Samstag, 20. März 2021

Zweite Proust - Satire/ Angekündigter Besuch

Bildquelle: Pixabay
Marcel Proust hatte mir gestern Abend von Paris aus einen Besuch zu mir nach Hause angekündigt und soeben hat er mich von unterwegs über ein Theatrophon angerufen, weil er kein Handy besitzt. Er befindet sich im Zwischenstopp und hat mir seine eingetroffene Einreise nach Deutschland und den Besuch zu mir nochmals bestätigt. Ach jeh, bin ich aufgeregt. Handy? Theatrophon? Wo um Himmelswissen sind auf öffentlichen Plätzen Theatrophons installiert?

Nirgends, sagte er, er trage auf Reisen immer ein eigenes bei sich im Gepäck mit, das er jeder Zeit ein- und auspacken könne, vor allem, um langweilige Fahrten auf den langen Autobahnstrecken, die es zu seiner Zeit nicht gab, besser überbrücken zu können. Dass man aber damit auch telefonieren könne, habe er selbst nicht gewusst. Aus purer Spielerei habe er es mal ausprobiert, und mich damit, wie man hören könne, erfolgreich kontaktiert. Ist für mich ein Wunder, mit welcher proustischen Zauberei dieses Theatrophon ein Telefon ersetzen konnte, fand aber in meiner Vorstellung keinen Platz und musste es so stehen lassen, solange die Verbindung funktioniert und das alles noch ohne eine Theaterbühne?

Autobahnstrecken? Aber wie ist er denn unterwegs? Doch nicht mit dem Zug? Nein, antwortete er mir. Mit einem Automobil. Ich wusste nicht, dass Proust Auto fahren konnte. Nein, er selbst würde auch nicht fahren. Er habe einen Chauffeur.
Marcel hat mich gefragt, ob ich heute eine Gesellschaft geben würde? Eine Soiree? Ich musste ihn daran erinnern, dass wir Corona haben und wir ein strenges auflagengestütztes Leben führen würden. Also keine Gesellschaft?, hakte er beharrlich nach. Nein, keine Gesellschaft, erwiderte ich. Wir sind ja hier nicht in Paris, wo im Vergleich zu uns die Inzidenz stetig steigt und ihnen wie ein Wunder dennoch kein Lockdown verhängt wurde.
Aaaber ich könne ihm eine Gesellschaft anderer Art offerieren, die sogar virenfrei sei. Sie biete reichlich wortgewandten, literarischen Esprit, ganz nach seinem Gusto. Jede Menge Seelenverwandte befänden sich darunter.
Nun wurde er neugierig, aber die Leitung wurde gekappt, die Verbindung gestört. Mit einem Handy wäre das nicht passiert, oder doch? Obwohl die berühmten Funklöcher auch moderne Apparate überraschen können. In der Zwischenzeit gehen mir jede Menge Gedanken durch den Kopf.
Ob er allergisch auf Katzenhaare ist? Er ist Asthmatiker und ich mache mir ein wenig Sorgen. Man kann putzen wie man will, es reicht die bloße Anwesenheit von Felltieren, um einen bronchialen Anfall auszulösen. So viel ich weiß, ist er aber Pollenallergiker.
Ich habe dennoch meine ganze Wohnung mehr als geputzt, meine Katzen gestriegelt und ihnen eine schöne Schleife um den Hals gebunden und alles für diesen ach so großen fabulierlustigen Romancier vorbereitet.
Zum Abschluss bin ich noch schnell in ein Café gehetzt, dessen Personal auch vor der Tür Bestellungen begleicht, die ich telefonisch in Auftrag gegeben habe, und konnte jede Menge Madeleines und Lindenblütentee mit nach Hause tragen.

Jetzt ist alles fertig. Ich bin ganz aufgeregt. Aber mein Freund kann nun kommen. Ich bin gut vorbereitet, auch meine Bücher in den Regalen sind gut sortiert und so warte ich nun gespannt, bis es endlich an meiner Haustüre klingelt.

Zwei Stunden sind mittlerweile vergangen und Marcel Proust ist noch immer nicht eingetroffen. Vielleicht ist es aber auch meine Ungeduld, die mir die Wartezeit so lang erscheinen lässt, denn ich freue mich so sehr auf ihn und kann es kaum erwarten, ihn bei mir empfangen zu dürfen. Die Literaturgespräche, die Proust mit seinen zahlreichen Freund*innen geführt hatte, waren meist sehr geistreich, immer so beseelt und nie trocken. Man hat just seine individuellen Ansichten daraus entlocken können, die jedes Mal von Geist und Seele getragen waren. Niemals musste er sich von seinen Partner*innen anhören, dass seine Art, über Literatur zu sprechen, zu persönlich sein würde. Oh ja, und gerade Marcel Proust ist jemand, der sein Herz auf der Zunge trägt und trotzdem wird er geachtet, denn alles ist in seinen Kreisen erlaubt. Literaturgespräche mit Witz, Charme, mit Trauer, Kummer, dann wieder mit Freude, Liebe, Glück ... Genau das gefällt mir am Austausch, weil dies Attribute sind, die sich auch in authentisch intellektuell geführten Kreisen nicht wirklich ausblenden lassen.

Parce que la vie le veut ainsi ...

