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Sonntag, 17. Oktober 2021

Sy Montgomery / Rendezvous mit einem Oktopus - Extrem schlau und unglaublich empfindsam: Das erstaunliche Seelenleben der Krake (1)

 Wer dieses Buch gelesen hat,
versteht die Seele der Ozeane.
(Peter Wohlleben)

Bildquelle: Pixabay

Eigentlich bin ich schon längst durch mit diesem Buch. Gehört und gelesen … Es hat sich nur ein anderes Buch dazwischengeschoben, und so kam Sy Montgomery ein wenig zu kurz. Pardon. Ich liebe diese Autorin, und sie hat es eigentlich nicht verdient, wie ein fünftes Rad am Wagen beiseitegelegt zu werden. Aber es gibt noch ganz viel von ihr an ungelesener Literatur, der ich mich noch anschließen werde. Montgomery bekommt dadurch noch meine volle literarische und ungeteilte Aufmerksamkeit gezollt.

Und mit den Oktopoden habe ich sicher alles Notwendige erfahren können. Mir hat aber das Nachwort von Donna Leon dieses Mal sehr viel gebracht, die das Buch auf wenigen Seiten nochmals zusammengefasst hat, sodass ich dadurch wieder an bedeutsame Fakten erinnert werden konnte, die mir für meine Buchbesprechung sehr hilfreich sein werden.

Donna Leon scheint immer häufiger ein Nachwort zu Montgomerys Bücher zu verfassen. Bei dem letzten Buch, Einfach Mensch sein - von Tieren lernen, schien ich mit ihrem Nachwort reichlich gesättigt gewesen sein, da es mir zu ausführlich erschien. Ich kannte ja die Fakten als aufmerksame Leserin alle schon zu Genüge, und musste sie in dieser ausführlichen Form am Ende nicht nochmal haben. Aber ich freue mich natürlich sehr, dass eine Autorin wie Donna Leon, die sonst Krimis schreibt, auch ein Nachwort verfasst und damit inhärentes Interesse für Bücher dieser Art hat aufbringen können.

Stockfoto

Aber nicht nur Oktopoden kommen in diesem Werk zu Wort, sondern jede Menge andere Seebewohner, von denen ich zuvor keine Ahnung hatte, dass es sie überhaupt gibt: Z. B. Sonnenblumenseesterne oder Seehasen ... Einige Youtube – Filmchen haben mich während des Lesens dieser Lektüre noch ergänzend begleitet.

Die Oktopoden in diesem Buch haben alle Namen, wie: Athena, Octavia, Kali …
Ich fokussiere meine Buchbesprechung hauptsächlich auf die Intelligenz der Tiere.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Erst einmal möchte ich ein paar Fakten benennen.

Was sind Oktopoden und wie sind sie beschaffen?

Synonyme dazu sind:

Kraken, Tintenfische, Kalamares, Polyp, Achtfüßer, Zephalopoden, Kalmar, Sepia, Nautilus, Neunauge, Tinktur ...

Sind sie nicht reich, diese Tierchen an schicken Wortformulierungen? Nicht nur in ihrer Art, sondern auch in der Auswahl von Begriffen. Für den Menschen gibt es nicht so viele Synonyme, die sie so gut kleiden und beschreiben. Ich habe mal verglichen.

Erdbewohner, Einwohner, Geschöpf, Kreatur, Zweibeiner, Homo sapiens, Sterblicher, Staubgeborener …
Die meisten davon klingen lange nicht so elegant wie die von den Oktopoden. Und Staubgeborener ????

Wie schön phänomenal dagegen die der Tintenfische klingen, wenn man mal über jeden einzelnen Begriff sinniert und meditiert, und ihn sich dadurch bewusst werden lässt, ohne ihn erst so selbstverständlich hinzunehmen ... Und so gehen innerlich ganze Welten von Ozeanen auf. Dann möchte man real selbst mal für einen Augenblick ein Tier dieser Art in der Seewildnis sein.

Doch es gibt auch eine Schnittmenge beider Wortgruppen, die diese zwei Wesen verbindet. Die beiden schönsten Ausdrucksformen hierbei sind Kreatur und Geschöpf ... Darin passen sowohl die Menschen, als auch die Oktopoden. Sich dies bewusst zu machen, zeigt, dass wir alle, so unterschiedlich wir auch sind, in einem Boot sitzen. Nicht nur linguistisch gibt es Gemeinsamkeiten, sondern auch im Kern unseres Wesens zusammen mit den Tieren.

Meditation
Meditation ist das Schönste, was es gibt, denn man kann sich in allem hineinversetzen, selbst in einen Stein.
In einen Oktopus, und sich mit ihm verbinden und Teil von ihm  werden. Mit jeder Seite des Buches hat meine Seele mitgelesen und mitgeschwungen, so genial waren die Beschreibungen darin, die ich häufig meditativ verlassen musste, so wie ich sie betreten hatte.

Die Beschaffenheit dieser Meerestiere
Ein Oktopus besitzt je nach Art acht bis zehn Arme, auch Tentakel genannt. Verlieren sie einen Tentakel durch eine Verletzung, dann wächst ihnen dieser wieder nach.

Julie Kalupa, Taucherin und Medizinstudentin an der University of Wisconsin, schreibt, dass ein Pazifischer Riesenkrake in der Lage ist, bis zu einem Drittel eines verlorenen Armes innerhalb von nur sechs Wochen nachwachsen zu lassen. Im Gegensatz zu dem nachgewachsenen Schwanz einer Eidechse, der unweigerlich immer minderwertiger ausfällt als das Original, ist der nachgewachsene Arm eines Kraken so gut wie neu und vollständig ausgestattet mit Nerven, Muskeln, Chromatophoren und perfekten, unberührten Saugnäpfen. Selbst die hoch spezialisierte Spitze des männlichen Begattungsarms, der Ausführungskanal.

Warum haben Oktopoden blaues Blut?
Im Vergleich zu vielen anderen Fischarten und zu uns Menschen haben Oktopoten blaues Blut, weil Kupfer statt Eisen der Sauerstoffträger in deren Körper ist.

Die Anzahl der Saugnäpfe
Eine Riesekrake besitzt etwa 1600 Saugnäpfe, die es auch schafft, mit jedem Saugnapf ca. 15 Kilo zu heben.

