Donnerstag, 17. April 2014

Herta Müller / Atemschaukel (1)

Eine von zwei Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre

Das Buch von der Autorin Herta Müller mit dem Titel Atemschaukel zählt zu den heftigsten Büchern, die ich bisher gelesen habe. Große fantastische Wortspielerei macht das Buch aber noch lange nicht zart und nicht gefügig. Es erstarrte manchmal vor meinen Augen. Hat mich betroffener gestimmt, als einst alle Werke von Kafka. Ich konnte das Buch nicht durchweg lesen, immer wieder waren größere Pausen nötig, ich fühlte mich geistig gefoltert. Habe mir demnach Zeit mit dem Buch gelassen.

Das Cover passt aus meiner Sicht gar nicht zu dem Inhalt. Ich hätte es eher kafkaesk gestaltet. Die Kriegs- und die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs, Anfang 1945 bis 1950, war eine dunkle Zeit der deutschen Rumänen, und die Sprache ist auch dunkel, dunkel wie die Nacht. Wer diese Zeit im russischen Lager überlebt hat, der gehörte zu den Starken.

Die oder der Ich – Erzähler/in gestaltete sich vor meinen Augen als eine Frau und so wurde ich überrascht, als ich erfuhr, dass sie ein Er ist, ein Mann namens Leopold Auberg, abgekürzt Leo, obwohl auf der Seite 13 männliche Utensilien mit in den Koffer gepackt wurden. Trotzdem setzte sich der männliche Ich-Erzähler nicht durch. Liegt es an der Sprache, dass sich mir eine erzählende Frau auftat? Ich weiß es nicht genau. Doch selbst die männliche Person auf dem Cover konnte mich scheinbar nicht inspirieren. Die erzählende Frau kehrte immer weider zu mir zurück.


Die Sprache ist sehr fantasievoll, viele Dinge wurden personifiziert, manchmal seitenlang, das war mir an einigen Stellen zu viel:
Der Sommer quält sein Laub, der Herbst seine Farben, der Winter uns. (206)  
Dass der Winter Menschen quälen kann, ... eher der Mensch kann sich selber schaden, wenn er sich der Beschaffenheit des Schnees nicht anzupassen weiß. Und der Sommer quält sein Laub … hm.
Eine andere Figur spricht von ihrer Angst, sich im Tod zu langweilen.

Der Ich-Erzähler spricht durchweg monologisch und zeigt sich in seinen Handlungen stets selbstreflektiv.

Die Autorin behandelt ihr Thema so, als habe sie es selbst erlebt. Als ich den Anhang gelesen habe, bestätigte sich mein Verdacht, dass die politische Epoche und deren Ereignisse aus den Erzählungen ihres Familienkreises stammen würden. Die Autorin scheint diese Informationen wie ein Schwamm in sich aufgenommen zu haben. Man spürt die hohe Sensibilität hinter jedem geschriebenen Satz.

Es gibt Theorien, die besagen, dass die Kriegserlebnisse sich bis in die dritte Generation hineinwirken können. Herta Müller war ein Nachkriegskind, 1953 geboren, demnach haben ihre Eltern und Großeltern den oder die Kriege erlebt.

Leider kenne ich mich mit der Geschichte Rumäniens gar nicht aus, auch literarisch bin ich mit dem Land nicht verwachsen, und ich war überrascht, dass die Befreiung der Inhaftierten mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges trotzdem kein Ende nahm. Ich zitiere die Autorin aus dem Anhang:
Als im Sommer 1944 die Rote Armee nach Rumänien vorgerückt war, wurde der faschistische Diktator Antonescue verhaftet und hingerichtet. Rumänien kapitulierte und erklärte dem bis dahin verbündeten Nazideutschland völlig überraschend den Krieg. Im Januar 1945 forderte der sowjetische General Vinogradov im Namen Stalins von der rumänischen Regierung alle in Rumänen lebenden Deutschen für den >>Wiederaufbau<< der im Krieg zerstörten Sowjetunion. Alle Männer und Frauen im Alter zwischen 17 und 45 Jahren wurden zur Zwangsarbeit in sowjetische Arbeitslager deportiert.Auch meine Mutter war fünf Jahre im Arbeitslager.Weil es an die faschistische Vergangenheit Rumäniens erinnerte, war das Thema Deportation tabu. Nur in der Familie und mit engen Vertrauten, die selbst deportiert waren, wurde über die Lagerjahre gesprochen. Und auch dann nur in Andeutungen. Diese verstohlenen Gespräche haben meine Kindheit begleitet. Ihre Inhalte habe ich nicht verstanden, die Angst aber gespürt. (299)
Auch in dem Roman wurde kaum über die Lagererfahrungen gesprochen, als Leo nun nach fünf Lagerjahren endlich wieder nach Hause zurückkehren konnte. Er war für die Familie ein Fremder, niemand fragte seine Erfahrungen ab, Gefühle waren das Letzte, was zu äußern gewünscht war, weil das Leid einfach zu groß war. Leo ging mit 17 Jahren aus dem Haus und kam mit 22 Jahren wieder zurück. In der Zwischenzeit seiner Abwesenheit bekamen seine Eltern einen weiteren Jungen, der von Leo als der Ersatzbruder bezeichnet wird. Traurig darüber, dass sein Platz nun ein anderes Kind eingenommen hat.

Ich widme nun dem Buch eine zweite Buchbesprechung, weil es so vieles gibt, was ich noch mit in meinen Aufzeichnungen aufnehmen möchte.

Ich gehe nun in meine zweite Buchbesprechung über, zu finden auf ein separates Posting innerhalb dieses Blogs.
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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).

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Dienstag, 15. April 2014

Herta Müller / Atemschaukel

Klappentext
Rumänien 1945: Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Die deutsche Bevölkerung lebt in Angst. "Es war 3 Uhr in der Nacht zum 15. Januar 1945, als die Patrouille mich holte. Die Kälte zog an, es waren -15º C." So beginnt ein junger Mann den Bericht über seine Deportation in ein Lager nach Russland. Anhand seines Lebens erzählt Herta Müller von dem Schicksal der deutschen Bevölkerung in Siebenbürgen. In Gesprächen mit dem Lyriker Oskar Pastior und anderen Überlebenden hat sie den Stoff gesammelt, den sie nun zu einem großen neuen Roman geformt hat. Ihr gelingt es, die Verfolgung Rumäniendeutscher unter Stalin in einer zutiefst individuellen Geschichte sichtbar zu machen.

Autorenporträt
Herta Müller, 1953 in Nitzkydorf/Rumänien geboren, lebt seit 1987 als Schriftstellerin in Berlin. Ihr Werk erscheint bei Hanser. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und ist die Literaturnobelpreisträgerin 2009.
Die Autorin ist mir unbekannt. Habe das Buch gebraucht bei Buch - Oxfam entdeckt und eingekauft. Die ersten einhundert Seiten habe ich durch, und es ist stark monologisch aufgebaut, stark selbstreflektierend der Protagonistin, die Ich-Erzählerin dieses Romans, deren Namen ich nicht kenne.
Harter Stoff, harte Erlebnisse, so waren die Zeiten des Nationalsozialismus. Aber sehr fantasievoll geschrieben.








Sonntag, 13. April 2014

Carson McCullers / Uhr ohne Zeiger (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen, lediglich der Klappentext hat mich ein wenig irritiert. Ich bin mit der Vorstellung in die Lektüre gegangen, es mit einem an Krebs erkrankten Menschen zu tun zu haben. Ja, diesen Menschen gibt es in der Geschichte, aber er ist bei Weitem nicht die Hauptperson des Romans. Wie dieser Mensch mit seiner tödlichen Erkrankung umgeht, fand ich recht spärlich, und für mich nur eine Nebendarstellung, die im großen Ganzen des Romans dazugehört. Das ist aber nicht die Schuld der Autorin, sondern desjenigen Lesers, der den Umgang mit der Krankheit und dem Tod ins Zentrum gerückt hat, wobei der Buchtitel, fällt mir gerade auf, doch eher auf das Thema Sterben und Tod hinweist.

Hat die Autorin vielleicht doch zu viele Themen reingepackt? War das Ausgangsthema erst ein anderes, und sich das Thema in eine andere Richtung entwickelt hat? 

Parallel dazu finden noch viele andere Geschichten statt, die nicht weniger bedeutsam sind. Aber ich war darauf nicht vorbereitet. Siegfried Lenz hat den Klappentext geschrieben, auch wenn er im Anhang etwas ausführlicher ausholt, gleicht er das Missverständnis wieder aus, indem er die Handlungen der anderen Protagonisten mit dem des Sterbenden miteinander verbindet.

Carson McCullers ist eine Autorin, die die Figuren authentisch aufleben lässt, sie kann menschliche Charaktere in ihren Handlungen wahnsinnig gut beschreiben.

Trotzdem bin ich ein wenig orientierungslos gewesen. Nicht nur Lenz mit seinem Klappentext hat mich auf die falsche Fährte gebracht, sondern auch der Buchtitel. Mit Rassismus, das ist das eigentliche Hauptthema, hätte ich den Buchtitel niemals in Verbindung gebracht.

Im Folgenden noch einmal der Klappentext: 
In ihrem letzten Roman thematisiert Carson McCullers die Unabwendbarkeit des Todes: Dem Apotheker Malone wird von seinem Arzt eröffnet, daß er nur noch ein gutes Jahr zu leben hat. Ist das genug Zeit, sich vom Vergangenen zu verabschieden und das Sterben zu akzeptieren?
Für mich war nicht der Krebskranke der Protagonist, sondern der Richter, sein Neffe und ein schwarzer Junge.

Das Buch beginnt zwar mit der Thematik Sterben und Tod, aber sehr bald kommt die Wende und man hört lange nichts mehr davon.

