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Montag, 3. April 2017

Ian McEwan / Kindeswohl (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Ich habe lange dafür gebraucht, obwohl es nur 224 Seiten hat. Es ist halt kein Buch, bei dem man wie ein Schnellzug so durch die Seiten rast. Viele interessante, aber sehr ernste Themen werden darin behandelt. Ich habe schon auf Facebook dazu geschrieben, dass das Buch sehr viele ethische Fragen aufwirft, auf die man keine 08/15-Antworten finden kann. Hauptsächlich geht es um die aktive und die passive Sterbehilfe, und über lebenserhaltende Maßnahmen. Eine Gradwanderung, denn wann darf ein Mensch über sein Schicksal selbst entscheiden, und wann nicht, vor allem, wenn es um minderjährige PatientInnen geht, wie in diesem Band, das mit dem treffenden Buchtitel Kindeswohl deklariert ist.

Auf den ersten Seiten bekommt man es mit siamesischen Zwillingen zu tun und man mit der Frage konfrontiert wird, ob die Medizin das Recht hat, nach der Geburt ein Zwilling zu töten, um das andere zu retten? Die Kirche sagt nein, das sei allein Gottes Willen, zu entscheiden, auch wenn dabei das Risiko besteht, dass beide Kinder sterben. Aber einfach hat es auch das Gesetz nicht, denn … 
… (d)as Gesetz selbst hatte ähnliche Probleme, erlaubte es Ärzten doch andererseits, bestimmte unheilbare Patienten ersticken, verdursten oder verhungern zu lassen, und verbot andererseits die sofortige Erlösung durch eine tödliche Spritze. (2016,37)

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Familienrecht ist das Spezialgebiet der Richterin Fiona Maye am High Court in London: Scheidungen, Sorgerecht, Fragen des Kindeswohls. In ihrer eigenen Ehe ist sie seit über dreißig Jahren glücklich. Da unterbreitet ihr Mann ihr einen schockierenden Vorschlag. Und zugleich wird ihr ein dringlicher Gerichtsfall vorgelegt, in dem es um den Widerstreit zwischen Religion und Medizin und um Leben und Tod eines 17-jährigen Jungen geht.

Brisant geht es schließlich in den Szenen zu, als es um den siezehnjährigen Adam geht, der an Leukämie erkrankt ist. Er und seine Familie sind Mitglied einer religiösen Sekte, die eine Bluttransfusion verbietet, obwohl sich diese lebensrettend auf das Leben des Jungen auswirken könnte. Der Junge selbst lehnt die Bluttransfusion ab, da er von den Eltern und von der Kirchengemeinde stark beeinflusst ist. Das Krankenhaus wendet sich an das Gericht. Richterin Fiona wird beauftrag, sich dieses Falls anzunehmen. Sie entscheidet in diesem wie auch in anderen Fällen über Leben und Tod. Erstaunlich, dass selbst Adams Eltern ablehnend der Bluttransfusion gegenüberstehen. Sind Kinder nicht das Wichtigste, was Eltern besitzen können? Wie dieser Rechtsstreit ausgetragen wird, möchte ich an einem kurzen Zitat belegen. Im Gerichtssaal, ein Dialog zwischen Dr. Carter, der den Jungen im Krankenhaus behandelt und der Anwalt des Mandanten Mr Grieve:
>>Sie stimmen mir doch zu, Mr. Carter, (…) dass es ein fundamentales Recht eines jeden Erwachsenen ist, über seine ärztliche Behandlung frei zu entscheiden?<<
>>In der Tat.<<
>>Und dass eine Behandlung ohne die Einwilligung eines Patienten eine Verletzung seiner persönlichen Freiheit darstellen würde, womöglich gar eine Körperverletzung?<<
 >>Das sehe ich auch so.<<
>>Und Adam ist doch, nach den gesetzlichen Bestimmungen, fast schon erwachsen.<<
>>Auch wenn er morgen früh achtzehn werden würde, wäre er heute noch minderjährig.<< (76)

Das Streitgespräch setzt sich noch lange fort, es bleibt also spannend, wie es letztendlich entschieden wird.