Schon ein einziger von Athenas Saugnäpfen reichte aus, um meine ganze Aufmerksamkeit zu fesseln – und sie hatte 1600 davon. Jeder einzelne war ein Multitasking-Talent und konnte saugen, schmecken, zupacken, festhalten, zupfen und wieder loslassen. Jeder Arm des Pazifischen Riesenkraken hat zwei Reihen mit Saugnäpfen, die kleinsten sitzen an den Spitzen, die größten (mit einem Durchmesser von 7,5 Zentimetern bei einem großen männlichen Tier, bei Athena waren es etwa 2 Zentimeter) ungefähr auf einem Drittel der Armlänge, vom Mund aus gemessen. Jeder Saugnapf hat zwei Kammern. Die äußere ist wie eine breite Saugglocke geformt und besitzt Hunderte feiner, sternförmig von der Mitte zum Rand verlaufender Grate. Die innere Kammer ist ein kleines Loch in der Mitte des Napfes, das die Saugkraft erzeugt. Die gesamte Konstruktion ist so biegsam, dass sie sich an die Konturen jedweden Objekts anpassen kann, das der Saugnapf erfasst. Die Näpfe können sich auch zusammenziehen und mit ihren Lippen einen Pinzettengriff bilden, wie wir es mit Daumen und Zeigefinger können. Jeder einzelne wird von eigenen Nerven gesteuert, und der Oktopus kann sie individuell und unabhängig voneinander steuern. Alle Saugnäpfe sind erstaunlich stark. James Wood, verantwortlich für die schon lange bestehende Biologie-Website »The Cephalopod Page«, hat ausgerechnet, dass ein Saugnapf von etwa sechs Zentimetern Durchmesser fast sechzehn Kilogramm Gewicht anheben kann. Wenn alle Saugnäpfe diese Größe hätten, läge die gesamte Saugkraft eines Oktopus bei 25 000 Kilogramm. Ein anderer Wissenschaftler hat ausgerechnet, dass man die Zugkraft einer Vierteltonne benötigt, um den Griff des wesentlich kleineren Gewöhnlichen Kraken zu lösen. »Taucher«, sagte Wood, »sollten sehr vorsichtig sein.« (28f)

Gehirn / Neuronen / Intelligenz
Nach meiner Online Recherche war es möglich herauszufinden, dass die Kraken z. B. mehrere Gehirne besitzen, die Anzahl war neun, konnte aber als noch nicht sicher evaluiert werden, dagegen waren drei Herzen konstatierbar. Und diese Tiere besitzen jede Menge Neuronen:

Im Vergleich:

Gemessen an anderen wirbellosen Tieren haben Kraken ein riesiges Gehirn. Octavias hatte die Größe einer Walnuss, dieselbe Größe wie das Hirn eines afrikanischen Graupapageis. Alex, ein solcher, von Dr. Irene Pepperberg trainierter Vogel, konnte einhundert englische Wörter sinnvoll anwenden. Er bewies Verständnis für Formen, Größe und Material, er konnte rechnen und Fragen stellen. Er konnte seine Trainer absichtlich täuschen – und um Entschuldigung bitten, wenn man ihm auf die Schliche kam. Die Größe des Gehirns allein ist natürlich nicht ausschlaggebend. Schließlich kann alles miniaturisiert werden, wie die Computertechnologie deutlich zeigt.

Eine andere Komponente, die Wissenschaftler zur Erforschung von Intelligenz untersuchen, ist die Anzahl der Neuronen, der Säulen des Denkens. Auch hier ist der Tintenfisch beeindruckend. Er besitzt 300 Millionen Neuronen.

Eine Ratte hat 200 Millionen, ein Frosch vielleicht 16 Millionen und eine Schlammschnecke aus der Familie der Süßwasser-mollusken höchstens 11 000. Das menschliche Gehirn hingegen besitzt 100 Milliarden Neuronen, doch ist es nicht wirklich mit dem eines Tintenfisches zu vergleichen. » (80f)

Vergleich mit dem menschlichen Hirn:

Das menschliche Gehirn ist in vier Bereiche eingeteilt, und jeder davon ist für andere Funktionen zuständig. Das Hirn eines Oktopus besteht aus – je nach Spezies und Zählmethode – fünfzig bis fünfundsiebzig verschiedenen Bereichen, aber die meisten Neuronen eines Oktopus sind nicht im Gehirn angesiedelt, sondern sitzen in den Armen. Die extremen Multitasking-Anforderungen, mit denen Oktopoden konfrontiert sind, mögen zu dieser Entwicklung beigetragen haben: Er muss all seine Arme koordinieren, Farbe und Form verändern, er muss lernen, denken, entscheiden und sich erinnern – und zur gleichen Zeit die Flut an Geschmacks- und Tastinformationen, die sich von jedem Zentimeter Haut in sein System ergießen, verarbeiten und darüber hinaus das Wirrwarr visueller Reize sortieren, die seine gut entwickelten, den menschlichen sehr ähnlichen Augen liefern. (81f)

Die erstaunliche Intelligenz dieser Tiere konnte mit verschiedenen Testinstrumenten untersucht werden. Eine davon war die Methode mit Plexiglaswürfeln:

Im Labor der Arthur D. Little Corporation entwickelte er eine Serie von drei durchsichtigen Plexiglaswürfeln mit unterschiedlichen Verschlüssen. Der kleinste Würfel wird durch einen Riegel verschlossen, den man wie bei einer Pferdebox umlegen und mit einem Bolzen fixieren muss. Nun kann man einen lebenden Krebs – das Lieblingsfutter der Kraken – hineingeben und den Deckel unverschlossen lassen. Der Oktopus wird den Deckel öffnen. Verschließt man aber den Deckel, wird der Oktopus garantiert dahinterkommen, wie der Deckel zu öffnen ist. Dann ist es an der Zeit, den zweiten Würfel einzusetzen. Dieser hat einen Riegel, der gegen den Uhrzeigersinn auf eine Klammer gedrückt wird. Man setzt den ersten Würfel mitsamt dem Krebs in den zweiten und verschließt ihn. Der Oktopus wird das Rätsel lösen. Schließlich nimmt man den dritten Würfel hinzu. Dieser hat zwei verschiedene Riegel: Der eine ist ein Bolzenriegel, der andere ist ein Hebelverschluss und fixiert den Deckel wie bei einem altmodischen Einweckglas. Bill erzählte mir, dass der Oktopus, sobald er das System »kapiert« hat, alle vier Schlösser in drei bis vier Minuten öffnen kann. (34) 

Hirnlose Fischarten / Seesterne und Seeanemonen
Erstaunlich fand ich allerdings noch, dass es Meerestiere gibt, die überhaupt kein Gehirn besitzen und dennoch als intelligent beschrieben werden. Dass sind die Seesterne, die so ein Organ nicht benötigen, um sich zu orientieren, um für sich zu sorgen, um als überlebensfähig durch die Meere zu ziehen.

