Dienstag, 27. November 2012

Henning Klüver / Gebrauchsanweisung Italien (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Eigentlich wollte ich mir abgewöhnen, Ratgeber zu Reiseländer dieser Art zu lesen. Denn sie fallen für mich oft recht enttäuschend aus und manchmal denke ich, die AutorInnen schreiben das, was andere nur hören möchten. Das vorletzte Reisebuch hatte ich zu China gelesen, das musste ich ebenso abbrechen, weil die Menschen sowohl hier in Deutschland als dort in China alle in Schubladen gesteckt wurden. Jede Menge Klischees... Das Buch hieß: Wie die Chinesen uns Deutschen sehen.
So auch in diesem Buch. Der Italiener, der wieder als Macho beschrieben wird, die Italiener, die nicht ehrgeizig genug ihrer Arbeit nachgehen, der Italiener als Betrüger und Ganove... . Manchmal ziemlich direkt und oft auch nur angedeutet.  Wenn mal in einem Satz etwas Positives erwähnt wurde, so wurde es im Nebensatz wieder relativiert. Zitate spare ich mir...  Kann man selber nachlesen und sich nach dem Lesen selbst fragen kann, welches Italienbild man nun durch das Buch erhalten habe? Ich habe jedenfalls nicht sehr viel Neues erfahren. Die Grundstruktur des Italieners ist zumindest erhalten geblieben.

Ich denke, dass gerade solche Berichte für Vorurteile sorgen und sie diese in die Gesellschaft weiterverbreiten und festigen.

Als Kind sind wir mit meinen Eltern jeden Sommer nach Italien gereist, in deren Heimatort, in einem Bauerndorf, immer sechs Wochen lang, und ich in Erinnerung behalten habe, dass die Menschen dort sehr schwer auf dem Feld gearbeitet haben, selbst meine Großeltern gehörten dazu. Ähnlich wie bei den isländischen Frauen aus der letzten Lektüre, s. Kristin Marja Baldörstritt Die Eismalerin. 
Kinder, die im zweiten Weltkrieg geboren wurden, wurden frühzeitig aus der Schule rausgenommen, weil sie den Eltern auf dem Gutshof helfen mussten. Sie wurden nicht zum Stehlen geschickt, sondern zum Arbeiten aus den Schulen gerufen. Viele begabte Kinder befanden sich darunter, die ihre Schulzeit wegen der Armut nicht beenden konnten.

Niemand schreibt darüber, über ehrliche ItalienerInnen,  die sich aus eigener Kraft aus der Not gehoben haben. Ohne finanzielle Unterstützung vom Amt... Und ohne Betrügereien. Und weil niemand darüber geschrieben hat, tue ich es jetzt.

Auch sind wir nie bestohlen worden und wurden immer herzlich und großzügig empfangen von den dort lebenden und hart arbeitenden Nachbarn. Nochmals gefragt,, warum niemand über diese hart arbeitenden Italienischen Menschen schreibt? Warum tauchen sie in keine Bücher auf, die von anderen Nationen über das Land schreiben? Ich würde es gerne tun, nur leider fehlt es mir an schriftstellerischem Talent, versuche mich hier im Blog auszulassen...

Der Autor schreibt über die Pünktlichkeit der öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Züge wären recht pünktlich angefahren, wenn er auf den Zug angewiesen war, doch im Nebensatz relativiert er es wieder, dass die Pünktlichkeit auch Zufall hätte sein können, und er einfach nur Glück hatte..
Wie sieht es denn bei uns aus? Hochmoderne Züge, regelmäßige Verspätungen der DB und der öffentlichen Verkehrsmitteln im Stadtverkehr.

Ich selbst möchte in solch einem Land wie Italien niemals leben, auch wenn die Menschen uns gegenüber sehr wohlwollend eingestellt waren. Trotzdem möchte ich nicht dort leben, zum Teil auch, weil ich eine deutsche Identität entwickelt habe und auch Deutsche bin, und auch, weil die Regierung größtenteils schmutzig, korrupt und kriminell ist. Man muss in solch einem System wie Italien reinwachsen, wer das nicht ist, bekommt größenteils Probleme, sich dort heimisch zu fühlen. Eine Regierung, die schon seit der Gründung Italiens mafiose Strukturen entwickelt hat, eine Regierung, die sich keineswegs um seine Landsleute kümmert, weder im sozialen Bereich noch was die Arbeitsplatzbeschaffung betrifft. Eine Regierung, obwohl Italien ein recht reiches Land ist, treibt ihre Landsleute in die Nöte, in die Armut, in die Kriminalität, während sie in die eigene Tasche wirtschaftet- Was bleibt einem Menschen, der nichts zum Essen hat, als kriminell zu werden, wenn dieser zu den ärmsten von den Armen zählt und nirgends im Land Arbeit findet? Ich habe noch nie gehört, dass ein vermögender Mensch stehlen geht, mit Ausnahme der Kleptomanen, die sind aber hier nicht gemeint. Das Volk ist schon so oft von der Regierung  enttäuscht worden, dass es ihr gegenüber ein großes Misstrauen entwickelt hat, und die Menschen sich über die Familie einen Zusammenhalt schaffen und sie sich aus der Not heraus zu Anarchisten entwickelt haben. Sie sorgen für sich selbst, und missachten auf ihre Weise die Gesetze, da die Gesetze auch die Menschen missachtet...

Was ist mit den vielen italienischen Auswanderen, die in der Schweiz beim Tunnelbau hart arbeitend ihr Leben gelassen haben? Sie haben die Arbeit getan, zu denen sich die Schweizer zu fein waren... . Ähnlich in anderen europäischen Ländern, die Arbeitsmigranten geworben hatten.

Der Durchschnitt der Menschen sind ganz gewöhnliche Ottonormalverbraucher wie in jedem anderen Land auch. Sie laufen nicht mit Messer und Pistolen herum. Wie schon gesagt, hart arbeitende und ehrliche Menschen gibt es auch in Italien und es ist schade, dass Autoren, die über Italien schreiben, das Land mit ihrer Brille sehen, mit ihren Maßstäben und mit ihren Vergleichen... .  ItalienerInnen sind LebenskünstlerInnen, die auch ohne eine Regierung zu leben fähig sind... . Man kann ein Land nur mit sich selbst vergleichen, niemals mit einem anderen Land, sonst wird man dem Land niemals gerecht werden können.

Es gibt auch dort Dichter und Denker. Es gibt auch dort Wissenschaftler, wie überall auf der Welt auch, es sind ja nicht alle nur Pizzabäcker... .

Was mich noch stutzig gestimmt hat, ist, dass, als etwas über die Geschichte geschrieben wurde, Mittelalter, Renaissance und später, dass die Gelehrten überwiegend männlich wären, es gab wohl auch Frauen, aber der Autor erwähnte nur eine, diese aber in der Minderzahl seien.

 Andere europäische Länder waren und sind es auch noch, patriarchalisch geprägt, und der Autor soll nicht so tun, als hätten es die Frauen in anderen Ländern leichter gehabt. Bis in den 1970er Jahren hatte die Frau in Deutschland  z.B. gar nichts zu melden, die Gesetze wurden den Männern zugeschrieben. Die Frau musste sich z.B. die Erlaubnis bei ihrem Ehegatten einholen, wenn sie berufstätig sein wollte. Der Mann hatte auch das Recht, über seine Frau nach Belieben sexuell zu verfügen. Vergewaltigung in der Ehe wurde nicht als ein sexuelles Vergehen angesehen.

In meiner Geburtsurkunde steht, dass meine Mutter bei ihrem Gatten wohnhaft sei. Bin 1963 in Darmstadt geboren.

Tun wir doch nicht so, als würden die Männer hier bei uns in Deutschland Hausarbeiten verrichten; Putzen und Kochen, Kindererziehung, noch immer bleiben diese Beschäftigungen im Durchschnitt an den Frauen hängen... . Frauen, die berufstätig sind, sind durch Familie doppelt belastet. Nicht anders ist es in Italien auch.

Das Wahlrecht für Frauen in Italien ist sicher später als in Deutschland eingeführt worden, erst 1946, in Deutschland 1918, aber 1946 erwarben, wie in Italien auch, Frauen in Frankreich und in Belgien das Wahlrecht.
In der Schweiz erhielten die Frauen erst 1971 das Wahlrecht. Der Autor soll also nicht so tun, als wären die Italiener alleine so rückständig, wenn man überhaupt von Rückständigkeit sprechen kann.

Eine Kollegin von mir erzählte erst kürzlich von ihren Urlaubserlebnissen in Italien. Sie wäre sehr positiv überrascht gewesen über die ItalinerInnen. Sie hatte vom Hören und Sagen bisher ein recht destruktives Bild gehabt, das sie nun revidiert hat. Aber sobald sie eine schlechte Erfahrung mit einem Menschen dieses Landes machen wird, so werden wieder alle als "böse" deklariert.

Kein Mensch kommt als Deutscher, Grieche, Italiener etc. zur Welt, der Mensch wird zum Deutschen, Griechen, Italiener etc. einfach gemacht, durch Erziehung und durch Kultur der jeweiligen Länder. LeserInnen, die sich ausschließlich an solche Ratgeber halten und sie diese nicht kritisch lesen, sondern nur bestätigt bekommen, was sie eh schon denken, gehen mit einer gewissen Erwartungshaltung, wenn sie einen Menschen einer anderen Nation begegnen, heran. Man wird in eine Schublade gepresst, und kommt nie wieder  heraus... . Z. B. viele italienische Männer, die keine Machos sind, werden wie Machos behandelt... . Man nimmt sich nicht die Zeit, Menschen kennenzulernen, sondern verfügen über Schubladen... .Niemand interessiert sich nach der wahren Identität des anderen. Und dabei wissen wir durch Hitler, der versucht hatte, den Arier anhand des Blutes zu beweisen aber daran gescheitert ist, dass eine Nationalität nicht genetisch vorbestimmt und festgelegt ist. Ein schwarzer Säugling, der von einer österreichischen Familie adoptiert wird, lernt nicht automatisch die Sprache seiner leiblichen Eltern. Es lernt österreichisch,  während die Sprache der leiblichen Eltern ihm fremd bleibt, solange er damit nicht in Berührung kommt.
Es gibt ja nur vier Blutgruppen, aber mehr als vier Nationalitäten... .

Tun wir also nicht so, als käme ein italienischer Mensch als ItalienerIn auf die Welt, und ein deutscher Mensch als Deutscher...

So, und ab sofort lese ich keine Ratgeber dieser Art mehr! Lieber trete ich ins Fettnäpfchen und mache selbst die Erfahrung mit den Leuten aus den Ländern, die ich bereise!