Die Richterin Fiona Maye, die beruflich mit vielen unterschiedlichen Menschenschicksalen zu tun bekommt, hat eigene Sorgen. Ihr Mann begeht einen Seitensprung, weil sie beruflich zu sehr eingespannt ist, und kaum noch Zeit hat, sich im Rahmen ihrer Ehe um die eigenen Bedürfnisse und um die sexuellen Bedürfnisse ihres Mannes zu kümmern. Ihr Mann macht ihr ein Geständnis ... Es kommt zu einem Eklat.

In diesem Ehezwist kommt einem die Frage auf, ob Fionas Mann nicht das Recht hätte, seine sexuellen Bedürfnisse mit einer anderen Frau zu befriedigen, wenn die eigene Frau dafür nicht mehr zu gewinnen sei? 


Mein Fazit zu dem Buch?

Wie oben schon gesagt, hat mir das Buch sehr gut gefallen, sodass ich vorhabe, mir erstmal noch zwei andere Bücher von dem Autor vorzunehmen und so denke ich dabei an Die Nussschale und an Abbitte. Wenn diese beiden Bücher bei mir ebenso gut ausfallen sollten, erkore ich auch diesen Autor zu meinen Favoriten, und mache daraus ein Leseprojekt. 

Auch das Cover hat mich sehr angesprochen. Kein Foto, sondern ein Gemälde des jungen Adams. Anfangs wusste ich mit diesem Profil noch gar nichts anzufangen, da der Ehezwist der beiden Eheleute im Vordergrund stand, und ich dieses Cover noch gar nicht einzuordnen wusste ...  Auch den Titel fand ich gut gewählt.

Allerdings wurde Adam auf der Seite 112 mittig als schwarzhaarig und mit dunklen Augen beschrieben. Das entspricht aber nicht dem Profil auf dem Bild. Der Junge hat hier blaue Augen, und die Haare sind eher braun und mit schwarzen Strähnen abgebildet. Sollen die schwarzen Strähnen ein Kompromiss sein? Denn darf ein englischer Junge nicht schwarzhaarig sein? Und müssen es bei einem Engländer immer blaue Augen sein? Ist die Natur tatsächlich so einseitig? Nein, das ist sie eigentlich nicht, nur der Mensch ist es, der es nicht schafft, die Natur, so wie sie ist, und zwar bunt, zu akzeptieren …

Aber alles andere fand ich passend, insgesamt fand ich das Buch sehr gut gelungen.

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus

Zehn von zehn Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch:

Ich möchte mich recht herzlich für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar beim Diogenes Verlag bedanken.

   Taschenbuch: 224 Seiten, 12,00 €
    Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (24. August 2016)
    ISBN-10: 3257243774

Und hier geht es auf die Website von Diogenes.
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Gelesene Bücher 2017: 14
Gelesene Bücher 2016: 72
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Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Montag, 12. Mai 2014

Carson McCullers / Die Autobiographie (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Die Autobiografie hat mir sehr gut gefallen.
Carsons Herz war oft einsam, und es war ein unermüdlicher Jäger auf der Suche nach Menschen, denen sie es anbieten konnte; aber es war ein Herz, das mit einem Licht gesegnet war, das seine Schatten überstrahlte.
Ein so schönes Bild schon gleich auf der ersten Seite der Einleitung, geschrieben von Tennessee Williams, ein amerikanischer Autor und Freund von Carson McCullers, hat es mir angetan.

Diese Metapher passt zu allen Romanfiguren, die McCullers in ihren Büchern, die ich bisher von ihr gelesen habe, auftreten, doch hauptsächlich passend ist sie zu den Figuren aus Das Herz ist ein einsamer Jäger.

Obwohl die Autorin jede Menge FreundInnen hatte, fällt es mir ein wenig schwer zu glauben, dass sie innerlich einsam war. Viele KünstlerInnen und bekannte AutorInnen zählten zu ihrem Kontakten- und Freundeskreis. Auch kommt sie aus einer Familie, in der sie gut aufgehoben war und in der sie geliebt wurde.

