Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre
Gestern Nacht habe ich das Buch durchbekommen
und es hat mir ganz gut gefallen... .
Das Buch beginnt mit einem
Prolog, und endet logischerweise mit einem Epilog. Im Prolog erfährt man, dass
die junge Frau Luz Iturbes zusammen mit ihrer Familie in Spanien auf einer gewissen
Suche nach einer männlichen Person namens Carlos Squirru ist, den sie wohl auch
mit Hilfe von Nachforschungen findet. Carlos ist Argentiner, lebt aber seit
über sechs Jahren in Spanien und möchte mit Argentinien nicht mehr viel zu tun
haben... . Die Militärdiktatur der 70er Jahre aus dem letzten Jahrhundert hatte ihm stark zugesetzt, da er zu den Revolutionären gehörte und für eine bessere Welt und für eine gerechtere Gesellschaft kämpfte... . Wer Carlos Squirro ist lässt sich schnell vermuten, ich verrate es aber nicht... .
Die vielen unterschiedlichen Erzählperspektiven, immer aus der Sicht der Person, die gerade berichtet, finde ich ein wenig gewöhnungsbedürftig... .
Auf den ersten Seiten nach dem Prolog erfährt man über das Schicksal der Agentinierin Miriam
Lopez, die, um sich eine Ausbildung als Mannequin zu finanzieren, sich
prostituiert und lernt dort ihren Lebensgefährten El Bestia (übersetzt Bestie, Monster) kennen. El Bestia ist Leutnant beim Militär. Wie aus dem Klappentext hevorgeht, s. u., werden Säuglinge während der Militärdiktatur von ihren inhaftierten Müttern nach der Geburt weggenommen, und in wohlhabenden Familien übergeben, die kinderlos geblieben sind... . Die Kinder wurden den Müttern quasi gestohlen... . Die Mütter selbst wurden nach der Geburt des Kindes ermordet... . Die Säuglinge wurden von dem Militär wie Gegenstände, wie Kriegsbeute behandelt. Miriam sehnte sich nach einem Kind, nachdem sie selbst keine Kinder bekommen konnte und bekam von El Bestia versprochen, ihr ein Kind aus dem Gefangenenlager zu beschaffen... . Sie sollte das Kind von der Gefangenen Liliana bekommen, auf das sie sich sehr freute und für das Kind alle Vorbereitungen traf, wie z.B. das Herrichten eines Kinderzimmers... .
Nun kommt es zu einer völlig anderen Wende, da El Bestias Vorgesetzter, Oberstleutnant Alfonso selbst an dem Kind von Liliana interessiert ist, da seine eigene Tochter Mariana eine Totgeburt erlitt und durch die schwere Geburt für eine längere Zeit im Koma lag, so dass Mariana gar nichts von der Totgeburt mitbekam und so wurde ihr später das Kind von Liliana als ihr eigenes untergeschoben... .
In der Zwischenzeit wurde Liliana zusammen mit ihrem Säugling zu Miriam verlegt, damit das Kind gut versorgt werden und später an die unechte Mutter übergeben werden konnte... . Das Kind wurde von Liliane gestillt aber immer im Beisein von Miriam, da die Mutter die Augenbinde umhatte, die nicht abgelegt werden durfte... . Zwischen Miriam und Liliane entwickelt sich eine geheime Freundschaft und Miriam erkennt plötzlich ihre Schuld, die feste Absicht gehabt zu haben, das Kind einer Mutter wegnehmen zu wollen und fühlte sich elend... . Miriam wird zu Lilianes Verbündete, die Mutter und Kind zur Flucht verhilft... . Dieser Abschnitt verlief in einer längeren Szene, bis es zur Flucht kam, die gut kalkuliert werden musste, da vor der Haustüre immer ein Wachposten stand... .
Interessant fand ich auch die Romanfigur Pablo, der aus einer höheren Gesellschaftsschicht stammt, und der freiwillig auf den Wohlstand seiner Familie verzichtete. Pablo zog mit seiner Lebensgefährtin Mirta, die recht arm war, in ein Elendsviertel um sich zu proletarisieren... . Zu seiner Volljährigkeit bekam Pablo von den Eltern ein Autor geschenkt, das er ablehnte, weil es ihm peinlich war ein Auto zu besitzen, wo es so viel Elend und Armut auf der Welt gibt und machte sich bei seinen Angehörigen unbeliebt... . Auch Pablo und seine Freundin gehörten zu den Revolutionären. Seine Schwester Dolores kämpfte gegen die politische Überzeugung Pablos, als müsse sie ihn davor schützen:
"Warum bist du so extrem? Kannst du nicht mit der Arbeiterklasse reden, ohne dich als einer von ihnen verkleiden zu müssen?".
Dolores warf ihrem Bruder vor, dass seine politische Beteiligung mit einem Selbstmord zu vergleichen ist, sie kannte wohl die Gefahren der Gegner und stellte ihm die Frage, ob er das Leben nicht lieben würde:
"Es ist nicht so, dass ich mir nichts aus dem Leben mache. Wir kämpfen für das Leben, aber für ein Leben, das anders ist als im bürgerlichen System. Wir kämpfen für das Leben in einem umfassenden, besseren Sinn. Für ein würdiges Leben der ganzen, sich kollektiv verwirklichenden Menschheit."
Eine Diktatur, unabhängig davon, wie sie sich nennt, hat immer etwas mit willkürlichem Handeln und Verbrechen an die Menschheit zu tun. Die Herrschenden, in diesem Buch das Militär, haben das System in der Hand und sie bestimmen, wie sich eine Gesellschaft nach ihren Prinzipien zu bewegen hat. Man konnte aus den banalsten Gründen schon eingesperrt werden. Eine Mutter einer Schülerin wurde ins Gefängnis gesteckt, die nichts anderes getan hat:
als gemeinsam mit ihren Kameraden zu fordern, dass die Fahrpreise für die Schulbusse gesenkt werden sollten. Und dafür hat man ihr das Leben genommen.
