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Mittwoch, 18. Juli 2012

Wajidi Mouawad / Verbrennungen (1)



 Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Theaterstück habe ich gestern Abend zu Ende gelesen und es hat mir recht gut gefallen. Sagen wir mal so, es hat mich recht betroffen gemacht... .

Das Stück liest sich gar nicht wie ein Theaterstück, sondern wie ein Film. Total authentisch und lebendig geschrieben ist es. Es ist sehr ausdrucksstark geschrieben. Gewalt kennt  keine Grenzen... .

Daher ist der Inhalt recht heftig, stimmt traurig, ohnmächtig durch die Gewalt in jeglicher Form, Opfer-Täter - alles vertauscht..., Bürgerkrieg, Krieg unter den Zivilisten, selbst in Familien sind die Systeme oftmals korrupt... aber weggucken bringt auch nichts, und so habe mich angestrengt, den Inhalt geistig auszuhalten und mitzugehen mit den Figuren, mit den Menschen, die sich diese Welt nicht selbst ausgesucht haben und sie diese trotzdem life erleben müssen. Wenigstens möchte ich mich geistig mit diesen Menschen solidarisieren, die gegen solche Systeme sind, solidarisieren mit den Kindern, die zu Kriegsopfern gemacht werden, kaum dass sie geboren wurden... . Unschuldige Menschen, die keinen Ausweg aus dieser Welt finden, ständig müssen sie um ihr Leben bangen. Für diese habe ich Mitgefühl und möchte aus diesem Grunde nicht weggucken, sondern geistig mit ihnen gehen... .

Am Anfang geht es um ein junges Mädchen namens Nawal, die auch die Protagonistin des Stückes ist. Nawal wird mit vierzehn Jahren schwanger  und sowohl sie als auch ihr Geliebter wollen das Kind unbedingt zur Welt bringen. Die beiden jungen Menschen fühlen sich stark zueinander hingezogen und das Kind würde ein Kind der Liebe sein... . Doch die Mutter des Mädchens fordert von ihr, das Kind nach der Geburt sofort an die Hebamme abzugeben, oder aber sie solle auf der Stelle alle Kleider abwerfen, und nackt das Dorf verlassen. Die Nacktheit steht dafür, dass das Mädchen arm und besitzlos ist und macht die Abhängigkeit von den Eltern deutlich. Die Kleider sind Eigentum der Eltern... . 
Nawal war also gezwungen, bei den Eltern zu bleiben und das Kind nach der Geburt abzugeben. Wo hätte sie denn gehen können? Ihr Freund wurde des Landes vertrieben und sie als ein junges, schwangeres Mädchen hätte draußen keinerlei Überlebenschancen... . 

Das Mädchen hörte auf zu sprechen, nachdem sie das Kind geboren hatte und die Hebamme es weggetragen hat... . 

Irgendwann begibt sich Nawal auf die Suche nach ihrem Kind und erlebt auf ihrem Weg viel Gewalt, es herrscht noch immer Bürgerkrieg. Ihrer verstorbenen Großmutter Nazir hatte Nawal versprochen, Lesen, Schreiben, Rechnen und Denken zu lernen, da Bildung die stärkste Waffe sei, und mit Hilfe dieser den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen... . Die Großmutter war die einzige, die zu Nawal hielt, auch wenn sie die Wegnahme ihres Kindes nicht verhindern konnte... .

Es ist nicht klar, in welchem Land sich diese vielen Kriegsszenen abspielen, aber man ahnt, dass es ein arabisches Land ist, auch weil der Autor selbst aus einem arabischen Staat stammt, s. Autorenportrait im letzten Posting. 

Interessant finde ich die verschiedenen Erzählperspektiven... . Oftmals werden Gegenwart und gleichzeitig Vergangenheit in einem Satz dargestellt... . Man muss im Kopf viel verknüpfen und Parallelen schaffen sowohl zu den Figuren, die in verschiedenen Zeitabständen auftreten, als auch zum zeitlichen Geschehen, aber das macht es ja so interessant zu lesen. Eine völlig andere Schreib- und Erzählkultur... . 

Mal tritt Nawal als junges Mädchen auf, dann als eine reife Frau und mal wieder als eine alte Frau. Nawal hat zwei Zwillingkinder, ein Junge, Simon, und ein Mädchen, Jeanne, beide schon erwachsen und hadern nach dem Tod ihrer Mutter mit ihr, werfen ihr vor, sie habe sich nie für ihre Kinder interessiert. Nawal hüllte sich die meiste Zeit ihres Lebens in
 Schweigen. Als Nawal verstarb, bekommen die Zwillinge von dem Notar mehrere Umschläge ausgehändigt, die ihnen Aufgaben stellten. Die Kinder gehen auf Spurensuche, müssen das tun, wenn sie die Aufgaben der Umschläge einlösen wollen... . Sie reisten in das Land der Mutter, da eine der Aufgaben war, den Bruder, das war der Erstegeborene, den Nawal mit 15 Jahren zur Welt brachte, zu suchen. Die Zwillinge kamen zwanzig Jahre später auf die Welt... . Die andere Aufgabe war die, den Vater zu suchen... .