Aus der Einleitung geht allerdings hervor, dass C. McC. zu früh literarischen Erfolg hatte, für den sie psychisch noch nicht reif genug gewesen sei, und die innere Einsamkeit dadurch erklärbar machen könnte. Mit 23 Jahren bringt sie ihr erstes Buch mit dem Titel Das Herz ist ein einsamer Jäger heraus, und sorgt damit für Furore und große Anerkennung. Des Weiteren brachte sie für junge Talente einen Buchband heraus mit vielen Ratschlägen, wie man den frühen Erfolg bestmöglich verarbeiten kann.

Die Mutter der Autorin wusste schon, dass ihr Töchterchen es einmal zu etwas ganz Großem bringen würde. Ein Genie in der Familie und das war C. McC. tatsächlich. Eigentlich hätte sie Pianistin werden sollen. Mit neun Jahren bekommt sie ein Piano geschenkt, auf dem sie ihre ersten Stücke selbst komponierte, ohne vorher Unterricht erhalten zu haben. Aber das Schicksal hatte etwas ganz Anderes mit ihr vor. Dadurch, dass Carson als Kind viel krank war, musste sie ihr Ziel als Pianistin wieder aufgeben und begab sich in die Welt der Dichter und Schriftsteller ... C. McC. war eine so tolle Persönlichkeit, die leider nicht alt werden durfte. Mit Anfang fünfzig ist sie an ihrem vierten Schlaganfall gestorben. Den ersten Schlaganfall erlitt sie in ihrer Kindheit völlig unbemerkt. Ihr wurde von den Symptomen her das chronische rheumatische Fieber diagnostiziert, das sich später, nach vielen Jahren, als falsch erwies. Der erste Schlaganfall wurde erst viele Jahre später, als sie schon erwachsen war, erkannt.

C. McC. war ein durch und durch gütiger und lebensbejahender Mensch. Trotz ihrer körperlichen Einschränkungen hatte sie dennoch ein bewegtes Leben. Und keinesfalls ist sie an der Schwere ihrer Erkrankung in Depressionen verfallen. Ein Bein musste amputiert werden, und sie hatte trotzdem nicht den Lebensmut verloren. Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Sie wäre mir ein Vorbild.

Nach dem vierten Schlaganfall lag sie für mehrere Wochen im Koma, als sie dann schließlich starb.

Die Einleitung fand ich nicht sehr gut, denn viele Infos tauchten doppelt und dreifach auf.  C. McC. hat über ihr Leben so klar und deutlich geschrieben, dass ich auch ohne die Einleitung ausgekommen wäre. 
Die Klappentexte sind ja oftmals schon zu ausführlich. Ein bisschen sollte man den LeserInnen schon auch zumuten dürfen.