Auch wenn der Roman eine Fiktion ist, zeigt er doch eine reale Abbildung davon, wie eine Diktatur funktionieren kann. Die Autorin ist Jahrgang 1952, ist Argentinierin, und hat wohl die Militärdiktatur am eigenen Leib erlebt. Und genau diese Authentizität liest sich deutlich aus dem Buch heraus. Obwohl man immer wieder von einer Diktatur liest, ist es für mich trotzdem von neuem unfassbar, wie ein Menschenleben zerstört werden kann, in diesem Fall hier die protestierenden Mütter, wegen der Ermäßigung der Fahrpreise an Schulbussen.
Luz ist der Säugling von Liliana... . Der angebliche Vater Eduardo wehrte sich damals dagegen, doch er konnte sich nicht gegen seine Schwiegereltern durchsetzen, die sich in allen familiären Angelegenheiten einmischten und das Sagen hatten. Sein Schwiegervater Alfonso ist ein hohes Tier beim Militär und hat alle Fäden in der Hand, auch die seiner Familie. Eduardo wird dazu getrieben, sämtliche Dokumente des Kindes fälschen zu lassen… . Sein Gewissens war war dermaßen geplagt, dass er sieben Jahre später sich auf die Suche nach der wirklichen Mutter des Kindes begibt. Er hat selbst keine Ahnung, woher das Kind letztendlich stammte und befürchtet allmählich, dass es ein geraubtes Kind sei. Seine Recherchen werden von dem Schwiegervater strengstens unterbunden, doch diesmal widersetzt sich Eduardo ihm und begibt sich aber in Lebensgefahr, da die Reaktion des Schwiegervaters mafiose Strukturen annimmt... .
Aber ich muss auch zugeben, dass dieses Szene, besser gesagt das Verhalten von Eldorado, ich als ein wenig naiv empfunden hatte. Erst empfand ich es als recht beeindruckend, dass er Mut aufbringen konnte, sich gegen sein Schwiegervater, was schon lange fällig war, sich ihm zu widersetzen aber die Art und die Taktik wie er dies tat, hielt ich nicht für ausreichend klug... .
Luz ahnt später, dass ihre Herkunft Lücken und Rätsel aufweist und begibt sich auf die Ich-Suche. Später muss sie sich mit der Gewissensfrage plagen, ob auch sie nicht eine gewisse Schuld mitträgt, Eduardo, den sie als ihren Vater anerkennt, ihn weiterhin als ihren Vater zu bezeichnen, nachdem sie immer mehr von sich in Erfahrung bringen konnte???
Sie gerät in eine riesengroße Sinn und Identitätssuche und wird mit vielen Beteiligten aus der Zeit der Militärdiktatur konfrontiert, doch die meisten halten sich bedeckt.
War Luz etwa schuld daran, dass sie für den Mann, der sie gestohlen hatte, Zuneigung empfand?
Mit dieser Gewissensfrage müssen sich alle Beteiligten aus der Zeit auseinandersetzten, auch die, die die Wahrheit gar nicht wissen möchten, wie zum Beispiel Mariana, die bis dato die vielen Verbrechen ihres Vaters Alfonso verleugnete, da sie ihren Vater stark idealisiert hatte. Sie negierte alle Verbrechen ihres Vaters, der in der Gesellschaft als "Hurensohn" betitelt wurde... .
Auch nach der Militärdiktatur werden die Verbrechen nicht gesühnt. 1987 wird ein neues Gesetz erlassen, das sich "Befehlsnotstand" nennt, und somit wurden alle Soldaten freigesprochen, die an den Grausamkeiten beteiligt waren, da sie nur Befehle befolgten und sie nicht aus eigenem Antrieb handelten... .
Als ich das Buch gelesen hatte, rechnete ich aus, wie alt ich in der Militärdiktatur Argentiniens selbst gewesen war. Ich war eine Jugendliche, und welches ungeheurere Glück ich doch gehabt haben muss, dass ich zwar zur selben Zeit aber an einem anderen Ort geboren wurde, wobei man eine Diktatur auch im Kleinen als Einzelschicksal im Privaten erleben kann, mit ähnlichen demütigenden und repressiven Formen. Z. B. lässt sich die Familie auch als ein Mikrostaat bezeichnen.. . (Und nicht nur Familie).
Und hier beende ich mein Gespräch zu dem Buch, da ich nicht zu viel verraten möchte, aber ich solidarisiere mich geistig mit allen Menschen, die auf dem selben Planeten leben wie ich, die aber tagtäglich um ihr Leben kämpfen müssen, um zu existieren.
Wie es mit Luz, Mirjam, Liliana, Pablo und wie sie alle heißen ausgeht, so verweise ich auf das Buch. Das Buch hat so viele Facetten, so viele unterschiedliche Reaktionen der Romanfiguren, dass meine Beschreibung hier im Block nur ein kleiner Teil des Ganzen ist.
Ich gebe dem Buch neun von zehn Punkten. Neun und nicht weniger: 1. Weil es sehr authentisch geschrieben ist und 2. Weil es bis zum Schluss die Spannung gehalten hat... . Neun
und nicht zehn, weil mir die vielen unterschiedlichen Erzählperspektiven
ein wenig unübersichtlich waren... .
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)
Gelesene Bücher 2012: 55
Gelesene Bücher 2011: 86