Marlone heißt die Figur, die von ihrem Arzt gesagt bekommt, dass sie an Leukämie erkrankt sei und nur noch wenige Monate zu leben habe.  
Marlone verschweigt seiner Familie die Diagnose, versucht sich aber bei seinem eher oberflächlichen Freund, der Richter ist, auszusprechen. Marlone ist Mitte vierzig, der Richter weit über neunzig. Doch auch der Richter ist von Krankheit und Tod gebeutelt, er selbst hatte Glück und konnte seinen Infarkt überleben. Aber sein Sohn hatte sich das Leben vor mehr als siebzehn Jahren genommen. Auch seine Frau verstarb.

Der Tod lauert also überall …

Marlone fühlt sich von dem Richter nicht ernst genommen, da er versuchte, ihm die Diagnose auszureden …

Und so versucht Marlone, alleine mit der Erkrankung, mit seinem Sterben und mit seinem bevorstehenden Tod umzugehen. Er gibt sich plötzlich Gedanken hin, die ihm vor seiner Erkrankung niemals gekommen wären ... Marlone denkt an all die Menschen, die vor ihm gegangen waren, darunter befanden sich auch Kinder.
Mit jeder Stunde rückt jedes Lebewesen seinem letzten Stündlein näher - aber wie oft denken wir daran?
Zwischendrin nimmt man immer mal wieder Teil an Marlones Gedanken. Zum Ende hin wird es richtig konkret, während er zuvor noch lange in seiner Apotheke beschäftigt ist. Das Jahr war schon längst rum, und Marlone lebt immer noch.
Die größte Gefahr - sein Ich zu verlieren - kann sich so still vollziehen, als wäre es nichts; jeder andere Verlust - von einem Arm oder Bein, von fünf Dollar, von einer Ehefrau usw.- fällt einem bestimmt auf. (262)
Ich wechsle nun über zu den eigentlichen Protagonisten. Das wären der Richter Clane, sein Neffe Jester und der schwarze Junge namens Sherman.

Sherman ist ein Waisenkind, mittlerweile siebzehn Jahre alt. Ein Schwarzer, der blaue Augen hat. Er leidet unter Identitätsproblemen, da er nicht weiß, wer seine eigentlichen Eltern sind und erfindet welche in seinen Träumen. Er zeigt sich arrogant und ist schwer zugänglich. Einerseits will er sich rächen, weil die Schwarzen schlecht behandelt werden, und andererseits glaubt er etwas Besseres zu sein, weil er blaue Augen hat, und sich nicht zu den Schwarzen zählt.
Sherman ist im Haus des Richters tätig …

Sherman befindet sich in einer Phase, wo er, wie jeder Jugendlicher auch, noch seinen Platz in der Gesellschaft sucht. Bei einem Schwarzen dauert solch ein Selbstfindungsprozess weitaus länger. Richter Clare weiß, wer die Eltern des Jungen sind, spricht es aber nicht aus. Er sieht, wie der Junge leidet. Erst als der Junge durch Zufall die Namen seiner Eltern herausfand, rastet der Junge ganz aus und möchte sich an dem Richter rächen, unterlässt es dann schließlich doch und rächt sich an Jesters Hund, indem er den Hund an einem Baum erhängt, als Jester nicht zu Hause war. Jester ist geschockt, den Hund aufgehängt vorzufinden und hat sofort Sherman in Verdacht, den er zur Rede stellt. Shermans Reaktion:
>>Und ich sehe, wie du mit dem Hund von´nem weißen Gassi gehst, wie du dir ne´schicke weiße Sommerhose anziehst und in die Schule für die Weißen gehst. Aber um mich kümmert sich keiner. Ich tue das, aber keiner merkt es. Was Gutes oder was Gemeines, aber keiner merkt es. Die Leute streicheln den verdammten Hund, aber mich sehen sie nicht. Und dabei ist er bloß ein Hund.<< (358)
Armer Hund, der sogar Sherman immer abgeschleckt hatte; wo für den Hund alle Menschen gleich sind, weiß wie schwarz, so musste er nun für den Rassismus bezahlen.

Der Richter Clane ist der absolute Rassist. In seinem Dienst als Richter hat er immer dafür gesorgt, dass die schwarzen Angeklagten verurteilt wurden, auch, wenn sie im Recht waren. Schwarze Menschen waren schon dadurch im Unrecht, weil sie existierten und die Diskrepanz liegt allerdings darin, dass sie doch auch von den Weißen gebraucht und ausgebeutet wurden. Seit knapp hundert Jahren kämpfen die Schwarzen um Gleichbehandlung, die auch im Gesetz schließlich geregelt wird.

Richter Clane hält eine öffentliche Rede, als es darum ging, gegen die Schwarzen zu sprechen und merkte nicht, wie er sich mit seiner Rede blamierte:
Vor siebenundachtzig Jahren, (…) gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Jetzt stehen wir in einem großen Bürgerkrieg, um zu erproben, ob diese oder jene andere so gezeugte Nation dauerhaft bestehen kann. (396)
… dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Er wusste nicht, wo die Blamage lag, das bedeutet, die Schwarzen zählte er nicht zu den Menschen. Denn das war ja das Ziel der Neuamerikaner, Freiheit allen Menschen.

Der Neffe Jester, auch siebzehn Jahre alt, geht noch zur Schule mit der Perspektive, Jurist wie sein Vater zu werden. Aber nicht wie sein Großvater. Sein Vater nahm sich das Leben, als Jester sich im Kleinkindalter befand. Johnny war anders als sein Vater; er setzte sich für die Schwarzen ein.
Er nahm sich das Leben, und Jester erfährt erst recht spät, weshalb sich der Vater suizidierte. Jester favorisierte seinen Großvater, als er noch klein war. Doch später, in der Adoleszent, rebelliert er gegen den Großvater und entwickelt sich in die andere Richtung. Jester setzt sich für die Schwarzen ein. Er hält Freundschaft mit Sherman, auch wenn Sherman seine Freundschaft nicht erwidern konnte.

Richter Clare ist dermaßen narzisstisch eingestellt, dass er von seinem Neffen die permanente Bewunderung in seinem Denken und in seinen Handlungen benötigt. Auch von seinem Sohn erwartete er das Nacheifern. Richter Clare wollte sich dadurch unsterblich machen. Er konnte seinen Sohn nur lieben, solange er das machte, was seinen Vorstellungen entsprach. Immer wieder spricht er davon, dass sein Verhältnis zu seinem Sohn eher brüderlich war, eher zwillingshaft. Nein, Jester glaubte nicht alles, was er über seinen Vater erzählt bekommt. Jester sieht die Unterschiede zwischen Vater und Sohn ... 

Zum ersten Mal spricht Clare mit Jester über den Sohn Johnny, indem er die Dialoge zwischen Vater und Sohn wiedergibt:
Einmal, in Johnnys erstem Jahr in der Anwaltspraxis, hatte der Vater laut gesagt: >>Mir ist oft aufgefallen, Johnny, dass Männer, die sich zu sehr mit der Unterschicht befassen, leicht selber untergehen.<<
Johnny hatte nur mit den Schultern gezuckt.
Der Großvater, der Richter, spricht nun aus eigener juristischer Erfahrung, als er in Johnnys Alter war:
>>Ich bin den Armenprozessen, die einem jungen Anwalt zuerst aufgehalst werden, aus dem Weg gegangen. Meine Kanzlei lief gut, und bald konnte ich als Verteidiger Fälle übernehmen, die mir beträchtlichen finanziellen Gewinn eintrugen. Finanzieller Gewinn und politisches Prestige, das sind schon immer die ausschlaggebenden Erwägungen gewesen.<<
>>So ein Anwalt bin ich nicht<<, hatte Johnny gesagt. (308)

Auch vor Gericht brachte Johnny seinen Einsatz, der für die schwarzen Menschen sprach:
>Meine Herren Geschworenen, in Fällen wie diesem hier ist es die Verfassung, die unter Anklage steht.< Johnny zitierte die Präambel und die Zusätze, die allen Sklaven Freiheit garantierte und sie zu Staatsbürgern mit gleichen Rechten machte. (325)
Richter Clare ist nicht nur rassistisch, sondern auch materiell. Er tat alles, um in seinem Beruf schnell aufzusteigen und sich Reichtürmer anzuhäufen. Er bezeichnete sich und Marlone als bedeutende, überaus wichtige Bürger ihres Viertels. Marlone fühlt sich geehrt, als der Richter ihn miteinbezogen hatte:

Der Richter im Gespräch:
>> Und noch etwas<<, fuhr der Richter fort. >> Du und ich, wir haben unsere Grundstücke und unsere Stellung und unsere Selbstachtung. Was aber hat Sammy Lank, außer einen Haufen Kinder? Sammy Lank und andere arme Weiße wie er haben nichts als ihre Hautfarbe. Keinen Besitz, keine finanziellen Mittel und keinen, auf den sie herabsehen können - das ist der Schlüssel zu der ganzen Sache. Es ist ein trauriger Zug der menschlichen Natur, aber jedermann muss jemand haben, auf den er herabsehen kann. Und die Sammy Lanks dieser Welt haben nur die Nigger, auf die sie herabsehen können.<< (363)
Nichts haben als die weiße Haut … Fand ich absurd, die Haut wie einen losen Gegenstand zu betrachten.

Mein Fazit zu dem Buch:

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, so viel über den Rassismus zu schreiben, da ich schon so viel darüber gelesen habe. Ich habe mir auch erst viel später im Buch die Zitate angemerkt, weil sie mir doch als recht bedeutsam erschienen sind.

