Sonntag, 12. August 2012

Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (1)

Erste Buchbesprechung der o. g. Lektüre 

Nun habe ich das Wochenende gut genutzt, schon mal 260 Seiten in dem Buch gelesen zu haben, auch wenn ich noch einen riesen Berg vor mir sehe.

Allerdings packt mich das Buch nicht so sehr wie die anderen Werke, die ich von Fallada gelesen habe. Ich werde mit vielen der Figuren nicht wirklich warm und betrachte diese eher mit einer ungewöhnlich großen inneren Distanz, zumal ich nicht auf jede Persönlichkeit eingehen werde. 

Am meisten beschäftigt mich der Protagonist des Romans, namens Wolfgang Pagel, genannt Wolf... . Ein junger Mann von 24 Jahren. Er leidet unter einer Spielsucht, mitten in der Inflation in dem Nachkriegsdeutschland des ersten Weltkriegs, und die Summen, um die es dort geht, dreht sich mir ja schon der Kopf... . Komme später darauf näher zu sprechen... . Bei Fallada ist es schon fast normal, dass in seinen Büchern meist Figuren mit einer "Geisteskrankheit" auftreten. Ich passe mich der Ausdrucksweise des Autors an, selbst wenn meine Ansicht dazu eine andere ist, denn als Geisteskrankheiten nennt er psychische Leiden, was zu der damaligen Zeit Usus war ... .

Ich habe woanders schon geschrieben, dass Menschen, die eine Wirtschaftskrise und die Inflation überlebt haben, Lebenskünstler waren... . Unvorstellbar, dass eine Stange Brot zehntausend Mark kostete. Und die Gehälter wurden sehr unpünktlich ausgezahlt, wenn überhaupt:

Der Staatsgerichtshof verurteilte eine Prinzessin wegen Begünstigung des Hochverrats und Meineid  zu sechs Monaten Gefängnis - aber der Dollar steht auf vierhundertvierzehntausend Mark gegen dreihundertfünfzigtausend am dreiundzwanzigsten Am Ultimo, in einer Woche, gibt es Gehalt - wie wird der Dollar dann stehen? Werden wir uns zu Essen kaufen können? Für vierzehn Tage? Für zehn Tage? Für drei Tage? Werden wir Schuhsohlen kaufen, das Gas bezahlen können, das Fahrgeld-? Schnell, Frau, hier sind noch zehntausend Mark, Kauf was dafür. Was, ist gleichgültig, ein Pfund Mohrrüben, Manschettenknöpfe, die Schallplatte-oder einen Strick, uns aufzuhängen… nur schnell, Lauf, rasch-!

Wolf pflegt eine Beziehung zu einem jungen Mädchen, die Petra Ledig heißt. Doch Wolf kann sich nicht mit dem Namen Petra anfreunden, da ihm der Name zu biblisch sei und ihn an Petrus erinnern lässt und deshalb nennt er seine Freundin einfach Peter. :D Petra lässt ihn gewähren, und überhaupt stellt sie keinerlei Ansprüche an die Beziehung oder an Wolf selbst. Mit dem Nachnamen Ledig kann er sich sehr wohl anfreunden und ist auch der Meinung, dass sie auch so bleiben könne. Daraus geht hervor, dass Wolf sein Mädchen nicht wirklich liebt, was auch an anderen Textstellen bestätigt wird, mir aber noch ein wenig fraglich ist, was er mit dem Mädchen letztendlich will. Wolfgang Pagel stammt aus einer wohlhabenden Familie, die so wohlhabend ist, dass sie auch der Inflation zu strotzen weiß, während viele andere Menschen Hunger leiden müssen, so auch seine Freundin Petra Ledig.

Petra zeigt Wolf gegenüber wenig Selbstbewusstsein, da sie alle Menschen, die wohlhabend sind, als die klügeren und als die besseren Menschen betrachtet:

Es kam ihr immer wie ein Märchen vor, dass sie, eine kleine Verkäuferin, ein uneheliches Kind, das gerade am Versacken gewesen war, in solche Häuser gehen durfte, in denen die gebildeten Menschen saßen, die sicher nie etwas erfahren hatten von all dem Schmutz, den sie so genau hatte kennenlernen müssen. Allein hätte sie sich nie hierher gewagt, obwohl ihr die-Stumm geduldeten - Elendsgestalten an den Wänden bewiesen, dass hier nicht nur Weisheit gesucht wurde, sondern auch Wärme, Licht, Sauberkeit und eben das, was auch eher aus den Büchern aufstieg: feierliche Ruhe.