© Mirella Pagnozzi


6 Kommentare:

Anne hat gesagt…

Was für ein schöner Text, liebe Mira. Es las sich in der Tat schön, wenn Proust in seinen Briefen über Literatur schrieb. Ich erinnere mich.
Liebe Grüße und noch einen schönen Sonntag,
Anne-Marit

Jasmine hat gesagt…

Mira,

ich schließe mich Anne an. Und was für ein geistreicher Text.
Kannst Du nicht noch mehr davon produzieren?

Ich bekomme jetzt richtig Lust, Proust zu lesen. Könnt ihr mir eine Anfangslektüre empfehlen?

Und Mira,
irgendwo an anderer Stelle hatte ich Dir schon einmal geschrieben, dass Du selbst Bücher schreiben solltest.

Grüße
Jasmine

Jasmine hat gesagt…

Nochmals hallo, Mira,
schön fand ich, wie Du Proust aus der damaligen Zeit in die Gegenwart gesetzt hast. Diese Kontraste Konnte ich mir sehr gut vorstellen. Schöne Idee. Das Automobil auf heutigen Autobahnstraßen. Und dieses Theatrophone finde ich sehr spannend. Steht es stellvertretend zu den heutigen Hörbüchern? Wie bist Du auf diese Ideen gekommen?

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

Hallo, Anne und Jasmine,
danke euch für eure Rückmeldungen.

Jasmine, das freut mich sehr, dass wir Deine Neugier auf Proust haben wecken können. Ich empfehle Dir nicht, mit der siebenbändigen Recherche zu beginnen. Ich lege Dir eine Biografie ans Herz. Ich habe mehrere davon gelesen, aber erst nach der Recherche. Ich hätte es mir leichter gemacht, erst mit einer Biografie anzusetzen, aber ich wollte mir unbedingt ohne Beeinflussung von außen meine eigenen Gedanken und Meinungen bilden. Außerdem war ich sooo neugierig und ungeduldig auf die Recherche, dass ich damit nicht noch länger warten konnte. Dennoch konnte ich für mich viel Brauchbares aus diesen Büchern ziehen. Immerhin habe ich vier Jahre für diese sieben Bände benötigt ... Welche Biografie? Das überlasse ich Deiner eigenen Erkundung, weil es viele unterschiedliche dazu gibt. Umfangreiche und weniger umfangreiche …

Wie ich auf die Ideen in meiner Satire gekommen bin? Es ist etwas in mir durch einen ganz banalen Impuls von außen geflossen, das raus wollte. Mit diesem Impuls haben sich während des Schreibens nach und nach Ideen entwickelt. Ich höre gerade Brené Browns Bücher, die den Leser*innen immer wieder Mut macht, das innere Potenzial zu entfalten, es nicht brachzulegen, damit ein authentisch geführtes Leben möglich sein kann. Aufhören, sich für andere zu verbiegen. Man schneidet in den Literaturkreisen immer so viel von sich ab, nur der Objektivität wegen, und zahlt aber damit den hohen Preis, die eigene Kreativität einzubüßen. Brené Brown verbunden mit Marcel Proust, das waren meine Synapsen beider Autor*innen, ohne dass Brené Brown jemals den Namen Marcel Proust erwähnt hatte … Diese wunderbare Autorin hatte zur Folge, dass mir Prousts Briefe noch in einer anderen Weise bewusst wurden, wie ich sie zuvor so noch nicht besprochen hatte. Mir wurde deutlich, wie authentisch Marcel Proust mit seinen Freund*innen und Literaturkolleg*innen über Literatur und über andere Künste gesprochen hat, dass ich ihn im Stillen dafür immer so sehr beneidet habe. Geistreich und individuell, während bei uns es indirekt nur geistreich zu sein hat.

Das mit dem Theatrophon fand ich auch eine schöne Idee, weil ich mir das als ein surreales Bild habe so gut vorstellen können und sah auch wie Du, Jasmine, im Nachhinein eine Parallele zu den auditiven Medien aus Prousts Zeiten, wobei das Theatrophon nochmals eine andere Funktion hatte ... Wie freut mich das sehr, Jasmine und Anne, dass euch meine Satire gefallen hat. Dankeschön euch beiden nochmals und einen schönen Sonntag.

Herzliche Grüße
Mira

Jasmine hat gesagt…

Sehr interessant, Mira,

darf ich noch fragen, wie so ein Impuls aussieht, der Dich zu dieser Proust Geschichte geführt hat?
Und vielen Dank nochmals für Deine Anregung zur Anfangslektüre. Dann werde ich mich mal nach einer Biografie umschauen.

Nochmals Grüße
Jasmine

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

Guten Abend, Jasmine,
auf Deine Frage einzugehen, ist dieser Impuls aus einer ganz trivialen Begebenheit entstanden. Ich kürze es mal ab, ohne großartig den gesamten Hintergrund zu beschreiben. Ich habe mir auf Amazon eine Proust - Figur bestellt, die ich dann in meinem Kopf habe aufleben lassen. Mehr war das nicht. Wie es aber zu der Idee kam, eine Proust - Figur zu bestellen, hatte eine andere Bewandtnis. Es führt immer zu einer Kettenreaktion.
Grüße. Mira