Ich bin sicher, dass wir die Befreiung der Sklaverei auch McCullers zu verdanken haben, die in ihren Büchern sich für die Schwarzen eingesetzt hat, wobei die Sklaverei zu ihrer Lebzeit schon längst abgeschafft war, Ende des 19. Jhrd., wie man dies auch aus dem Kontext ihres Romans entnehmen kann, aber die Gesetze wurden noch nicht eingehalten. Die Weißen beachteten sie einfach nicht. Nach wie vor wurden die Schwarzen auch juristisch weiterhin in ihren Menschenrechten missachtet. 

Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten. Neun aus dem Grund, weil der Buchtitel und der Klappentext irreführend war. Sonst wären es zehn gewesen.

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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).

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Donnerstag, 10. April 2014

Carson McCullers / Uhr ohne Zeiger



Klappentext
Aus dem Englischen von Elisabeth SchnackIn ihrem letzten Roman thematisiert Carson McCullers die Unabwendbarkeit des Todes: Dem Apotheker Malone wird von seinem Arzt eröffnet, daß er nur noch ein gutes Jahr zu leben hat. Ist das genug Zeit, sich vom Vergangenen zu verabschieden und das Sterben zu akzeptieren?


Autorenporträt
Carson McCullers, geboren 1917 in Columbus (Georgia), gestorben 1967 in Nyack (New York), dort begraben. McCullers wollte eigentlich Pianistin werden. Mit 500 Dollar fuhr sie 18-jährig alleine nach New York, um an der renommierten Juilliard-Musikschule zu studieren. Das Geld verschwand auf mysteriöse Weise, doch sie blieb in New York, arbeitete als Sekretärin, Kellnerin, Barpianistin und beschloss, Schriftstellerin zu werden. Der Erfolg ihres Erstlings, ›Das Herz ist ein einsamer Jäger‹, machte die 23-Jährige zum literarischen ›Wunderkind‹. Mit 23 erlitt sie den ersten von drei Schlaganfällen, ihr Leben wurde bestimmt durch die Krankheit, der sie ihr Werk abrang, und durch Einsamkeit, besonders nach dem Selbstmord ihres Mannes 1953.
Die Autorin zählt zu meinen Favoriten. Gelesen habe ich von ihr Das Herz ist ein einsamer Jäger. Das Buch führte dazu, dass ich mir noch weitere Werke von der Autorin angeschafft habe, und die werde ich in zeitlichen Abständen nach und nach lesen. Das nächste Buch von ihr wird die Autobiographie sein, die ich lesen werde.

Die ersten einhundert Seiten habe ich schon durch und es liest sich genauso spannend wie das letzte, das ich von ihr gelesen habe.  Unter Spannung verstehe in in diesem Fall die gesellschaftskritischen Themen, die McCullers wieder in ihr Buch gepackt hat. Auch der Rassismus bekommt hier seinen Raum.

Freue mich auf mehr ...





Mittwoch, 9. April 2014

Voltaire / Candide oder der Optimismus (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Viele interessante und philosophische Lebensfragen, um die ich mir selbst schon den Kopf heiß gedacht habe, werden in dem Buch gestellt, aber die Art und Weise, wie sie behandelt wurden, hat mir nicht zugesagt. Werde also nicht allzu viel dazu schreiben …

Schön fand ich den humoristischen Stil, ein wenig Galgenhumor kommt bei mir immer gut an, sowie auch die Absurdität in bestimmten Handlungen.

Die Hauptfragen, die sich die Protagonisten in dem Werk stellen, sind, ob das Leben einen Sinn habe, wenn in der Welt so viel Böses existiere? Auf den ersten Seiten wird man mit einer vollen Ladung menschlicher Schwächen konfrontiert, Schwächen, die anderen schaden, wie z. B. Mord, Diebstahl, Intrigen u.v.m. Der Philosoph namens Pangloss vertritt die Auffassung, dass des Menschen Tuns eher gelenkt wird durch höhere Mächte, das heißt, der Mensch handelt schicksalshaft, unterworfen von Ursache und Wirkung. Candide, die Hauptfigur, kann das nicht so recht glauben, und fragt, ob der Mensch nicht einen freien Willen habe? Pangloss bejaht diese Frage. Es wäre beides. Schicksal und freier Wille.

Und diese Streitgespräche über das moralische und das physische Elend in der Welt begleiteten mich das ganze Buch hindurch.

Candide wird als die sanftmütigste Seele bezeichnet, doch auch er schafft es, drei Morde zu begehen, lach.

Richtig laut lachen musste ich bei einer Textstelle; Candide und sein Kamerad Cacambo befinden sich in einer Kneipe. Obwohl Candide gut betucht ist, bezahlt er seine Getränke und seine Speisen mit Kieselsteinen. Der Wirt ganz verwundert und lacht mindestens so laut wie ich:
>>Meine Herren<<, sprach der Wirt, >> ganz offensichtlich seid ihr Fremde, und wir sind hier keine gewohnt. Verzeiht, dass wir so gelacht haben, aber wir fanden es gar zu komisch, dass Sie mit Kieselsteinen bezahlen wollten, wie sie tausendfach auf unseren Straßen herumliegen.<<
Der Philosoph Pangloss hat für alles Schlechte eine Antwort parat. Candide fühlt sich dadurch ein wenig genervt:

>>O Pangloss!<<, entfuhr es Candide. >>Solche Gräuel kamen in deiner Philosophie nicht vor! Nun reicht es. Bis hierher und nicht weiter. Ich mag nicht mehr wissen von deinem Optimismus!<< - >> Was ist Optimismus?,<< fragte Cacambo.
>>Ach<<, antwortete Candide, , >>das ist die Sucht, alles gut zu finden, wenn es einem schlecht geht.<< (90)
Martin ist eine Figur, die nur das Schlechte sieht, das Gute schlupft durch ihn durch, wäre ihm noch nie begegnet, (98).

Candide ist eher die suchende Figur, während die anderen festgelegt sind in ihren Charakteren, die eher symbolisch zu deuten sind; in Optimismus, Pessimismus und den Neutralen. Candide befasst sich mit beiden Eigenschaften.

Tja, was ist nun die Antwort dieser Frage? Der oder die Suchende sollte das Buch selbst lesen.

Über die Aktionen der Figuren habe ich nichts geschrieben, richtige Dramen befinden sich darunter, haben mir nicht wirklich imponiert, außer über die Art und Weise, wie Pangloss gehängt wurde. Eigentlich hätte er auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollen, aber durch den Regen war das Heu zu nass, so wurde Pangloss stattdessen gehängt. Aber auch darin verbirgt sich eine Wende. Lustig und ernst zugleich?

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Wozu wurde dieses sonderbare Tier namens Mensch geschaffen?
(Voltaire)

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Montag, 7. April 2014

Voltaire / Candide oder der Optimismus


Klappentext
Ist die Welt, in der wir leben, tatsächlich, wie Leibniz behauptet, „die beste aller möglichen“, oder ist sie ein Ort, aus dem Gott sich längst zurückgezogen, ja mehr noch, den er nie betreten hat? Am Beispiel des einfältigen Candide beantwortet Voltaires auf den Index gesetzte Romansatire diese Fragen mit der radikalen Demontage von Leibniz’ philosophischem Optimismus, denn Candide erlebt auf seiner abenteuerlichen Reise die infernalischsten Schrecken und absurdesten Zufälle. Geläutert kommt er am Ende zu der Erkenntnis, dass dem Menschen letztlich nichts bleibt, als ,seinen Garten zu bestellen’.


Autorenporträt
Der französische Schriftsteller und Philosoph Voltaire (François Marie Arouet, 1694-1778) ist die bedeutendste Persönlichkeit der europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. In seinen philosophischen und literarischen Werken formulierte er die Werte der Vernunft, Toleranz, Menschenrechte und Menschenwürde. Er setzte sich vehement für das Verbot der Leibeigenschaft ein und engagierte sich mehrfach in Justizverfahren, die durch religiösen Fanatismus einseitig beeinflusst wurden. Da ihm in Paris die Beisetzung verweigert wurde, beerdigte man Voltaire in Sellières. Als die Revolution ab 1789 tobte, verlegte man den Verstorbenen 1791 ins Panthéon. Auch das Herz des Philosophen wurde konserviert und wird in der Bibliothèque Nationale aufbewahrt.
Von Voltaire habe ich einige Bücher in meinem Regal stehen, aber noch nichts von ihm gelesen.
Der vorliegende Band ist recht humorvoll, lustig verfasst.






Sonntag, 6. April 2014

Kate Pullinger / Eine Liebe in Luxor (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mich gefesselt. Bisher hatte ich noch nichts von der Autorin gelesen und wusste auch nicht, dass sie das Buch Das Piano auch geschrieben hat, und ich lediglich die Verfilmung dazu kenne. Die Autorin schafft es auch hier, historische Ereignisse bestimmter Personen einzubauen, untermalt mit einer recht außergewöhnlichen und exotischen Liebesgeschichte. Das Piano war ähnlich aufgebaut. Mir haben die Literatursprache und der Erzählstil sehr gut gefallen.

Zur Erinnerung gebe ich noch mal den Klappentext hier rein:
England, 1862. Als Lady Duff Gordon von ihrem Arzt nach Ägypten geschickt wird, um dort im trockenen, warmen Klima ihre Tuberkulose auszuheilen, bedeutet das auch für ihr Dienstmädchen Sally ein Exil auf unbestimmte Zeit. So begeben sich die beiden, schwankend zwischen Staunen und Angst vor der exotischen Fremde, gemeinsam auf eine Flussfahrt den Nil hinauf. Begleitet werden sie von Omar, einem erfinderischen Dragomanen und begnadeten Koch. Als Lady Duff Gordon in Luxor ihr Korsett gegen Männerkleider eintauscht, Arabisch lernt und zu wöchentlichen Salons einlädt, beginnt auch Sally, eine ungeahnte Freiheit zu genießen. Doch diese Freiheit hat ihre Grenzen ...
Aus dem Anhang konnte entnommen werden, dass Lady Duff Gordon tatsächlich existiert hatte, so wie auch deren Zofe Sally Naldrett. Eine reine biografische Erzählung ist das Buch aber nicht. Details und Inhalt sind mit eigenen Ideen und Fantasien der Autorin umwoben.