Diese Tiere haben kein Gehirn und das simpelste aller Nervensysteme. Dennoch sagt ihr Verhalten viel über sie aus. In seinem Buch über Gefühle und Bewusstsein > Ich fühle, also bin ich < erwähnt der portugiesische Neurowissenschaftler Antonio Damasio auch Seeanemonen. Er behauptet nicht, dass Seeanemonen ein Bewusstsein besitzen, aber er schreibt, wir können in ihrem simplen, hirnlosen Verhalten »das Wesen von Freude und Traurigkeit, von Annäherung und Abwendung, von Verletzlichkeit und Geborgenheit« erkennen. (187)

Und hier ein Beispiel zu einem Seestern aus einem  pädagogischen öffentlichen Forschungsprojekt einer Schulklasse:

»Der Seestern hat zwar kein Gehirn, aber dumm ist er nicht. Schaut nur!« Wilson tut ihm den Gefallen und reicht ihm einen Kapelan. Der Seestern klebt direkt vor den Augen der Kinder mit der Bauchseite an der Glaswand und fängt nun an, sein Futter von einem der dünnen, röhrenförmigen Füßchen zum nächsten zu befördern. Während die Kinder mit offenem Mund zuschauen, transportiert der Seestern den Fisch die vollen zwanzig Zentimeter von der Armspitze zu seiner Mundöffnung, durch die er dann seinen Magen nach außen stülpt. »Er sabbert seine Magensäure direkt auf das Futter, um es aufzulösen«, (…). (235)

Und zum Schluss noch ein Zitat zu der Frage, ob diese Tiere ein Bewusstsein besitzen? Die Autorin gebraucht hier Begriffe wie Universelles Bewusstsein und Universelle Intelligenz, weil es deutlich macht, dass jede Beschaffenheit und jede Kreatur auf unserem Planeten ihren Platz und ihren Sinn hat:

Beim Streicheln eines Tintenfisches gerät man leicht ins Träumen. So ein Augenblick tiefsten Seelenfriedens, den man mit einem anderen Lebewesen teilt, besonders einem wie dem Tintenfisch, der so ganz anders ist als wir, macht uns demütig. Was für ein inniges Einvernehmen herrscht da zwischen uns. Gemeinsam erleben wir dieses Wunder, die Verbindung mit einem universellen Bewusstsein – das Gefühl, zum ersten Mal um 480 v. Chr. von dem griechischen Vorsokratiker Anaxagoras beschrieben, dass wir alle die gleiche Intelligenz besitzen, die das gesamte Leben beseelt und ordnet. Die Idee eines universellen Bewusstseins durchflutet sowohl westliches wie östliches Gedankengut und schlägt sich im Konzept des kollektiven Unbewussten des Psychiaters C. G. Jung, in der einheitlichen Feldtheorie sowie den Recherchen des 1973 vom ehemaligen Apollo-14-Astronauten Edgar Mitchell gegründeten Institute of Noetic Sciences nieder. (140)

Dazu kritische Zeilen zu christlichen Priestern

Auch wenn einige der methodistischen Pastoren meiner Jugendzeit sich nun empören mögen, so schätze ich mich doch glücklich, diesen ewigen, unendlich weiten Ozean intelligenter Energie mit einem Tintenfisch gemein zu haben. Und wer könnte mehr über den ewigen, unendlich weiten Ozean wissen als ein Tintenfisch? Und was könnte mehr zur tiefsten inneren Beruhigung beitragen, als von diesen Armen umfasst zu werden, umgeben zu sein von dem Wasser, in dem das Leben selbst entstand? Während Wilson und ich an diesem Sommernachmittag immer noch Kalis weichen Kopf liebkosen, schweifen meine Gedanken ab, und mir fällt ein Satz aus dem Brief des Apostels Paulus an die Philipper ein. Darin schreibt er von dem »Frieden Gottes, der allen Verstand übersteigt«. (140f)

Cover und Buchtitel  
Wunderschöner Buchtitel, absolut passend zum Inhalt. Sehr ansprechend.

Zum Schreibkonzept
Ein Mix zwischen wissenschaftlicher, narrativer und autobiografischer Sprache. Dadurch sehr flüssig und verständlich geschrieben.

Das Buch besteht mit dem Nachwort aus neun Kapiteln. Hinzu kommen: Dank, Auswahlbiografie und ein Register.

Eine Widmung auf der ersten Seite für die 17- jährige Anna, die in dem Buch auch eine wichtige Rolle spielt. Auf dem hinteren Buchdeckel ist ein wunderschönes Zitat von Peter Wohlleben abgedruckt, das ich nach oben gesetzt habe.

Meine Meinung
Ich fand es schön, dass ich das Nachwort von Donna Leon nun doch nicht benötigt habe. Ich hatte genügend eigene Stichpunkte, die ich wegen der Überlänge meiner Besprechung nicht mal alle verwerten konnte. Hauptsächlich auf die Intelligenz der Tiere bezogen, um zu zeigen, welche Ergebnisse die Forscher*innen hier erzielen konnten, während die Tiere von uns größtenteils, angefangen bei dem kleinen, einfachen Menschen, dem das Bewusssein fehlt, dass Tiere für uns Menschen nicht zum Verzehren geschaffen sind, bis hin zum größten Wissenschaftler, der glaubt, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist, häufig als hirn- und emotionslos abgestempelt-, und sie dadurch wie Objekte behandelt werden, die man bis zum Exzess und bis zum Ausbluten ruhig ausbeuten könne.

Etwas leid haben mir die Oktopoden hier aber schon getan, weil sie zu Studienzwecken aus ihrer Lebenswelt entrissen wurden und sie ihr Leben in einem Aquarium fristen mussten. Aber ich bin auch getröstet, weil es die Tiere hier gut haben und sie sogar eine höhere Lebenserwartung verbuchen können, als draußen in der freien nassen und wilden Naturbahn. Und diese Tiere wurden nicht geschlachtet, sondern respektvoll bis zu ihrem natürlichen Tod behandelt. Einige von den Kraken wurden aber auch nach kurzen Studien wieder frei gelassen. Wieder andere wurden methodisch einer Feldforschung direkt auf dem Meeresboden erforscht.

Ich bin so mit Freude beglückt, dieses Buch, das die Exoten unter den Tieren behandelt, vorgezogen zu haben, statt mich erst mit den bekannten Haustieren wie Hund, Katze oder Pferd .... zu befassen, denn darüber hat die Autorin auch noch jede Menge Bücher geschrieben. Und weil ich mich nun mit einem tieferen Bewusstsein dieser Meerestiere gegenüber beschenkt fühle. 

