Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Das Buch hat mir sehr gut gefallen, lediglich der
Klappentext hat mich ein wenig irritiert. Ich bin mit der Vorstellung in die
Lektüre gegangen, es mit einem an Krebs erkrankten Menschen zu tun zu haben. Ja,
diesen Menschen gibt es in der Geschichte, aber er ist bei Weitem nicht die
Hauptperson des Romans. Wie dieser Mensch mit seiner tödlichen Erkrankung
umgeht, fand ich recht spärlich, und für mich nur eine Nebendarstellung, die im großen Ganzen des Romans dazugehört. Das
ist aber nicht die Schuld der Autorin, sondern desjenigen Lesers, der den
Umgang mit der Krankheit und dem Tod ins Zentrum gerückt hat, wobei der Buchtitel, fällt mir gerade auf, doch eher auf das Thema Sterben und Tod hinweist.
Hat die Autorin vielleicht doch zu viele Themen reingepackt? War das Ausgangsthema erst ein anderes, und sich das Thema in eine andere Richtung entwickelt hat?
Parallel dazu finden noch viele andere Geschichten statt,
die nicht weniger bedeutsam sind. Aber ich war darauf nicht vorbereitet.
Siegfried Lenz hat den Klappentext geschrieben, auch wenn er im Anhang etwas
ausführlicher ausholt, gleicht er das Missverständnis wieder aus, indem er die Handlungen
der anderen Protagonisten mit dem des Sterbenden miteinander verbindet.
Carson McCullers ist eine Autorin, die die Figuren
authentisch aufleben lässt, sie kann menschliche Charaktere in ihren Handlungen
wahnsinnig gut beschreiben.
Trotzdem bin ich ein wenig orientierungslos gewesen. Nicht nur Lenz mit seinem Klappentext hat mich auf die falsche Fährte gebracht, sondern auch der Buchtitel. Mit Rassismus, das ist das eigentliche Hauptthema, hätte ich den Buchtitel niemals in Verbindung gebracht.
Im Folgenden noch einmal der Klappentext:
In ihrem letzten Roman thematisiert Carson McCullers die Unabwendbarkeit des Todes: Dem Apotheker Malone wird von seinem Arzt eröffnet, daß er nur noch ein gutes Jahr zu leben hat. Ist das genug Zeit, sich vom Vergangenen zu verabschieden und das Sterben zu akzeptieren?
Für mich war nicht der Krebskranke der Protagonist, sondern der
Richter, sein Neffe und ein schwarzer Junge.
Das Buch beginnt zwar mit der Thematik Sterben und Tod, aber
sehr bald kommt die Wende und man hört lange nichts mehr davon.
Marlone heißt die Figur, die von ihrem Arzt gesagt bekommt,
dass sie an Leukämie erkrankt sei und nur noch wenige Monate zu leben habe.
Marlone verschweigt seiner Familie die Diagnose, versucht
sich aber bei seinem eher oberflächlichen Freund, der Richter ist,
auszusprechen. Marlone ist Mitte vierzig, der Richter weit über neunzig. Doch
auch der Richter ist von Krankheit und Tod gebeutelt, er selbst hatte Glück und
konnte seinen Infarkt überleben. Aber sein Sohn hatte sich das Leben vor mehr als siebzehn
Jahren genommen. Auch seine Frau verstarb.
Der Tod lauert also überall …
Marlone fühlt sich von dem Richter nicht ernst genommen, da er
versuchte, ihm die Diagnose auszureden …
Und so versucht Marlone, alleine mit der Erkrankung, mit
seinem Sterben und mit seinem bevorstehenden Tod umzugehen. Er gibt sich
plötzlich Gedanken hin, die ihm vor seiner Erkrankung niemals gekommen wären ... Marlone denkt an all die Menschen, die vor ihm gegangen waren, darunter befanden sich
auch Kinder.
Mit jeder Stunde rückt
jedes Lebewesen seinem letzten Stündlein näher - aber wie oft denken wir daran?
Zwischendrin nimmt man immer mal wieder Teil an Marlones
Gedanken. Zum Ende hin wird es richtig konkret, während er zuvor noch lange in
seiner Apotheke beschäftigt ist. Das Jahr war schon längst rum, und Marlone lebt immer noch.
Die größte Gefahr - sein
Ich zu verlieren - kann sich so still vollziehen, als wäre es nichts; jeder
andere Verlust - von einem Arm oder Bein, von fünf Dollar, von einer Ehefrau
usw.- fällt einem bestimmt auf. (262)
Ich wechsle nun über zu den eigentlichen Protagonisten. Das
wären der Richter Clane, sein Neffe Jester und der schwarze Junge namens
Sherman.
