Sonntag, 25. November 2012

Kristin Marja Baldursdottir / Die Eismalerin (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Die Sprache fand ich anfangs ein wenig, hm, wie soll ich sagen, ein wenig zu geblümt, ein wenig zu geschnulzt. Objekte werden personifiziert.
Der Regen umfängt das Haus, die Scheiben weinen. Das Licht in der Öllampe gibt sich alle Mühe, die Ruhe zu bewahren (lol, M.P.) gähnt und streckt sich, um seine Unruhe zu verbergen, Oder: Der Herd stöhnte glücklich und ließ den Dampf zufrieden in den schwarzen Abend aufsteigen.
Ich belasse es bei diesen beiden Beispielen. Wenn jemand sich so ausdrückt, da bekomme ich Gänsehaut.

Ich hatte erst mit mir gerungen, das Buch nicht auszulesen. Aber dann habe ich die Kurve doch noch bekommen, wobei ich noch nicht weiß, ob ich mir den Folgeband, den es zu diesem Buch gibt, mir noch anlegen werde. Ich glaube wohl eher nicht.

Auch das Menschenbild scheint mir recht einseitig zu sein, wenig differenziert. Komme später darauf nochmal zu sprechen, wobei man unterscheiden muss zwischen den Figuren, die einseitig denken oder ist es die Autorin selbst, die einseitig denkt, die den Figuren die Worte in den Mund legt?

Was hat mich gehalten, das Buch nicht abzubrechen? Das Gefühl gehabt zu haben, in Island zu sein. Die Kälte, die Seereisen, und die Lebensweisen der dort lebenden Menschen hat mich dann doch noch halten können. Die Figuren, so fand ich, waren gut charakterisiert.

Wie aus dem Klappentext hervorgeht, siehe Posting unten, ist Karitas die Protagonistin und Heldin dieses Romans. Doch auf den ersten dreihundert Seiten war es die Mutter von Karitas, die es als alleinerziehende Mutter und Witwe Steinunn Olafsdöttir geschafft hatte, allen sechs Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen, vor allem den Mädchen. Die Kinder waren alle Halbwaisen, da der Vater, der Maler war, ums Leben kam.
Obwohl die Familie nicht viel Geld hatte, war es der Mutter wichtig, dass gerade die Mädchen später sich ein unabhängiges Leben aufzubauen in der Lage sind. Vorbilder waren andere Frauen, die man schon vereinzelt an den Universitäten in den Großstädten sah. Der Roman beginnt ab dem ersten Weltkrieg an zu erzählen. Man wird vor jedem neuen Kapitel mit einer Zeichnung von Karitas auf das neue Geschehen vorbereitet.  Sie beschreibt ihre Zeichnungen bzw. Gemälde.

Diese Idee fand ich ganz gut, habe es als recht originell erlebt.

Karitas, das jüngste Mädchen, ist die letzte, die noch auf ihre Ausbildung warten muss, da die finanziellen Mitte noch arg begrenzt waren und erst noch daraufhin gespart werden musste. Sie muss stattdessen mitarbeiten, um das Schulgeld ihrer Geschwister mitzuverdienen. Oftmals haderte sie, dass sie die einzige in der Familie sei, die noch keine Schule besuchen würde. Daraufhin die Reaktion der Mutter:
"Ich zweifle keinen Augenblick daran, dass du einen guten Mann heiraten, viele Kinder bekommen und ein vorbildliches Heim haben wirst."
"Aber das ist genau das, was ich gar nicht will", heulte Karitas. "Ich möchte zur Schule gehen wie meine Geschwister, ich will genau wie sie etwas lernen! Die Leute reden immer über die Witwe, die ihre sämtlichen Kinder zur Schule geschickt hat, aber das stimmt ja gar nicht, ich darf ja gar nichts lernen, ich darf bloß Wäsche waschen, muss den ganzen Tag schuften, damit diese Lausebengel zur Schule gehen können."
Karitas war ein recht sensibles Mädchen, die die Bedürfnisse ihrer Familienmitglieder wahrnahm und versuchte diese zu befriedigen. Damit dies gelingen konnte, war es wichtig, dass sie Kontakte zu anderen Menschen knüpft, was sie schließlich auch tat, mit Erfolg wohlbemerkt, sie hinterließ bei den Leuten eine gewisse Sympathie. Ihr offenes Wesen hatte zur Folge, dass sie in der neuen Heimatstadt eine bewohnbare Wohnung für die Familie erwerben konnte...
Ihre Mutter wunderte sich über die Gesprächsfreudigkeit ihrer Tochter, da diese Offenheit ja so unter den Isländern gar nicht üblich sei, und sie war der Meinung, dass Südländer, die des öfteren mit dem Schiff auf die Insel reisten, diese beeinflussten. (Gähn). Eine merkwürdige Begründung. (Aber dies habe ich mit zu einseitigem Menschenbild gemeint, weiteres folgt später).