Die Tintenfische sind nun tief in mir verankert. Immer wenn ich sie zu sehen bekomme, ob im Dokufilm in freier Wildbahn, oder aber auf dem Speiseteller anderer Leute, werde ich Octavia, Athena und Kali gedenken. 

Weitere Pläne mit anderen Exoten:

Dies wäre der folgende Band: Vom magischen Leuchten der Glühwürmchen. 

Leider gibt es das Buch (noch) nicht als Hörbuch. Die Hörbücher helfen mir so sehr meine beknappte Zeit ein wenig zu überbrücken, da sie sich bei mobilen Aktivitäten gut einsetzen lassen.

Mein Fazit
Ich hoffe, ich konnte ein wenig die Neugier wecken. Doch vieles, was die Autorin beschrieben hat, habe ich unerwähnt gelassen. Das eine oder andere Statement werde ich noch in die Kommentare setzen, sollte ich noch dafür im Nachtrag etwas Zeit finden. Aber jede Menge weiterer Stoff dieser Lektüre zur Weiter- und zur Selbstentdeckung sollte auf jeden Fall noch gegeben sein, wie z. B. die Lebenserwartung dieser Tiere, die außergewöhnliche Fortpflanzung und Paarung, den sog. Kannibalismus untereinander u. v. a. m. 

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Es lag seit über einem Jahr auf meinem SuB.

Meine Bewertung 

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (sachlich, fantasievoll, distanziert, narrativ)
2 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere 
2 Punkte: Authentizität der Geschichte; autobiographische Erzählweise
2 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur, Gliederung: Ungebunden
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

Zwei Zusatzpunkte wegen des Lesehighlights.
Daher 14 Punkte

 _______________

Gelesene Bücher 2021: 11
Gelesene Bücher 2020: 24
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Ich höre: Sten Nadolny /Weitlings Sommerfrische
Marcel Proust: Der geimnisvolle Briefeschreiber
Leo Tolstoi: Wo Liebe ist, da ist auch Gott
Marcel Proust: In Swanns Welt
Rachel Joyce: Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie
Sy Montgomery: Rendezvous mit einem Oktopus

_________________________

Partnerschaft zwischen
Wissenschaft und Intuition!

Lesen mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen und Tiere
besser zu verstehen.

Mitgefühl für alle Mitseelen / Mitgeschöpfe
Deine Probleme könnten meine Probleme sein,
und meine Probleme könnten Deine Probleme sein.
Mein Schmerz, Dein Schmerz
Dein Schmerz, mein Schmerz.
Wir sind alle fühlende Wesen.
(Den Tieren eine Stimme geben)

Klopf an dein Herz, denn dort sitzt 
das Genie!
(Alfred de Musset)

Auch Expertenwissen ist subjektiv!
(Tom Andersen / Psychiater und Syst. Therapeut)

Freitag, 20. März 2020

Ian McEwan / Liebeswahn (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Nun habe ich meinen achten McEwan beendet und ich kann gar nicht sagen, welcher mir am besten gefallen hat. Welcher mir partout nicht zugesagt hat, weil er mich nicht überzeugen konnte, gab es nur einen. Auf meinem Blog habe ich den Autor als Leseprojekt laufen, und alle Rezensionen sind hier abrufbar.

Obwohl ich bewusst keine Krimis und auch keine Psychothriller lese, es sei denn, dass sich der Lesestoff in diese Richtung entpuppt, ohne dass man vorgewarnt wurde, muss ich dann Ausnahmen machen. Meistens bekommt man es in diesem Genre mit grausamen Szenen zu tun, ganz häufig brutale Tierszenarien, wie auch bei Liebeswahn aber hier nur vereinzelt. Aber ich habe diese schnell wieder verdrängt und vergessen.

Bei Krimis und Psychothrillers halte ich mich immer kurz, um inhaltlich nicht zu viel von der Spannung preiszugeben. Mal schauen, was ich hier zusammenbekomme, ohne zu viel zu verraten.

Hier geht es zum Klappentext, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Der Held dieser Geschichte ist Joe Rose. Er ist von Beruf ein naturwissenschaftlicher Schriftsteller, Physiker, und lebt mit seiner Lebensgefährtin namens Clarissa Mellon. Clarissa ist Hochschuldozentin. Sie unterrichtet Linguistin und englische Literatur. Sie und Joe leben in einem Apartment im Norden Londons. Sie sind beide ein glückliches Paar, bis das Schicksal ihre Beziehung unter eine schwere Prüfung stellt.

Joe und Clarissa befinden sich auf einem Picknick, als sie mitbekommen, wie ein großer Ballon, der mit Helium gefüllt ist, und in dem sich ein Kind in dem Korb befindet, technisch gesehen in Schwierigkeiten gerät. Joe und andere Männer, die sich in der Nähe befanden, rennen zu dem Ballon, um das Kind zu retten. Neben dem Korb, an ein Tau festhaltend, befand sich der Großvater des Jungen, der versucht, Herr der Lage zu werden, verliert aber selbst die Kontrolle. Die Retter klammerten sich an das Seil, um den Ballon auf die Erde zu bugsieren, doch irgendwas ging schief, sodass er unaufhaltbar wieder nach oben trieb. Nun hatten auch die Helfer die Kontrolle verloren. Nach und nach ließen sie sich zu Boden fallen, außer John Logan, der einfach nicht rechtzeitig loslassen konnte, weil er unbedingt das Kind retten wollte. Logan stürzt, als der Ballon schon zu hochgestiegen war, und kommt dadurch ums Leben.
Joe leidet durch Logans Tod unter Schuldgefühlen.
Ich hatte das Seil losgelassen. Ich hatte geholfen, John Logan zu töten. (2000, 49)
Nach dem Sturz lernt er noch am Unfallort Jed Parry kennen, seinen Stalker, und wird ihn nicht mehr los. Parry bekennt seine Liebe zu ihm, die allerdings in keine sexuelle Richtung geht, eher in eine obsessive religiöse …

Welche Szenen haben mir nicht gefallen?
Die Szenen mit der Polizei fand ich grausam, als Joe sich hilfesuchend an sie wendet. Aber die Sicherheitskräfte schätzen den Zwischenfall mit Parry nicht als bedrohlich ein. Von zu starken objektiv infizierten Fragen wird es für die Profis schwierig, auf Joes Nöte einzugehen.