Nachtrag vom 29.11.2012 Mir ist gestern meine Geldbörse gestohlen worden. Das zweite Mal innerhalb von 1,5 Jahren. Lt. Polizeiangaben wären die Taschendiebe richtige Profis, und bezeichnete diesen Diebstahl nicht als einen Einzelfall. Insgesamt wurden mir in Darmstadt  mehrere Fahrräder gestohlen, trotz teurer Fahrradschlösser.

Reifen von geparkten Autos wurden schon gestohlen und in vielen Villen und in Eigentumswohnungen sogar eingebrochen.

Und nun stellt sich mir die Frage, warum diese Delikte nicht in dem Reiseführer zu Darmstadt und zu anderen großen Städten Deutschlands stehen?

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         (Isabel Allende)

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Sonntag, 25. November 2012

Henning Klüver / Gebrauchsanweisung Italien



Erschienen: 17.09.12

Piper Verlag 256 Seiten

Flexcover mit Klappen, 14,99 €

ISBN: 9783492276269


Klappentext
Maccheronibäume, aromatischer Espresso und pure Lebenslust: Henning Klüver lädt ein ins Paradies jenseits des Brenners, wo man zarte Schinken und gute Weine genießt, es nach Zitronen duftet und die Kulturdenkmäler zahlreicher sind als in jedem anderen Land.Wissen Sie, warum die Sonne hier wärmer strahlt? Was die Italiener essen, wenn die Mamma keine Lust auf Pasta hat? Und warum alle unsere Schuhe das Gütesiegel »Made in Italy« tragen? Mit leichter Hand widmet Henning Klüver sich den ureigensten Domänen seiner Wahlheimat: der Familie und der Mafia, der Mode und der Pizza, der Kirche und dem guten Essen. Er kennt den Unterschied zwischen Pandoro und Panettone, weiß um die Bedeutung der Bar als Institution, die man mehrmals täglich aufsucht. Berichtet, warum die Innenpolitik eher einer Daily Soap gleicht und wie ein Landesvater für reichlich Furore sorgte; und findet Antworten auf die Frage, warum die Deutschen dieses Land so sehr ins Herz geschlossen haben – sich manchmal aber auch darüber ärgern.

Autorenportrait

Henning Klüver, 1949 in Hamburg geboren, studierte in Deutschland und Italien. Er schreibt als Kulturkorrespondent für die »Süddeutsche Zeitung« und berichtet als freier Mitarbeiter für deutsche Rundfunkanstalten aus Italien. Neben Biografien und einem politischen Sachbuch erschien von ihm die »Gebrauchsanweisung für Sardinien«. Er lebt mit seiner sardischen Frau, mit der er zwei Töchter hat, in Mailand.
Entdeckt habe ich das Buch auf der diesjährigen Buchmesse, und bin neugierig auf die Beschreibungen von Klüver. Ich lese eigentlich ganz gerne Reiseführer,  aber die wenigsten befriedigen mich. Den letzten Reiseführer, den musste ich auch wieder zuschlagen. Es war ein Buch zu China und mich doch die Menschen sowohl hier als auch dort verwundert haben, was sie für Bilder zu anderen Völker haben. Ich glaube hier im Blog dazu auch schon etwas gepostet zu haben. Ich muss mal suchen.





Kristin Marja Baldursdottir / Die Eismalerin (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Die Sprache fand ich anfangs ein wenig, hm, wie soll ich sagen, ein wenig zu geblümt, ein wenig zu geschnulzt. Objekte werden personifiziert.
Der Regen umfängt das Haus, die Scheiben weinen. Das Licht in der Öllampe gibt sich alle Mühe, die Ruhe zu bewahren (lol, M.P.) gähnt und streckt sich, um seine Unruhe zu verbergen, Oder: Der Herd stöhnte glücklich und ließ den Dampf zufrieden in den schwarzen Abend aufsteigen.
Ich belasse es bei diesen beiden Beispielen. Wenn jemand sich so ausdrückt, da bekomme ich Gänsehaut.

Ich hatte erst mit mir gerungen, das Buch nicht auszulesen. Aber dann habe ich die Kurve doch noch bekommen, wobei ich noch nicht weiß, ob ich mir den Folgeband, den es zu diesem Buch gibt, mir noch anlegen werde. Ich glaube wohl eher nicht.

Auch das Menschenbild scheint mir recht einseitig zu sein, wenig differenziert. Komme später darauf nochmal zu sprechen, wobei man unterscheiden muss zwischen den Figuren, die einseitig denken oder ist es die Autorin selbst, die einseitig denkt, die den Figuren die Worte in den Mund legt?

Was hat mich gehalten, das Buch nicht abzubrechen? Das Gefühl gehabt zu haben, in Island zu sein. Die Kälte, die Seereisen, und die Lebensweisen der dort lebenden Menschen hat mich dann doch noch halten können. Die Figuren, so fand ich, waren gut charakterisiert.

Wie aus dem Klappentext hervorgeht, siehe Posting unten, ist Karitas die Protagonistin und Heldin dieses Romans. Doch auf den ersten dreihundert Seiten war es die Mutter von Karitas, die es als alleinerziehende Mutter und Witwe Steinunn Olafsdöttir geschafft hatte, allen sechs Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen, vor allem den Mädchen. Die Kinder waren alle Halbwaisen, da der Vater, der Maler war, ums Leben kam.
Obwohl die Familie nicht viel Geld hatte, war es der Mutter wichtig, dass gerade die Mädchen später sich ein unabhängiges Leben aufzubauen in der Lage sind. Vorbilder waren andere Frauen, die man schon vereinzelt an den Universitäten in den Großstädten sah. Der Roman beginnt ab dem ersten Weltkrieg an zu erzählen. Man wird vor jedem neuen Kapitel mit einer Zeichnung von Karitas auf das neue Geschehen vorbereitet.  Sie beschreibt ihre Zeichnungen bzw. Gemälde.

Diese Idee fand ich ganz gut, habe es als recht originell erlebt.

Karitas, das jüngste Mädchen, ist die letzte, die noch auf ihre Ausbildung warten muss, da die finanziellen Mitte noch arg begrenzt waren und erst noch daraufhin gespart werden musste. Sie muss stattdessen mitarbeiten, um das Schulgeld ihrer Geschwister mitzuverdienen. Oftmals haderte sie, dass sie die einzige in der Familie sei, die noch keine Schule besuchen würde. Daraufhin die Reaktion der Mutter:
"Ich zweifle keinen Augenblick daran, dass du einen guten Mann heiraten, viele Kinder bekommen und ein vorbildliches Heim haben wirst."
"Aber das ist genau das, was ich gar nicht will", heulte Karitas. "Ich möchte zur Schule gehen wie meine Geschwister, ich will genau wie sie etwas lernen! Die Leute reden immer über die Witwe, die ihre sämtlichen Kinder zur Schule geschickt hat, aber das stimmt ja gar nicht, ich darf ja gar nichts lernen, ich darf bloß Wäsche waschen, muss den ganzen Tag schuften, damit diese Lausebengel zur Schule gehen können."
Karitas war ein recht sensibles Mädchen, die die Bedürfnisse ihrer Familienmitglieder wahrnahm und versuchte diese zu befriedigen. Damit dies gelingen konnte, war es wichtig, dass sie Kontakte zu anderen Menschen knüpft, was sie schließlich auch tat, mit Erfolg wohlbemerkt, sie hinterließ bei den Leuten eine gewisse Sympathie. Ihr offenes Wesen hatte zur Folge, dass sie in der neuen Heimatstadt eine bewohnbare Wohnung für die Familie erwerben konnte...
Ihre Mutter wunderte sich über die Gesprächsfreudigkeit ihrer Tochter, da diese Offenheit ja so unter den Isländern gar nicht üblich sei, und sie war der Meinung, dass Südländer, die des öfteren mit dem Schiff auf die Insel reisten, diese beeinflussten. (Gähn). Eine merkwürdige Begründung. (Aber dies habe ich mit zu einseitigem Menschenbild gemeint, weiteres folgt später).

Karitas lernt eine gebildete Dame gehobenen Hauses kennen, namens Eugenia, die in der Kunstrichtung bewandert ist und ihr kostenlosen Zeichenunterricht erteilt. Auch versucht Eugenia Karitas zu emanzipieren. "Schönheit ist der Fluch der Frauen" verkündete sie ihr. Wenn sie später als Künstlerin erfolgreich und berühmt werden möchte, dann müsse sie ein großes Opfer aufbringen, und dürfe keine Familie gründen...
Eugenia ist mir richtig sympathisch geworden, da sie den Unterricht kostenlos gibt, mit der Begründung, dass sie kein Geld benötige, da sie schon genügend davon habe. Wann hört man das schon mal, genug Geld zu haben... .
Ein Jahr später nimmt Karitas ein fünfjähriges Studium der bildenden Künste in der Hauptstadt Dänemarks auf, das von Eugenia als Sponsorin mit finanziellen Mitteln unterstützt wird. Trotzdem muss Karitas neben dem Studium als Restaurantgehilfin hart arbeiten.

