Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Meine Meinung
Was für ein tolles
Buch. Von der ersten bis zur letzten Seite hat mich der Autor damit in den Bann
gezogen, dass ich nach der letzten Seite mit meiner Bücherfreundin Anne
telefonieren musste, um ihr von dem Buch zu erzählen. So viel Menschlichkeit
hat Kurkow in seinen Figuren gepackt, trotz dieser schweren Zeit des Krieges
zwischen Russland, der Ukraine und dem Niemandsland.
Ich fand keine Seite langweilig, selbst im ersten Teil nicht, wo es
hauptsächlich um zwei Männer geht, die alleine im Dorf zurückgeblieben sind, und sie aufeinander angewiesen sind.
Mich hat die Beziehung zwischen diesen zwei Menschen sehr interessiert.
Ich möchte nicht so
viele Details verraten, damit auch andere denselben Genuss erleben können, den
ich erlebt habe. Ich nenne nur ein paar Fakten, dann mache ich Schluss.
Hier geht es zur Buchvorstellung, zum Klappentext, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.
Hier geht es zur Buchvorstellung, zum Klappentext, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.
Die Handlung
Der Held dieser Geschichte ist für mich nicht nur
Sergej Sergejitsch, auch viele Nebenfiguren habe ich als Helden erlebt. Die
meisten sind Zivilisten, aber auch ein paar von den Soldaten zeigten sich von
ihrer gutmütigen Seite. Helden deshalb, weil sie für mich alles Menschen sind,
die versuchen, in Kriegszeiten das Menschsein nicht zu verlieren.
Aber Sergej ist der Oberheld dieses Romans, der
zusammen mit seinem Kindheitsfeind Paschka im Krisengebiet Donbass lebt, in dem
ukrainische Kämpfer und prorussische Separatisten sich bekriegen. Die beiden
Männer leben in dem kleinen Dorf, während der Rest der Dorfbewohner*innen vor
dem Krieg geflohen ist, sodass sämtliche Häuser leer und verlassen stehen. Lediglich
die Dorfkirsche wurde zerbombt. Dombass ist eine sogenannte Grauzone, das ich
als ein Niemandsland bezeichnen würde.
Nur lebte er, Sergejeitsch, jetzt gleichsam weder in der >Republik< noch im Land. Er war in der grauen Zone, und graue Zonen hatten keine Hauptstädte! (2019, 107)
Sergej ist Bienenzüchter, der sich danach sehnt, mit
seinen Bienen ein ruhiges Leben zu führen. Er interessiert sich überhaupt nicht
für Politik und wirkt dadurch manchmal ein wenig naiv im Umgang mit Soldaten
oder mit der späteren Grenzpolizei. Sergeij liebt seine Bienen, wie andere ihre
Haustiere lieben, und zeigt dadurch ein sehr verantwortungsbewusstes Leben ihnen
gegenüber.
Er ist 44 Jahre alt und ist Frührentner, da er an
einer Staublunge erkrankt ist.
Paschka und er, sie haben sonst niemand, sind beide
aufeinander angewiesen, wenn sie nicht in der Einsamkeit verkommen wollen. Außerdem
ist die Lebensqualität der beiden Männer dermaßen eingeschränkt, da ihnen der
Strom seit drei Jahren abgestellt wurde, und sie dadurch auch kein Fernsehen
können, selbst das Handy kann nicht aufgeladen werden und bleiben ohne
Verbindung zur restlichen Welt.
Sergej hatte zudem noch Pech mit seiner Familie, da
er von Frau und Kind aus anderen Gründen verlassen wurde.
Aus Sorge, Sergejs Bienen könnten den Krieg nicht
überleben, es könnte eine Granate auf ihren Bienenstöcken fallen, fühlte sich
nun auch Sergej gezwungen, im Frühling sein Heimatdorf mit seinen
sechsstöckigen Bienen für eine bestimmte Zeit zu verlassen, Richtung Westen, um
die Bienen dort fliegen zu lassen, wo es ruhig ist und wo kein Krieg herrscht.
Leicht wird diese Reise nicht, sämtliche Hürden muss er überwinden,
Krisengebiete weitestgehend zu umfahren, und sämtliche Checkpoints in einer
ruhigen Art zu bezwingen.
Er brachte sie dorthin, wo es still war, wo die Luft sich langsam mit der Süße sich aufblühender Gräser füllte, die bald von blühenden Kirschbäumen, Aprikosenbäumen, Apfelbäumen und Akazien Verstärkung erhalten würden. (200)
Nun blieb Paschka ganz alleine zurück, der auf eine
baldige Rückreise hoffte.
Auf dieser Reise lernt Sergej viele Frauen kennen,
die ihn in seiner Not unter die Arme greifen. Doch auch Sergej wird vom
Schicksal herausgefordert, politischer Helfer für andere Menschen zu werden.
Mehr möchte ich nicht verraten …
Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Ganz klar, dass das Szenen sind, wo Menschen in
einem totalitären und korruptem Staat unschuldig verhaftet und zu Tode gefoltert werden. Furchtbar,
wenn einer Familie, den Kindern der Vater und der Mutter der Ehemann genommen
wird, der nur noch als Leiche zurückkehren wird. Oder wenn der Journalismus gelinkt wird und man die Meinungsfreiheit abgesprochen bekommt.
Doch der Krieg hatte auch etwas Gutes. Er
verwandelte nämlich zwei Kindsfeinde zu Freunden.