Die Szenen mit Clarissa fand ich ebenfalls deprimierend, die ähnlich wie die Polizeibeamten reagiert. Auch sie nimmt ihren Partner nicht für voll, und strickt daraus ein psychisches Leiden, das von ihm ausgehen würde ...

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Dass am Ende die Abrechnung kam.

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Keine.

Welche Figur war mir antipathisch?
Clarissa Mellon.

Meine Identifikationsfigur
Joe Rose.

Cover und Buchtitel
Das Cover ist selbsterklärend. Der Buchtitel ist sehr gut getroffen.

Zum Schreibkonzept
Auf den 356 Seiten ist das Buch in 24 Kapiteln gegliedert. Die Geschichte ist aus mehreren Perspektiven erzählt. Am Ende gibt es einen Anhang, den ich nur quergelesen habe, da ein Teil davon aus einer Begriffsklärung besteht. McEwan geht auf den klinischen Fachbegriff Clérambault-Syndrom ein. Da ich beruflich aus der Psychiatrie komme und mir der Begriff vertraut ist, habe ich ihn im Buch nicht weiter vertiefen müssen. Aber für andere Leser*innen kann dieser Part des Buches hilfreich sein. Es folgt ein Fallbeispiel. Im Anschluss gibt es eine Erörterung, dann eine Schlussbetrachtung, die aus zwei Teilen besteht. Die Handlung wird aus Jeds Ichperspektive beendet, als er Joe seine Sichtweise in einem Brief offenbart. Leider kann ich hier keine Details nennen, sonst nehme ich den anderen Leser*innen die Spannung weg. Das ist der Nachteil bei Krimis und Psychothrillers, dass man keinen Satz zu viel schreiben darf. Obwohl ich hier aus Parrys Brief gerne herauszitieren würde.

Meine Meinung
Das Buch ist kein typischerer Psychothriller, dafür ist er nicht spannend genug, aber spannend von der Konstruktion der menschlichen Psyche her. Der Focus ist hier mehr auf menschliches und psychologisches / psychiatrisches Verhalten gesetzt, was sehr wohl mit realistischen Fällen verglichen werden kann. Hierbei hat der Autor über seinen Stoff sehr gut recherchiert. Mit dem Ende war ich allerdings nicht ganz zufrieden, da er im Anhang gepackt war. Hier erfährt man erst, was mit Parry passiert ist.

Mein Fazit
Sehr lesenswert. Mit bester Empfehlung.

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Ich habe selber beim Diogenes Verlag eine Anfrage gestellt. Vielen herzlichen an die Pressereferentin Susanne Bühler für die Zusendung dieses Leseexemplars.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (sachlich, fantasievoll, distanziert)
2 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere 
2 Punkte: Authentizität der Geschichte; 
2 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur, Gliederung vorhanden 
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

12 von 12 Punkten


________________
Jeder kann die Welt mit seinem
Leben ein wenig besser machen.
(Charles Dickens)

Gelesene Bücher 2020: 06
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Der Mensch ist mehr als nur die biologische Erbmasse.
Er ist, was er innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)
Die Herkunft eines Menschen
Die Wurzeltheorie verdammt Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur, weil sie eine andere Hautfarbe, eine andere Religion oder einen anderen Namen tragen. Die meisten haben ihre Wurzeln dort geschlagen, wo sie geboren wurden und / oder dort, wo sie ihr ganzes Leben zugebracht haben.

Es lebe die menschliche Vielfalt in Deutschland und überall.
(M. P.)


Sonntag, 16. Februar 2020

Dombey und Sohn, BD 2

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute ...

Ein wenig märchenhaft haben sich die letzten Kapitel im Dickens gelesen. War mir etwas zu glatt, zu rosarot, eine zu heile Welt aus den explosiven Tiefen jener Trümmer hervorgeschossen zu haben …

Aber vielleicht idealisiert Dickens absichtlich, zaubert literarisch aus einer dunklen, bösen Welt eine helle, gute. Vielleicht will er eine bessere Welt nur vorleben. Er will die Welt zu einem Ort machen, an dem sich die Menschen alle wohlfühlen sollten.

Hier geht es zum Klappentext, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die Handlung hatte ich schon im ersten Teil kurz wiedergegeben. Wie geht es nun im zweiten Teil weiter? Im zweiten Teil geht es recht dramatisch weiter. Zwar bekommt der alte Dombey eine zweite Frau, mit dem Ziel, mit ihr eine neue Familie zu gründen, um evtl. einen neuen Sohn zu zeugen, damit der Name Dombey und Sohn aufrecht erhalten bleiben kann, doch leider scheitert diese Beziehung, ehe sie begonnen hatte. Dombeys zweite Frau namens Edith, die selbst Witwe ist und auch ein Kind verloren hat, schloss die Ehe mit Dombey durch falsche Empfehlungen.

Edith ist von ihrem Naturell her sehr eigensinnig und überhaupt nicht bereit, sich dem Patriarchen Paul Dombey zu unterwerfen. Dombey erweist sich als engstirnig, kaltherzig und als sehr bestimmend. Er besteht auf die klassische Rollenverteilung, die Edith vehement ablehnt.
Glaubt ihr, ihr könnet mich zu Unterwerfung und Gehorsam herabwürdigen – mich beugen oder brechen? (95)

 Sie geht eine enge Bindung zu Florence ein, die noch immer von ihrem Vater verschmäht wird. Florence ringt weiterhin um seine Liebe, die er noch immer ablehnt. Florence ist aber glücklich, in Edith nun wieder eine Mutter gefunden zu haben, von der sie sich geliebt fühlt. Das gefällt dem alten Dombey überhaupt nicht und verbietet Edith den Kontakt zu seiner Tochter. Die Ehekonflikte spitzen sich immer mehr zu, Dombey macht Florence dafür verantwortlich ...

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Es war eine brutale Szene, die Paul Dombey seiner Tochter gegenüber entgegenbrachte. Als er von Edith verlassen wird, versucht Florence, seinen Vater mit Liebe zu trösten, während er ihr daraufhin ins Gesicht schlägt und sie aus dem Haus wirft.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Als Florence nach dem Rauswurf einen Hafen im Hause von Solomon Gils hat finden können, in dem sie von Kapitän Cuttle aufgenommen wurde …

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Kapitän Cuttle war mir sehr sympathisch. Er hatte ein sehr gutes Herz.
Florence, die trotz der Ablehnung ihres Vaters dennoch voller Liebe war, und ihr Charakter dadurch nicht geschwächt wurde. Sie zeigte ein gutes Herz auch gegenüber anderer notleidender Menschen.
Susanne Nipper, Florences Kindermädchen, die ihrem Pflegling viel Beistand bot. Außerdem zeigte Susanne Charakterstärke, als sie sich innerlich Mut zugesprochen hat, sich bei dem alten Dombey für Florence einzusetzen. Leider zeigte dieser Einsatz negative Folgen sowohl für Susanne als auch für Florence.
Mr. Toots, der viel von Florence hielt, und Größe gezeigt hat, als Florence eine Bindung mit Walter Gills eingegangen ist.