Nach dem Studium hegt Karitas große Pläne, doch bis diese umgesetzt werden können, zieht es sie wieder zurück auf das Fischerdorf Islands, in dem sie mit der Familie einst gelebt hatte. Wie früher schon möchte sie sich mit dem Einsalzen der Fische in der Fischerfabrik Geld verdienen, das sie für ein späteres Atelier in Reykjavik sparen möchte. Da sie hier aber  nicht genügend Aufträge erhält, reist sie zu ihrer älteren verheirateten Schwester, die sich als Bauernfrau gut macht. Sie besuchte als junges Mädchen einst die Hauswirtsschaftsschule, und ihre Kenntnisse kommen ihr auf dem Gutshof zugute. Diese Schwester war mir eigentlich recht unsympathisch  da sie des öfteren schon versucht hatte, Karitas die Pläne, Studium und selbständiges Künstlerleben, auszureden...
Auf dem Gutshof gibt es viel Arbeit und sie kann jede Hand gut gebrauchen, und so versucht sie erneut, Karitas zu überreden, bei ihr zu bleiben. Karitas macht sie erneut auf ihre Pläne aufmerksam:
"Ich muss malen."
" Malen?! Nennst du das Arbeit? Du bist wohl nicht bei Sinnen! Glaubst du wirklich, dass man bei all den Arbeiten, die jetzt zum Herbst anstehen, einfach zu seinem Vergnügen herumkritzeln und malen kann, jetzt, wo es gilt, die Scheune zu füllen? Was würde aus dem Fortschritt in diesem Land und der Zukunft der Isländer werden, wenn alle so dächten wie du? Nachdem du fünf Jahre lang durch die Straßen von Kopenhagen flaniert bist und dich durchgeschmort hast, finde ich es reichlich rücksichtslos, dass du angeblich nicht im Stande bist, mir zu helfen, wo so viel auf dem Spiel steht, das muss ich schon sagen. Willst du mal wieder deinen nächsten Angehörigen im Stich lassen?"
Als die älteste Schwester im Sterben lag, sie war Hebamme von Beruf, just zu der Zeit, als Karitas von der Universität eine Zulassung erhalte hatte, machte die obige Schwester ihr auch große Vorwürfe, und redete ihr ins Gewisen, dass sie nur an sich denken würde, sie könne nicht ausziehen, wenn die Schwester im Sterben liege.
Die Mutter hatte schließlich dafür gesorgt, dass Karitas abreisen konnte.
Nach dem Studium kommen die beiden Schwestern wieder zusammen, und Karitas macht sich, wie oben schon gesagt, auf dem vorübergehend Gut nützlich, bis sich eine Schwangerschaft bei ihr durch Erschöpfungszustände und körperliche Zusammenbrüche herausstellte. Gerade Karitas, die Eugenias Worte noch deutlich in ihrem Kopf gespeichert hielt, sollte ein Kind bekommen, wo doch die Schwester diejenige war, die sich dringend ein Kind wünschte. Auch hier wieder eine neidvolle Reaktion ihrer älteren Schwester, als sie Karitas bat, das Kind bei ihr zu lassen, wenn sie weiterreisen wolle. Karitas lehnte ihr Angebot ab:
"Du willst nicht, du willst das Angebot nicht annehmen, was zum Kuckuck willst Du eigentlich, Karitas, hast du nicht alles bekommen, bist du nicht zu einem feinen Studium ins Ausland geschickt worden, weil du ganz gut kritzeln konntest? Bin ich vielleicht ins Ausland geschickt worden, weil ich singen konnte, hatte ich nicht die beste Stimme in weitem Umkreis, und durfte ich vielleicht ins Ausland gehen? Und dann bekommst du sozusagen noch ein Kind auf dem Silbertablett serviert, du brauchst nicht einmal darum zu bitten, aber ich, die ich mich nie vor meinen Pflichten gedrückt und in meinem Land und Volk Ehre gemacht habe, wie ein Fels in der Brandung meiner Mutter und meinen Geschwistern beigestanden habe, geistig Verwirrte bei mir aufgenommen und das religiöse Leben dieser Gemeinde unterstützt und Kultur und Fortschritt gefördert habe, ist mir ein Kind zuteil geworden, obwohl ich seit vier Jahren bete und alles versuche? Habe ich vielleicht eins bekommen? Ist das gerecht, Caritas? Karitas, habe Mitleid mit mir, sei fair und gestatte mir, dass ich dein Kind aufziehe."
Karitas sollte nicht nur ein Kind bekommen, sondern noch weitere, wie das Schicksal es wollte, ohne Rücksicht auf ihre Pläne zu nehmen, wobei sie ja bei der Zeugung nicht ganz unbeteiligt war.
Sie zieht zu dem Vater des Kindes, ein Seemann, der ihr ein wohlhabendes Leben verspricht. Doch bis zum Wohlstand dauerte es noch viele Jahre und Karitas wird während dieser Zeit auf die harte Probe gestellt. Auch hier hadert sie mit sich selbst, wünscht sich mehr Zeit zum Malen. Ihr Mann Sigmund lässt ihr viele helfende Frauen zukommen, um sie mit der häuslichen Arbeit zu entlasten. Doch auch hier erntet sie keinen Beifall, als man ihre Bilder betrachtet:
"Das ist doch nichts als ein schwarzer Klecks, meine Liebe, kannst du wirklich nicht besser malen, wo du das doch studiert hast?"
 Sie versucht Sigmund deutlich zu machen, dass er nicht der alleinige ist, die eine gewisse Glut in sich verspürt, die ihn immer wieder zurück ins Meer ruft, sondern auch in ihr gäbe es so ähnliche Impulse:
Genauso ist eine Bewegung in mir, eine kleine Glut, die darauf wartet, entfacht zu werden. Es sind nicht die großen Nachrichten, die die Welt verändern, sondern die alltäglichen Dinge und die ungesagten Worte."
Dieses Zitat hat mir recht gut gefallen.

Ich mache nun einen großen Sprung nach vorne. Karitas verlässt das Heim und auch ihren Gefährten. Sigmund taucht erst nach fünfzehn Jahren auf, als er sie zu suchen begann. Er bringt einen Italiener mit, Sigmund hielt sich viele Jahre in Rom auf, und der Italiener wird recht unfreundlich von Karitas empfangen. Karitas empfindet so viel Wut auf Sigmund, der trotz Familie sich das Recht herausgenommen hat, stillschweigend nach Rom zu ziehen und sich dort abzusetzen. Rom, auch eine große Weltstadt, die Stadt der Künste, ein von Karitas unerfüllter Traum, diese Stadt zu bereisen. Der Italiener, natürlich ist er auf der Flucht vor italienischen Ganoven (grins), wird mit bösen Worten Karitas` konfrontiert, als er sich nicht aus dem Zimmer begibt, obwohl Mittagessenszeit war, was der Gast nicht wissen konnte:
Ich habe keine Ahnung, wie es bei euch unten im Süden zugeht, wahrscheinlich tanzt ihr die Nächte durch und schlaft tagsüber (grins, nur), aber hier in unserem Land ist es Sitte, mittags zur festgesetzten Zeit zu essen. Weil die Frauen hier aber noch nie einen Ausländer gesehen haben und nicht wissen, ob solche Geschöpfe denselben Bedarf für Pökelfleisch haben wie die Isländer oder ob sie sich einfach von der Sonne ernähren, habe sie die Waschfrau hier auf dem Hof gebeten, den Herrn in die Küche zu bitten damit sie ihn besser in Augenschein nehmen können." (…)
Die Schüsseln wurden rings um seinen Teller aufgestellt, damit er sich danach nicht auszustrecken bräuchte, sie füllten sein Glas mit Milch und gingen anschließend summend in der Küche aus und ein und beobachteten aus den Augenwinkeln, wie er mit Messer und Gabel umging, wie er sie auf dem Teller kreuzte und ablegte, bevor er das Glas mit der Milch an die Lippen setzte (wie ein Tier im Zoo, grins). Ganz offensichtlich war es eine Selbstverständlichkeit für ihn, von einer Frauenschar umgeben zu sein, die keine andere Aufgabe hatte, als ihn beim Essen zu bedienen, (Macho, grins).
Dies habe ich mit zu einseitigem Menschenbild gemeint. Entweder zeigt es auf, dass die Isländer ziemlich rassistisch waren / sind und den Fremden so in Szene positioniert haben, dass ihr Bild von einem Italiener bestätigt wird. Er wird alleine an den Essenstisch gesetzt, während die anderen nach ihm essen sollten. Und dass er in Island Unterschlupft zu finden beabsichtigt, damit ihn die italienischen Ganoven nicht finden können, so denke ich, ist es die Erfindung der Autorin, die die Italiener zu unehrlichen Bürger und zu Weiberhelden macht. Wie in Westernfilmen aus meiner Kindheit, wo die Weißen die Guten und die Indianer die Bösen waren, mit Ausnahme der Karl May Filme.
Mir sind solche Szenen immer wichtig aufzugreifen, weil sie oft bewusst oder unbewusst Rassismus gegenüber einer bestimmten ethnischen Gruppe verbreiten.

Ich mache nun hier Schluss. In dem Buch geht es noch recht bewegt weiter, und wer sich von meinem Geschreibsel angestoßen fühlt, der oder die sollte doch das Buch selbst lesen, denn ich habe nur einen winzig kleinen Ausschnitt wiedergegeben, um die Spannung und die Neugier nicht zu nehmen.

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Freitag, 23. November 2012

Kristin Marja Baldursdötti / Die Eismalerin






Fischer Verlag
Preis € (D) 10,00 | € 
702 Seiten
Gebunden, Miniausgabe, Februar 2012
ISBN: 978-3-596-51109-9



Klappentext

Karitas ist die jüngste Tochter der verwitweten Steinunn Olafsdóttir, die es geschafft hat, dass alle sechs Kinder – auch die Mädchen – die Schule besuchen konnten. Trotz der harten Lebensumstände um 1900 in Island entdeckt Karitas ihr künstlerisches Talent als Malerin. Doch als sie den gut aussehenden Sigmar kennenlernt, steht sie vor der folgenschwersten Entscheidung ihres Lebens.


Autorenportrait

Kristín Marja Baldursdóttir, Jahrgang 1949, ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen in Island. Die Autorin lebt in Reykjavík.Sie erhielt 2011 den Jónas Hallgrimsson-Preis.

Das obige Buch ist mein Erstlingswerk, das ich von der Autorin lese. Bin gespannt, ob ich mir weitere Bände von ihr zulegen werde. 


Daniel Kehlmann / Die Vermessung der Welt (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch, das ich letztes Wochenende ausgelesen habe, hat mir recht gut gefallen. Leider bin ich krank geworden, so dass ich fast eine ganze Woche aus gesundheitlichen Gründen nicht dazu gekommen bin, mir meine Gedanken zu dem Buch aufzuschreiben..

Das Buch liest sich recht gut, an manchen Stellen humoristisch. Erzählt wird im Wechsel über das Leben Gauß` und Humboldts, erst auf den ca. letzten einhundertfünfzig Seiten kommen beide Wissenschaftler zusammen, die sich mir als zwei Gegensätze erweisen.

Gauß, Mathematiker und Astronom, ist jemand, der der Wissenschaft den höchsten Respekt zollt, während er die Beschäftigung anderer Fakultäten für vertane Zeit hält. Er betrachtet die Welt von seiner Studierstube aus, in der er alles, was er unter die Lupe nimmt, in Zahlen und Statistiken verwandelt.
Doch dazu später mehr.

Interessant fand ich die Kindheit von den Humboldts. Alexanders Bruder, der ältere, hatte ihn nicht grad liebevoll behandelt, gewisse Handlungen grenzten schon an Mobbing.
Die Kinder waren Halbwaisen und die Mutter wandte sich bei Erziehungsfragen ausschließlich an den großen Johann Wolfgang von Goethe.

Alexander von Humboldt wurde in Berlin 1769 geboren. Zwanzig Jahre später als Goethe.
Goethe, der Multitalent, galt damals sogar auch als Erziehungsberater.

Ein Multitalent war aber auch Alexanders Bruder, der im Alter von dreizehn Jahren schon zwei Fremdsprachen beherrschte und mit siebzehn sieben. Darunter befanden sich auch Sprachen aus dem nichteuropäischen Raum. (Im Studium studierte er auch Sinologie) und war hauptsächlich der Sprachen und Dichtung zugewandt.
In Berlin eröffnete der Bruder später die Humboldt-Universität.