 Während der Suche erfuhren Jeanne und Simon, dass ihre Daten auf der Geburtsurkunde nicht richtig waren, und dass ihr Vater nicht der Vater war, der kurz nach ihrer Geburt heldenhaft gestorben sein soll, und auf dem sie so stolz waren, nein, deren Vater war ein ganz anderer. Jemand, den sie gar nicht kennen. Nawal täuschte ihnen eine andere Identität vor, um die Kinder mit ihrer Herkunft nicht zu belasten. Doch kurz vor dem Tod erkannte sie, dass man die Gewalt nur bekämpfen könne, wenn man sich der Vergangenheit und der Herkunft stellt, und alle Hintergründe ausforscht und erfährt. Und diese Bürde trug Nawal nun ihren Kindern auf. 


Jeanne und Simon finden, was sie suchen sollten. Sie finden die Wahrheit, mehrere grausame Wahrheiten, eine davon ist, dass ihr Bruder gleichzeitig ihr Vater ist... Nawal wurde in ein Kriegsgefängnis eingesperrt und gefoltert. Der Folterer war gleichzeitig ihr Vergewaltiger. Der Vergewaltiger war Nawals Sohn. Aber niemand von beiden, weder Mutter noch Sohn, wussten voneinander. Und so sind aus der Vergewaltigung Jeanne und Simon entstanden... .

Die Zwillinge erfuhren auch, dass sie zu einer völlig anderen Zeit geboren wurden, und man sie zu ertränken beabsichtigte, wie man dies dort mit vielen Säuglingen tat… . Simon verstand nun endlich, weshalb die Mutter sich in Schweigen hüllte. Es waren die vielen Traumata, die sie erlebte... .

Wiederholt bekunde ich meine geistige Solidarität mit Waisenkindern, die dort zu Kriegszwecken geplündert und in die Luft gesprengt wurden... . Solidarität mit den Frauen, die von ihren Familien ausgestoßen wurden... . Solidarität mit den Kindern, die ertränkt, obwohl sie aus Liebe gezeugt und geboren wurden... . Solidarität mit den Kindern, deren Väter sie unter der Vergewaltigung zeugten... . Solidarität mit all den Menschen, die sich nicht für die Gewalt und die brutale Ermordung ihrer Mitmenschen entschieden haben... . Solidarität mit jedem Widerstandskämpfer... ... . Solidarität mit allen Flüchtlingen... . Solidarität mit allen Menschenrechtskämpfer... . Solidarität mit allen Toten, die zu Unrecht gemordet wurden... . . Solidarität mit den übrigen Menschen, die ich noch vergessen habe... . 

Es gibt nur einen Planeten Erde, und jeder Mensch ist ein Nachbar... .

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

SuB:

Amin: Der Klang der Sehnsucht
Frank: Rücken an Rücken
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Obrecht: Die Tigerfrau
Osorio: Mein Name ist Luz
Pamuk: Istanbul
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs

Gelesene Bücher 2012: 52
Gelesene Bücher 2011: 86

Montag, 16. Juli 2012

Wajidi Mouwad / Verbrennungen

124 Seiten
Verlag der Autoren
ISBN: 978-3-88661-299-4

                    10.00 €

Klappentext

 Mouawad erzählt, wie die Geschwister Jeanne und Simon die Vergangenheit ihrer Mutter Nawal erkunden, die vor dem Krieg im Nahen Osten in den sicheren Westen geflohen war. Nawals letzter Wille überträgt den Zwillingen die Aufgabe, zwei Briefe zu übermitteln: einen an ihre tot geglaubten Vater, den anderen an einen unbekannten Bruder. Widerwillig nehmen die Beiden die Reise in die Heimat ihrer Mutter auf sich. Die Suche nach den eigenen Wurzeln führt sie in die kollektive Tragödie des Krieges zurück.

Autorenportrait

 geboren 1968 in Deir-el-Kamar (Libanon), lebt in Montreal und Paris. Der Theatermacher und Schauspieler musste sein Heimatland mit acht Jahren verlassen, wuchs in Frankreich auf und emigrierte 1983 nach Kanada, weil ihm Frankreich das Bleiberecht verweigerte. Er gründete seine erste Theatergruppe Théâtre Ô Parleur, wurde 2000 künstlerischer Leiter des Théâtre de Quat’sous und rief die erste französisch-quebecianische Theatergruppe Abé carré cé carré/Au carré de l’hypothénuse ins Leben, mit der er seine eigenen Stücke entwickelte und inszenierte. Mouawad wies bereits ein umfangreiches dramatisches Werk auf, als 2006 zum ersten Mal ein Stück auf deutsch zu sehen war: VERBRENNUNGEN, ein Drama über die Suche nach Wahrheit und die Verstrickung in eine von Bürgerkrieg und sinnloser Gewalt geprägte Vergangenheit, hat innerhalb von zwei Jahren in 23 Inszenierungen die Großen Bühnen im deutschsprachigen Theater erobert. Seit 2007 ist Mouawad Künstlerischer Leiter des Französischen Theaters Ottawa und arbeitet auf beiden Seiten des Atlantiks an zahlreichen Theaterprojekten.

Viele Werke des Autors wurden mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet.

 Aufmerksam wurde ich auf das Stück durch den Literatursender im hr2.