Welche Figur war mir antipathisch?
Neben den hartherzigen Dombey auch James Carter, der sehr aufs Geld bedacht war. Auch die Vermieterin von Kapitän Cuttle fand ich sehr unsympathisch.

Cover und Buchtitel
Das Cover hätte etwas kreativer und origineller ausfallen können. Jeder weiß, wie Charles Dickens aussieht. Dickens ist zwar der Träger dieser Familiengeschichte, aber er ist nicht diese Familie Dombey. Mich hätte mehr eine Zeichnung zu der Familiengeschichte darauf angesprochen.

Zum Schreibkonzept
Die beiden Bände beinhalten zusammen insgesamt 700 bis 750 Seiten. Der Roman ist mit 62 Kapiteln unterteilt. Absätze gibt es nur wenige, was das Lesen noch zusätzlich erschwert.

Meine Meinung
Das Buch war von der Aufmachung her etwas anstrengend zu lesen. Zu klein die Buchstaben und auch der Zeilenabstand war mir zu eng. Dabei habe ich beim Lesen schwer meine Konzentration halten können.

Und der Stoff ging mir häufig zu sehr ins Detail, was die vielen Nebenfiguren betreffen. Teilweise fand ich die Geschichte dadurch etwas zu langatmig. Aber Dickens ist ein Romancier, der einfach gerne und ausschweifend schreibt. Dennoch habe ich es nicht bereut, diese beiden Bände gelesen zu haben.

Gut fand ich, dass Dickens den gesellschaftlich benachteiligten Frauen eine Stimme gab. Wie kommen Männer weltweit eigentlich dazu, Frauen so herabzuwürdigen? Sind die Männer nicht von einer Frau ausgetragen worden? Ohne die Frau wären sie selbst gar nicht auf der Welt.

Daher fand ich am Ende des Buches eine Textstelle so wunderbar schön, als Florences Amme Susanne Nipper nach ihrer Heirat mit Mr. Toots ein Mädchen zur Welt bringt.
Da ist die Florence, die Susanne, und jetzt kommt wieder ein kleiner Fremdling.
>>Ein weiblicher Fremdling? Fragt der Kapitän.
>>Ja, Kapitän Cuttle<<, sagte Mr. Toots, >>und ich freue mich darüber. Ich bin der Ansicht, je öfter wir diese außerordentliche Frau wiederholen können, umso besser. << (350)

 Mein Fazit
Auf jeden Fall eine klare Leseempfehlung, weil das Buch die Welt tatsächlich ein wenig besser macht.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
1 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

Hat mir die Geschichte an sich trotz der guten Bewertung auch gut gefallen?
Sehr gut, leider etwas zu langatmig. Weniger wäre mehr gewesen.  
11 Punkte

Hier geht es zur kurzen Buchbesprechung zum ersten Band. Bitte herunterscrollen. 
_________________________
Jeder kann die Welt mit seinem
Leben ein wenig besser machen.
(Charles Dickens)

Gelesene Bücher 2020: 04
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
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Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Montag, 20. Januar 2020

Ulrich Ladurner / Der Fall Italien (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Eine andere Form von Buchbesprechung, mehr ein Nachdenken, ein Diskutieren über verschiedene Gedanken und Fakten möchte ich hier hineinbringen, die ich mit Zitaten belegen werde. Ich zitiere nicht nur aus Ulrich Ladurners Buch, sondern auch ein Zitat aus dem Web.

Hier geht es zum Klappentext, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Das Buch hat mich lange beschäftigt und passt wunderbar zu dem Buch, das ich davor gelesen hatte. Ian McEwan, Die Kakerlake. Auch italienische Politiker sind nichts anderes als Kakerlaken. Sie scheinen für mich EU-weit die gefräßigsten Parasiten zu sein. 

Vieles, was der Autor hier in seinem Buch beschreibt, war mir schon bewusst, aber vieles ist mir auch neu, und so konnte mir Ulrich Ladurner zumindest auch die Frage beantworten, weshalb die Italiener wiederholt Berlusconi gewählt hatten. Und weshalb sie nach der Berlusconi-Ära weiterhin auf populistische Parteien zugegriffen haben? Alle Antworten werde ich hier der Länge wegen nicht liefern können, aber zumindest ein paar Anregungen.

Es gibt in Italien derzeit keine anderen Parteien. Der Wolf im Schafspelz, sie alle, die Politiker, versprechen dem Volk ein besseres Leben. Bessere Arbeitsplätze, günstigere Mieten, und wenn sie schließlich gewählt sind, zeigen sie ihr wahres Gesicht.

Ich wusste schon, dass Italiens Regierung korrupt ist, aber ich wusste auch, dass der italienische Mensch nicht die Regierung ist, selbst wenn diese ihre Politiker gewählt haben. Aber es gibt auch in Italien ein sehr differenziertes Wahlverhalten zwischen Passivwählern, Frustwählern, Nichtwählern, Protestwählern etc.

Das Buch hat mich sehr traurig gestimmt, traurig, wie die Gutmütigkeit eines Volkes benutzt und hinters Licht geführt wird, wie mit der Psyche der Menschen gespielt und manipuliert wird. Traurig, dass es keine sauberen Politiker in diesem Land zu geben scheint, keine sauberen Parteien, sodass viele Italiener es leid sind, die Politik meiden und den Zusammenhalt nur noch in der Familie suchen.

Ich habe wirklich die Sorge, dass in Italien erneut der Faschismus ausbrechen wird. Muss ein Krieg kommen, damit das Böse ausgemerzt wird? Das Buch hat mich schon etwas niedergedrückt, aber es beschreibt die Lage, so wie sie ist.