Karitas lernt eine gebildete Dame gehobenen Hauses kennen, namens Eugenia, die in der Kunstrichtung bewandert ist und ihr kostenlosen Zeichenunterricht erteilt. Auch versucht Eugenia Karitas zu emanzipieren. "Schönheit ist der Fluch der Frauen" verkündete sie ihr. Wenn sie später als Künstlerin erfolgreich und berühmt werden möchte, dann müsse sie ein großes Opfer aufbringen, und dürfe keine Familie gründen...
Eugenia ist mir richtig sympathisch geworden, da sie den Unterricht kostenlos gibt, mit der Begründung, dass sie kein Geld benötige, da sie schon genügend davon habe. Wann hört man das schon mal, genug Geld zu haben... .
Ein Jahr später nimmt Karitas ein fünfjähriges Studium der bildenden Künste in der Hauptstadt Dänemarks auf, das von Eugenia als Sponsorin mit finanziellen Mitteln unterstützt wird. Trotzdem muss Karitas neben dem Studium als Restaurantgehilfin hart arbeiten.

Nach dem Studium hegt Karitas große Pläne, doch bis diese umgesetzt werden können, zieht es sie wieder zurück auf das Fischerdorf Islands, in dem sie mit der Familie einst gelebt hatte. Wie früher schon möchte sie sich mit dem Einsalzen der Fische in der Fischerfabrik Geld verdienen, das sie für ein späteres Atelier in Reykjavik sparen möchte. Da sie hier aber  nicht genügend Aufträge erhält, reist sie zu ihrer älteren verheirateten Schwester, die sich als Bauernfrau gut macht. Sie besuchte als junges Mädchen einst die Hauswirtsschaftsschule, und ihre Kenntnisse kommen ihr auf dem Gutshof zugute. Diese Schwester war mir eigentlich recht unsympathisch  da sie des öfteren schon versucht hatte, Karitas die Pläne, Studium und selbständiges Künstlerleben, auszureden...
Auf dem Gutshof gibt es viel Arbeit und sie kann jede Hand gut gebrauchen, und so versucht sie erneut, Karitas zu überreden, bei ihr zu bleiben. Karitas macht sie erneut auf ihre Pläne aufmerksam:
"Ich muss malen."
" Malen?! Nennst du das Arbeit? Du bist wohl nicht bei Sinnen! Glaubst du wirklich, dass man bei all den Arbeiten, die jetzt zum Herbst anstehen, einfach zu seinem Vergnügen herumkritzeln und malen kann, jetzt, wo es gilt, die Scheune zu füllen? Was würde aus dem Fortschritt in diesem Land und der Zukunft der Isländer werden, wenn alle so dächten wie du? Nachdem du fünf Jahre lang durch die Straßen von Kopenhagen flaniert bist und dich durchgeschmort hast, finde ich es reichlich rücksichtslos, dass du angeblich nicht im Stande bist, mir zu helfen, wo so viel auf dem Spiel steht, das muss ich schon sagen. Willst du mal wieder deinen nächsten Angehörigen im Stich lassen?"
Als die älteste Schwester im Sterben lag, sie war Hebamme von Beruf, just zu der Zeit, als Karitas von der Universität eine Zulassung erhalte hatte, machte die obige Schwester ihr auch große Vorwürfe, und redete ihr ins Gewisen, dass sie nur an sich denken würde, sie könne nicht ausziehen, wenn die Schwester im Sterben liege.
Die Mutter hatte schließlich dafür gesorgt, dass Karitas abreisen konnte.