Sherman ist ein Waisenkind, mittlerweile siebzehn Jahre alt.
Ein Schwarzer, der blaue Augen hat. Er leidet unter Identitätsproblemen, da er
nicht weiß, wer seine eigentlichen Eltern sind und erfindet welche in seinen Träumen. Er zeigt sich arrogant und ist schwer zugänglich. Einerseits
will er sich rächen, weil die Schwarzen schlecht behandelt werden, und
andererseits glaubt er etwas Besseres zu sein, weil er blaue Augen hat, und sich
nicht zu den Schwarzen zählt.
Sherman ist im Haus des Richters tätig …
Sherman befindet sich in einer Phase, wo er, wie jeder Jugendlicher auch, noch seinen
Platz in der Gesellschaft sucht. Bei einem Schwarzen dauert solch ein Selbstfindungsprozess weitaus länger. Richter Clare weiß, wer die Eltern des Jungen
sind, spricht es aber nicht aus. Er sieht, wie der Junge leidet. Erst als der Junge durch Zufall die Namen seiner Eltern herausfand, rastet der Junge ganz aus und möchte
sich an dem Richter rächen, unterlässt es dann schließlich doch und rächt sich
an Jesters Hund, indem er den Hund an einem Baum erhängt, als Jester nicht zu Hause war. Jester
ist geschockt, den Hund aufgehängt vorzufinden und hat sofort Sherman in Verdacht,
den er zur Rede stellt. Shermans Reaktion:
>>Und ich sehe,
wie du mit dem Hund von´nem weißen Gassi gehst, wie du dir ne´schicke weiße
Sommerhose anziehst und in die Schule für die Weißen gehst. Aber um mich
kümmert sich keiner. Ich tue das, aber keiner merkt es. Was Gutes oder was Gemeines,
aber keiner merkt es. Die Leute streicheln den verdammten Hund, aber mich sehen
sie nicht. Und dabei ist er bloß ein Hund.<< (358)
Armer Hund, der sogar Sherman immer abgeschleckt hatte; wo für den
Hund alle Menschen gleich sind, weiß wie schwarz, so musste er nun für den
Rassismus bezahlen.
Der Richter Clane ist der absolute Rassist. In seinem Dienst
als Richter hat er immer dafür gesorgt, dass die schwarzen Angeklagten
verurteilt wurden, auch, wenn sie im Recht waren. Schwarze Menschen waren schon
dadurch im Unrecht, weil sie existierten und die Diskrepanz liegt allerdings darin,
dass sie doch auch von den Weißen gebraucht und ausgebeutet wurden. Seit knapp
hundert Jahren kämpfen die Schwarzen um Gleichbehandlung, die auch im Gesetz schließlich
geregelt wird.
Richter Clane hält eine öffentliche Rede, als es darum ging,
gegen die Schwarzen zu sprechen und merkte nicht, wie er sich mit seiner Rede blamierte:
Vor siebenundachtzig Jahren,
(…) gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit
gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind.
Jetzt stehen wir in einem großen Bürgerkrieg, um zu erproben, ob diese oder
jene andere so gezeugte Nation dauerhaft bestehen kann. (396)
… dass alle Menschen
gleich geschaffen sind. Er wusste nicht, wo die Blamage lag, das bedeutet,
die Schwarzen zählte er nicht zu den Menschen. Denn das war ja das Ziel der Neuamerikaner, Freiheit allen Menschen.
Der Neffe Jester, auch siebzehn Jahre alt, geht noch zur Schule
mit der Perspektive, Jurist wie sein Vater zu werden. Aber nicht wie sein Großvater.
Sein Vater nahm sich das Leben, als Jester sich im Kleinkindalter befand. Johnny
war anders als sein Vater; er setzte sich für die Schwarzen ein.
Er nahm sich das Leben, und Jester erfährt erst recht spät,
weshalb sich der Vater suizidierte. Jester favorisierte seinen Großvater, als
er noch klein war. Doch später, in der Adoleszent, rebelliert er gegen den
Großvater und entwickelt sich in die andere Richtung. Jester setzt sich für die
Schwarzen ein. Er hält Freundschaft mit Sherman, auch wenn Sherman seine
Freundschaft nicht erwidern konnte.