Wie hat die Autorin ihren Erfolg als Schriftstellerin gefeiert bzw. aufgenommen? Interessant fand ich, dass sie keine Rezensionen zu ihren Büchern gelesen hat.
Ich lese meine Rezensionen nie. Wenn sie gut sind, können sie mir zu Kopf steigen, und wenn sie schlecht sind, würden sie mich nur deprimieren. Also lasse ich es. Aber natürlich sickern durch Freunde Informationen zu mir durch, die mir eine ziemlich genaue Vorstellung davon geben, wie die Sache steht. (90f)
Eine Episode zwischen der Sekretärin und ihr brachte mich zum Schmunzeln. C. McC. war durch ihre Krankheiten auf eine Sekretärin angewiesen. Sie hatte durch ihren Schlaganfall ein recht schlechtes Sehvermögen. Sie diktierte der Sekretärin ihre Skripte. Über manche Szenen musste die Autorin selber auch lachen und wunderte sich, dass ihre Schreibhilfe so gar keinen Sinn für Humor besaß:
Mein guter Freund William Meyer fand eine Psychiatrieschwester, die mir mit dem Manuskript half, und als ich nach Hause durfte, besorgte ich mir eine Sekretärin, die das Skript tippen sollte. Das machte großen Spaß - das einzige Problem war, dass die Sekretärin keinen Sinn für Humor hatte, und wenn ich lachen musste, musste ich allein lachen, was ein bisschen gespenstisch ist, wie ich sagen muss.>>Finden Sie das nicht lustig?<< fragte ich sie gelegentlich.>>Nein<<, antwortete sie. Ich lachte also allein weiter. (101f)
Die Autorin war nicht nur Schriftstellerin, sie war auch mehr oder weniger politisch aktiv.
Wie man schon aus ihren Werken weiß, setzte sie sich schon früh gegen den Rassismus ein. Auch ihr  kleinerer Bruder Lamar Smith litt fürchterlich unter der Diskriminierung schwarzer Menschen. Die Kinder beobachteten eine Begebenheit zwischen ihrem sehr jungen farbigen Kindermädchen und einem Taxifahrer. Lucille hatte sich ein Taxi bestellt …
Mein Bruder und ich beobachteten, wie sie aus dem Haus kam und der Taxifahrer sich weigerte, sie zu fahren.
>>> Ich fahre keine verdammten Neger<<, schnaubte er. Lamar, der Lucilles Verlegenheit sah und die Hässlichkeit dieser ganzen Ungerechtigkeiten fühlte, rannte unter das Haus. (Ich muss dazu erklären, dass der Raum unter dem Haus fast wie ein eigenes Zimmer ist.) Mein Bruder weinte unter dem Haus, aber ich war außer mir vor Wut und schrie den Taxifahrer an: >>Sie böser, böser Mann.<< Dann kroch ich zu meinem Bruder, und wir hielten uns an den Händen, um uns zu trösten, weil es nichts, nichts anderes gab, was wir tun konnten. Lucille musste eine gute Meile zu Fuß nach Hause gehen. (122)
Mich wundert das immer wieder, dass es Menschen gibt, die über eine so große Sensibilität verfügen, mit der sie die Ungerechtigkeiten benachteiligter Menschengruppen wahrzunehmen in der Lage sind, während die meisten Menschen die Diskriminierungen als gegeben hinnehmen und sich dem ungefragt und unreflektiert anpassen, statt sich zu widersetzen. Wobei die Eltern hierbei als Vorbild fungieren. 

Und nun ein wenig etwas zur Literatur, die die Autorin bevorzugte.
Die meisten Bücher, die in der Autobiografie vorgestellt wurden, waren mir selbst bekannt. Sie hat Marcel Proust gelesen, F. Dostojewski, Leo Tolstoi und natürlich als Amerikanerin jede Menge amerikanische AutorInnen, wie z. B. Henry James, F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway, etc. so wie auch die Engländerin Virginia Woolf. Mit Virginia Woolf konnte C. McC. allerdings nicht wirklich warm werden.
Ich selbst bin völlig blind in Bezug auf Virginia Woolf. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann mich einfach nicht wirklich für sie interessieren. Das ist insofern merkwürdig, als nicht nur viele meiner Freunde Virginia Woolf schlichtweg vergöttern, sondern ich viele Mitglieder des >>Bloomsbury Set<< persönlich kenne.
Man kann ja nicht jeden berühmten Schriftsteller mögen. Mir ging es mit Marcel Proust ähnlich. Ich  war auch um ihn so sehr bemüht und habe bisher nicht mehr als vier Bände von ihm zu lesen geschafft. Virginia Woolf dagegen ist mir von ihrem inneren Naturell eher vertraut.

Allerdings ist Vrginia Woolf im Gegensatz zu mir, wie ich aus ihrer Autobiografie entnehmen konnte, von Marcel Proust mehr als angetan gewesen. 

Interessant fand ich, wie C. McC. den Buchband von Dostojewski Der Idiot bewertete:
Das Buch hat eine wundervolle Groschen Roman-Qualität. Man wird einfach von einer unglaublichen Szene zur nächsten unglaublichen Szene weiter gerissen.(128)
Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, den Band von Dostojewski als Groschenroman abzutun. Ehrlich gesagt ist mir Dostojewski ein wenig zu anstrengend und sehr langatmig. Mein Fall ist Dostojewski nicht.