Nach dem Studium kommen die beiden Schwestern wieder zusammen, und Karitas macht sich, wie oben schon gesagt, auf dem vorübergehend Gut nützlich, bis sich eine Schwangerschaft bei ihr durch Erschöpfungszustände und körperliche Zusammenbrüche herausstellte. Gerade Karitas, die Eugenias Worte noch deutlich in ihrem Kopf gespeichert hielt, sollte ein Kind bekommen, wo doch die Schwester diejenige war, die sich dringend ein Kind wünschte. Auch hier wieder eine neidvolle Reaktion ihrer älteren Schwester, als sie Karitas bat, das Kind bei ihr zu lassen, wenn sie weiterreisen wolle. Karitas lehnte ihr Angebot ab:
"Du willst nicht, du willst das Angebot nicht annehmen, was zum Kuckuck willst Du eigentlich, Karitas, hast du nicht alles bekommen, bist du nicht zu einem feinen Studium ins Ausland geschickt worden, weil du ganz gut kritzeln konntest? Bin ich vielleicht ins Ausland geschickt worden, weil ich singen konnte, hatte ich nicht die beste Stimme in weitem Umkreis, und durfte ich vielleicht ins Ausland gehen? Und dann bekommst du sozusagen noch ein Kind auf dem Silbertablett serviert, du brauchst nicht einmal darum zu bitten, aber ich, die ich mich nie vor meinen Pflichten gedrückt und in meinem Land und Volk Ehre gemacht habe, wie ein Fels in der Brandung meiner Mutter und meinen Geschwistern beigestanden habe, geistig Verwirrte bei mir aufgenommen und das religiöse Leben dieser Gemeinde unterstützt und Kultur und Fortschritt gefördert habe, ist mir ein Kind zuteil geworden, obwohl ich seit vier Jahren bete und alles versuche? Habe ich vielleicht eins bekommen? Ist das gerecht, Caritas? Karitas, habe Mitleid mit mir, sei fair und gestatte mir, dass ich dein Kind aufziehe."
Karitas sollte nicht nur ein Kind bekommen, sondern noch weitere, wie das Schicksal es wollte, ohne Rücksicht auf ihre Pläne zu nehmen, wobei sie ja bei der Zeugung nicht ganz unbeteiligt war.
Sie zieht zu dem Vater des Kindes, ein Seemann, der ihr ein wohlhabendes Leben verspricht. Doch bis zum Wohlstand dauerte es noch viele Jahre und Karitas wird während dieser Zeit auf die harte Probe gestellt. Auch hier hadert sie mit sich selbst, wünscht sich mehr Zeit zum Malen. Ihr Mann Sigmund lässt ihr viele helfende Frauen zukommen, um sie mit der häuslichen Arbeit zu entlasten. Doch auch hier erntet sie keinen Beifall, als man ihre Bilder betrachtet:
"Das ist doch nichts als ein schwarzer Klecks, meine Liebe, kannst du wirklich nicht besser malen, wo du das doch studiert hast?"
 Sie versucht Sigmund deutlich zu machen, dass er nicht der alleinige ist, die eine gewisse Glut in sich verspürt, die ihn immer wieder zurück ins Meer ruft, sondern auch in ihr gäbe es so ähnliche Impulse:
Genauso ist eine Bewegung in mir, eine kleine Glut, die darauf wartet, entfacht zu werden. Es sind nicht die großen Nachrichten, die die Welt verändern, sondern die alltäglichen Dinge und die ungesagten Worte."
Dieses Zitat hat mir recht gut gefallen.

