, dass Alan Turing, geboren 1912, eine reale britische Figur ist. Lt. Wikipedia war Turing von Beruf Mathematiker, Kryptonanalytiker, Informatiker und Computerspezialist. Turing starb 1954.

Meine Meinung
Dass diese beiden humanoiden Maschinen mit Adam und Eva betitelt wurden, lässt mich an die Bibel denken. Sind künstliche Menschen wie Adam und Eva die ersten in ihrer Art? Und der Schöpfer der Mensch ist?
Mich stimmt das Buch schon sehr, sehr kritisch. Aber meine Fragen hat sich auch der Autor gestellt. Was machen wir mit unserer Zeit, wenn Maschinen alles menschliche Tun übernehmen? Was machen wir mit unserer an Fülle gewonnen Freizeit? Können wir überhaupt noch existieren, wenn Maschinen uns ersetzen? Wer finanziert sie? Wer kann sie sich leisten, wenn durch ihren Einsatz Arbeitsplätze abgebaut werden? Ohne Arbeit lassen sich dann auch keine kostenpflichtigen Freizeitvergnügungen nachgehen, es sei denn, man besitzt Vermögen. Um Charlies Vermögen kümmert sich Adam, der an die Börse geht. Ich stelle mir vor, dass alle Roboter erfolgreich an die Börse gehen, das wäre der reinste Kollaps ... 

Auf die Forderung, humanoiden Robotern Menschlichkeit zuzusprechen, weil sie Bewusstheit und Gefühle hätten und weil sie von echten Menschen nicht mehr zu unterscheiden wären, kann ich mir gar nicht vorstellen. Diese Forderung kann ich absolut nicht verstehen. Wir schaffen es nicht einmal, Tieren eine Persönlichkeit zuzusprechen, obwohl mittlerweile naturwissenschaftlich bewiesen ist, dass auch Tiere Gefühle haben, dass auch Tiere intelligente Wesen sind, und wollen wir tatsächlich diese computergesteuerten Monster zu Persönlichkeiten machen?
Alan Turing, der Vater dieser Roboter, geht noch weiter, er hofft sogar, dass man Menschen, die im Besitz dieser Maschinen sind, und ihren Roboter aus den verschiedensten Gründen zerstören, man ihnen sogar eine Straftat anlasten müsse. Eine Zerstörung wäre mit einem Mord gleichgesetzt.

Mein Fazit
Für mich liest sich das Buch wie eine Dystopie, auch wenn es darin nicht ganz so heftig zugeht. Mir ist die Ernsthaftigkeit dieser Thematik bewusst, aber ich hoffe, diese Zeiten nicht erleben zu müssen, wenn Maschinen uns Menschen regieren. Keine Ehrenkriege mehr? Keine Religionskriege mehr? Ich spinne mal den Gedanken weiter fort. Ich kann mir vorstellen, dass es aber Kriege zwischen den Menschen und den Maschinen geben wird. Der Mensch als Gott und Schöpfer? Am Ende schafft er sich selber ab.

Weil mich das Buch nicht ganz überzeugt hat, bekommt es elf von zwölf Punkten.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

Auch wenn das Buch eine gute Bewertung von mir erhalten hat, hat es mir nicht ganz gefallen, wie ich eingangs oben geschrieben habe. Die Thematik hat mich nicht ganz überzeugen können.

Elf von zwölf Punkten.

Hier wird das Buch auch auf Whatchareadin in der Leserunde gelesen. 

Vielen herzlichen Dank an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars. 

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