Bis
zum Tod hätten sie nicht miteinander geredet. Wäre nicht der Krieg gewesen.
(11)
Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Es gab so viele Szenen, die mir gut gefallen haben,
und es fällt mir schwer, mich auf eine zu fokussieren.
In der Geschichte gibt es eine Szene, in der ein
Soldat in Sergejs Nachbardorf den Weihnachtsmann gespielt hat, um den Kindern
in dieser tristen Zeit Geschenke zu bringen. Die Kinder hatten sich auf den
Weihnachtsmann gefreut, da er sich ja angekündigt hatte. Doch als Weihnachten
ohne den Weihnachtsmann kam, waren die Kinder sehr traurig. Sie warteten jeden
Tag auf ihn, selbst dann noch, als Weihnachten schon längst vorbei war. Als
Sergej in das Dorf ging, um Besorgungen zu tätigen, haben die Kinder gedacht,
dass Sergej der Weihnachtsmann sei.
Achtung Spoiler
Doch was die Kinder nicht wussten, ist, dass der
Weihnachtsmann ein Soldat war, der tot im Schnee gelegen hat. In der Nähe von
Sergejs und Paschkas Haus. Der Soldat kam durch eine Bombe um. Sergej hatte den
Soldaten Tage vorher im Schnee gefunden und hatte seinen Rucksack durchwühlt
und wunderte sich, dass dieser voller Süßigkeiten war, und er ging von der
Annahme aus, dass dieser Soldat Süßigkeiten geliebt haben musste. Da er tot
war, nahm Sergej den Rucksack an sich.
Als er das Nachbardorf wieder verlassen hatte,
dachte er nochmals über den toten Soldaten nach, über den Rucksack, der mit
Süßigkeiten gefüllt war und begriff nun, dass der Weihnachtsmann tot im verschneiten Feld lag, und die Süßigkeiten
gar nicht für ihn gedacht waren. Sergej beschloss schließlich, am nächsten Tag
den Kindern die Süßigkeiten aus dem Rucksack zu bringen. Das fand ich so schön,
wie er es geschafft hat, die Kinder glücklich zu machen.
Welche Figur war für mich ein Sympathieträger?
Mir ist Sergej Sergejitsch ans Herz gewachsen, aber
viele andere Figuren fand ich auch spannend und interessant.
Welche Figur war mir antipathisch?
Kann ich nicht sagen. Eher die Grenzpolizisten, die Sergej
zu einem Flüchtling degradiert hatten.
Meine Identifikationsfigur
Ich konnte mich in jeder spiegeln.
Cover und Buchtitel
Beides sehr gelungen, gut getroffen. Allerdings
hatte ich den Buchtitel anfangs etwas anders gedeutet, was sich aber später
gewandelt hat. Die Symbolik Graue Bienen habe
ich zum Schluss als sehr surreal erlebt.
Zum Schreibkonzept
Auf den 445 Seiten ist die Geschichte in 74 Kapiteln
gegliedert und mit vielen Absätzen verziert, was das Lesen sehr angenehm
gemacht hat.
Meine Meinung
Eigentlich ist dies ein Buch, das man zwei Mal lesen müsste. Sergej wurde
nachts mit so vielen Alpträumen geplagt, die man psychoanalytisch stärker ins
Visier nehmen müsste. Sigmund Freud hätte hier seine Freude gehabt. Nein, seine
Träume waren keine Nonsense, sie waren symbolträchtig und tiefgründig, und sie spiegelten
auch oft Sergejs Ängste wider, wenn auch der letzte Traum ein wenig kafkaeske Züge aufwies.
Was die Liebe zu den Bienen betrifft, da stehe ich dem ein wenig ambivalent gegenüber.
Weil den Tieren, die eigentlich den Honig für sich und für ihr Bienenvolk
herstellen, ihn weggenommen bekommen. Sie sind dadurch immer am Schaffen, am
Produzieren, ohne selbst etwas von dem Honig zu haben. Dies ist der Grund,
weshalb Veganer*innen keinen Honig essen. Die Bienen produzieren, und
produzieren und produzieren, immer auf Akkord, ständig sind diese Tiere am
Schaffen, was eigentlich mit einer absoluten Ausbeutung zu vergleichen wäre. Die
Bienen werden, wenn man es genau nimmt, regelrecht ausgeraubt … Dadurch, dass
sie indirekt zum vielen Abreiten gezwungen werden, sinkt auch ihre Lebenserwartung, da ihnen die Lebensgrundlage genommen wird.
Mein Fazit
Es ist nicht nur ein Kriegsbuch, sondern auch ein Buch über Freundschaft in vielerlei Hinsicht. Ein sehr lesenswertes Buch, das mich auch politisch gepackt hat. Die
Thematik ist eingebettet in eine sehr schöne und sehr fantasievolle,
literarische und in eine sehr warme Sprache, ohne die Ernsthaftigkeit der menschlichen Nöte in Zeiten des Krieges in Zweifel zu stellen.
Ich werde Andrej Kurkow nun auch zu meinen Favoriten gesellen.
Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe
Schreibweise)
2 Punkte:
Differenzierte Charaktere
2 Punkte:
Authentizität der Geschichte
2 Punkte:
Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte:
Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismu
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
Zwölf von zwölf Punkten.
Weitere Information zu dem Buch
Vielen herzlichen Dank an den Diogenes - Verlag für das Bereitstellen des Rezensionsexemplars.
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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)
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