Sally Naldrett ist die Icherzählerin dieses Romans und auch die Hauptfigur.

Sally Naldrett wurde schon im Alter von zwölf Jahren in den Dienst der Hausbotin gesteckt. Sie und ihre Schwester, als ihre Eltern von einem Zugunglück tödlich erfasst wurden, und die Tante für die Mädchen nicht aufkommen wollte.

Eine eigene Persönlichkeit konnte Sally dadurch nicht entwickeln. Sie war ganz für ihre Herrin da. Mittlerweile ist Sally schon über dreißig.
In Wahrheit war ich für sie kein richtiger Mensch.Ich war kein vollständiger Mensch, und es war dieser Gedanke oder diese Gedankenlosigkeit, die sie trieb und handeln ließ, wie sie es tat. Sie liebte mich, ohne Frage, das wusste ich und hatte mich darin sicher gefühlt, bis mir aufging, dass sie mich liebte, wie man ein gehätscheltes Haustier liebt. Ich gehörte zum Hintergrund, war Teil der Kulisse und, wenn sie Gäste unterhielt, ein nützliches Bühnenrequisit. Sie behandelte ihre Angestellten gut, und ich stand ihr am nächsten; in jenen späten Jahren habe ich alles für sie getan. Ich wurde ausgewählt, sie auf ihrer letzten langen Reise zu begleiten. Dennoch war ich für sie kein richtiger Mensch, keine lebendige Seele mit all ihrem Vermögen, den Stand der Gnade oder des Scheiterns zu erfahren. Es war mein Fehler, das nicht erkannt, nicht von Anfang an verstanden zu haben. Als ich Unrecht handelte, wurde ich entlassen, ich war nicht länger von Nutzen für sie. Nein, schlimmer noch: ich wurde entfernt, rausgeschnitten, als wäre ich Teil einer furchtbaren Krankheit, ein faulender, bösartiger, überflüssiger Auswuchs, den man loswerden musste. (7)
Diese Zeilen stehen schon auf den ersten Seiten und konnte noch nicht Richtiges damit anfangen. Erst später war klar, was damit gemeint war. Die Engländer waren dafür bekannt, Hausangestellte zu halten, die ganz für ihre Bedürfnisse da sein mussten. Natürlich war dies zwar eine bezahlte Beschäftigung, dennoch hatten die Bediensteten kein eigenes Leben. Hat mich ein wenig an das Sklavenleben in Amerika erinnert. Nur ein wenig in abgeschwächter Form. Die Dienstboten besaßen auch keine eigene Wohnung. Einmal im Monat hatten sie einen freien Tag.

Ein recht emanzipiertes Buch, als schließlich beide Frauen sich von ihrem Korsett befreien und sich in Männerkleidung begeben, da die trockene Hitze in Ägypten unerträglich wurde.

Sally ahmt, was die Kleiderordnung betrifft, ihrer Herrin nach:
Seit meiner Kindheit war ich nicht mehr ohne Korsett aus dem Haus gegangen. Zum ersten Mal hatte ich es zur Beerdigung meiner Eltern getragen; damals hatte ich das Gefühl, von dem Kleidungsstück zusammengehalten und gestützt zu werden, und mich seither darauf verlassen. Hier in Luxor fühlte ich mich ohne nun vollkommen entblößt und glaubte, alle Welt würde mich anstarren. Auch unter dem steifen Insulinkleid erschienen mir die Schultern und Arme locker und freier, ein eigenartiges Gefühl, als hätte ich mit dem Korsett auch mein Rückgrat abgelegt und mich in ein quallenartiges Geschöpf verwandelt, biegsam und durchlässig. (62)
Das Hauptthema des Buches ist die Liebesgeschichte zwischen Sally und dem Dragomanen Omar. Ihr erstes Liebeserlebnis, ihre erste Beziehung. Sally wurde von Omar schwanger. Beide beschließen, zu heiraten. Sally wäre dann die zweite Frau von Omar. Sally verschweigt ihrer Herrin die Schwangerschaft. Bis zur Entbindung konnte die Schwangerschaft verheimlicht werden:
Ich blicke mit einer gewissen Verwunderung auf jenen Herbst in Kairo zurück. Da war ich hochschwanger, und niemand hat es bemerkt. Nicht einmal meine Schwester Ellen. Wie ihre Herrin Mrs. Ross war meine Schwester nicht damit einverstanden, wie meine Lady und ich lebten, nicht damit einverstanden, wie wir uns kleideten und die einheimischen Bräuche angenommen hatten, wie ich mit Omar auf dem Markt einkaufen ging und wir gemeinsam mit unserer Lady auf dem Boden um ein Silbertablett sitzend aßen, und diese Missbilligung machte sie so blind, dass sie mich nicht richtig sehen konnte. Selbst der neue englische Arzt meiner Lady, der mir nur wenige Tage vor der Geburt meines Kindes in Kairo begegnet war, hat nicht das geringste vermutet; er war zu sehr über die Gesundheit meiner Lady besorgt und damit beschäftigt, unseren Medizinschrank aufzufüllen (…) (141)
Lady Gordon wurde vor vollendete Tatsachen gestellt, als es schon zu spät war, und Sally in den Wehen lag. Omar half Sally bei der Entbindung, und als er nicht weiter wusste, rief er Lady Gordon zu Hilfe. Es war mitten in der Nacht, und die Lady musste geweckt werden.

Nun beginnt hier das Drama. Lady Gordon meidet nun jeglichen Kontakt zu ihrer Zofe und beabsichtigt, sie wieder zurück nach England zu schicken, während der Säugling zu den Eltern Omars abgegeben werden sollte, wo seine erste Frau und die gemeinsame Tochter leben. Sally will ihr Kind behalten. Sie liebt es abgöttisch …
Lady Gordon macht Sally für diese Beziehung allein verantwortlich. Sally sei schmutzig und verdorben. Sie allein habe Omar verführt. Diese Worte gebrauchte sie auch Omar gegenüber.

Mittlerweile waren Sally und Omar verheiratet. Lady Gordon erkennt die Ehe mit Omar nicht an und möchte sie annullieren lassen, wendet sich auch an den Bürgermeister und den Scheich von Kairo.

Lady Gordon zu Omar:
Das englische Recht erkennt nur deine erste Ehefrau an, sie allein, deine Ehe mit Sally wird nie offiziell anerkannt werden. In den Augen des englischen Rechts ist Sally,Naldrett eine Ehebrecherin. (…)
Der Bürgermeister kluckste, ohne den Blick zu bemerken, mit dem Scheich Yussuf ihn bedachte. >>Das ist unnötig, Lady Gordon, (...) das englische Recht gilt in Ägypten nicht. Hier müssen sie sich um den Khediven Sorgen machen, und Ismael Pascha wird es nicht allzu sehr bekümmern, dass Omar Abu Halawy zwei Ehefrauen hat.<<
Omar, der von Lady Gordon abhängig ist, der Verdienst in ihrem Haus geht an seine Familie und an seine Eltern, bei der seine Frau und die kleine Tochter untergebracht sind.
Omar stand, die Fäuste hinterm Rücken geballt, ruhig und gefasst da und sagte nichts. (165)
Sally kämpft um die Beziehung mit Omar, kämpft vor allem auch um ihr Baby. Sie kämpft um ihr Bleiberecht.

Ein letztes Zitat, lest dann selbst, wie die Geschichte sich weiter entwickeln und wie sie ausgehen wird.
Am Anfang war mir die Leidenschaft fremd. Mir war die Liebe an sich fremd. Und ich gebe zu, ich war gierig; nachdem ich beides gekostet hatte, hatte ich Hunger auf mehr. Nach dem Tod meiner Eltern konnte meine Tante Klara nicht für mich und meine Schwester sorgen; ich wurde früh in Stellung geschickt, und niemand auf der Welt kümmerte sich um mich. (167)

Mein Fazit

Ich konnte nicht glauben, was sich reiche Leute anmaßen, Menschen zu besitzen und über ihr Leben zu bestimmen. Sie besitzen das Leben anderer Leute für ihre eigenen egoistischen Zwecke, weil sie zu bequem sind, sich ihr Leben selbst auszurichten.

Nichts Neues, erstaunt mich aber immer wieder aufs Neue.

War es nicht Sally gewesen, die alles gab und das Leben ihrer Herrin mehr als einmal zu retten pflegte?

In dem Buch wird natürlich auch einiges über die Kultur Ägyptens behandelt. Schön, die Bootsfahrten mitzuerleben, über den Nil und deren Landschaft drumherum. Auch fand ich es rührend, als Sally und Lady Gordon selbst wie Araberinnen aussahen, die nicht nur wegen ihrer angepassten Kleidung, auch durch die Haut, stark sonnengebräunt war… Das milde Klima verglichen mit dem nassen England tat der Lady gut. Und sich in einer anderen Kultur zu bewegen, galten beide Frauen in Ägypten schon fast assimiliert. Allerdings hatte Sally anfangs große Schwierigkeit, mit der fremden Kultur zurechtzukommen. Alles war exotisch, selbst der Himmel, die Sterne und der Mond waren anders als in England, *lach*.. 