Alexander von Humboldt selbst war bekannt für seine Expeditionen in den Tropen, bereiste die Welt, und bestieg die höchsten Berge. (Mit einem Sextanten ausgerüstet, um jeden Stein, jeden Felsen, Pflanze etc. auszumessen. Kann ich mir bildlich sehr gut vorstellen).
Frau von Humboldt konnte sich mit ihren beiden Söhnen glücklich schätzen, die eine große Bereicherung waren für die Familie Humboldt.
Alexander von Humboldt zeigte schon recht früh großes botanisches Interesse und erwähnte einem Bekannten gegenüber, dass er nun wissen würde, womit er sich befassen wolle. Und zwar mit dem Leben.
Daraufhin die Reaktion des Bekannten, die mich zum Schmunzeln brachte:

Das könne er nicht billigen, (…). Man habe auf der Welt andere Aufgaben, als einfach nur da zu sein. Leben allein, das sei kein Inhalt einer Existenz.

Der große Mathematiker ging als erwachsener Mann auch keine Eheschließung und auch keine sonstige Bindungen mit Frauen ein, denn

Man heirate nur, wenn man nichts Wesentliches im Leben vorhabe.

Wenn ich zwischen diesen beiden Männern wählen müsste, Gauß oder Humboldt, so würde ich mich für Humboldt entscheiden. Er zeigte großes menschliches Verständnis und Interesse. Ich erlebte ihn beim Lesen als sehr tolerant, und als recht tierlieb.
In Neuspanien verfolgte er mit, als Menschen versteigert wurden. Humboldt kaufte drei Sklaven und entließ sie daraufhin in die Freiheit.
Sklavenhandel empfand er mit eines der widerlichsten Wissenschaften, die ein Mensch nur begehen konnte. Er war seiner Zeit schon sehr weit voraus.
Auf seinen Reisen in den Tropen bekommt er es mit nackten und bemalten Menschen zu tun.
Daraufhin trifft er einen kastilischen Adligen mit seiner Frau und Tochter. Humboldt wundert sich über seine Lebens- und Wohnart und fragt, wo er denn kein Haus habe? Dieser antwortete ihm, dass die Welt sein Haus sei.

Und nun folgt erneut eine Stelle, die mich so sehr zum Schmunzeln brachte:

Humboldt verbeugte sich vor seiner  nackten Frau und seiner nackten Tochter und wusste nicht, wo er hinsehen sollte.

Ein paar Seiten später nimmt man teil an der Verwunderung Humboldts, dass er nicht wusste, dass Frauen an so vielen Körperstellen so stark behaart seien. (grins).
Seine Erkenntnisse und Betrachtungsweisen zu den Pflanzen aus den Tropen haben mich auch sehr fasziniert und ich diesen Gedanken hier auch festhalten möchte, da ich die Pflanzen so noch gar nicht betrachtet hatte. Der Erzähler gibt diese wieder:

Pflanzen besäßen keine Innerlichkeit, nichts verstecktes, alles an ihnen sei außen. Ausgesetzt und wenig geschützt, an die Erde und deren Bedingungen gefesselt, lebten sie doch und überdauerten. Vegetation, das sei die offen liegende, die in stumme Reglosigkeit aufgefaltete Spielart des Lebens. Insekten hingegen und Tiere und Menschen seien geschützt und gepanzert. Die konstante Temperatur ihres Inneren setzen sie in Stand, wechselnde Bedingungen zu ertragen. Wer ein Tier ansehe, wissen noch nichts, während das Gewächs dem Blick sein Wesen offenbare.

Humboldt spricht von seinen Theorien als befände er sich in Meditation:

So steigerte das Leben durch Stadien wachsender Verbergung seiner Organisation, bis es jenen Sprung mache, den man getrost den weitestmöglichen nennen könne: den Blitzschlag der Vernunft. Hin zu ihm findet keine Entwicklung in Graden statt. Die zweitgrößte Beleidigung des Menschen sei die Sklaverei. Die größte jedoch die Idee, er stamme vom Affen ab. 

Ein Gedanke, an den ich mich gewöhnen muss, von einem Wissenschaftler zu hören, dass es ein Irrtum sei, dass der Mensch von einem Affen abstamme.
Humboldt zeigte sich optimistisch, was die Zukunft betrifft, bezogen auf die Welt, die, wenn alle Rätsel des Lebens durch die Wissenschaft gelöst wären, der kosmische Mensch Einheit und Frieden erfahren werde, frei von Ängsten, Kriegen und Ausbeutung. (Leider haben wir diesen Zustand heute, nach mehr als zweihundert Jahren, noch lange nicht erreicht).
Im nächsten Zitat wird sein Optimismus auch in der Überwindung des Todes deutlich:

Die Wissenschaft werde ein Zeitalter der Wohlfahrt herbeiführen, und wer könne wissen, ob sie nicht eines Tages sogar das Problem des Todes lösen werde.

Gefallen hat mir der Begrifft Zeitalter der Wohlfahrt, der ja so falsch gar nicht ist, allerdings trifft er mehr in Ländern zu, die weniger von Armut und Kriegen betroffen sind.

Ich wende mich nun dem Mathematiker und Astronomen Carl Friedrich Gauß zu, der 1777 in Braunschweig geboren wurde. Er war demnach acht  Jahre jünger als Alexander von Humboldt und hoffe am Schluss nochmals eine Verbindung zu beiden  Persönlichkeiten herstellen zu können.
Gauß war ein recht ehrgeiziger Schüler, wenn auch seine Leistungen nicht zu den besten zählten. Doch ein Lehrer sah ihm seine Begabungen an. Es war ausgerechnet ein Lehrer, der nicht über eine abgeschlossene  Lehrerausbildung verfügte. Doch gerade dieser Lehrer hatte ein richtiges Gespür und setze sich für den Jungen ein, ein Gymnasium zu besuchen..
Obwohl Gauß die Mathematik nicht so beherrschte wie er sollte, erkannte er aber das Prinzip und die dahinterliegende Bedeutung der Zahlen. Interessant fand ich auch die Vorstellung, dass, wann Gauß immer unter Stress stand, er sich einige Primzahlen aufsagte. Er kannte über hundert Primzahlen.
Verglichen zu Humboldt ging Gauß eine Paarverbindung ein und vermählte sich mit Johanna. Die Hochzeitsnacht glückte allerdings nicht, da der denkende Kopf sich zu sehr mit Zahlen beschäftigte. Erst benötigte Gauß viel Mühe und Anstrengung, seine Vermählte von den vielen Kleidern und Schnüren zu befreien. Ich fand die Szene so rührend, vor allem auch danach, nachdem er seine Frau aus den Kleidern herausgepellt hatte, folgte die Bettszene, dass ich auch diese unbedingt niederschreiben möchte, obwohl mich solche privaten Belange im Allgemeinen wenig interessieren, doch bei Büchern mache ich  mal eine Ausnahme:

Als er seine Hand über ihre Brust zum Bauch und dann, er entschied sich, es zu wagen, obwohl ihm war, als müsse er sich dafür entschuldigen, weiterhin abwandern ließ, tauchte die Mondscheibe bleich und geschlagen zwischen den Vorhängen auf, und er schämte sich, dass ihm ausgerechnet in diesem Moment klar wurde, wie man Messfehler der Planetenbahnen approximativ korrigieren konnte. Er hätte es gern notiert, aber jetzt kroch ihre Hand an seinem Rücken abwärts. So habe sie es sich nicht vorgestellt, sagte sie mit einer Mischung aus Schrecken und Neugier, so lebendig, als wäre ein drittes Wesen mit ihnen. Er wälzte sich auf sie, und weil er fühlte, dass sie erschrak, wartete er einen Moment, dann schlang sie ihre Beine um seinen Körper, doch er bat um Verzeihung, stand auf, stolperte zum Tisch, tauchte die Feder ein und schrieb (eine Formel), ohne Licht zu machen.

Kurze Zeit darauf gründete er eine Familie, es wurde ein Kind nach dem anderen geboren. Auch wenn er nicht gerade glücklich war mit der Familie, da, besonders der männliche Nachwuchs, nicht in Vaters Fußstapfen treten konnte. Gauß wünschte sich einen Sohn, mit dem er sich hätte wissenschaftlich austauschen können. Besonders Eugen machte ihm zu schaffen, der dichterische Fähigkeiten besaß. Dichtkunst sei keine Wissenschaft… .
Gauß ist zwar eine Größe auf seine Art, ausgestattet mit hoher Intelligenz, und doch ist er in meinen Augen nicht intelligent genug, um andere Begabungen als gleichwertig gelten zu lassen.

Ihm selbst habe Literatur ja nie viel gesagt. Bücher ohne Zahlen beunruhigten ihn. Im Theater habe er sich stets gelangweilt.

Dichter und Schriftsteller verglich Gauß eher mit Eseln, die es nie zu etwas bringen würden. Diese Leute erbten vielleicht ein wenig Geld und einen guten Namen, aber keine Intelligenz.
Als Gauß Professor wurde, stellte er so hohe Anforderungen, dass seine Studenten, mit einer einzigen Ausnahme, durch sämtliche Prüfungen durchgefallen sind.

Von allen Menschen, die er getroffen hatte, waren seine Studenten die dümmsten. Er sprach so langsam, dass er den Beginn des Satzes vergessen hatte, bevor er am Schluss war. Es nützte nichts. Er sparte alles Schwierige aus und beließ es bei den Anfangsgründen. Sie verstanden nicht. Am liebsten hätte er geweint. Er fragte sich, ob die Beschränkten ein spezielles Idiom hatten, dass man lernen konnte wie eine Fremdsprache. Er gestikuliert mit beiden Händen, zeigt auf seinen Mund und formte die Laute überdeutlich, als hätte er es mit Taubstummen zu tun.

Auch wenn dies eine trauriges Szene ist, so musste ich über diese doch in mich hinein lachen, aber mehr über den Professor Gauß, der mir wie eine lächerliche Figur vor Augen trat.
Von den menschlichen Leiden bleiben auch hohe Köpfe nicht verschont. Gauß bekommt höllische Zahnschmerzen und begibt sich in die Hände seines Barbiers, um sich den Zahn behandeln zu lassen. In der darauffolgenden Nacht nahmen die Schmerzen noch weiter zu, und Gauß stellte entsetzt fest, dass der Barbier den falschen Zahn gezogen hatte. Als Gauß sich am nächsten Morgen wieder dorthin wendete, gab der Barbier folgendes von sich:

Das komme vor, sagte der Barbier fröhlich. Schmerz strahle weit aus, aber die Natur sei klug, und der Mensch habe Zähne in Mengen (grins).

