Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Ich habe das Buch soeben beendet und es hat mir sehr gut gefallen. Man hat das Gefühl, die Autorin hat die Geschichte, von der sie schreibt, selbst erlebt. Klingt alles recht authentisch und auch der Schreibstil und die Sprache hat mir sehr gut gefallen. Der Roman behandelt einen recht harten Stoff, musste zwischen drin immer mal wieder aufblicken, kleine, Mini-Lesepausen einlegen, da ich nicht aufhören konnte zu lesen. Lediglich die letzten fünfzig Seiten haben mich ein wenig gelangweilt, weil die Geschichte, an der man als Leserin von Anfang an teilnehmen durfte, wieder erzählt wurde an Personen, an Familienmitgliedern, die verschollen waren und dann Jahrzehnte später wieder aufgetaucht sind und die Ereignisse betreffender Personen an denjenigen herangetragen wurden.
Zur Erinnerung noch einmal der Klappentext:
Jenin im Blumenmonat April: Frühmorgens, bevor die Welt um sie herum erwacht, liest Amals Vater ihr aus den Werken großer Dichter vor. Es sind Momente des Friedens und der Hoffnung, die Amal ihr Leben lang im Herzen trägt — ein Leben, das im Flüchtlingslager beginnt, nach Amerika führt und dennoch stets geprägt ist vom scheinbar ausweglosen Konflikt zwischen Israel und Palästina. Über vier Generationen erzählt Susan Abulhawa die bittere Geschichte Palästinas im Verlauf des 20. Jahrhunderts — eine Geschichte über den Verlust der Heimat, eine zerrissene Familie und die immerwährende Hoffnung auf Versöhnung.Der Stoff, den die Autorin behandelt, gebe zu, dass er recht heftig ist. Doch wenn ich bedenke, mit welchen Problemen wir Angehörigen der westlichen Welt uns befassen, und wie herablassend wir auf die arabische Welt schauen, dann schäme ich mich richtig und habe Achtung vor Menschen, die durch jedes Leid gehen müssen, deren Familien auseinandergerissen werden und Kinder, die nicht mehr zur Schule gehen dürfen, weil der Bürgerkrieg ausgebrochen ist, Menschen, die nicht wissen, was Freiheit ist, die keine Heimat mehr haben, weil man sie ihnen genommen hat, Menschen, die jeden Tag mit Sterben und Tod konfrontiert sind. Kinder, die mit Waffen heranwachsen, statt mit Spielsachen. Die Toten, bzw. die Getöteten haben nicht einmal ein persönliches Grab, sie werden mit anderen Leichen in ein Massengrab geworfen. Niemand weiß, wie die Leichen heißen, die Lebenden können nicht einmal ihre getöteten Verwandten auf dem Friedhof besuchen. Grauenhafte Vorstellung. Was Hitler in Deutschland mit den Juden angerichtet hat, haben die Juden in Palästina das selbe Verbrechen begangen. Asyle und KZ´ wurden für die Palästinenser errichtet. Sie schießen sogar auf Kinder und der Bürgerkrieg scheint kein Ende zu nehmen. Die Welt schaut zu, tut, als wisse sie nichts von diesem Massaker. Die westliche Welt ergreift eher Partei für die Juden. Deswegen ist es gut, dass es Menschen gibt, die solche Bücher schreiben.
Ich überlege, ob ich die vielen Zitate mir herausschreiben soll, oder ob ich darauf lieber verzichte.
Ich werde auf eine Episode eingehen, und den Rest dem Buch überlassen.
Die Autorin schreibt viel über die Kultur Palästinas und von deren Traditionen. In unseren Augen wohl primitiv, doch wer gibt uns das Recht, so streng zu urteilen? Sind unsere Urteile nicht eher primitiv? Ich finde, jeder Mensch verdient Respekt und Achtung, unabhängig davon, aus welcher Kultur er stammt, auch wenn man nicht alles für gut heißen muss. Jeder Mensch muss mit dem zurechtkommen, mit der Welt zurechtkommen, in die er hineingeboren wird. Auch wir stehen unter gesellschaftlichen Zwängen, nur auf eine ganz andere Art und Weise. Es gibt ganz viele arabische Menschen, die ihre Kultur kritisch hinterfragen, viele die es nicht tun, und erstere müssen lernen, damit zurechtzukommen. Sie alle mit einem Pauschalurteil abzukanzeln, ist mir zu einfach, und zeigt mir, wie wenig Ahnung Menschen von der Welt haben.
