Dienstag, 14. August 2012

Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (3)


 Dritte Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Noch einmal Szenen aus dem Gefängnisalltag, diesmal aus dem Frauengefängnis, in dem es keine weiblichen Wärterinnen gibt, sondern nur männliche... . Durch die Inflation leben in einer Zelle, die ursprünglich für zwei Liegen gedacht war, nun sechs Inhaftierte. Die Liegen wurden übereinandergestapelt, und zu Hochbetten gemacht... . Auch Petra Ledig befindet sich noch immer in der Anstalt, und sie hat die Hoffnung aufgegeben, dass Wolf sie dort herausholen wird...  . 

Es gibt viel Gezeter in der paar qm kleinen Zelle. Darunter befindet sich auch eine drogenabhängige kranke Frau, die unter starken Entzugserscheinungen steht und eigentlich in die Klinik müsste... .

Petra ist diejenige, die an der Zellentür pocht und um Hilfe schreit, da die kranke Frau sich nicht nur als selbstgefährdend erweist, sondern auch eine Gefahr für die anderen Frauen darstellt.

Die Wärter verweigern zur Sperrstunde erst den Zutritt in die Zelle, da man ihnen sonst sexuelle Annäherung nachsagen könnte... . Doch Petra lässt nicht locker und erreicht schließlich, dass die Wärter die Zelle betreten, allerdings aus der räumlichen Distanz heraus, und geben vielmehr Anweisungen und Befehle, als dass sie selbst aktiv werden. Der Umgangston war auch recht primitiv und achtungslos den inhaftierten Frauen gegenüber:

"Du alte Vogelscheuche da auf der Matratze, nimm eine Wolldecke! Kannst auch was tun! Du andere auch!"

Die kranke Frau wurde eher ausgetrickst, indem sie feste in eine Decke eingerollt wurde und man ihr anschließend Salz zum inhalieren gab. Erst glaubte die Frau an die Droge, doch kurze Zeit darauf erkannte sie den Betrug. Wie diese Szene ausgeht, ist offen geblieben.

Die Inflation drückt sich nicht nur in der Geldentwertung aus, sondern auch die Arbeit vieler Menschen verlor ebenso an Wert:

Es laufen (…) jetzt so viele Menschen auf ihre Arbeit. Arbeiten, überhaupt etwas tun ist plötzlich für sie sinnlos geworden. Solange sie einen festen, greifbaren Wert dafür am Ende der Woche, des Monats in die Hand bekamen, hatte auch die ödeste Büroarbeit für sie einen Sinn. Der Marksturz hatte ihnen die Augen geöffnet. Warum leben wir eigentlich? Fragen sie sich plötzlich. Warum tun wir was? Irgendwas? Sie sehen nicht ein, warum sie etwas tun sollen, bloß um ein paar vollkommen wertlose Papierlappen in die Hand zu bekommen. (…) Die Entwertung ist der infamste Betrug am Volke…

Es ist ja nicht so, dass ich das erste Mal über die Folgen einer Inflation lese. Jeder hatte mal Geschichtsunterricht. Aber es macht immer wieder von neuem dermaßen betroffen, als würde man das erste Mal davon hören, sobald das Thema neu auftritt. Eine verschuldete Regierung wird von ihren Schulden befreit, während ein sparsamer arbeitender Mensch in umgekehrter Folge seine Ersparnisse von einen Tag auf den anderen verliert.

Wolf Pagel ist noch immer spielsüchtig. In dem Buch hat man es mit vielen labilen Menschen zu tun. Dazu gehört nicht nur Pagel und die drogenabhängige Frau, und der vom Krieg gezeichnete hochtraumatiserte Baron Bergen, sondern auch Petra Ledig gehört dazu, die nie ein richtiges Elternhaus besaß und stattdessen recht früh für sich selbst sorgen musste. Für solche Mädchen blieb oftmals nur der Weg in die Prostitution. Ein Jahr lang, dann lernte sie Wolf kennen und es wird verständlich, weshalb sie sich so an ihn hängt und bis auf die Hoffnung, von ihm geliebt zu werden, keinerlei Ansprüche an ihn stellt. Sie toleriert sogar seine Spielsucht, mit der Pagel die Existenz der beiden riskiert.

Die Probleme, die sich nach dem Ersten Weltkrieg dem Volk stellten, waren zwar kollektiver Art, und trotzdem entwickelte sich so etwas wie ein Einzelkämpfertum. Viele ehemalige Soldaten sehnten sich nach dem Zusammenhalt zurück, den sie im Krieg unter Kameraden erfahren haben. Deutlich wird dies, als Wolf Pagel zwei ehemalige Kumpanen ihn bei seinen Problemen zur Seite stehen möchten, und ihm Hilfe anboten, die aber eher der Neugier galten, um herauszufinden, wo Pagel sich nachts nur herumtreibt:

"Vielleicht können wir Ihnen raten", fuhr Studmann mit sanfter aber eindringlicher Überredung fort. " Besser wäre noch, wenn wir Ihnen irgendwie tatkräftig helfen könnten, Pagel", sagte er sehr eindringlich. "Als Sie damals auf Tetelmünde vorgingen, fielen Sie mit dem Maschinengewehr hin. Sie haben sich nicht einen Augenblick besonnen, meine Hilfe anzunehmen. Darum soll in Berlin nicht gelten, was in Kurland galt-?"
" Weil", sagte Pagel finster, "wir damals für eine Sache kämpften. Heute kämpft jeder für sich allein-und gegen alle."

Ich finde diese Szene ein wenig makaber, obwohl mir dieses Einzelkämpfertum nicht fremd ist, da auch wir heute davon betroffen sind, wenn auch auf einer völlig anderen Ebene.

Im Folgenden geht es um Literatur, und mich der Umgang mit dieser ein wenig schmunzeln ließ, weil doch Fallada hierbei ein wenig übertrieben hat. Zwei Frauen unterhalten sich über Literatur. Frau von Teschow, eine Baronin, lässt sich von ihrer Freundin Jutta Goethes Gedichte vorlesen. Bei einigen Versen zeigten sie sich recht empört, und ich gar nicht weiß, was daran so anstößig sein soll. Aber wahrscheinlich muss man sich in die damalige Zeit hineinversetzen, denn was für uns heute normal ist, war damals noch verpönt:

Das kleine Füßchen tritt und tritt,
Da denk ich mir das Mädchen,
Das Strumpfband denk ich auch wohl mit,
Ich schenkt´s dem lieben Mädchen…"

Wahrscheinlich drückt der Vers eine sexuelle Annäherung aus. Die Baronin und die Vorlesende zeigen sich Goethe gegenüber entsetzt:

 Und das will ein Staatsminister sein?

Was machen die beiden Damen mit dieser Textstelle in dem Versbuch? Nun, ganz einfach; sie kleben diese Seite einfach mit Kleister zu :) :) :). Und das nicht nur aus Goethes Gedichten, nein, dieselbe Handhabung auch mit den Werken anderer Dichter, die ihre sexuelle Sehnsucht in lyrischer Form verpackten. Und wenn es nur ein Wörtchen ist, wie z.B. Busen-Buschen-Sebusche, alles anstößige Begriffe, die dafür sorgten, dass die beiden lesende Damen die Buchseite zukleisterten.

Auch Schiller wurde verpönt, den man z. B. wegen Kabala und Liebe niemals der Jugend zu lesen geben dürfe... .

So, hier mache ich mit dem dritten Teil schluss!
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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