Und  Lady Gordon schaffte es, ihr Leben im Ausland um sieben weitere Jahre zu verlängern. In England wäre sie schon längst an ihrer Lungenkrankheit gestorben. Vieles war ihrer Zofe Sally zu verdanken, die einen großen Einsatz zeigte und über jede Menge medizinische und praktische - chirurgische Kenntnisse verfügte. Sally hat es eigentlich nicht verdient, von ihrer Herrin verstoßen zu werden.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

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In der Musik spricht man mit Gott
(Erik Fosnes Hansen)

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Donnerstag, 3. April 2014

Kate Pullinger / Eine Liebe in Luxor

Klappentext

England, 1862. Als Lady Duff Gordon von ihrem Arzt nach Ägypten geschickt wird, um dort im trockenen, warmen Klima ihre Tuberkulose auszuheilen, bedeutet das auch für ihr Dienstmädchen Sally ein Exil auf unbestimmte Zeit. So begeben sich die beiden, schwankend zwischen Staunen und Angst vor der exotischen Fremde, gemeinsam auf eine Flussfahrt den Nil hinauf. Begleitet werden sie von Omar, einem erfinderischen Dragomanen und begnadeten Koch. Als Lady Duff Gordon in Luxor ihr Korsett gegen Männerkleider eintauscht, Arabisch lernt und zu wöchentlichen Salons einlädt, beginnt auch Sally, eine ungeahnte Freiheit zu genießen. Doch diese Freiheit hat ihre Grenzen ...


Autorenporträt
Kate Pullinger im kanadischen Cranbook geboren, lebt seit 1982 in London. Sie ist Autorin mehrere Romane, darunter Das Piano. Eine Liebe in Luxor gewann 2009 den renommierten kanadischen Governor General´s Award und war für den Giller Prize nominiert.










Montag, 31. März 2014

Susan Abulhawa / Während die Welt schlief (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 


Ich habe das Buch soeben beendet und es hat mir sehr gut gefallen. Man hat das Gefühl, die Autorin hat die Geschichte, von der sie schreibt, selbst erlebt. Klingt alles recht authentisch und auch der Schreibstil und die Sprache hat mir sehr gut gefallen. Der Roman behandelt einen recht harten Stoff, musste zwischen drin immer mal wieder aufblicken, kleine, Mini-Lesepausen einlegen, da ich nicht aufhören konnte zu lesen. Lediglich die letzten fünfzig Seiten haben mich ein wenig gelangweilt, weil die Geschichte, an der man als Leserin von Anfang an teilnehmen durfte, wieder erzählt wurde an Personen, an Familienmitgliedern, die verschollen waren und dann Jahrzehnte später wieder aufgetaucht sind und die Ereignisse betreffender Personen an denjenigen herangetragen wurden.

Zur Erinnerung noch einmal der Klappentext:
Jenin im Blumenmonat April: Frühmorgens, bevor die Welt um sie herum erwacht, liest Amals Vater ihr aus den Werken großer Dichter vor. Es sind Momente des Friedens und der Hoffnung, die Amal ihr Leben lang im Herzen trägt — ein Leben, das im Flüchtlingslager beginnt, nach Amerika führt und dennoch stets geprägt ist vom scheinbar ausweglosen Konflikt zwischen Israel und Palästina. Über vier Generationen erzählt Susan Abulhawa die bittere Geschichte Palästinas im Verlauf des 20. Jahrhunderts — eine Geschichte über den Verlust der Heimat, eine zerrissene Familie und die immerwährende Hoffnung auf Versöhnung.
Der Stoff, den die Autorin behandelt, gebe zu, dass er recht heftig ist. Doch wenn ich bedenke, mit welchen Problemen wir Angehörigen der westlichen Welt uns befassen, und wie herablassend wir auf die arabische Welt schauen, dann schäme ich mich richtig und habe Achtung vor Menschen, die durch jedes Leid gehen müssen, deren Familien auseinandergerissen werden und Kinder, die nicht mehr zur Schule gehen dürfen, weil der Bürgerkrieg ausgebrochen ist, Menschen, die nicht wissen, was Freiheit ist, die keine Heimat mehr haben, weil man sie ihnen genommen hat, Menschen, die jeden Tag mit Sterben und Tod konfrontiert sind. Kinder, die mit Waffen heranwachsen, statt mit Spielsachen. Die Toten, bzw. die Getöteten haben nicht einmal ein persönliches Grab, sie werden mit anderen Leichen in ein Massengrab geworfen. Niemand weiß, wie die Leichen heißen, die Lebenden können nicht einmal ihre getöteten Verwandten auf dem Friedhof besuchen. Grauenhafte Vorstellung. Was Hitler in Deutschland mit den Juden angerichtet hat, haben die Juden in Palästina das selbe Verbrechen begangen. Asyle und KZ´ wurden für die Palästinenser errichtet. Sie schießen sogar auf Kinder und der Bürgerkrieg scheint kein Ende zu nehmen. Die Welt schaut zu, tut, als wisse sie nichts von diesem Massaker. Die westliche Welt ergreift eher Partei für die Juden. Deswegen ist es gut, dass es Menschen gibt, die solche Bücher schreiben.

Ich überlege, ob ich die vielen Zitate mir herausschreiben soll, oder ob ich darauf lieber verzichte.
Ich werde auf eine Episode eingehen, und den Rest dem Buch überlassen.

Die Autorin schreibt viel über die Kultur Palästinas und von deren Traditionen. In unseren Augen wohl primitiv, doch wer gibt uns das Recht, so streng zu urteilen? Sind unsere Urteile nicht eher primitiv? Ich finde, jeder Mensch verdient Respekt und Achtung, unabhängig davon, aus welcher Kultur er stammt, auch wenn man nicht alles für gut heißen muss. Jeder Mensch muss mit dem zurechtkommen, mit der Welt zurechtkommen, in die er hineingeboren wird. Auch wir stehen unter gesellschaftlichen Zwängen, nur auf eine ganz andere Art und Weise. Es gibt ganz viele arabische Menschen, die ihre Kultur kritisch hinterfragen, viele die es nicht tun, und erstere müssen lernen, damit zurechtzukommen. Sie alle mit einem Pauschalurteil abzukanzeln, ist mir zu einfach, und zeigt mir, wie wenig Ahnung Menschen von der Welt haben.

Es ist nicht die Autorin, die ihre Kultur verteidigt, nein, das bin ich als Leserin. Die Autorin schreibt über die Kultur, über die Traditionen des Landes, so wie sie sind, wertneutral aber auch kritisch.

Im Folgenden gehe ich auf eine Szene ein:

Ein jüdisches Ehepaar wünscht sich Kinder, die Frau kann aber keine bekommen. Der Ehemann ist Soldat und als er mit anderen Soldaten wieder die Palästinenser massakriert hat, befanden sich viele auf der Flucht. Darunter auch eine arabische Mutter mit einem Kleinkind an der Hand und mit einem Säugling im Arm. Der Soldat reißt den Säugling von der Mutter weg. Das arabische Kind mit dem Geburtsnamen Ismael wächst demnach jüdisch auf und erhält den jüdischen Namen David. Ismael trägt, durch einen kleinen Unfall aus seiner Herkunftsfamilie zugetragen, eine große Wunde an seiner Wange, die mit der Zeit vernarbt und zum Stigma wird. Das heißt, er wird später, nach vielen Jahren an der Narbe von seinem größeren Bruder namens Yussuf wiedererkannt.

Beide Brüder werden erwachsen, beide Brüder wachsen von unterschiedlichen Müttern und Religionen auf.

Yussuf, der bei der PLO politisch aktiv geworden ist und sein Heimatland gegen die Israelis verteidigt, wird geschnappt und eingesperrt. Er muss große Folterqualen erleiden. Die israelischen Soldaten stellen eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen dem Gefangenen Yussuf und ihrem Kameraden David fest und konfrontieren David damit. David will es nicht wahrhaben und verprügelt Yussuf. Unmöglich, dass David etwas mit den Moslems zu tun haben könnte. Yussuf erkennt den Bruder an der Narbe ...

Jahrzehnte später, Ismael ist Anfang fünfzig, wird er mit der Wahrheit konfrontiert. Sein Ziehvater liegt im Sterben und möchte sein Gewissen entlasten und teilt ihm die ganze Geschichte und seine Herkunft mit. Der Vater stirbt und David gerät in eine Identitätskrise. Er begibt sich auf Spurensuche, sucht seine Herkunftsfamilie auf, er erinnert sich, als er im Knast Yussuf, der ihm wie ein Zwillingsbruder ähnlich war, schwer verprügelt hat. Er sucht seine Herkunftsfamilie, die nur noch aus einer Schwester besteht mit dem Namen Sara. Sara, die viele Jahre nach Yussuff und Ismael zur Welt kam. Sara kennt den Bruder Ismael nur über die Erzählungen ihrer Familie. David kontaktiert Sara, die mittlerweile in Amerika lebt und dort über die Greencard die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hat. David findet sie und zwischen den beiden Geschwistern entsteht ein wenig Liebe, obwohl Sara weiß, dass David Menschen getötet hat. Aber es gelingt ihr, auch das Gute in ihm zu sehen, zu erkennen, dass er selbst Opfer seiner Zeit war. Wer das kann, ist ein weiser Mensch ...

David findet seine Identität weder als Jude noch als Moslem. Er hat sein ganzes Weltbild über den Haufen geworfen. Um mit dem allem fertig zu werden, greift David zum Alkohol. Mit dem folgenden Zitat beende ich meine Aufzeichnung:
Ich trinke nicht mehr, liebe Schwester. Irgendwie ist das Dein Geschenk an mich. Ich werde nie ganz Jude oder Moslem sein, niemals ganz Palästinenser oder Israeli. Weil du mich angenommen hast, bin ich zufrieden damit, einfach ein Mensch zu sein. Du hast verstanden, dass ich, obwohl ich zu solcher Grausamkeit fähig war, auch zu großer Liebe fähig bin. 
Die Identität als Mensch? Kann es denn etwas Besseres geben?