Es ist nicht die Autorin, die ihre Kultur verteidigt, nein, das bin ich als Leserin. Die Autorin schreibt über die Kultur, über die Traditionen des Landes, so wie sie sind, wertneutral aber auch kritisch.
Im Folgenden gehe ich auf eine Szene ein:
Ein jüdisches Ehepaar wünscht sich Kinder, die Frau kann aber keine bekommen. Der Ehemann ist Soldat und als er mit anderen Soldaten wieder die Palästinenser massakriert hat, befanden sich viele auf der Flucht. Darunter auch eine arabische Mutter mit einem Kleinkind an der Hand und mit einem Säugling im Arm. Der Soldat reißt den Säugling von der Mutter weg. Das arabische Kind mit dem Geburtsnamen Ismael wächst demnach jüdisch auf und erhält den jüdischen Namen David. Ismael trägt, durch einen kleinen Unfall aus seiner Herkunftsfamilie zugetragen, eine große Wunde an seiner Wange, die mit der Zeit vernarbt und zum Stigma wird. Das heißt, er wird später, nach vielen Jahren an der Narbe von seinem größeren Bruder namens Yussuf wiedererkannt.
Beide Brüder werden erwachsen, beide Brüder wachsen von unterschiedlichen Müttern und Religionen auf.
Yussuf, der bei der PLO politisch aktiv geworden ist und sein Heimatland gegen die Israelis verteidigt, wird geschnappt und eingesperrt. Er muss große Folterqualen erleiden. Die israelischen Soldaten stellen eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen dem Gefangenen Yussuf und ihrem Kameraden David fest und konfrontieren David damit. David will es nicht wahrhaben und verprügelt Yussuf. Unmöglich, dass David etwas mit den Moslems zu tun haben könnte. Yussuf erkennt den Bruder an der Narbe ...
Jahrzehnte später, Ismael ist Anfang fünfzig, wird er mit der Wahrheit konfrontiert. Sein Ziehvater liegt im Sterben und möchte sein Gewissen entlasten und teilt ihm die ganze Geschichte und seine Herkunft mit. Der Vater stirbt und David gerät in eine Identitätskrise. Er begibt sich auf Spurensuche, sucht seine Herkunftsfamilie auf, er erinnert sich, als er im Knast Yussuf, der ihm wie ein Zwillingsbruder ähnlich war, schwer verprügelt hat. Er sucht seine Herkunftsfamilie, die nur noch aus einer Schwester besteht mit dem Namen Sara. Sara, die viele Jahre nach Yussuff und Ismael zur Welt kam. Sara kennt den Bruder Ismael nur über die Erzählungen ihrer Familie. David kontaktiert Sara, die mittlerweile in Amerika lebt und dort über die Greencard die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hat. David findet sie und zwischen den beiden Geschwistern entsteht ein wenig Liebe, obwohl Sara weiß, dass David Menschen getötet hat. Aber es gelingt ihr, auch das Gute in ihm zu sehen, zu erkennen, dass er selbst Opfer seiner Zeit war. Wer das kann, ist ein weiser Mensch ...
David findet seine Identität weder als Jude noch als Moslem. Er hat sein ganzes Weltbild über den Haufen geworfen. Um mit dem allem fertig zu werden, greift David zum Alkohol. Mit dem folgenden Zitat beende ich meine Aufzeichnung:
Ich trinke nicht mehr, liebe Schwester. Irgendwie ist das Dein Geschenk an mich. Ich werde nie ganz Jude oder Moslem sein, niemals ganz Palästinenser oder Israeli. Weil du mich angenommen hast, bin ich zufrieden damit, einfach ein Mensch zu sein. Du hast verstanden, dass ich, obwohl ich zu solcher Grausamkeit fähig war, auch zu großer Liebe fähig bin.Die Identität als Mensch? Kann es denn etwas Besseres geben?
Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.
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In der Musik spricht man mit Gott
(Erik Fosnes Hansen)
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