Beeindruckend fand ich die Beziehung zu ihrem Gatten James Reeves McCullers jun. Ihr erster intimer Freund. Sie bekam recht früh einen Heiratsantrag gemacht und Carson wollte, um Reeves besser kennenzulernen, noch vor der Ehe Sex haben. Sie fragte ihre Mutter, was Sex sei. Die Mutter war sehr verlegen, zog sie sanft zu sich heran und sprach;
Schatz, Sex ist, wenn man sich auf etwas draufsetzt. (Kaputt lach)
C. McC. war genauso schlau wie vorher auch und suchte Bibliotheken auf,  um sich über Bücher aufzuklären. Doch die damalige Literatur eignete sich zur sexuellen Aufklärung genauso wenig ...
Sie verständigte ihre Eltern, dass sie mit Reeves schlafen werde. Die Eltern hatten das akzeptiert. Sie unterstützen ihr Kind in allen Lebenslagen, was es sich vornahm. Die Liebe zwischen den Eltern und der ältesten Tochter war ganz deutlich zu spüren.

Obwohl so viel Liebe zwischen Reeves und C. McC. bestand, musste die Ehe scheitern. Die vielen Depeschen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, dem ist ein eigenes langes Kapitel im Buch >>Kriegsbriefe<< gewidmet, bezeugten diese Kriegsbriefe die Liebe füreinander. Reeves war in Europa als Soldat stationiert. Er überlebte zwar den Krieg, aber nicht seine psychischen Leiden. Leider war Reeves schwer depressiv, der sich zusammen mit Carson das Leben nehmen wollte. Er versuchte, seine Frau zu erwürgen. Carson war entsetzt und zog sich von ihm zurück und ließ sich sogar scheiden. Schade. Beide genossen einen regen literarischen Austausch. Sie las ihm ihre Werke vor, von denen Reeves hellauf begeistert war und sich dadurch inspiriert gefühlt hatte, selbst auch mit dem kreativen Schreiben zu beginnen.

Carson fragte ihn, ob er das Werk Das Herz ist ein einsamer Jäger gut finden würde, so antwortete er:

Ob ich das gut finde? Nein, ich finde das nicht gut, ich finde das großartig.

Ich beende nun hier meine Aufzeichnungen.

Mein Fazit

Carson McCullers kommt mir ein wenig seelenverwandt vor. Ihre Bücher könnte ich sinnbildlich betrachtet mit geschlossenen Augen lesen. Ich könnte sie trotzdem noch gut verstehen. Deshalb bin ich motiviert, die restlichen anderen Bände von ihr auch noch zu lesen. Carson McCullers zählt zu meinen absoluten Favoriten.
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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).

Gelesene Bücher 2014: 33
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Sonntag, 13. April 2014

Carson McCullers / Uhr ohne Zeiger (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen, lediglich der Klappentext hat mich ein wenig irritiert. Ich bin mit der Vorstellung in die Lektüre gegangen, es mit einem an Krebs erkrankten Menschen zu tun zu haben. Ja, diesen Menschen gibt es in der Geschichte, aber er ist bei Weitem nicht die Hauptperson des Romans. Wie dieser Mensch mit seiner tödlichen Erkrankung umgeht, fand ich recht spärlich, und für mich nur eine Nebendarstellung, die im großen Ganzen des Romans dazugehört. Das ist aber nicht die Schuld der Autorin, sondern desjenigen Lesers, der den Umgang mit der Krankheit und dem Tod ins Zentrum gerückt hat, wobei der Buchtitel, fällt mir gerade auf, doch eher auf das Thema Sterben und Tod hinweist.

Hat die Autorin vielleicht doch zu viele Themen reingepackt? War das Ausgangsthema erst ein anderes, und sich das Thema in eine andere Richtung entwickelt hat? 