Petra Ledig fängt nun auch an, sich für Bücher zu interessieren und lässt sich von Wolf gerne erzählen, aus welchem Buch er gelesen hat. Petra möchte von ihm geliebt werden und nicht nur des Körpers wegen, sondern hauptsächlich wegen ihrer Wesensart. Oft ist sie in Gedanken versunken und äußert daraufhin ihrem Freund, dass sie so schrecklich dumm sei:

"Ich lerne und ich lerne auch gar nichts! Ich werde ewig dumm bleiben!"  
Aber auch dann wieder lachte er nicht über solchen Aufruf, sondern ging freundlich ernst darauf ein und meinte, im Grunde sei es natürlich ganz egal, ob man wisse, wie Käse gemacht werden. :D :D :D. Denn so gut wie der Käsemacher lerne man es doch nie wissen. Dummheit sei, wie er glaube, etwas ganz anderes. Wenn man sich nämlich sein Leben nicht einzurichten wisse, wenn man nicht aus seinen Fehlern lerne, wenn man sich immer wieder unnötig über jeden Dreck ärgere und wisse doch ganz genau, in zwei Wochen sei er schon vergessen, wenn man mit seinen Mitmenschen nicht umgehen könne - Ja, all dies, erscheine ihm recht Dummheit. 
Interessant fand ich, als Wolf seine Mutter als Beispiel erwähnt, die recht spießige Lebensansichten pflegt, die hauptsächlich gegen Menschen gerichtet sind, die entgegen ihrer Vernunft in ihr Leben treten:

Ein wahres Musterbeispiel sei seine Mutter, die, soviel sie auch gelesen und erfahren habe und so klug sie auch sei, ihn nun glücklich mit lauter Liebe und Besserwissen und Gängeleien auf dem Haus getrieben habe, und er sei doch wirklich ein geduldiger, umgänglicher Mensch (Sagte er.) Sie, Petra, dumm-? Nun, sie hätten sich noch nicht einmal gestritten, und wenn sie auch oft kein Geld gehabt hätten, schlechte Tage hätten sie darum doch nicht gehabt und grimmige Zornesmienen auch nicht. Dumm-?! Was Peter denn meine? Natürlich genau das, was Wolf auch meinte! Schlechte Tage? Grimmige Miene? Sie hatten die allerherrlichste Zeit von der Welt miteinander gehabt, die schönste Zeit ihres ganzen Lebens-schöner konnte es nun überhaupt nicht mehr werden! Im Grunde war es ihr ja auch ganz egal, ob sie dumm oder ob sie nicht dumm war (klug kam trotz all seiner Erklärung nicht in Frage), solange er sie nur gerne hatte und ernst nahm.

Ein Fünkchen Wahrheitskern steckt wohl in dem oben genannten Zitat, aber nur ein Fünkchen. Petra ist gar nicht fähig, ihren Wolf zu sehen wie er ist. Die Liebe zu ihm führt sie in die Abhängigkeit, so dass sie alles an ihm duldet, sogar die Spielsucht, mit dem Ziel, dass er ja nur bei ihr bleibt. Eigentlich auch eine recht labile Persönlichkeit... .

Petra Ledig wird in dem Mutterhaus ihres Freundes alles andere als geduldet. Wolf sucht den Kontakt zu seiner Mutter nur noch sporadisch auf. Doch in dem Elternhaus wird trotzdem zu jeder Mahlzeit für Wolf miteingedeckt. Den Vater gibt es schon lange nicht mehr, er ist früh verstorben. Doch Wolf ist immer verschuldet. Er verspielt das ganze Geld, sogar die Kleider von Petra werden eingelöst und so bleibt Petra fast nackt in dem Zimmer zurück und wartet auf ihn... . 

In dem Haus seiner Mutter lebt seit zwanzig Jahren auch eine Bedienstete, Minna, die sehr gut die familiären Verhältnisse dort durchschaut. Es folgt nun ein Zitat, das mich hat ein wenig schmunzeln lassen, aus dem Gespräch zwischen Minna und Wolfs Mutter:

"Der junge Herr" meinte Minna, "hat es immer zu leicht gehabt. Er hat keine Ahnung, wie ein armer ein Mensch Geld verdient. Erst haben Sie ihm alles leicht gemacht, gnädige Frau - und jetzt tut es das Mädchen. Manche Männer sind so - das ganze Leben brauchen sie ein Kindermädchen - und es ist komisch, sie finden auch immer eins."