Gauß wünschte sich, hundert Jahre später geboren zu sein, denn bis dorthin wäre die Forschung schon recht fortgeschritten und man wisse, wie man Krankheiten behandeln müsse:

Zum Glück waren die Straßen frühmorgens noch leer. So sehe  niemand, wie er immer wieder stehen blieb, den Kopf gegen Hausmauern lehnte und schluchzte. Er hätte seine Seele dafür gegeben, in hundert Jahren zu leben, wenn es Mittel gegen den Schmerz geben würde und Ärzte, die diesen Namen verdienten. Dabei war es gar nicht schwer: Man brauchte bloß die Nerven am richtigen Ort zu betäuben, am besten mit kleinen Dosen von Gift. Das Curare musste besser erforscht werden!

Wie ich schon oben im Text erwähnte, kommen Gauß und Humboldt zusammen. Gemeinsam nehmen sie an einer nächtlichen Sitzung teil, die sich mit Geistheilung beschäftigt. Dem Buch ist ein ganzes Kapitel über Geister gewidmet. Man erfährt, dass Humboldt selbst schon mit Geistern Erfahrungen gemacht habe, aber man erfährt nicht, woraus sie bestanden. Humboldt zeigt sich empört darüber, wie diese Séance abgehalten wird:

Solch einem Medium gehöre das Handwerk gelegt, sagte Humboldt. So nähere man sich den Toten nicht. Ungebührlich sei es, dreist und vulgär! Er sei mit Geistern aufgewachsen und wisse, wie man sich ihnen gegenüber benehme.

Humboldt ist nicht der erste, der Geister gesehen hat, auch Goethe machte diese Erfahrung. Dennoch hätte es mich interessiert, in welcher Form Humboldt diese erlebte.
Ich komme nun zum Ende, und möchte nur noch einen Punkt einbringen, der die Verbindung zu beiden Wissenschaftlern schafft. Humboldt und Gauß, beide mittlerweile gealterte Wesen, vergleichen ihr Leben. Während der eine raus in die Welt ging, um die Welt zu messen und erfahrbar zu machen, blieb der andere drin, und stellte vom Zimmer aus seine Nachforschungen an. Beide fragen sich nun, was Wissenschaft sei, und wie man sie am besten betreibe? Dabei spiegeln sich beide gegenseitig mit versteckter Kritik ihre Lebensweise:

Projekte, schnaubte Gauß. Gerede, Pläne, Intrigen. Palaver mit den Fäusten und hundert Akademien, bis man irgendwo ein Barometer aufstellen dürfe. Das sei nicht Wissenschaft.
Ach, rief Humboldt, was sei Wissenschaft denn dann?
Ein Mann allein am Schreibtisch. Ein Blatt Papier vor sich, allenfalls noch ein Fernrohr, vor dem Fenster der klare Himmel. Wenn dieser Mann nicht aufgebe, bevor er verstehe. Das sei vielleicht Wissenschaft.
Und wenn dieser Man sich auf Reisen mache?
Gauß zuckte die Schultern. Was sich in der Ferne verstecke, in Löchern, Vulkanen oder Bergwerken, sei Zufall und unwichtig. Die Welt werde so nicht klarer.
Dieser Man am Schreibtisch, sagte Humboldt, brauche natürlich eine fürsorgliche Frau, die ihm die Füße wärme und Essen koche, sowie folgsame Kinder, die seine Instrumente putzten, und Eltern, die ihn wie ein Kind versorgten. Und ein sicheres Haus mit gutem Dach gegen den Regen. Und eine Mütze, damit ihm nie die Ohren schmerzten.

Mich hat diese Konversation auch recht amüsiert.

Humboldt reflektiert später nochmals sein Leben und tauscht sich mit einem anderen Wissenschaftler aus, so ist er es, der verglichen mit Gauß an Weisheit gewonnen hat. Dazu bringe ich nun  ein Abschlusszitat:

Fakten und Zahlen, sagte er mit unsicherer Stimme, die könnten einen vielleicht retten. Bedenke zum Beispiel, dass sie dreiundzwanzig Wochen unterwegs gewesen seien, vierzehntausendfünfhundert Werft zurückgelegt und sechshundertachtundvierzig Poststationen aufgesucht hätten und, er zögerte, zwölftausendzweihundertvierundzwanzig Pferde benutzt, so ordne sich die Wirrnis zu Begreiflichkeit, und man fasste Mut. Aber während sie die ersten Vororte Berlins vorbeiflogen und Humboldt sich vorstellte, wie Gauß eben jetzt durch ein Teleskop auf Himmelskörper sah, deren Bahnen er in einfachen Formeln fassen konnte, hätte er auf einmal nicht mehr sagen können, wer von ihnen weit herum gekommen war und wer immer zu Hause geblieben.

Natürlich gibt es noch mehr aus dem Buch zu holen, z.B. galt Humbldt als Verräter seiner Nation, da er Paris als seine Heimat begriff und nicht Berlin und auch nicht  Preußen.
Und  dass er einen stark verwilderten Hund aufgenommen hatte, den er sehr liebte, habe ich auch nicht erwähnt, u.a.m… .

Da ich dem Autor, Daniel Kehlmann, diese wunderbaren Zitate zu verdanken habe, die auch recht authentisch auf mich wirken, so gehe ich davon aus, dass Kehlmann gründlich über diese beiden Mathematikern recherchiert hat. Wie sonst hätte er ein solches Buch zu solch großen Berühmtheiten schreiben können?
Der ganze Aufbau des Buches ist ihm gut gelungen, und keineswegs trocken geschrieben, so dass auch NichtmathematikerInnen gut in das Leben dieser beiden Menschen hineinfinden können. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und kann es jedem weiter empfehlen.
Schon auf den ersten Seiten wird deutlich, wie schwer es Gauß fällt, sich zu einer wissenschaftlichen Veranstaltung zu begeben, die fern von seinem Wohnort stattfinden soll.

Ich bin eine Nichtmathematikerin, nach Gauß trotz Studium eine Eselin (grins), und hätte Kehlmann das Buch nicht so interessant geschrieben, so wäre mir Gauß völlig unbekannt geblieben. Alexander von Humboldt wäre für mich nicht mehr als ein Mathematiker von vielen anderen Mathematikern. Alexander von Humboldt, der die Universität in Berlin gegründet hat. Ha, Irrtum, spätestens jetzt ist dieses Missverständnis aufgeklärt worden, wie ich oben schon auf den ersten Seiten erwähnt habe.

Alexander von Humboldt hat nun durch das Lesen dieses Buches für mich ein Gesicht erhalten.

__________________
„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2012: 83
Gelesene Bücher 2011: 86

Montag, 19. November 2012

Zu meinem Leben rund um meine Bücher 

Ein paar autobiografische Fakten

Ein paar Zeilen über meine Herkunft und über das Leben mit meinen Büchern 

Da dies ein privater Blog ist, stelle ich mich mit dem Vornamen vor, für die, die mich nicht persönlich kennen. Mein Name ist Mirella; ich werde oft auch mit Mira abgekürzt, beide Anreden sind o.k., da Mira sowieso die Kurzform von Mir(ell)a ist.

Ich bin gebürtige Darmstädterin, aber in Riedstadt-Goddelau habe ich meine Kindheit und Jugend zugebracht. Ich bin außerdem bilingual aufgewachsen, deutsch und italienisch, ich besitze auch zwei Pässe, aber meine dominante Sprache, die sich bei mir durchgesetzt hat, ist die deutsche, so wie auch meine Identität die deutsche ist, wenn auch tief in meinem Inneren ich mich als einen Weltmenschen begreife. Dadurch, dass ich meine Gedanken in deutscher Sprache denke, und nachts in deutscher Sprache träume, bezeichne ich mich auch unbewussst als Deutsche ... Und meine Wurzeln? Na, ganz einfach. Wenn ich mein ganzes Leben in Deutschland zugebracht habe, dann versteht sich das für mich von selbst, dass ich meine Wurzeln in Deutschland geschlagen habe. Dies führt bei kulturunreflektierten Leuten oftmals zu Irritationen, da sie noch immer im Glauben sind, die nationale Identitätsentwicklung würde genetisch gesteuert werden. Außerdem ist die Identitätsentwicklung kein abgeschlossener Prozess, ist bis zum Tod immerzu wandelbar ... Und für meine Taten, für meine Gedanken und Gefühle sind keine Gene, sondern für diese bin ich ganz alleine selbst verantwortlich.


Heimat ist da, wo man die Kindheit verbracht hat.
(Daniel Kehlmann)

Meiner bikulturellen Herkunft habe ich es jedoch zu verdanken, dass ich z.B. auch in der Literatur auf breitem, internationalem Gebiet kundig bin, was aber nicht heißen soll, dass andere Menschen, die aus einer Monokultur kommen, dazu nicht auch in der Lage wären. Aber die meisten Leute, die ich kenne, lesen hauptsächlich Bücher aus Deutschland, England, Frankreich, Amerika und aus dem hohen europäischen Norden...  Und viele andere beschränken sich hauptsächlich auf deutsche Autor*innen.


Angefangen zu lesen habe ich, wie fast jedes andere Kind auch, in meiner Grundschulzeit und ich suchte regelmäßig unsere Jugendbibliothek auf, die es in Goddelau damals noch gab. Eigentlich hatte mein Interesse zu Büchern schon im Kindergartenalter begonnen, indem ich selber kreativ mit Stift und Papier Bücher herstellte. Außerdem hatte ich die Buchstaben in dem fiktiven Buch eher erfunden, wie mir viele Jahre später meine damalige Erzieherin mitgeteilt hat. 

Ich war eine richtige Leseratte und ich verbrachte jede freie Minute mit meinen Büchern. Ich bevorzugte Bücher statt Spielgefährten. Nach Einschätzung meiner Eltern, die es wohl nur gut mit mir meinten, las ich zu viel, sodass man mir die Bücher wegnahm, um mich aus meiner Isolation zu befreien, mit der Konsequenz, dass ich nun erst recht begann, alles zu lesen, was ich nur in meine Hände kriegen konnte ... Auch Unsinniges wie z.B. Marmeladengläser. 

Aber lange konnten auch meine Eltern mein verhängtes Leseverbot nicht durchhalten ...

Wundervolle Erinnerungen habe ich auch mit Comics. Meine Geschwister und ich haben sie so geliebt. Häufig brachte unsere Mutter uns nach der Arbeit jedem von uns aus dem Schreibwarengeschäft ein Comic-Heft mit, das wir untereinander ausgewechselt haben, sodass wir in den dreifachen Genuss kamen, da wir zu dritt waren. Was für eine Gaudi. (In unserer Ortschaft gab es und gibt es noch immer keine Buchhandlung). Geprägt haben mich alle Figuren, vor allem der alte Geizhals Dagobert Duck, der seine Kopfsprünge im Geld tätigte und darin baden konnte. ich möchte alle nochmal aufschreiben, unsortiert. Mal schauen, welche Figuren mir von den wichtigsten noch kommen: Tick, Trick und Track. Goofy, Die Panzerknacker, Donald Duck, Mickey Maus, Daisy Duck. Snoopy, Fix und Foxy, Daniel Düsentrieb. Die heftigste Nummer war für mich Dagobert DuckSo wie der wollte ich z. B. nie werden. Und tatsächlich lebte ich als Kind und Jugendliche großzügig. Meine Mutter machte sich um mich Sorgen und bläute mir ein, wenn ich mein Verhalten nicht ändern würde, würde ich es nie zu Geld bringen ... Und tatsächlich, ich lebe bescheiden, Luxusgüter haben mich nie sonderlich angelockt. 