Parallel dazu finden noch viele andere Geschichten statt, die nicht weniger bedeutsam sind. Aber ich war darauf nicht vorbereitet. Siegfried Lenz hat den Klappentext geschrieben, auch wenn er im Anhang etwas ausführlicher ausholt, gleicht er das Missverständnis wieder aus, indem er die Handlungen der anderen Protagonisten mit dem des Sterbenden miteinander verbindet.

Carson McCullers ist eine Autorin, die die Figuren authentisch aufleben lässt, sie kann menschliche Charaktere in ihren Handlungen wahnsinnig gut beschreiben.

Trotzdem bin ich ein wenig orientierungslos gewesen. Nicht nur Lenz mit seinem Klappentext hat mich auf die falsche Fährte gebracht, sondern auch der Buchtitel. Mit Rassismus, das ist das eigentliche Hauptthema, hätte ich den Buchtitel niemals in Verbindung gebracht.

Im Folgenden noch einmal der Klappentext: 
In ihrem letzten Roman thematisiert Carson McCullers die Unabwendbarkeit des Todes: Dem Apotheker Malone wird von seinem Arzt eröffnet, daß er nur noch ein gutes Jahr zu leben hat. Ist das genug Zeit, sich vom Vergangenen zu verabschieden und das Sterben zu akzeptieren?
Für mich war nicht der Krebskranke der Protagonist, sondern der Richter, sein Neffe und ein schwarzer Junge.

Das Buch beginnt zwar mit der Thematik Sterben und Tod, aber sehr bald kommt die Wende und man hört lange nichts mehr davon.

Marlone heißt die Figur, die von ihrem Arzt gesagt bekommt, dass sie an Leukämie erkrankt sei und nur noch wenige Monate zu leben habe.  
Marlone verschweigt seiner Familie die Diagnose, versucht sich aber bei seinem eher oberflächlichen Freund, der Richter ist, auszusprechen. Marlone ist Mitte vierzig, der Richter weit über neunzig. Doch auch der Richter ist von Krankheit und Tod gebeutelt, er selbst hatte Glück und konnte seinen Infarkt überleben. Aber sein Sohn hatte sich das Leben vor mehr als siebzehn Jahren genommen. Auch seine Frau verstarb.

Der Tod lauert also überall …

Marlone fühlt sich von dem Richter nicht ernst genommen, da er versuchte, ihm die Diagnose auszureden …

Und so versucht Marlone, alleine mit der Erkrankung, mit seinem Sterben und mit seinem bevorstehenden Tod umzugehen. Er gibt sich plötzlich Gedanken hin, die ihm vor seiner Erkrankung niemals gekommen wären ... Marlone denkt an all die Menschen, die vor ihm gegangen waren, darunter befanden sich auch Kinder.
Mit jeder Stunde rückt jedes Lebewesen seinem letzten Stündlein näher - aber wie oft denken wir daran?
Zwischendrin nimmt man immer mal wieder Teil an Marlones Gedanken. Zum Ende hin wird es richtig konkret, während er zuvor noch lange in seiner Apotheke beschäftigt ist. Das Jahr war schon längst rum, und Marlone lebt immer noch.
Die größte Gefahr - sein Ich zu verlieren - kann sich so still vollziehen, als wäre es nichts; jeder andere Verlust - von einem Arm oder Bein, von fünf Dollar, von einer Ehefrau usw.- fällt einem bestimmt auf. (262)
Ich wechsle nun über zu den eigentlichen Protagonisten. Das wären der Richter Clane, sein Neffe Jester und der schwarze Junge namens Sherman.