Um an Geld zu kommen, verkauft Wolf ein Gemälde aus der Familie, dass er sich bei der Mutter erpresst hat. Der Kunsthändler, der bekannt ist in Wolfs Familie und er alle Gemälde des Hauses kennt, wundert sich über den Verkauf des wertvollen Kunstobjektes. Doch Wolf hakt ein, dass man ohne Bilder sehr wohl leben könne aber nicht ohne Geld :D. Auch hier, so finde ich, steckt wieder eine große Portion Ironie.

Szenenwechsel:

Wir befinden uns in einer Strafheilanstalt, in der die Häftlinge heftig protestieren, weil sie schlecht versorgt werden. Das Brot ist hart und  ungenießbar. Mehr bekommen sie nicht zu essen. Unangemeldeter Besuch eines Reporters, jemand von der Sozialdemokratischen Pressekonferenz, der die Absicht hat, die Häftlinge darüber zu interviewen, ob sie mit Lebensmitteln ausreichend versorgt werden. Der Direktor versucht sich zu rechtfertigen in der Form, dass die Einrichtung nur mit minderwertigem Mehl beliefert werde, und sie keine andere Möglichkeit habe, Vollwertbrot  herzustellen. Doch der Reporter lässt nicht locker:

Direktor: "Ich kann es nicht ändern, das Brot ist nicht gut - aber was soll ich machen?! Unsere Verpflegungssätze hinken um vier Wochen hinter der Geldentwertung drein. Ich kann kein vollwertiges Mehl kaufen - was soll ich tun?!"
"Anständiges Brot liefern. Schlagen Sie doch Krach im Ministerium. Machen Sie Schulden für die Justizverwaltung, alles gleich - die Leute sind nach Vorschrift ausreichend zu beköstigen."
"Jawohl", sagte der Direktor bitter. "Ich riskiere Kopp und Kragen, damit meine Herren genug zu Essen haben. Und draußen hungert das unbestrafte Volk, was?" 

In dem letzten Satz steckt doch eine große Portion Ironie. Schließlich macht die Inflation ja nicht vor den Kerkertüren halt. Und es ist doch ein wenig makaber, dass es Gesetze gibt, die vorschreiben, dass die Häftlinge ausreichend versorgt werden müssen, während die Menschen draußen Hunger leiden. Ich wage mir kein Urteil zu bilden, weiß selbst nicht, was richtig und falsch ist, aber mir geht es um die Ironie, die ihre Berechtigung hat. Könnte eine Regierung auch für das gesamte Volk einstehen, vor allem für die, die wenig haben, fände ich das noch ein bisschen gerechter. Ich habe Verständnis für die Häftlinge, aber auch Mitleid für das hungernde Volk... .

Interessant finde ich auch die Romanfigur namens Baron von Bergen. Eine stark vom  Krieg gezeichnete traumatisierte Persönlichkeit, der mit dem Paragraphen 51 in einer psychiatrischen Heilanstalt geschlossen untergebracht ist. Baron von Bergen bezeichnet sich selbst als geisteskrank, auf mich macht er ein wenig den Eindruck eines Paranoikers. Er ist aus der Heilanstalt geflohen, geht in ein Hotel, und geißelt ein paar Leute hinter verschlossener Hoteltür und zwingt diese, in Übermaß Kognak zu konsumieren, sonst würde er sie erschießen. 

Wer nicht trinkt wird erschossen. Ich habe den Paragraphen 51, mir passiert nichts. Ich bin der Reichsfreiherr Baron van Bergen. Kein Polizist darf mich anfassen. Ich bin geisteskrank.-Trinkt! (…) Ich konnte das Schießen im Felde nicht vertragen, alle schossen immer nur auf mich. Seitdem schieße ich allein.-Trinkt!"


Interessant fand ich auch die Ansicht vieler zurückgekehrter Soldaten, die sich ein wenig als Helden feiern, auch wenn der Krieg als verloren galt und sie andere Kameraden eher verachten, die "Nie wieder Krieg" rufen. Sie werden als Feiglinge, als Drückeberger und als Verräter beschimpft. Es ist nicht so, dass jeder Mann, der aus dem Krieg zurückgekehrt ist, zu einem Pazifisten wird. Das war bei Remarque so, und auch bei Borchert. Nein, es gibt viele Soldaten, die immer wieder zurück in den Krieg marschieren würden, und sie würden immer wieder von neuem töten, töten, töten... . 
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 58
Gelesene Bücher 2011: 86



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