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

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In der Musik spricht man mit Gott
(Erik Fosnes Hansen)

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Samstag, 29. März 2014

Susan Abulhawa / Während die Welt schlief

Klappentext
Jenin im Blumenmonat April: Frühmorgens, bevor die Welt um sie herum erwacht, liest Amals Vater ihr aus den Werken großer Dichter vor. Es sind Momente des Friedens und der Hoffnung, die Amal ihr Leben lang im Herzen trägt — ein Leben, das im Flüchtlingslager beginnt, nach Amerika führt und dennoch stets geprägt ist vom scheinbar ausweglosen Konflikt zwischen Israel und Palästina. Über vier Generationen erzählt Susan Abulhawa die bittere Geschichte Palästinas im Verlauf des 20. Jahrhunderts — eine Geschichte über den Verlust der Heimat, eine zerrissene Familie und die immerwährende Hoffnung auf Versöhnung.

Autorenporträt

Geboren als Kind palästinensischer Flüchtlinge wuchs Susan Abulhawa in Kuwait, Jordanien und Jerusalem auf. Als Teenager ging sie in die USA, wo sie heute gemeinsam mit ihrer Tochter lebt. Die Autorin engagiert sich aktiv für die Menschenrechte und die Lebensumstände von palästinensischen Kindern in besetzten Gebieten. Ihr Debütroman Während die Welt schlief wurde in über zwanzig Sprachen übersetzt.

Habe die ersten fünfzig Seiten durch, und es gefällt mir ganz gut.



Freitag, 28. März 2014

Zsuzsa Bánk / Der Schwimmer (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir auch ganz gut gefallen. Das zweite, das ich von der Autorin gelesen habe. Ein schöner und poetischer Schreibstil, wenn auch der Stoff recht traurig und relativ heftig ist.

Zu Erinnerung noch einmal der Klappentext:
Ungarn 1956: Die Panzer rollen, der Aufstand schlägt fehl, die Hoffnung scheitert, dass die Welt eine andere hätte werden können. Ohne ein Wort verlässt Katalin ihre Familie und flüchtet über die Grenze in den Westen. Ihr Mann Kálmán verkauft Haus und Hof und zieht fortan mit den Kindern Kata und Isti durch das Land. Während Kálmán in Schwermut ...
Kata ist die Icherzählerin dieses Romans. Sie erzählt aus der Perspektive eines kleinen Mädchen, das sie damals war, als ihre Mutter sie, ihren Bruder und den Vater ohne Abschied verließ. Ein schweres Trauma vor allem für den kleineren Bruder Isti. Und durch den Verlust der Mutter haben die Kinder auch ihre Heimat verloren. Sie waren mittellos und zogen mit dem Vater zu den Verwandten. Doch auch dort durften sie nicht bleiben, und so zogen die Kinder und der Vater immer wieder um, immer wieder zu anderen Verwandten. Ein wenig hat mich das Buch von Jeanette Walls Das Schloss aus Glas erinnert, in der auch ein schweres Kinderschicksal beschrieben wird, die ebenso von Gegend zu Gegend zogen.
Aber die Kinder versuchen, wie Lebenskünstler auch ohne Mutter weiter zu leben.

Auf den ersten Buchseiten beschreibt Kata die Mutter anhand der Fotos, die ihr geblieben waren. Ihre Mutter floh in den Westen, und die Kinder keine Vorstellung davon hatten, was Ost und West sei:
Wir fragten uns, wo der Osten aufhörte, wo unsere Mutter aus dem Zug gestiegen war und warum sie nicht den nächsten Zug zurückgenommen hatte. Wir fragten uns, warum unsere Mutter ausgerechnet mit Vali gegangen war, mit Vali, die als einzige Frau geraucht hatte, (…) Váli, die keinen Mann, keine Kinder hatte, nur einen alten Vater, der sonntags in der Kirche neben meiner Großmutter saß und lauter sang als alle anderen, der im Sommer barfuß ging, im Winter einen Mantel trug, der bis zum Boden reichte und mit dem er im Dorf seine Spuren hinterließ wie mit einem Besen. (228f)
Doch auch die Mutter hatte falsche Vorstellungen von dem Westen und nahm dadurch große Strapazen auf sich.

Die Mutter wird mit schwarzen Augen beschrieben, worunter sie als Kind sehr gelitten haben soll. Sie versuchte, damals die Augen mit Seife heller zu waschen.

Ein interessantes Bild, finde ich.

Wie die Kinder den Verlust ihrer Mutter verarbeiten, das muss man selber lesen.

Der Schwimmer? Wer ist damit gemeint? Der Vater der Kinder kümmert sich nicht sonderlich viel um sie. Er verhindert sogar, dass die Kinder für die Schule angemeldet werden. Schule sei sinnlos, würde nichts bringen, und so lernen die Kinder Lesen und Schreiben über einen Verwandten. Nicht sehr lang, da sie wieder umziehen mussten, vieles haben sich die Kinder später selbst angeeignet. Aber das Schwimmen. Das bringt ihnen der Vater bei. Vor allem Isti ist dadurch ganz dem Wasser verfallen. Wie mondsüchtig fühlt Isti sich dem Wasser magnetisch hingezogen, als er alle Schwimmkünste zu beherrschen wusste.
Unser Vater kaufte feste Schuhe für mich und eine Tasche mit zwei Schnallen für Isti, aber es kümmerte ihn nicht, ob wir etwas lernten oder nicht, wenn wir sagten, wir müssten aber, fragte er uns, für was? Selbst hier am See, wenn Àgi ihm vorwarf, er ziehe seine Kinder schlimmer auf als ein Zigeuner, jeder Zigeuner sorgt sich mehr um seine Kinder, zuckte mein Vater mit den Schultern, stieß den Stuhl weg, auf dem er seine Füße gelegt hatte, stand auf und blies Àgi Rauch ins Gesicht. Ich habe nie verstanden, warum wir nicht geblieben waren, an irgendeinem Ort, warum mein Vater nicht ein Haus bezogen, warum er keinen Garten bestellt hatte, warum er nicht, wie alle anderen, wie jeder, dem wir begegneten, den wir kannten, einfach irgendwo geblieben war und gesagt hatte, hier leben wir. Das einzige Gefühl, das mich in diesen Zeiten nicht verließ, ganz gleich, was mit uns geschah oder wo und bei wem wir waren, war meine Angst um Isti. Sie war wie eine Sicherheit, diese Angst, wie etwas, das nicht verloren gehen konnte, vielleicht, weil es sonst nichts gab, das mir sicher war, nichts, von dem ich wusste, sie gehört zu mir und wird bleiben. Seit dem Herbst, in dem meine Mutter in einen Zug gestiegen war, seit mein Bruder Stunden und Tage damit verbrachte, auf dem Bett zu liegen und zu dämmern, seit er angefangen hatte, Dinge ohne Ton zu hören, hatte ich Angst um ihn, und ich wurde diese Angst nicht mehr los. (132f)
Die Angst um ihren kleineren Bruder war berechtigt, wie sich am Ende des Romans zeigte.

Ich hatte gesagt, die Autorin hat einen schönen, literarischen und poetischen Schreibstil, so schreibe ich folgendes Zitat heraus, weil mir das Bild so sehr gefallen hat:
Der Wind blies und pfiff auch die nächsten Tage, zerrte an den Läden, peitschte den Regen gegen die Fenster, und Virág sagte, ohne Blätter sehen die Bäume aus wie Besen, als könne man den Himmel mit ihnen kehren. (142)
Das Buch zeigt viele Menschenschicksale, nicht nur das der Kinder, sondern auch der Erwachsenen, die durch die verschiedenen Kriege geprägt und gebeutelt waren. Diese Ereignisse konnte eine ganze Nation verändern, von denen selbst die Kinder geprägt wurden, obwohl sie keinen Krieg erlebt hatten, aber die Auswirkungen der Erwachsenen unbewusst deutlich zu spüren bekamen. Belastende, traumatische Ereignisse, die nicht ausreichend bearbeitet wurden, weil sie zu schmerzhaft waren, sich psychogenetisch auf die Kinder der Nachkriegsgeneration abfärbte.

Ich setze hier meinen Punkt. Das Buch ist sehr lesenswert und es erhält von mir zehn von zehn Punkten.

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In der Musik spricht man mit Gott
(Erik Fosnes Hansen)

Gelesene Bücher 2014: 21
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Dienstag, 25. März 2014

Zsuzsa Bánk / Der Schwimmer

Klappentext
Ungarn 1956: Die Panzer rollen, der Aufstand schlägt fehl, die Hoffnung scheitert, daß die Welt eine andere hätte werden können. Ohne ein Wort verläßt Katalin ihre Familie und flüchtet über die Grenze in den Westen. Ihr Mann Kálmán verkauft Haus und Hof und zieht fortan mit den Kindern Kata und Isti durch das Land. Während Kálmán in Schwermut...

Autorenporträt
Zsuzsa Bánk, geboren 1965, arbeitete als Buchhändlerin und studierte anschließend in Mainz und Washington Publizistik, Politikwissenschaft und Literatur. Heute lebt sie als Autorin mit ihrem Mann und zwei Kindern in Frankfurt am Main. Für ihren ersten Roman »Der Schwimmer« wurde sie mit dem aspekte-Literaturpreis, dem Deutschen Bücherpreis, dem Jürgen-Ponto-Preis, dem Mara-Cassens-Preis sowie dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet. Für die Erzählung »Unter Hunden« aus ihrem Erzählungsband »Heißester Sommer« erhielt sie den Bettina-von-Arnim-Preis. Zuletzt erschien ihr Roman »Die hellen Tage«.
Von der Autorin habe ich Die hellen Tage gelesen. Ist allerdings schon einige Zeit her. Das Buch hatte mir auch recht gut gefallen.