Sherman ist ein Waisenkind, mittlerweile siebzehn Jahre alt. Ein Schwarzer, der blaue Augen hat. Er leidet unter Identitätsproblemen, da er nicht weiß, wer seine eigentlichen Eltern sind und erfindet welche in seinen Träumen. Er zeigt sich arrogant und ist schwer zugänglich. Einerseits will er sich rächen, weil die Schwarzen schlecht behandelt werden, und andererseits glaubt er etwas Besseres zu sein, weil er blaue Augen hat, und sich nicht zu den Schwarzen zählt.
Sherman ist im Haus des Richters tätig …

Sherman befindet sich in einer Phase, wo er, wie jeder Jugendlicher auch, noch seinen Platz in der Gesellschaft sucht. Bei einem Schwarzen dauert solch ein Selbstfindungsprozess weitaus länger. Richter Clare weiß, wer die Eltern des Jungen sind, spricht es aber nicht aus. Er sieht, wie der Junge leidet. Erst als der Junge durch Zufall die Namen seiner Eltern herausfand, rastet der Junge ganz aus und möchte sich an dem Richter rächen, unterlässt es dann schließlich doch und rächt sich an Jesters Hund, indem er den Hund an einem Baum erhängt, als Jester nicht zu Hause war. Jester ist geschockt, den Hund aufgehängt vorzufinden und hat sofort Sherman in Verdacht, den er zur Rede stellt. Shermans Reaktion:
>>Und ich sehe, wie du mit dem Hund von´nem weißen Gassi gehst, wie du dir ne´schicke weiße Sommerhose anziehst und in die Schule für die Weißen gehst. Aber um mich kümmert sich keiner. Ich tue das, aber keiner merkt es. Was Gutes oder was Gemeines, aber keiner merkt es. Die Leute streicheln den verdammten Hund, aber mich sehen sie nicht. Und dabei ist er bloß ein Hund.<< (358)
Armer Hund, der sogar Sherman immer abgeschleckt hatte; wo für den Hund alle Menschen gleich sind, weiß wie schwarz, so musste er nun für den Rassismus bezahlen.

Der Richter Clane ist der absolute Rassist. In seinem Dienst als Richter hat er immer dafür gesorgt, dass die schwarzen Angeklagten verurteilt wurden, auch, wenn sie im Recht waren. Schwarze Menschen waren schon dadurch im Unrecht, weil sie existierten und die Diskrepanz liegt allerdings darin, dass sie doch auch von den Weißen gebraucht und ausgebeutet wurden. Seit knapp hundert Jahren kämpfen die Schwarzen um Gleichbehandlung, die auch im Gesetz schließlich geregelt wird.

Richter Clane hält eine öffentliche Rede, als es darum ging, gegen die Schwarzen zu sprechen und merkte nicht, wie er sich mit seiner Rede blamierte:
Vor siebenundachtzig Jahren, (…) gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Jetzt stehen wir in einem großen Bürgerkrieg, um zu erproben, ob diese oder jene andere so gezeugte Nation dauerhaft bestehen kann. (396)
… dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Er wusste nicht, wo die Blamage lag, das bedeutet, die Schwarzen zählte er nicht zu den Menschen. Denn das war ja das Ziel der Neuamerikaner, Freiheit allen Menschen.

Der Neffe Jester, auch siebzehn Jahre alt, geht noch zur Schule mit der Perspektive, Jurist wie sein Vater zu werden. Aber nicht wie sein Großvater. Sein Vater nahm sich das Leben, als Jester sich im Kleinkindalter befand. Johnny war anders als sein Vater; er setzte sich für die Schwarzen ein.
Er nahm sich das Leben, und Jester erfährt erst recht spät, weshalb sich der Vater suizidierte. Jester favorisierte seinen Großvater, als er noch klein war. Doch später, in der Adoleszent, rebelliert er gegen den Großvater und entwickelt sich in die andere Richtung. Jester setzt sich für die Schwarzen ein. Er hält Freundschaft mit Sherman, auch wenn Sherman seine Freundschaft nicht erwidern konnte.

Richter Clare ist dermaßen narzisstisch eingestellt, dass er von seinem Neffen die permanente Bewunderung in seinem Denken und in seinen Handlungen benötigt. Auch von seinem Sohn erwartete er das Nacheifern. Richter Clare wollte sich dadurch unsterblich machen. Er konnte seinen Sohn nur lieben, solange er das machte, was seinen Vorstellungen entsprach. Immer wieder spricht er davon, dass sein Verhältnis zu seinem Sohn eher brüderlich war, eher zwillingshaft. Nein, Jester glaubte nicht alles, was er über seinen Vater erzählt bekommt. Jester sieht die Unterschiede zwischen Vater und Sohn ... 

