Mittwoch, 16. Januar 2013

Christoph Schlingensief / So schön wie hier kanns im Himmel nicht sein

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen, weil es sehr authentisch geschrieben ist.
Da ich auch ein paar Erfahrungen mit der Sterbebegleitung habe, ist bei den meisten an Krebs erkrankten Menschen zu beobachten, dass bei ihnen, nach dem sie ihre Erkrankung realisiert und akzeptiert haben, ein großer optimistischer Lebenskampf losgeht. Das Bewusstsein, sterblich zu sein, kann nicht mehr unterdrückt werden. Es beginnt die direkte Auseinandersetzung mit Leben und Tod:
Ich will leben. Ich will auf alle Fälle leben. Aber nicht, um wieder in diesem blinden Trott zu verfallen, noch schneller, noch mehr, sondern ich will ein Leben leben, das einen Sinn ergibt und sich den Menschen nähert.
Auch Schlingensief fing an, intensiv über sein Leben nachzudenken, es zu reflektieren. Nicht nur sein eigenes Leben reflektierte er, nein, auch das Leben seiner Eltern, das Leben seiner Frau, das Leben seiner Freunde, es gibt nichts, was der Autor nicht unter die Lupe nimmt.
Es gab eben viele Momente, wo ich das Glück nicht zugelassen habe. 47 Jahre lang habe ich wirklich viel gemacht, viele Leute kennengelernt, viele Dinge erlebt. Ich hatte liebe Freunde. Ich durfte denken, habe viele Gedanken geschenkt bekommen, viele Glücksdinge. Ich habe auch viel Scheiße gebaut und mich sicherlich auch oft falsch verhalten. Aber das Schlimme ist, dass ich die Guten, die wichtigen Momente oft nicht richtig genießen konnte, dass ich nicht kapiert habe, was das gerade für ein Glück ist. 
Ich habe viele Gedanken geschenkt bekommen, lol, gefällt mir gut.

Die Hauptangst bestand darin, geistig nicht mehr denken zu können. Angst, im Gehirn haben sich Metastasen gebildet oder dass sich noch welche bilden könnten. Schlingensief hatte das Pech, an einem der aggressivsten Tumore erkrankt zu sein. Lungenkrebs, dazu noch als Nichtraucher, das war doppeltes Pech. Der Autor war als erfolgreicher Künstler / Schauspieler in der Oper / Theater engagiert.  Sein Leben war ständig in Bewegung, ständig auf Achse, körperlich wie auch geistig. Plötzlich wird er zum Nichtstun verurteilt, eine schwere Prüfung für den Betroffenen. Durch die Krankheit findet auch eine neue Selbsterfahrung statt, lernt nun allmählich, seine Grenzen zu zeigen, wenn er nicht mehr kann:
Ich möchte so lange wie möglich denken dürfen. Muss ich halt lernen, auf dem Sofa zu liegen und nichts anderes zu tun, als Gedanken zu denken. Vielleicht ist diese Krankheit ja sogar eine Belohnung. Jetzt kann ich endlich einmal Nein sagen lernen. Wenn irgendwelche Leute mir mal wieder erklären wollen, was ich jetzt tun soll, was jetzt wichtig ist, dann sage ich einfach: Tut mir leid, ich kann jetzt nicht. Ich muss denken.
Dieses Zitat hat mich so berührt, dass ich es unbedingt festhalten wollte. Aber traurig ist es schon, dass man erst schwer erkranken muss, um die eigenen Grenzen nach außen hin zu vertreten, und sich nicht immer und immer wieder fremd bestimmen zu lassen. Dass Schlingensief die Krankheit als eine Belohnung sieht, hat mir auch sehr imponiert.

Es ist klar, dass Schlingensief unbedingt am Leben bleiben möchte, und bereit ist, alles dafür zu tun. Dennoch schleichen sich immer wieder Gedanken um den Tod, Gedanken darüber, wie er bestattet werden möchte, nein, vielmehr wie er nicht bestattet werden möchte:
Aber eins steht fest. Ich will nicht in das Grab meiner Eltern. Ist vielleicht komisch, aber wenn das schon mit dem Alleinsein auf der Welt nicht klappen sollte, dann will ich wenigstens im Tod alleine sein.
Dieser Gedanke hat mir auch ganz gut gefallen. Jemand, der seine Familie nicht idealisiert, nur weil er sterben muss, nein, er möchte getrennt von ihnen sein.