Angeblich zählt diese Art von Literatur nicht zur hohen Literatur. Für mich nicht. Sie hat mich nicht verdorben, denn ich konnte aus jeder Figur für mich Brauchbares herausziehen. 

Wer mich noch aus meiner Jugend nachhaltig geprägt und mir Weichen für mein späteres Leben gelegt hatte, das war ganz besonders der alte Klassiker von Charles Dickens.


Bildquelle: Wikipedia

Auch wenn Dickens manchmal, nun aus der Sicht einer Erwachsenen, schnulzig schreibt, liebe ich ihn wegen seiner Feinfühligkeit und dadurch wegen seiner Menschlichkeit dennoch sehr, obwohl ich mittlerweile wie aus einem beengten Kleidungsstück aus Dickens rausgewachsen bin. Ich merke, als ich jüngst seine Weihnachtsgeschichten mit meiner Lesefreundin Anne gelesen habe, dass ich nicht mehr in dieses Kleid passe und meine Euphorie dadurch deutlich nachgelassen hat. Weil die reale Welt draußen zu facettenreich ist, zu komplex .... Bei Dickens ist die Welt so geordnet. Hier die Guten und da die Bösen, und am Ende hat häufig die Gerechtigkeit gesiegt. Anders als im wirklichen Leben. 

Bildquelle: Pixabay

Aber als Kind hat er mir geholfen, mich zu orientieren. Ein Gefühl zu entwickeln für die menschlichen Nöte ... Würde das Schicksal bei mir einschlagen und mir wie ein Dämon alle Bücher rauben wollen, dieser aber dennoch so gnädig wäre, mir die Wahl zu lassen, einen Autor behalten zu dürfen, so leid wie es mir für die vielen anderen Autor*innen meiner Lieblinge ginge, es wäre aber Charles Dickens, den ich retten würde, wenn dieser Dämon tatsächlich unbesiegbar für mich wäre. Er ganz besonders hat in meiner Seele Wurzeln geschlagen. 

Charles Dickens war mein Vorbild / Kindheitsprägungen

Viele meiner Mitmenschen bezeichnen mich heute als sehr empathisch. Dies, so glaube ich, habe ich ausschließlich ihm zu verdanken, da ich meine Kindheit in einer recht kühlen Welt zugebracht hatte, wo es mir an warmen Vorbildern gefehlt hat. In der Schule gab es eine Lehrerin, die uns zu lehren versucht hatte, dass man Bettlern kein Geld geben dürfe, da sie Armut nur vortäuschen würden. Zu Hause ähnliches Bild Menschen gegenüber, die in der Gesellschaft als Versager gelten.

Meine Mutter erzählte mir, dass sie mir, als ich zehn Jahre alt war, eine kleine Tüte mit gesparten Münzen geschenkt hatte. Ich sollte raus gegangen sein, und hätte die Tüte einem Obdachlosen überreicht, worüber sie ziemlich erbost war. Schade, dass ich mich an diese Szene gar nicht erinnern kann. Nur mein Vater fand meine weiche Art toll, die ich nach außen hin häufig verborgen hielt.

Tränen sind mir gekullert, wenn ich  Dickens gelesen habe, und auch die Verfilmungen hatten mich innerlich tief berührt. 

In meiner Sammlung fehlt mir noch der Kinderklassiker Oliver Twist, mit dem nun mal bei mir mit Dickens alles begann. Ich habe mich nicht beeilt, ihn mir nachträglich anzuschaffen, da es ihn bei vielen Verlagen nachzukaufen gibt. Ein paar andere Werke konnte ich aber von meiner Jugend in mein erwachsenes Leben hinüberretten. Aber viele andere habe ich später völlig neu entdeckt.




In meinem Regal sehen meine Dickens`recht bescheiden aus. 


Demnach war mein Leben schon immer von Büchern und anderer Art von Literatur umgeben. Habe heute in der Buchhandlung Kinderbücher 
gefunden, Kinderklassiker, die jeweils haargenau dasselbe Cover tragen wie damals die Bücher zu meiner Zeit. Mein Herz ging auf und ich musste zugreifen. Zum Andenken, zum Wiedererinnern. Büchererlebnisse frühester Zeit, während es bei den ersten Buchbänden die Abbildungen sind, die Erinnerungen in mir wachrufen ... 

Mit Beginn meines Studiums der Erziehungswissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt Main hörte ich allerdings auf, belletristische Bücher zu lesen. Ich begann nur noch Fachbücher zu lesen, was sich auch noch nach meinem Studium fortgesetzt hatte. Diese humanwissenschaftliche Literatur aus verschiedenen Fachrichtungen wie z. B. der Psychologie, Pädagogik, Soziologie und Empirie fand ich faszinierend, die ich so schnell nicht wieder verlassen wollte. Ich war massiv wissenshungrig, war faustisch geprägt ... Erst zehn Jahre nach meinem Studium, habe ich begonnen, erneut Belletristik zu lesen. Und mittlerweile lese ich beide Formen von Literatur, wenn auch die Belletristik gerade überwiegt, da ich beruflich schon viel mit Fachliteratur eingedeckt bin.

Ich lese Bücher querbeet aus vielen Bereichen. Außer die Genres Krimi, Science Fiction und Liebesromane lasse ich aus. Ich informiere mich über ein Buch durch Literaturforen und durch Magazine und Kulturradio, aber ich befinde mich auch oft auf Entdeckungsreisen.

Habe schon an verschiedenen Literaturrätseln im Sonntagsradio erfolgreich teilgenommen, nur gewonnen habe ich bisher noch nichts. Das Los fiel immer auf einen anderen Erfolgreichen :).


Meine Lieblingsbuchhandlung ist die Bahnhofsbuchhandlung in Frankfurt/Main, die ziemlich gut sortiert ist. In Darmstadt habe ich gerne den Restseller-Laden Jokers besucht.  

Nachtrag 25.01.2021: Leider musste der Buchladen Jokers vor mehreren Jahren schließen. Das was sehr schmerzvoll für mich. 

Ich führe ein recht ruhiges und unspektakuläres Leben, zurückgezogen, wie damals in meiner Kindheit. Mein Beruf, meine Bücher, meine Katzen und das Musizieren auf meinen Flöten sind mir Abenteuer genug. Treffe mich mit ein paar wenigen Freunden und mit Familie.


Viele Grüße aus Darmstadt 

Mirella Pagnozzi


Freitag, 16. November 2012

Daniel Kehlmann / Die Vermessung der Welt

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 


Das Buch, das ich letztes Wochenende ausgelesen habe, hat mir recht gut gefallen. Leider bin ich krank geworden, so dass ich fast eine ganze Woche aus gesundheitlichen Gründen nicht dazu gekommen bin, mir meine Gedanken zu dem Buch aufzuschreiben..

Das Buch liest sich recht gut, an manchen Stellen humoristisch. Erzählt wird im Wechsel über das Leben Gauß` und Humboldts, erst auf den ca. letzten einhundertfünfzig Seiten kommen beide Wissenschaftler zusammen, die sich mir als zwei Gegensätze erweisen.

Gauß, Mathematiker und Astronom, ist jemand, der der Wissenschaft den höchsten Respekt zollt, während er die Beschäftigung anderer Fakultäten für vertane Zeit hält. Er betrachtet die Welt von seiner Studierstube aus, in der er alles, was er unter die Lupe nimmt, in Zahlen und Statistiken verwandelt.
Doch dazu später mehr.

Interessant fand ich die Kindheit von den Humboldts. Alexanders Bruder, der ältere, hatte ihn nicht grad liebevoll behandelt, gewisse Handlungen grenzten schon an Mobbing.
Die Kinder waren Halbwaisen und die Mutter wandte sich bei Erziehungsfragen ausschließlich an den großen Johann Wolfgang von Goethe.

Alexander von Humboldt wurde in Berlin 1769 geboren. Zwanzig Jahre später als Goethe.
Goethe, der Multitalent, galt damals sogar auch als Erziehungsberater.

Ein Multitalent war aber auch Alexanders Bruder, der im Alter von dreizehn Jahren schon zwei Fremdsprachen beherrschte und mit siebzehn sieben. Darunter befanden sich auch Sprachen aus dem nichteuropäischen Raum. (Im Studium studierte er auch Sinologie) und war hauptsächlich der Sprachen und Dichtung zugewandt.
In Berlin eröffnete der Bruder später die Humboldt-Universität.

Alexander von Humboldt selbst war bekannt für seine Expeditionen in den Tropen, bereiste die Welt, und bestieg die höchsten Berge. (Mit einem Sextanten ausgerüstet, um jeden Stein, jeden Felsen, Pflanze etc. auszumessen. Kann ich mir bildlich sehr gut vorstellen).
Frau von Humboldt konnte sich mit ihren beiden Söhnen glücklich schätzen, die eine große Bereicherung waren für die Familie Humboldt.
Alexander von Humboldt zeigte schon recht früh großes botanisches Interesse und erwähnte einem Bekannten gegenüber, dass er nun wissen würde, womit er sich befassen wolle. Und zwar mit dem Leben.
Daraufhin die Reaktion des Bekannten, die mich zum Schmunzeln brachte:

Das könne er nicht billigen, (…). Man habe auf der Welt andere Aufgaben, als einfach nur da zu sein. Leben allein, das sei kein Inhalt einer Existenz.

Der große Mathematiker ging als erwachsener Mann auch keine Eheschließung und auch keine sonstige Bindungen mit Frauen ein, denn

Man heirate nur, wenn man nichts Wesentliches im Leben vorhabe.

Wenn ich zwischen diesen beiden Männern wählen müsste, Gauß oder Humboldt, so würde ich mich für Humboldt entscheiden. Er zeigte großes menschliches Verständnis und Interesse. Ich erlebte ihn beim Lesen als sehr tolerant, und als recht tierlieb.
In Neuspanien verfolgte er mit, als Menschen versteigert wurden. Humboldt kaufte drei Sklaven und entließ sie daraufhin in die Freiheit.
Sklavenhandel empfand er mit eines der widerlichsten Wissenschaften, die ein Mensch nur begehen konnte. Er war seiner Zeit schon sehr weit voraus.
Auf seinen Reisen in den Tropen bekommt er es mit nackten und bemalten Menschen zu tun.
Daraufhin trifft er einen kastilischen Adligen mit seiner Frau und Tochter. Humboldt wundert sich über seine Lebens- und Wohnart und fragt, wo er denn kein Haus habe? Dieser antwortete ihm, dass die Welt sein Haus sei.