Italien ging es nicht immer schlecht. Italien feierte auch einen wirtschaftlichen und einen sozialen Aufschwung, und zwar nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der schnelle Aufstieg Italiens begann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die sechziger Jahre war geradezu ein rauschhaftes Jahrzehnt. Fünfzehn Jahre nach Kriegsende feierte das Land Erfolge auf allen Ebenen. Es begann mit der Olympiade 1960, bei der Italien 13 Medaillen gewann und damit hinter der Sowjetunion und der USA auf Rang drei landete. 1964 wurde die Autostrada del Sole (…) fertiggestellt, die den Norden mit dem Süden verband. (…) Die Wirtschaft boomte, und die Massen konnten sich Konsumgüter leisten. (…) Vergessen waren die Verherungen des Krieges, vergessen die Vereehrungen in den Faschismus. Die Zukunft war ein offenes Feld voller Verheißungen, man musste es nur entschlossenen Schrittes betreten. (2019, 17)

Damals wurden die Politiker noch in die „Schule“ geschickt. Es gab starke Gewerkschaften, große Parteien, eine mächtige Kirche, die ihren Mitgliedern Fortbildungen angeboten hatten, um sie auf die Politik vorzubereiten, doch leider konnte dieser Anspruch auf Dauer nicht aufrecht erhalten bleiben.
Allein zwischen 1945 und 1954 durchliefen 300 000 Mitglieder Ausbildungskurse, die Besten wurden ausgewählt und auf die Parteischule Frattocchie bei Rom geschickt. Aus ihr ging eine Reihe von später bekannt gewordenen Politikern hervor. Die Gewerkschaften hatten ihre eigenen Ausbildungszentren, die ebenfalls viele Persönlichkeiten hervorbrachten, die eine prägende Rolle in der italienischen Nachkriegsrepublik spielten. (18)

Diese stabilen und schönen Zeiten waren nicht von Dauer. In den späteren Jahren wurden die Italiener von ihren Politikern erneut enttäuscht und betrogen. Besonders in der ...
Gegenwart (hatte) kein führender Politiker mehr eine spezifische Ausbildung durchlaufen, die ihn hätte vorbereiten können, denn die Schulen der Parteien und der Gewerkschaften hatten sich fast alle aufgelöst. Es wird offenbar nicht mehr erwartet, dass der Politiker komplexe Probleme intellektuell durchdringt, sie verständlich darlegt und schließlich für Lösungen bei den Bürgern um Zustimmung wirbt. (20)

Das Volk entpuppte sich immer mehr zu einem Wutbürger, viele reagierten desillusioniert, viele sind nur noch misstrauisch, stehen den Medien missmutig gegenüber. Sie erlebten eine massive Deinstrualisierung, den Niedergang der Volksparteien, die Schwächung der Gewerkschaften.
Wer immer ihnen Nachricht überbringt, sie glauben ihm nicht. Sie fühlen sich hintergangen und umgeben von Lügnern und Betrügern. Das Misstrauen sitzt in ihren Knochen und macht sie schwer wie Blei. (22) 
Man fragt sich, wie Berlusconi es geschafft hat, an die Macht zu kommen? Für mich eine ganz klare Sache. Er hat die Medien, die in seiner Hand lagen, manipuliert, und sicher hat er als Milliardär mithilfe von Schmiergeldern Stimmen gekauft. Hier macht sich leider der Italiener, der sich hat kaufen lassen, mitschuldig an diesem politischen Verbrechen.
Als die Italiener 1994 Silvio Berlusconi zum Ministerpräsidenten wählten und ihn dreimal im Amt bestätigten, schüttelte das Ausland den Kopf. Wie konnte ein so kultiviertes Volk einem Illusionskünstler vom Schlage Berlusconis hinterherlaufen? Wie konnten die Italiener ihn immer wieder wählen, trotz seiner zahllosen Skandale und Affären? (22)

In dem Buch werden zudem noch mehrere Gründe benannt. Was ich nicht wusste, ist, dass bei der Einführung des Euros alle Italiener dafür zahlen mussten. Romani Prodi, damaliger Ministerpräsident, führte eine Eurosteuer ein.
Die Regierung zog direkt von den Bankkonten der Italiener Geld, um die Kriterien des Vertrags von Maastricht erfüllen zu können. Somit zahlten die Italiener aus eigener Tasche für den Beitritt zum Euro. Doch die Italiener waren bereit (…) zu zahlen, weil sie mit dem Euro viel Hoffnung verbanden. Europa verlangte es, und die Italiener wollten gute Europäer sein. Sie waren es aus Überzeugung und aus Notwendigkeit, denn sie hatten wenig Vertrauen in die Fähigkeiten der eigenen politischen Klasse. Brüssel sollte die Modernisierung vorantreiben. (23)

Aber mit Europa wurde es nicht besser. Im Gegenteil, der Druck nahm durch Brüssel noch mehr zu und das nutzte der wiedergewählte Berlusconi aus und führte eine Antieuropa – Politik ein und stärkte das Volk, auf die nationalistischen Werte zu vertrauen. Zum Beispiel Italien gehöre den Italienern und nicht der EU. Berlusconi nutzte das geschwächte Selbstvertrauen seiner Landsleute aus.
Mit Ausbruch der Eurokrise 2010 zerstoben diese Hoffnungen. Italien geriet ins Hintertreffen: Die Arbeitslosigkeit stieg, die Kaufkraft sank, die Wettbewerbsfähigkeit ging verloren, der Anteil der Industrieproduktion am Bruttoinlandsprodukt schrumpfte. Es war ein bitteres Erwachen. Und aus Brüssel kamen die ständigen Ermahnungen zum Sparen, zu mehr Disziplin, zu mehr Reformen. Die Italiener sollten so werden wie die Deutschen – doch da das nicht möglich war, entstand das nagende Gefühl des ständigen Ungenügens. Die EU war wie ein strenger Schulmeister, der Italien ohne Unterlass schlechte Noten gab. (…) Erst Jahre später sollte man erkennen, dass Berlusconi keine Ausnahme war, sondern ein Vorläufer-ein frühes Modell von Donald Trump, der 2016 überraschend zum US-Präsidenten vor. Berlusconi lebte das Modell des radikalen politischen Narzissmus vor.  

Dass die Italiener 2002 für den Euro selbst zahlen mussten, das wusste ich nicht. Das erklärt natürlich, dass die Italiener auf Prodi wütend wurden und ihn abgewählt haben, weil sich an der politischen Lage nichts gebessert hatte. Dann die vielen Beschimpfungen aus Brüssel, das waren die Italiener leid. 
Seit der Eurokrise scheinen die Italiener aus deren Blickwinkel wie ungezogene Kinder, die nicht recht wissen, wie man mit Geld umzugehen hat. Sie schmeißen zum Fenster hinaus, was andere hart verdient haben. Diese Vorstellung hat sich, auch dank entsprechender Berichterstattung, tief in die Köpfe, insbesondere der Deutschen, eingenistet. Da ist viel Herablassung im Spiel, viel Besserwisserei und Ignoranz. Die strengen Sparmeister des Nordens sollten aber berücksichtigen, dass andere europäische Länder enorm von der Kreativität, dem Talent und dem Leistungswillen der italienischen Auswanderer profitieren. Es war in erster Linie der viel gescholtene italienische Staat, der diese Menschen ausgebildet hat, bevor sie ins Ausland gingen.