Schlingensief liegt in der Klinik und wird von verschiedenen Ängsten ergriffen. Wie sich die Krankenschwester dem Patienten nähert, um ihm die Ängste zu nehmen, hat mir auch recht gut gefallen:
Da kam dann Schwester Doris, die sehr nett, fast mütterlich war. Sie sagte, denken Sie sich blaue Wolken, Schafe, Landschaften, denken Sie sich solche Sachen, das hilft Ihnen. Die Leute sagen jetzt vielleicht, das ist doch alles Kitsch - Wolken, Schafe- alles Kitsch. Ist auch Kitsch, aber es ist auch was dran. Ich hätte mir das Bild mit den Wolken und Schafen nicht unbedingt selbst gewählt. Das ist auch nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass die Schwester mir helfen wollte, als sie das gesagt hat. Das war Liebe: ich helfe dir jetzt gerade mal, kleiner Mann, kleiner Christoph. Das war wunderschön.
Das fand ich toll, dass er offen war für diese Art von menschlicher Liebe. Manchmal ist das Leben eben einfach oder kitschig. Und das gehört eben auch dazu.

Der Autor gewinnt in der Auseinandersetzung mit seinem neuen Leben recht viele Weisheiten, als er sich erneut über die Welt und über die Menschen Gedanken macht, auch religiöse Gedanken, die er hin und wieder hinterfragt und ihnen oft ambivalent gegenübersteht. Im folgenden aber scheint ein Prozess vollzogen zu sein, wo er sowohl die Emotionen als auch die Spiritualität als etwas Wertvolles zu betrachten gelernt hat.
Aino ist meine Frau, und ich erfahre hier nicht alleine eine Prüfung, sondern Aino erlebt gerade etwas, was sie reifer, erwachsener macht, vielleicht auch offener für religiöse oder spirituelle Momente.Das mag für viele Leute furchtbar klingen, aber ich kann nur sagen: wenn man in solchen Situation steckt, ist es das größte Glück, Momente der Emotionalität und Spiritualität zu erleben. Die ganzen Rationalisten, die behaupten, sie hätten damit nichts zu tun, sie fänden das alles albern - ich nehme ihnen das nicht ab.
Es muss ja jeder selbst erst mal in eine Krise geraten, damit ein Umdenken stattfinden kann, so sehe ich das, oder man verbittert... .

Schlingensief zitiert recht oft  Beuys, ein Bildhauer aus Düsseldorf, und einen Gedanken von ihm möchte ich hier auch gerne festhalten. Beuys ist der Meinung, man solle Menschen viel mehr loben als kritisieren.

Es sind noch viele, viele andere schöne Gedanken in dem Buch, der Lebenskampf, den Schlingensief aus meiner Sicht nicht verloren hat. Er konnte zwar nicht genesen, aber er konnte zum Schluss anerkennend akzeptieren, dass er sterben muss und sich darauf vorbereiten, auf die Todesstunde, die immer näher rückt. Aber man nimmt als LeserIn nicht an dem Tod teil. Man erfährt es im Klappentext, wann der Autor gestorben ist.

Es gibt Menschen, sie sterben in einem bitterem Kampf, zu diesen Sterbenden zählt Schlingensief nicht. Er hat viele Ideen, viele Gedanken gehabt, die ihm halfen, konstruktiv mit seinem noch Leben und mit seinem langsamen Sterben umzugehen. Mit 47 Jahren wollte er ein Kind zeugen, um das Gefühl zu haben, mit seinem Sterben, bzw. mit seinem Tod neues Leben zurück zu lassen. Dadurch bekäme er das Gefühl, durch das Kind weiter leben zu können und so den Tod zu überwinden. Natürlich ist das nur eine symbolische Betrachtung.

Ich komme nun zum Schluss und habe sehr viel Positives wiedergegeben. Nein, in dem Buch gehen auch sehr viele Kämpfe hervor, die verzweifeln ließen, Wut und Hader, was nicht ausbleibt und die Auseinandersetzung mit der Kirche und dem Katholizismus. Dennoch ist das Buch mit viel Witz und Humor geschrieben.

Mich hat das Buch aber auch auch recht traurig gestimmt. Aber das darf sein, es zeigt die Fähigkeit, trauern zu können. Ist ein merkwürdiges Gefühl, von jemandem ein Buch zu lesen, den es auf der Welt nicht mehr gibt. Ein Zeitgenosse, der noch leben könnte und der gerade mal drei Jahre älter als ich war.

So schön wie hier kanns im Himmel nicht sein, zeigt, dass Schlingensief gerne gelebt hat und zählte alle Vorteile auf, die es auf der Welt gibt, vor allem, Lebenskünstler zu sein. Er bezeichnete alle Menschen als Lebenskünstler. Er schätzte hauptsächlich die Freiheit.

Die größte Idee von Freiheit ist wahrscheinlich, dass man ein Problem lösen kann. Menschen, die das nicht können, dann nur, weil ihnen die Macht und die Freiheit dazu genommen wurde.

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

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