Der Schwimmer ist auch ein schönes Buch. Lese ich ganz gerne, habe die ersten fünfzig Seiten schon durch. Eine etwas traurige Geschichte ...






Montag, 24. März 2014

Erik Fosnes Hansen / Choral am Ende der Reise (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen, mit einer einzigen Ausnahme; an manchen Stellen, gegenüber von zwei Literaturfiguren war es mir ein wenig zu klischeehaft. Werde aber dazu nicht näher eingehen. Muss jeder eigene Entdeckungen machen.

Das Buch beschreibt sieben Musiker eines Orchesters, die alle mit einem unterschiedlichen Schicksal behaftet sind. Von den sieben werden fünf Künstler biografisch dargestellt und beschrieben, auch, wie es dazu kommt, dass sie ihr bisheriges Leben hinter sich lassen, um woanders neu zu beginnen. Das Orchester gehört zum Schiffspersonal.

Der Hintergrund der Titanic ist, was das Technische und die Unfallfolgen betrifft, an der echten verunglückten Titanic von 1912 angelehnt. Lediglich die Künstler hat der Autor neu erfunden.

Und das hat er literarisch nach meinem Geschmack recht gut hinbekommen. Guter literarischer sprachlicher Schreibstil, fantasievoll und psychologisch fundiert, dazu noch sehr symbolträchtig.

Der Autor kann schreiben, ohne Frage!

Ich habe mir nun einen weiteren Band des Autors bestellt, und wenn der bei mir auch gut abschneidet, dann nehme ich ihn auf meine Liste mit auf, auf der meine LieblingsautorInnen stehen.

Ich gehe so auf die Biografien ein, indem ich mir von jedem interessante Szenen herausschreibe, die mir wichtig erscheinen, und die ich in meinen Aufzeichnungen immer mal wieder nachlesen möchte. Ich beginne mit Jason Covards Geschichte. Jason ist Kapellmeister dieses Orchesters.

Jason wächst in einer recht wohlwollenden Familie auf. Seine Mutter spielt selbst ein Instrument, der Vater ist Arzt von Beruf. Und irgendwie ist alles darauf angelegt, dass Jason zukünftig in die Fußstapfen seines Vaters treten soll. Früh wird er mit den Naturwissenschaften konfrontiert und gefördert, ohne zu ahnen, was Jason selber für berufliche Ziele hegt. Im frühen Kindesalter bekommt er vom Vater ein Teleskop geschenkt  und gemeinsam betrachten sie abends die Sterne… Das Musische bekommt Jason von der Mutter beigebracht.

Die Eltern reisen aus, gehen beruflich in ein Drittwelt – Land und sterben an einer ansteckenden Infektionskrankheit. Jason kommt zu seiner Tante und seinem Onkel. Jason verändert sich, wird vor allem auch in der Schule psychisch und verhaltensauffällig, schottet sich innerlich ab, möchte mit niemandem über seine inneren Nöte reden. Zu seinen Verwandten schafft er es nicht, eine Beziehung aufzubauen, obwohl sie sich um ihn bemühen. Niemand kann Jasons Eltern ersetzen.

Jason wird auch gewalttätig, verprügelt in der Schule ein adliges Kind. Alle sind empört darüber. Ein adliges Kind zu verprügeln? Das gehört sich nicht. Im Lehrerzimmer wird Jason zur Rede gestellt, als stünde er vor einem Tribunal. Jason gibt schließlich kund, dass er das adlige Kind verprügelt habe wegen eines politischen Motives.  Die Armen würden ihre Armut selbst verdienen. Das brachte Jason in Rage und als Leserin ergreift man dadurch die Partei nicht für das geschlagene Kind, sondern für Jason, der die Armen verteidigt. Er riskiert mit seiner Verhaltensauffälligkeit einen Schulverweis …

Jason ist Medizinstudent und befindet sich in dem Pathologiesaal, in dem die StudentInnen mit Leichen arbeiten, die in Formaldehyd getaucht liegen. Auch das nimmt Jason so ziemlich mit und stellt sich seine Eltern als Leichen vor, aber auch andere Menschen, die er nicht besonders mag:

Frau Bucklingham, seine Wirtin, ist ihm nicht besonders sympathisch.
Sie war die absolute Herrscherin des Logierhauses, ein witziger Mieter hat das Anwesen bereits in Buckingham-Palast umgetauft. Wenn sie gackernd und drohend zu ihm hinaufkam, sah Jason sie an, als sei sie bereits einer jener unschönen, namenlosen Körper im Pathologiesaal, und mit der nüchternen, etwas zynischen Vorstellungskraft des Mediziners sah er sie vor sich, gerupft und aufgeschnitten, die weißen Fettschichten zur Seite geklappt, während sich jemand an ihrer Leber zu schaffen machte. Dies war Jasons Rache. Er konnte sich ertappen, dass er auf diese Weise die ganze Welt sah: Mitstudenten, Professoren, die Waschfrauen, die auf der Straße, in der er wohnte, kamen und gingen, die Gemüsehändler, die Tierbändiger, die zahllosen Straßenmädchen. Alles zusammen erschien ihm vor allem wie ein böser Traum. (141f)
Ich selbst machte die Bekanntschaft von zwei Medizinstudentinnen, als ich mich noch im Studium befand, die so nett waren, mich in den Pathologiesaal mitzunehmen. Diese Erlebnisse mit den Leichen können ganz schön unter die Haut gehen.

Jason befasste sich viel mit dem Tod.

Er bekommt mit, dass jemand ertrunken ist und so versucht er sich vorzustellen, welche Gestalt der Körper eines betrunkenen Menschen annimmt. Und was das Ertrinken mit der Person macht. Ein Bekannter namens Hugo, der viel auf See verweilte, teilte ihm seine Erfahrung mit Ertrunkenen mit:
Zuerst füllen sich die Atemwege mit Wasser, der Ertrinkende versucht weiter zu atmen, das gelingt ihm aber nicht. Er atmet tief ein, und es kommt zu einer Unterbrechung der Atmung von anderthalb Minuten oder so. Dann folgen einige tiefe Atemzüge, bei denen die Lungen ganz voller Wasser gepresst werden, er verliert das Bewusstsein, und nach einigen krampfartigen, finalen Atemzügen tritt der Tod ein. Vier bis fünf Minuten. Es kann schneller gehen, durch den Schock. Während der ersten paar Minuten dieses Prozesses ist man bei Bewusstsein oder teilweise bei Bewusstsein. (149)
Da ich mich früher auch viel mit solchen Fragen beschäftigt hatte, fand ich diese Szenen für mich besonders interessant, weshalb ich sie mir herausschreibe.

Jason geht noch einen schweren Weg ... 

Wer mehr wissen möchte, so verweise ich auf das Buch.

Die nächste Biografie behandelt das Leben von Leo Lewenhaupt. Ebenso wie Jason ist Leo innerlich eine recht einsame Figur. Adliger Herkunft, wo Disziplin, Gehorsam und Profession herrschen. Die Eltern setzen Leo massiv unter Leistungsdruck. Statt mit anderen zu spielen, muss er zu Hause bleiben und sechs bis acht Stunden am Tag schwere Musikstücke üben. Er bekommt die besten Lehrer, den besten Unterricht, den Rest muss David allein bewältigen …

Natürlich achten die Eltern darauf, dass das Wunderkind ausreichend frische Luft und zum Ausgleich ausreichend sportliche Betätigung erhält. Aber Leo ist allein, ohne Spiel und Spaß mit anderen Kameraden. Vom Vater bekommt Leo ein gut durchtrainiertes und teures Pferd geschenkt, das das Pony Bella ablösen soll. Leo wird nicht gefragt, ob er das Pferd haben möchte. Das Pferd erhält vom Vater den Namen Fidelio. (Fidelio – aus der Oper von Ludwig van Beethoven). Leo ist so einsam, dass er zuvor dem Pony schon alle seine Geheimnisse anvertraut hatte. Folgende Szene brachte mich ein wenig zum Schmunzeln, obwohl diese sehr traurig ist: und hatte mich gleichzeitig zutiefst berührt
Als Leo nach und nach mit Fidelio bekannt wurde, entstand ein so nichts verpflichtendes, neutrales Verhältnis. Das Pferd musste gemerkt haben, dass er es aus purer Höflichkeit tritt, aber es hatte gute Manieren und ließ sich nichts anmerken. In die Ponyohren Bella hatte Leo kleine Geheimnisse flüstern konnten, denn er wusste genau, dass sie nicht klatschte, sondern verstand und alles für sich behielt. Bei dem Tier aber, bei Fidelio, konnte man nie wissen, ob er nicht zum Vater ging. Oder zu ihm.Es muss um diese Zeit gewesen sein, als er sich ernstlich eine Art Zynismus zulegte, eine Trennung zwischen seinem Denken und seinem Verhalten. Zugleich ertappte er sich einige Male dabei, dass er im Begriff stand, eine gefährliche Grenze zu überschreiten: Er konnte durch den Wald galoppieren und laut und verrückt antiroyalistische Parolen oder Unanständigkeiten rufen, wenn nur das Pferd es hörte, und nach der Reittour konnte er flehentlich und ernst zu ihm sagen: Du klatschst doch nicht, Fidelio. Du erzählst das doch nicht Vater?Der Vater benutzte nicht allzu häufig den Rohrstock, wäre ihm aber solche Äußerungen zu Ohren gekommen, war es nicht schwer, sich vorzustellen, was passieren würde. (248f)
Leo befindet sich in Paris auf einer Musikschule, die nur die Besten von den Besten aufnimmt. Ähnlich wie bei den Eltern wurde auch hier alles gefordert.
Leo wird krank und kommt in die Klinik:
Nicht viele Monate nach seiner Ankunft in Paris bekam Leo die Masern. Dann bekam er Windpocken und die Masern. Kurz hintereinander kamen diese drei Kinderkrankheiten, und er war lange krank. Mitten in den Windpocken brachte man ihn ins Krankenhaus. Keiner seiner Mitschüler durfte ihn besuchen, der Meister aber kam regelmäßig, inspizierte ihn und sah die sonderbaren Farben und Formen, die er nacheinander annahm. Es schien, als habe das beschützte, überanstrengte Dasein der Kindheit ihn nun aus seiner Umklammerung entlassen und als müsse er nun auf einmal alles nachholen, wozu alle anderen Kinder Zeit gehabt hatten. Er hatte keine Zeit zum Kranksein gehabt. (288f)
Leo sehnst sich nach Heilung und sucht einen besonderen Weg. Doch hier beende ich meine Aufzeichnung zu Leo. 