Und trotzdem steht Italien an vierter Stelle, was die Zahlung an die EU betrifft. Noch 2016 zahlte das Land 11,48 % des Bruttoinlandprodukts an die Europäische Union. An erster Stelle steht Deutschland, an zweiter Frankreich, an dritter England, dann kommt Italien. Das allerdings habe ich aus einer anderen Quelle herausfinden können, siehe hier.
Und es gibt noch einiges mehr, was in der Rede vom angeblichen liederlichen Italien untergeht: Laut einer Studie der Europäischen Zentralbank ist das durchschnittliche Vermögen der Italiener fast dreimal so groß wie das der Deutschen, nämlich 173 600 zu 51 400 €. Auch die Schulden in ihrer Gesamtheit – Staat, Familien, Unternehmen – sind geringer als die der Dänen oder Schweden. Der italienische Staat ist arm, die italienische Gesellschaft dagegen reich. Fakten wie diese spielen in der Debatte über Italien nur selten eine Rolle. Sie finden keinen Platz zwischen all den Vorurteilen, die sich längst zu Gewissheiten verfestigt haben. (Ladurner 218) 

Schuld daran sind auch die populistischen italienischen Politiker, die in Brüssel auf den Tisch hauen und so tun, als würden sie im Auftrag des Volkes so agieren. Dabei ist das Volk selbst ganz verzweifelt über die peinlichen Auftritte ihrer Politiker.
Europäische Politik ist eine heikle, mitunter explosive Angelegenheit, weil jede Nation ihre eigene Geschichte hat. (…) Nationalgefühle sind auch mehr als sechzig Jahre nach Gründung der Europäischen Union noch nicht abgekühlt. (219)

Nun kommt ein ganz wichtiger Gedanke, den ich selbst auch habe, und den ich nun herausschreiben möchte, der aber auf alle Länder umgesetzt werden sollte, auf die im Norden geringschätzig geschaut wird:
Nicht nur, aber auch darum ist die Art, wie man übereinander redet, von größter politischer Bedeutung. Europäische Politik hat sehr viel mit gegenseitigem Respekt zu tun. Millionen Italiener fühlen sich in der Europäischen Union nicht respektiert, (…). Die Union, die sie erleben, ist nicht ihre Union, sondern ein Zwangsverein. (…) Es hätte gewiss nicht geschadet, wenn man den Millionen Italienern, die in den letzten Jahren verzweifelt gegen den Abstieg in die Armut kämpften, mit etwas mehr Großzügigkeit begegnet wäre. Es hätte nicht geschadet, wenn man in Brüssel wie auch in Berlin immer wieder darauf hingewiesen hätte, dass die Italiener den Europäern trotz all der Schwierigkeiten immer noch viel geben. Man muss bei solchen Reden die Probleme nicht verschweigen – sie liegen offen auf der Hand: Die Schwächen der Institutionen, die Unzulänglichkeit der politischen Klasse. Das sind die Kernprobleme Italiens. Das italienische Volk leidet darunter ebenso, wie Europa daran Schaden nimmt. (Ebd)

Wie schon gesagt, sollte man diesen Respekt, von dem der Autor spricht, allen Ländern entgegenbringen, die aus einer schwierigen Regierung kommen, und man sollte aufhören, die Menschen darin durch Arroganz und Besserwisserei zu bestrafen. Das hat stark diskriminierenden und rassistischen Charakter. Dass wir in einem Land geboren wurden, in dem es solche Probleme nicht gibt, dafür aber genug andere, ist nicht unserem Können geschuldet. Die Geburt eines Kindes ist wie ein Lotteriespiel. Niemand sucht sich sein Land und seine Eltern aus. Jeder Mensch muss in dem Land, in dem es geboren und seine Wurzeln geschlagen hat, bestmöglich klarkommen.

Probleme gemeinsam angehen, dann findet man auch wieder das Vertrauen der Menschen, die sich abgeurteilt fühlen.

Wieder zurück zu MacEwan und sein neustes Buch Die Kakerlake.
Wenn ich könnte, würde ich dem Schriftsteller Ian McEwan gerne einen Brief schreiben, aber der arme Mann hat sicher andere Sorgen, als sich mit den Sorgen der Italiener zu befassen. Sollen sich die Italiener doch selbst mit ihren Sorgen auseinandersetzen, würde er sicher antworten, und recht hat er. 

Es würde mir schon genügen, wenn Die Kakerlake ins Italienische übersetzt werden würde, deshalb erwähne ich ihn hier, und hoffe, den Italienern auf ihn aufmerksam machen zu können. 

Mein Fazit  
Ein sehr interessantes, bewegendes und ein nachdenkenswertes Buch, das mir viele Antworten liefern konnte. Es hatte mich zwar viele Tage über die politische Lage dieser Nation richtig betrübt, dann aber konnte ich diese Stimmung wieder überwinden und weiterlesen. Und immer wieder kommt mir McEwan mit seinem Buch Die Kakerlake in den Sinn. Wie gefräßig italienische Politiker sein können, wird hier in diesem Sachbuch noch viel deutlicher. Viele Textstellen konnte ich nur markieren, aber nicht herausschreiben, weil sie einfach zu heftig waren. Vieles habe ich aber auch nicht erwähnt, um eine Überlänge zu meiden. Ich empfehle das Buch auf jeden Fall weiter an Menschen, die sich auch für diese brisante Thematik interessieren.

Das Buch habe ich auf der Buchmesse 2019 entdeckt. Und bin recht froh darüber. Ohne die Buchmesse wäre es mir nie in die Hände gefallen.

Klare Leseempfehlung. 12 Punkte.
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Es geht nicht um den Verstand,
es kommt alles aus dem Herzen.
(Tracy Barone)

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Der Mensch ist mehr als nur die biologische Erbmasse.
Er ist, was er innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)
Die Herkunft eines Menschen
Die Wurzeltheorie verdammt Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur, weil sie eine andere Hautfarbe, eine andere Religion oder einen anderen Namen tragen. Die meisten haben ihre Wurzeln dort geschlagen, wo sie geboren wurden und / oder dort, wo sie ihr ganzes Leben zugebracht haben.

Es lebe die Vielfalt.
(M. P.)