Ich mache nun einen großen Sprung nach vorne. Karitas verlässt das Heim und auch ihren Gefährten. Sigmund taucht erst nach fünfzehn Jahren auf, als er sie zu suchen begann. Er bringt einen Italiener mit, Sigmund hielt sich viele Jahre in Rom auf, und der Italiener wird recht unfreundlich von Karitas empfangen. Karitas empfindet so viel Wut auf Sigmund, der trotz Familie sich das Recht herausgenommen hat, stillschweigend nach Rom zu ziehen und sich dort abzusetzen. Rom, auch eine große Weltstadt, die Stadt der Künste, ein von Karitas unerfüllter Traum, diese Stadt zu bereisen. Der Italiener, natürlich ist er auf der Flucht vor italienischen Ganoven (grins), wird mit bösen Worten Karitas` konfrontiert, als er sich nicht aus dem Zimmer begibt, obwohl Mittagessenszeit war, was der Gast nicht wissen konnte:
Ich habe keine Ahnung, wie es bei euch unten im Süden zugeht, wahrscheinlich tanzt ihr die Nächte durch und schlaft tagsüber (grins, nur), aber hier in unserem Land ist es Sitte, mittags zur festgesetzten Zeit zu essen. Weil die Frauen hier aber noch nie einen Ausländer gesehen haben und nicht wissen, ob solche Geschöpfe denselben Bedarf für Pökelfleisch haben wie die Isländer oder ob sie sich einfach von der Sonne ernähren, habe sie die Waschfrau hier auf dem Hof gebeten, den Herrn in die Küche zu bitten damit sie ihn besser in Augenschein nehmen können." (…)
Die Schüsseln wurden rings um seinen Teller aufgestellt, damit er sich danach nicht auszustrecken bräuchte, sie füllten sein Glas mit Milch und gingen anschließend summend in der Küche aus und ein und beobachteten aus den Augenwinkeln, wie er mit Messer und Gabel umging, wie er sie auf dem Teller kreuzte und ablegte, bevor er das Glas mit der Milch an die Lippen setzte (wie ein Tier im Zoo, grins). Ganz offensichtlich war es eine Selbstverständlichkeit für ihn, von einer Frauenschar umgeben zu sein, die keine andere Aufgabe hatte, als ihn beim Essen zu bedienen, (Macho, grins).
Dies habe ich mit zu einseitigem Menschenbild gemeint. Entweder zeigt es auf, dass die Isländer ziemlich rassistisch waren / sind und den Fremden so in Szene positioniert haben, dass ihr Bild von einem Italiener bestätigt wird. Er wird alleine an den Essenstisch gesetzt, während die anderen nach ihm essen sollten. Und dass er in Island Unterschlupft zu finden beabsichtigt, damit ihn die italienischen Ganoven nicht finden können, so denke ich, ist es die Erfindung der Autorin, die die Italiener zu unehrlichen Bürger und zu Weiberhelden macht. Wie in Westernfilmen aus meiner Kindheit, wo die Weißen die Guten und die Indianer die Bösen waren, mit Ausnahme der Karl May Filme.
Mir sind solche Szenen immer wichtig aufzugreifen, weil sie oft bewusst oder unbewusst Rassismus gegenüber einer bestimmten ethnischen Gruppe verbreiten.

Ich mache nun hier Schluss. In dem Buch geht es noch recht bewegt weiter, und wer sich von meinem Geschreibsel angestoßen fühlt, der oder die sollte doch das Buch selbst lesen, denn ich habe nur einen winzig kleinen Ausschnitt wiedergegeben, um die Spannung und die Neugier nicht zu nehmen.

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

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