Zum ersten Mal spricht Clare mit Jester über den Sohn Johnny, indem er die Dialoge zwischen Vater und Sohn wiedergibt:
Einmal, in Johnnys erstem Jahr in der Anwaltspraxis, hatte der Vater laut gesagt: >>Mir ist oft aufgefallen, Johnny, dass Männer, die sich zu sehr mit der Unterschicht befassen, leicht selber untergehen.<<
Johnny hatte nur mit den Schultern gezuckt.
Der Großvater, der Richter, spricht nun aus eigener juristischer Erfahrung, als er in Johnnys Alter war:
>>Ich bin den Armenprozessen, die einem jungen Anwalt zuerst aufgehalst werden, aus dem Weg gegangen. Meine Kanzlei lief gut, und bald konnte ich als Verteidiger Fälle übernehmen, die mir beträchtlichen finanziellen Gewinn eintrugen. Finanzieller Gewinn und politisches Prestige, das sind schon immer die ausschlaggebenden Erwägungen gewesen.<<
>>So ein Anwalt bin ich nicht<<, hatte Johnny gesagt. (308)

Auch vor Gericht brachte Johnny seinen Einsatz, der für die schwarzen Menschen sprach:
>Meine Herren Geschworenen, in Fällen wie diesem hier ist es die Verfassung, die unter Anklage steht.< Johnny zitierte die Präambel und die Zusätze, die allen Sklaven Freiheit garantierte und sie zu Staatsbürgern mit gleichen Rechten machte. (325)
Richter Clare ist nicht nur rassistisch, sondern auch materiell. Er tat alles, um in seinem Beruf schnell aufzusteigen und sich Reichtürmer anzuhäufen. Er bezeichnete sich und Marlone als bedeutende, überaus wichtige Bürger ihres Viertels. Marlone fühlt sich geehrt, als der Richter ihn miteinbezogen hatte:

Der Richter im Gespräch:
>> Und noch etwas<<, fuhr der Richter fort. >> Du und ich, wir haben unsere Grundstücke und unsere Stellung und unsere Selbstachtung. Was aber hat Sammy Lank, außer einen Haufen Kinder? Sammy Lank und andere arme Weiße wie er haben nichts als ihre Hautfarbe. Keinen Besitz, keine finanziellen Mittel und keinen, auf den sie herabsehen können - das ist der Schlüssel zu der ganzen Sache. Es ist ein trauriger Zug der menschlichen Natur, aber jedermann muss jemand haben, auf den er herabsehen kann. Und die Sammy Lanks dieser Welt haben nur die Nigger, auf die sie herabsehen können.<< (363)
Nichts haben als die weiße Haut … Fand ich absurd, die Haut wie einen losen Gegenstand zu betrachten.

Mein Fazit zu dem Buch:

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, so viel über den Rassismus zu schreiben, da ich schon so viel darüber gelesen habe. Ich habe mir auch erst viel später im Buch die Zitate angemerkt, weil sie mir doch als recht bedeutsam erschienen sind.

Ich bin sicher, dass wir die Befreiung der Sklaverei auch McCullers zu verdanken haben, die in ihren Büchern sich für die Schwarzen eingesetzt hat, wobei die Sklaverei zu ihrer Lebzeit schon längst abgeschafft war, Ende des 19. Jhrd., wie man dies auch aus dem Kontext ihres Romans entnehmen kann, aber die Gesetze wurden noch nicht eingehalten. Die Weißen beachteten sie einfach nicht. Nach wie vor wurden die Schwarzen auch juristisch weiterhin in ihren Menschenrechten missachtet. 

Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten. Neun aus dem Grund, weil der Buchtitel und der Klappentext irreführend war. Sonst wären es zehn gewesen.

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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).

Gelesene Bücher 2014: 27
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86