Ich gehe nun über zu David. Auch ein Einsamer auf seine Weise, der mit seiner großen Liebe nicht fertig wird. Sein Naturell ist eher geprägt von Schüchternheit und Zurückhaltung. Zudem ist er ein wenig introvertiert. David ist eher ein ängstlicher Typ.

Auf einem Jugendcamp, Jungen und Mädchen sind getrennt, beobachten David und sein bester Freund Hannes Mädchen, die nackt in einem Fluss baden. Kleine Voyeure …

David lernt hier seine große Liebe Sofia kennen. Er leidet an einer inneren Leere, die er mit seinem Mädchen auszufüllen versucht, was ihm große Probleme verschafft. Sofia durchschaut ihn und merkt ziemlich schnell, dass David versucht, sie zu besitzen. Sie versucht David deutlich zu machen, dass man Liebe nicht besitzen und auch nicht erzwingen könne. Die wahre Liebe bestehe ausschließlich aus Freiheit, in der sich die PartnerInnen seelisch und geistig weiter einwickeln können. Sofia lernt den Schauspieler eines Berliner Theaters kennen, zu dem sie sich hingezogen fühlt, weil er eine persönliche Note hat, die David fehlt. Der Schauspieler übernahm die Rolle Mephistos, aus Goethes Faust. David wird eifersüchtig und kompromittiert absichtlich den Schauspieler in einer gesellschaftlichen Runde im Beisein von Sofia.
Der Rest des Abends wurde entsetzlich peinlich, weil David seine Verlegenheit verlor und auftaute. Er war nicht an Alkohol gewöhnt, und schon nach zwei Gläsern war er beschwippst. Er wollte beweisen, dass er keineswegs verlegen war, dass die Angst keineswegs durch sein Inneres mit Glasscherben schnitt. Darum unterhielt er sich mit dem Schauspieler Jänner, laut und lebhaft, lächelte, lachte, plusterte das Gefieder auf. Wie sei das eigentlich - könne man den Teufel spielen, ohne selbst der Teufel zu werden, während man auf der Bühne steht? Das wollte er gern wissen: Müsste man nicht ein wenig vom Teufel in sich haben, auch im Alltag? Ihn kennen? Ihn persönlich kennen? Er stellte die Frage sehr provozierend. Sofia warf ihm einen ärgerlichen Blick zu, Jänner jedoch antwortete, ungerührt und gefasst:
"Mein junger Freund - das ist eine schwierige Frage. Schwieriger, als du glaubst. Wenn es den Teufel nämlich gibt-was ich persönlich stark bezweifle; dann ist er ein Wesen von so ungeheurer Bosheit und von einer solchen Hässlichkeit, dass man die Begegnung mit ihm persönlich nicht überstehen würde. Er wäre die Ängste aller Kriege, wie das schadenfrohe Gelächter der gesamten Welt, konzentriert und in einem Wesen verdichtet. Ein solches Wesen lässt sich auf der Bühne nicht darstellen. Das ist unmöglich. Ich stelle nicht den Teufel dar."„(….) Aber dieser Schauspieler, dieser Gauklerteufel, er muss doch auch eine gewisse Bosheit in diesem Augenblick in sich haben, muss von einer gewissen Grausamkeit beseelt sein, damit der glaubwürdig sein kann."„Ja", sagte der Schauspieler ernst, "ich glaube, das muss er."„Genau.“ (…). Sofia packte ihn am Arm, als wollte sie ihn zum Schweigen bringen, der Schauspieler aber legte seine große Hand beschwichtigend auf die ihre und fuhr fort:"Das Sonderbare ist, (…), dass diese Bosheit, in die der Schauspieler sich hinein versetzen muss und die er ganz richtig aus sich selbst holen muss - das Sonderbare ist, dass er niemals szenisch effektiv wäre, ehe er sie beherrscht, ehe er sie durchschaut und überwunden hat. Mit aktiver, persönlicher Bosheit kann er nicht spielen. Er muss sie verwandeln. Und das Kuriose ist, wenn er dieses Stadium, diese Stilisierung erreicht hat, dann kann man bei ihm-dem Schauspieler-nicht mehr von Bosheit sprechen, von dunklen Kräften in ihm. Dann wird daraus eine neue Kraft, eine Leuchtkraft. Auch wenn es für das Publikum so aussieht, als sei es ein Strom aus Dunkelheit, er selbst erlebt es.als Licht, als Güte, als etwas, das hilfreich ist für ihn. Der Sinn ist eher, dass es boshaft aussehen soll. Aber im Übrigen ist es sehr überaus üblich, dass die Repräsentanten des Bösen, die also, die wirklich böse handeln, unschuldig und harmlos aussehen. Ein harmloser Mephisto auf der Bühne aber wäre ein Witz." (404f) 
Zu David folgt nun ein weiteres Zitat, das mich auch tief berührt hat. Er gerät immer mehr in den Strudel von Abhängigkeit und Liebessehnsucht und wendet sich Hilfe suchend an seinen Freund Hannes, mit der Frage, was er noch tun könne, um die Partnerschaft noch zu retten:
"Tun? Meinst du nicht, dass du genug getan hast? (…) Eines musst du verstehen: Du kannst mit einem Mann wie Max Jänner nicht konkurrieren. Du kannst ihn nicht besiegen. So gewinnst du keine Liebe. Er ist jemand, du bist niemand. Sofia fühlt sich nicht zu dir hingezogen, solange du nichts hast, was dir selbst gehört, eine innere Spannung, ein Stück Erfahrungen, die du selbst gemacht hast. Etwas, was du dir angeeignet hast, etwas, wofür du brennst, etwas, das du gesehen und verwandelt hast. (421( 
Eine letzte Szene, die mich bei David stark berührt hat. David identifiziert sich mit der Figur Augustin, aus dem Kinderlied, Oh du lieber Augustin und konfrontiert Hannes mit dem Lied, mit dem Schicksal Augustins. Hannes kennt aber Augustins Geschichte nicht und bekommt sie von David erzählt:
Ich habe gedacht, jeder kennt die Geschichte mit Augustin. Ja, Augustin war vor über dreihundert Jahren Spielmann in Wien. Er hat Dudelsack gespielt und war ein fröhlicher, munterer Musikant-und hatte starke Getränke zu gern. Eines Abends, im Jahr der Pest 1679, betrinkt er sich in einer Kneipe, für einen Spielmann sind es düstere Zeiten, und über Wien hängt Leichengeruch. Auf dem Nachhauseweg geht Augustin über einen Friedhof. In diesen Tagen wütet die Pest aufs Schlimmste, und die Massengräber stehen offen. Augustin passt in der Dunkelheit nicht auf und fällt in eines der Gräber hinein, hinunter zu den Leichen. Dort bleibt er umnebelt liegen, bis zum nächsten Morgen, dann kommt er zu sich, als die Leichenträger neue Pesttote zu ihm hinunterwerfen. Er ist sich im Klaren darüber, wo er ist: in einem Massengrab. Dann stimmt er, ganz ohne zu überlegen, ein neues Lied an.> Oh, du lieber Augustin,Alles ist hin!<Als aber die Totengräber jemanden unten im Grab singen hören, sind sie furchtbar erschrocken. Sie glauben, dass dort vielleicht ein Wiedergänger singt. Die Melodie aber ist so munter. Und als sie über den Grabrand schauen, sehen sie Augustin rittlings auf einer Leiche sitzen, während er singt:> Oh, du lieber Augustin, alles ist hin!<Sie zogen ihn aus dem Grab. Danach lebte er lange und gut, und sein Lied geriet nie in Vergessenheit. Das ist die Geschichte vom lieben Augustin. (423f)
Wie Hannes kannte auch ich die Geschichte vom lieben Augustin nicht, nur das Kinderlied hatte ich im Kindergarten gelernt. Für ein Kind ein doch zu harter Stoff.

War mir äußerst wichtig, Augustins Geschichte aufzuschreiben. Schafft es David, aus dieser konflikthaften Beziehung rauszukommen? Ich setze nun hier meinen Punkt und verweise auf das Buch.

Eine letzte Figur lasse ich nun aus, da ich ja doch recht viel nun geschrieben habe. Es geht um die Lebensgeschichte des Bassisten Petrorius, die dermaßen straight ist, dass ich am besten die Finger von ihr lasse. Sie ist lesenswert, ohne Frage, ein wenig mit Augenzwinkern sollte man sie aber doch lesen. Passt so gar nicht wirklich zu den anderen Musikern. Aber auch Pretorius ist wie die anderen auch eine recht einsame Seele.

Das Buch erhält von mir acht von zehn Punkten. Zwei Musiker wurden, wie ich anfangs schon erwähnt habe, ein wenig klischeehaft beschrieben. Sonst wären es zehn Punkte gewesen.
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In der Musik spricht man mit Gott.
(Erik Fosnes Hansen)

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