Und nun folgt erneut eine Stelle, die mich so sehr zum Schmunzeln brachte:

Humboldt verbeugte sich vor seiner  nackten Frau und seiner nackten Tochter und wusste nicht, wo er hinsehen sollte.

Ein paar Seiten später nimmt man teil an der Verwunderung Humboldts, dass er nicht wusste, dass Frauen an so vielen Körperstellen so stark behaart seien. (grins).
Seine Erkenntnisse und Betrachtungsweisen zu den Pflanzen aus den Tropen haben mich auch sehr fasziniert und ich diesen Gedanken hier auch festhalten möchte, da ich die Pflanzen so noch gar nicht betrachtet hatte. Der Erzähler gibt diese wieder:

Pflanzen besäßen keine Innerlichkeit, nichts verstecktes, alles an ihnen sei außen. Ausgesetzt und wenig geschützt, an die Erde und deren Bedingungen gefesselt, lebten sie doch und überdauerten. Vegetation, das sei die offen liegende, die in stumme Reglosigkeit aufgefaltete Spielart des Lebens. Insekten hingegen und Tiere und Menschen seien geschützt und gepanzert. Die konstante Temperatur ihres Inneren setzen sie in Stand, wechselnde Bedingungen zu ertragen. Wer ein Tier ansehe, wissen noch nichts, während das Gewächs dem Blick sein Wesen offenbare.

Humboldt spricht von seinen Theorien als befände er sich in Meditation:

So steigerte das Leben durch Stadien wachsender Verbergung seiner Organisation, bis es jenen Sprung mache, den man getrost den weitestmöglichen nennen könne: den Blitzschlag der Vernunft. Hin zu ihm findet keine Entwicklung in Graden statt. Die zweitgrößte Beleidigung des Menschen sei die Sklaverei. Die größte jedoch die Idee, er stamme vom Affen ab. 

Ein Gedanke, an den ich mich gewöhnen muss, von einem Wissenschaftler zu hören, dass es ein Irrtum sei, dass der Mensch von einem Affen abstamme.
Humboldt zeigte sich optimistisch, was die Zukunft betrifft, bezogen auf die Welt, die, wenn alle Rätsel des Lebens durch die Wissenschaft gelöst wären, der kosmische Mensch Einheit und Frieden erfahren werde, frei von Ängsten, Kriegen und Ausbeutung. (Leider haben wir diesen Zustand heute, nach mehr als zweihundert Jahren, noch lange nicht erreicht).
Im nächsten Zitat wird sein Optimismus auch in der Überwindung des Todes deutlich:

Die Wissenschaft werde ein Zeitalter der Wohlfahrt herbeiführen, und wer könne wissen, ob sie nicht eines Tages sogar das Problem des Todes lösen werde.

Gefallen hat mir der Begrifft Zeitalter der Wohlfahrt, der ja so falsch gar nicht ist, allerdings trifft er mehr in Ländern zu, die weniger von Armut und Kriegen betroffen sind.

Ich wende mich nun dem Mathematiker und Astronomen Carl Friedrich Gauß zu, der 1777 in Braunschweig geboren wurde. Er war demnach acht  Jahre jünger als Alexander von Humboldt und hoffe am Schluss nochmals eine Verbindung zu beiden  Persönlichkeiten herstellen zu können.
Gauß war ein recht ehrgeiziger Schüler, wenn auch seine Leistungen nicht zu den besten zählten. Doch ein Lehrer sah ihm seine Begabungen an. Es war ausgerechnet ein Lehrer, der nicht über eine abgeschlossene  Lehrerausbildung verfügte. Doch gerade dieser Lehrer hatte ein richtiges Gespür und setze sich für den Jungen ein, ein Gymnasium zu besuchen..
Obwohl Gauß die Mathematik nicht so beherrschte wie er sollte, erkannte er aber das Prinzip und die dahinterliegende Bedeutung der Zahlen. Interessant fand ich auch die Vorstellung, dass, wann Gauß immer unter Stress stand, er sich einige Primzahlen aufsagte. Er kannte über hundert Primzahlen.
Verglichen zu Humboldt ging Gauß eine Paarverbindung ein und vermählte sich mit Johanna. Die Hochzeitsnacht glückte allerdings nicht, da der denkende Kopf sich zu sehr mit Zahlen beschäftigte. Erst benötigte Gauß viel Mühe und Anstrengung, seine Vermählte von den vielen Kleidern und Schnüren zu befreien. Ich fand die Szene so rührend, vor allem auch danach, nachdem er seine Frau aus den Kleidern herausgepellt hatte, folgte die Bettszene, dass ich auch diese unbedingt niederschreiben möchte, obwohl mich solche privaten Belange im Allgemeinen wenig interessieren, doch bei Büchern mache ich  mal eine Ausnahme:

Als er seine Hand über ihre Brust zum Bauch und dann, er entschied sich, es zu wagen, obwohl ihm war, als müsse er sich dafür entschuldigen, weiterhin abwandern ließ, tauchte die Mondscheibe bleich und geschlagen zwischen den Vorhängen auf, und er schämte sich, dass ihm ausgerechnet in diesem Moment klar wurde, wie man Messfehler der Planetenbahnen approximativ korrigieren konnte. Er hätte es gern notiert, aber jetzt kroch ihre Hand an seinem Rücken abwärts. So habe sie es sich nicht vorgestellt, sagte sie mit einer Mischung aus Schrecken und Neugier, so lebendig, als wäre ein drittes Wesen mit ihnen. Er wälzte sich auf sie, und weil er fühlte, dass sie erschrak, wartete er einen Moment, dann schlang sie ihre Beine um seinen Körper, doch er bat um Verzeihung, stand auf, stolperte zum Tisch, tauchte die Feder ein und schrieb (eine Formel), ohne Licht zu machen.

Kurze Zeit darauf gründete er eine Familie, es wurde ein Kind nach dem anderen geboren. Auch wenn er nicht gerade glücklich war mit der Familie, da, besonders der männliche Nachwuchs, nicht in Vaters Fußstapfen treten konnte. Gauß wünschte sich einen Sohn, mit dem er sich hätte wissenschaftlich austauschen können. Besonders Eugen machte ihm zu schaffen, der dichterische Fähigkeiten besaß. Dichtkunst sei keine Wissenschaft… .
Gauß ist zwar eine Größe auf seine Art, ausgestattet mit hoher Intelligenz, und doch ist er in meinen Augen nicht intelligent genug, um andere Begabungen als gleichwertig gelten zu lassen.

Ihm selbst habe Literatur ja nie viel gesagt. Bücher ohne Zahlen beunruhigten ihn. Im Theater habe er sich stets gelangweilt.

Dichter und Schriftsteller verglich Gauß eher mit Eseln, die es nie zu etwas bringen würden. Diese Leute erbten vielleicht ein wenig Geld und einen guten Namen, aber keine Intelligenz.
Als Gauß Professor wurde, stellte er so hohe Anforderungen, dass seine Studenten, mit einer einzigen Ausnahme, durch sämtliche Prüfungen durchgefallen sind.

Von allen Menschen, die er getroffen hatte, waren seine Studenten die dümmsten. Er sprach so langsam, dass er den Beginn des Satzes vergessen hatte, bevor er am Schluss war. Es nützte nichts. Er sparte alles Schwierige aus und beließ es bei den Anfangsgründen. Sie verstanden nicht. Am liebsten hätte er geweint. Er fragte sich, ob die Beschränkten ein spezielles Idiom hatten, dass man lernen konnte wie eine Fremdsprache. Er gestikuliert mit beiden Händen, zeigt auf seinen Mund und formte die Laute überdeutlich, als hätte er es mit Taubstummen zu tun.

Auch wenn dies eine trauriges Szene ist, so musste ich über diese doch in mich hinein lachen, aber mehr über den Professor Gauß, der mir wie eine lächerliche Figur vor Augen trat.
Von den menschlichen Leiden bleiben auch hohe Köpfe nicht verschont. Gauß bekommt höllische Zahnschmerzen und begibt sich in die Hände seines Barbiers, um sich den Zahn behandeln zu lassen. In der darauffolgenden Nacht nahmen die Schmerzen noch weiter zu, und Gauß stellte entsetzt fest, dass der Barbier den falschen Zahn gezogen hatte. Als Gauß sich am nächsten Morgen wieder dorthin wendete, gab der Barbier folgendes von sich:

Das komme vor, sagte der Barbier fröhlich. Schmerz strahle weit aus, aber die Natur sei klug, und der Mensch habe Zähne in Mengen (grins).

Gauß wünschte sich, hundert Jahre später geboren zu sein, denn bis dorthin wäre die Forschung schon recht fortgeschritten und man wisse, wie man Krankheiten behandeln müsse:

Zum Glück waren die Straßen frühmorgens noch leer. So sehe  niemand, wie er immer wieder stehen blieb, den Kopf gegen Hausmauern lehnte und schluchzte. Er hätte seine Seele dafür gegeben, in hundert Jahren zu leben, wenn es Mittel gegen den Schmerz geben würde und Ärzte, die diesen Namen verdienten. Dabei war es gar nicht schwer: Man brauchte bloß die Nerven am richtigen Ort zu betäuben, am besten mit kleinen Dosen von Gift. Das Curare musste besser erforscht werden!

Wie ich schon oben im Text erwähnte, kommen Gauß und Humboldt zusammen. Gemeinsam nehmen sie an einer nächtlichen Sitzung teil, die sich mit Geistheilung beschäftigt. Dem Buch ist ein ganzes Kapitel über Geister gewidmet. Man erfährt, dass Humboldt selbst schon mit Geistern Erfahrungen gemacht habe, aber man erfährt nicht, woraus sie bestanden. Humboldt zeigt sich empört darüber, wie diese Séance abgehalten wird:

Solch einem Medium gehöre das Handwerk gelegt, sagte Humboldt. So nähere man sich den Toten nicht. Ungebührlich sei es, dreist und vulgär! Er sei mit Geistern aufgewachsen und wisse, wie man sich ihnen gegenüber benehme.