Richter Clare ist dermaßen narzisstisch eingestellt, dass er
von seinem Neffen die permanente Bewunderung in seinem Denken und in seinen
Handlungen benötigt. Auch von seinem Sohn erwartete er das Nacheifern. Richter
Clare wollte sich dadurch unsterblich machen. Er konnte seinen Sohn nur lieben,
solange er das machte, was seinen Vorstellungen entsprach. Immer wieder spricht
er davon, dass sein Verhältnis zu seinem Sohn eher brüderlich war, eher
zwillingshaft. Nein, Jester glaubte nicht alles, was er über seinen Vater
erzählt bekommt. Jester sieht die Unterschiede zwischen Vater und Sohn ...
Zum ersten Mal spricht Clare mit Jester über den Sohn Johnny, indem
er die Dialoge zwischen Vater und Sohn wiedergibt:
Einmal, in Johnnys erstem
Jahr in der Anwaltspraxis, hatte der Vater laut gesagt: >>Mir ist oft
aufgefallen, Johnny, dass Männer, die sich zu sehr mit der Unterschicht
befassen, leicht selber untergehen.<<
Johnny hatte nur mit
den Schultern gezuckt.
Der Großvater, der Richter, spricht nun aus eigener juristischer
Erfahrung, als er in Johnnys Alter war:
>>Ich bin den Armenprozessen, die einem jungen Anwalt zuerst aufgehalst werden, aus dem Weg gegangen. Meine Kanzlei lief gut, und bald konnte ich als Verteidiger Fälle übernehmen, die mir beträchtlichen finanziellen Gewinn eintrugen. Finanzieller Gewinn und politisches Prestige, das sind schon immer die ausschlaggebenden Erwägungen gewesen.<<
>>So ein Anwalt bin ich nicht<<, hatte Johnny gesagt. (308)
Auch vor Gericht brachte Johnny seinen Einsatz, der für die
schwarzen Menschen sprach:
>Meine Herren
Geschworenen, in Fällen wie diesem hier ist es die Verfassung, die unter
Anklage steht.< Johnny zitierte die Präambel und die Zusätze, die allen
Sklaven Freiheit garantierte und sie zu Staatsbürgern mit gleichen Rechten
machte. (325)
Richter Clare ist nicht nur rassistisch, sondern auch
materiell. Er tat alles, um in seinem Beruf schnell aufzusteigen und sich
Reichtürmer anzuhäufen. Er bezeichnete sich und Marlone als bedeutende, überaus
wichtige Bürger ihres Viertels. Marlone fühlt sich geehrt, als der Richter ihn miteinbezogen
hatte:
Der Richter im Gespräch:
>> Und noch
etwas<<, fuhr der Richter fort. >> Du und ich, wir haben unsere
Grundstücke und unsere Stellung und unsere Selbstachtung. Was aber hat Sammy
Lank, außer einen Haufen Kinder? Sammy Lank und andere arme Weiße wie er haben
nichts als ihre Hautfarbe. Keinen Besitz, keine finanziellen Mittel und keinen,
auf den sie herabsehen können - das ist der Schlüssel zu der ganzen Sache. Es
ist ein trauriger Zug der menschlichen Natur, aber jedermann muss jemand haben,
auf den er herabsehen kann. Und die Sammy Lanks dieser Welt haben nur die Nigger,
auf die sie herabsehen können.<< (363)
Nichts haben als die
weiße Haut … Fand ich absurd, die Haut wie einen losen Gegenstand zu betrachten.
Mein Fazit zu dem Buch:
Eigentlich hatte ich gar nicht vor, so viel über den
Rassismus zu schreiben, da ich schon so viel darüber gelesen habe. Ich habe mir
auch erst viel später im Buch die Zitate angemerkt, weil sie mir doch als recht
bedeutsam erschienen sind.
Ich bin sicher, dass wir die Befreiung der Sklaverei auch McCullers
zu verdanken haben, die in ihren Büchern sich für die Schwarzen eingesetzt hat, wobei die Sklaverei zu ihrer Lebzeit schon längst abgeschafft war, Ende des 19. Jhrd., wie man dies auch aus dem Kontext ihres Romans entnehmen kann, aber die Gesetze wurden noch nicht eingehalten. Die Weißen beachteten sie einfach nicht. Nach wie vor wurden die Schwarzen auch juristisch weiterhin in ihren Menschenrechten missachtet.
Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten. Neun aus dem Grund, weil der Buchtitel und der Klappentext irreführend war. Sonst wären es zehn gewesen.
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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch
durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).
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