Humboldt ist nicht der erste, der Geister gesehen hat, auch Goethe machte diese Erfahrung. Dennoch hätte es mich interessiert, in welcher Form Humboldt diese erlebte.
Ich komme nun zum Ende, und möchte nur noch einen Punkt einbringen, der die Verbindung zu beiden Wissenschaftlern schafft. Humboldt und Gauß, beide mittlerweile gealterte Wesen, vergleichen ihr Leben. Während der eine raus in die Welt ging, um die Welt zu messen und erfahrbar zu machen, blieb der andere drin, und stellte vom Zimmer aus seine Nachforschungen an. Beide fragen sich nun, was Wissenschaft sei, und wie man sie am besten betreibe? Dabei spiegeln sich beide gegenseitig mit versteckter Kritik ihre Lebensweise:

Projekte, schnaubte Gauß. Gerede, Pläne, Intrigen. Palaver mit den Fäusten und hundert Akademien, bis man irgendwo ein Barometer aufstellen dürfe. Das sei nicht Wissenschaft.
Ach, rief Humboldt, was sei Wissenschaft denn dann?
Ein Mann allein am Schreibtisch. Ein Blatt Papier vor sich, allenfalls noch ein Fernrohr, vor dem Fenster der klare Himmel. Wenn dieser Mann nicht aufgebe, bevor er verstehe. Das sei vielleicht Wissenschaft.
Und wenn dieser Man sich auf Reisen mache?
Gauß zuckte die Schultern. Was sich in der Ferne verstecke, in Löchern, Vulkanen oder Bergwerken, sei Zufall und unwichtig. Die Welt werde so nicht klarer.
Dieser Man am Schreibtisch, sagte Humboldt, brauche natürlich eine fürsorgliche Frau, die ihm die Füße wärme und Essen koche, sowie folgsame Kinder, die seine Instrumente putzten, und Eltern, die ihn wie ein Kind versorgten. Und ein sicheres Haus mit gutem Dach gegen den Regen. Und eine Mütze, damit ihm nie die Ohren schmerzten.

Mich hat diese Konversation auch recht amüsiert.

Humboldt reflektiert später nochmals sein Leben und tauscht sich mit einem anderen Wissenschaftler aus, so ist er es, der verglichen mit Gauß an Weisheit gewonnen hat. Dazu bringe ich nun  ein Abschlusszitat:

Fakten und Zahlen, sagte er mit unsicherer Stimme, die könnten einen vielleicht retten. Bedenke zum Beispiel, dass sie dreiundzwanzig Wochen unterwegs gewesen seien, vierzehntausendfünfhundert Werft zurückgelegt und sechshundertachtundvierzig Poststationen aufgesucht hätten und, er zögerte, zwölftausendzweihundertvierundzwanzig Pferde benutzt, so ordne sich die Wirrnis zu Begreiflichkeit, und man fasste Mut. Aber während sie die ersten Vororte Berlins vorbeiflogen und Humboldt sich vorstellte, wie Gauß eben jetzt durch ein Teleskop auf Himmelskörper sah, deren Bahnen er in einfachen Formeln fassen konnte, hätte er auf einmal nicht mehr sagen können, wer von ihnen weit herum gekommen war und wer immer zu Hause geblieben.

Natürlich gibt es noch mehr aus dem Buch zu holen, z.B. galt Humbldt als Verräter seiner Nation, da er Paris als seine Heimat begriff und nicht Berlin und auch nicht  Preußen.
Und  dass er einen stark verwilderten Hund aufgenommen hatte, den er sehr liebte, habe ich auch nicht erwähnt, u.a.m… .

Da ich dem Autor, Daniel Kehlmann, diese wunderbaren Zitate zu verdanken habe, die auch recht authentisch auf mich wirken, so gehe ich davon aus, dass Kehlmann gründlich über diese beiden Mathematikern recherchiert hat. Wie sonst hätte er ein solches Buch zu solch großen Berühmtheiten schreiben können?
Der ganze Aufbau des Buches ist ihm gut gelungen, und keineswegs trocken geschrieben, so dass auch NichtmathematikerInnen gut in das Leben dieser beiden Menschen hineinfinden können. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und kann es jedem weiter empfehlen.
Schon auf den ersten Seiten wird deutlich, wie schwer es Gauß fällt, sich zu einer wissenschaftlichen Veranstaltung zu begeben, die fern von seinem Wohnort stattfinden soll.

Ich bin eine Nichtmathematikerin, nach Gauß trotz Studium eine Eselin (grins), und hätte Kehlmann das Buch nicht so interessant geschrieben, so wäre mir Gauß völlig unbekannt geblieben. Alexander von Humboldt wäre für mich nicht mehr als ein Mathematiker von vielen anderen Mathematikern. Alexander von Humboldt, der die Universität in Berlin gegründet hat. Ha, Irrtum, spätestens jetzt ist dieses Missverständnis aufgeklärt worden, wie ich oben schon auf den ersten Seiten erwähnt habe.

Alexander von Humboldt hat nun durch das Lesen dieses Buches für mich ein Gesicht erhalten.

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

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Donnerstag, 15. November 2012

Javier Mariás / Die Reise über den Horizont (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Der literarische Ausdrucksstil hat mich durchaus befriedigt, so dass ich für mich sagen kann, dass der Autor gute Literatur schreibt. 

Was den Inhalt betrifft, so denke ich, da können wohl Männer besser mitreden als ich als Frau, denn in dem Buch treten Frauen eher als Nebenfiguren auf.

Der Roman spricht von einer Expedition auf dem Meer. Es wird eine geschlossene Gesellschaft gegründet, um auf einem großen Seegelschiff eine gemeinsame Reise zu starten, mehr in Richtung Abenteuer. Es finden sich hauptsächlich Künstler ein, ein Romancier, ein Pianist, eine Cellistin etc. Auf dem Schiff kommt es zu größereren Auseinandersetzungen, wo sich zwei Männer duellieren, nur weil der eine, namens Victor Arledge - der Romancier, einen Mitreisenden, den Dichter Mr. Meffre, höflich gebeten hatte, seinen Platz für ihn und seine Leute freizumachen, weil das, was er mit seinen Bekannten zu bereden habe, nicht für alle Ohren bestimmt sei. Der Dichter dachte nicht daran, ihnen seinen Platz zur Verfügung zu stellen. Zum einen, weil er neugierig auf dem Gesprächsinhalt war und zum anderen, weil an der Gesprächsgruppe eine Frau beteiligt war, für die er stilles Interesse empfand. Nun kam es zu keiner Einigung zwischen diesen beiden Männern. Nun, wie wurde das Problem gelöst? Sie duellierten sich, zumal noch Mr. Meffre wusste, dass Arledge ein Meister in der Anwendung von Pistolen sei. Obwohl eine Frau zu schlichten versuchte, ließen sich diese beiden Pseudohelden von ihrem Vorhaben nicht abbringen. 

Und auch hier, bei diesem Duell, bewies unser Meister sein Können. Der Dichter verlor, wurde getötet. Doch sein Sterben wurde eher als harmlos berichtet, in der Form, dass der Getötete gar keine Zeit mehr hatte, zu begreifen, dass er an der Stirn getroffen wurde. Dadurch wurde dieser Mord auch irgendwie bagatellisiert. Ist es wert, sein Leben zu opfern, nur weil niemand von den beiden Herren nachgeben konnte? 

Was mich aber an dieser Szene noch beschäftigt hatte, ist, als der Leichnam quasi ins Meer geworfen wurde und man eine menschliche Existenz so einfach auflösen konnte. Kaum befand sich der Getötete noch auf dem Schiff in der Gesellschaft von Menschen, so verschwand er in den Tiefen der Meere und ward nicht mehr gesehen. Ein Leben wurde so schnell ausgelöscht und ebenso schnell aus dem Blickfeld beseitigt. Auch für mich so sehr absurd... .

In dem Buch gibt es noch andere merkwürdige Figuren: Ein Betrunkener, Mr. Kerrigan, stolpert über einen Liegestuhl, auf dem eine Cellistin saß, und warf die Frau um. Kerrigan reagierte wutentbrannt, nachdem er sich von seinem Sturz wieder erhoben hatte, griff der Cellistin um die Hüfte und warf sie über Bord.

Gibt es diese Szenen wirklich, oder hat der Autor auch hier viel zu dick aufgetragen, um seinem Spannung zu verleihen? Mich hat diese Art von gekünstelter Spannung eher gelangweilt.

Mr. Kerrigan ist eigentlich die Hauptfigur dieses Romans. Ein reicher Mann um die vierzig, der seinen Reichtum allerdings nicht durch Fleiss und Arbeit erworben hatte, sondern durch Betrügereien... . Dass es solche Subjekte gibt, das wage ich nicht zu bezweifeln, und trotzdem stimmten mich gewisse Szenen einfach kritisch. 

Hier mache ich nun Schluss. Ich gebe mich mit diesen zwei Szenen zufrieden. Mich hat irgendwie keine Figur wirklich fasziniert oder mir gar imponiert... .

Normal finde ich in Büchern immer gewisse Helden, die mir als Vorbild dienen. Hier befand sich niemand darunter. 

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„Musik ist eine Weltsprache“ 
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Montag, 12. November 2012

Javier Marías / Die Reise über den Horizont



 Verlag Klett - Cotta
Jubiläumsausgabe 2002
204 Seiten
ISBN: 978-3-608-93239-3
18,00 €

Ist ein Restseller und war bei Jokers  für nur 4,99 € zu erwerben.

Klappentext

Wie die großen Abenteuerromane des ausgehenden 19. Jahrhunderts, als deren Hommage »Die Reise über den Horizont« zu verstehen ist, hat auch dieser Roman als roten Faden die Geschichte einer Expedition: Kapitän Kerrigan, ein exzentrischer Millionär, keineswegs ein »unbeschriebenes Blatt«, stellt eine Antarktis-Expedition zusammen, an der Wissenschaftler und Schriftsteller teilnehmen sollen.



Autorenportrait

Javier Marías, 1951 in Madrid geboren, hat bisher zehn Romane, zwei Erzählbände und mehrere Sammelbände mit Essays und Zeitungsartikeln veröffentlicht. Seine Romane wurden in 34 Sprachen übersetzt, erscheinen in 44 Ländern und wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet: »Mein Herz so weiß« mit dem Spanischen Kritikerpreis und dem IMPAC Dublin Literary Award; »Morgen in der Schlacht denk an mich« mit dem Rómulo-Gallegos-Literaturpreis, dem Prix Femina étranger und dem Mondello-Preis. Für sein Gesamtwerk wurde er mit dem Nelly-Sachs-Preis geehrt. Weltweit wurden seine Bücher mehr als fünf Millionen mal verkauft.

Mir ist der Autor noch unbekannt. Ich habe gestern mit dem Probelesen begonnen, und mittlerweile bin gut in im Geschehen drin.

Mich hat das Cover eigentlich angesprochen, da ich das Meer liebe. Ich liebe das Meer aber nur als Beobachterin, nicht mitten drin, sondern neben dran und ein wenig auf Distanz. Mich berühren so merkwürdige Phantasien, dass das Meer mich mit seinem ganzen Fleisch verschlingen könnte. Ja, das fleischliche Meer, ihr habt schon richtig gelesen, es ist kein Ausdrucksfehler.