Montag, 29. März 2021

Paula Stern / Tage des Aufbruchs - Die Kaffeedynastie (1)

Bildquelle: Pixabay
Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Das Beste zuerst; das Buch ist groß im Herzen, was mir gut gefallen hat. Es ist gefüllt mit einer tiefen Empathie, die in großen Nöten zur wahren Menschlichkeit führt. Sowohl in der Politik, in der Freundschaft, als auch in der eigenen Verwandtschaft der Protagonistin, ohne dass es kitschig oder sentimental gewirkt hat.

Was mir nicht gefallen hat; mir war das Buch in den Zwischenetappen zu seicht. Es hat signifikant an Tiefe in den Charakteren gemangelt, sodass es definitiv zu glatt auf mich gewirkt hat, wie ich weiter unten noch besser ausführen werde. Außerdem hatte ich mir etwas ganz anderes unter dem Titel vorgestellt, und so wurden meine Erwartungen leider nicht erfüllt. Es mit dem Werk von Thomas Mann Die Buddenbrooks zu vergleichen, war ein großer Fehler. Die Kaffeedynastie ist ein reiner Unterhaltungsroman. Nicht mehr und nicht weniger.

Achtung Spoiler: Wer nicht zu viele Details erfahren möchte, so verweise ich, sich auf die Handlung zu begrenzen, auf die ersten Leseeindrücke, oder auf die allgemeine Buchbewertung am Ende dieser Besprechung.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die noch im Elternhaus lebende Hauptfigur Corinne Ahrensberg, Ende zwanzig, ist eine junge Frau, die genau weiß, was sie möchte. Als ihr Vater Günther wegen eines schweren Schlaganfalls nicht mehr rehabilitiert werden kann und zu einem Pflegefall wird, möchte die Mutter Esther, dass Corinne zusammen mit ihrem acht Jahre älteren Bruder Alexander in das Familienunternehmen Ahrensberg einsteigt. Dadurch bekommt sie zusammen mit Alexander die Verantwortung für die Firma übertragen. Corinne hat große ideelle Pläne, möchte in die Fußstapfen ihres längst verstorbenen Großvaters Eberhard Ahrensberg treten, der Neuheiten und Wagnisse liebte, während Alexander es eher in die Fußstapfen des Vaters treibt. Ihm geht es mehr um hohe Verkaufszahlen als um Qualität, und dass Altbewährtes bleibt, wie es ist. Corinne dagegen möchte mehr Qualität und Individualität in die Kaffeebranche einbringen und setzt auf Neuerungen wie z. B. die Entwicklung und die Einführung von Fairtrade - Kaffee. Dadurch gibt es Reibereien mit dem despektierlichen Verhalten ihres Bruders, dem sie sich zu widersetzen versucht und sie sich hilfesuchend externen Rat eines anderen Fachkollegen einholt, nachdem ihr von Taktgefühl getragenes Einlenken regelrecht versagt hatte.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Besonders gut hat mir gefallen, dass es Corinne mit viel Liebe und Geduld gelungen ist, ihrem Bruder sämtliche Fassaden von ihm abzulösen, sodass er die Chance bekam, sich in seiner Eigenart zu outen
.

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Eigentlich gab es gar keine Szene, die mir nicht gefallen hat, ironisch ausgedrückt. Die Protagonist*innen waren alle so verständnisvoll und gefügig. Viele Probleme wurden recht schnell gelöst, da die Figuren alles machten, was sich die zartfühlige Corinne von ihnen gewünscht hat.

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Großvater Eberhard Ahrensberg. Der zartbesaitete Eberhard wurde schon im Alter von 15 / 16 Jahren widerwillig in den Krieg einberufen. Widerstand zu leisten machte keinen Sinn, da sein Vater Anhänger der NSDAP war. Eberhard hatte eine sehr weiche und gutmütige Seele, sodass er überhaupt nicht auf Kämpfen und Morden ausgelegt war.

Wenn es nach ihm ginge, würde er lieber Bücher verschlingen, statt Marschieren und Kämpfen zu üben. (40)

Man nimmt in der Retrospektive an Eberhards Träumen teil, wie der Samen einer eigenen Kaffeeplantage damit im jugendlichen Alter schon gestreut wurde.

Berichte und Geschichten von fernen Ländern faszinierte ihn. Die Farben, Geräusche und Gerüche, die darin beschrieben wurden, lösten eine Sehnsucht nach der weiten Welt in Eberhardt aus. Gerne würde er nach Südamerika reisen, um einmal eine Kaffeeplantage zu sehen. Eines Tages würde er auch genau das tun. Das hatte er sich fest vorgenommen. (...) Seit er vor Jahren in einer Zeitschrift etwas über Kaffeeanbau gelesen hatte, faszinierte ihn das. So war er auch auf sein Sehnsuchtsziel Südamerika gekommen. Mit großer Sorgfalt sammelte er seit damals alles, was er zu Kaffee an Informationen erhaschen konnte. (40f)

Welche Figur war mir antipathisch?
Eigentlich keine. Oder wen soll ich hier auswählen? Eberhards Vater, der der NSDAP verschrien war und damit viele Menschenleben gefordert hat, mitunter auch sein eigenes? Doch ihn habe ich nicht als eine Figur erlebt, sondern nur als eine Beschreibung, an der ein paar Fakten und ein paar Charakterzüge festgemacht wurden.

Meine Identifikationsfigur
Keine.

Cover und Buchtitel  

Ich habe mir etwas ganz Anderes darunter vorgestellt. Als eine Kaffeedynastie im Untertitel habe ich das Buch nicht verstanden. Alles dreht sich um Corinne, während der Einfluss der letzten beiden Generationen viel zu kurz kam, auch wenn der Großvater Eberhard, der eigentliche Gründer dieser Dynastie, in der Lebensgeschichte zwar auftaucht, aber dennoch nur eine Nebenthematik bleibt. Im Fokus stehen eher die Lebensgeschichten der einzelnen Figuren, während die Gründung eines Großunternehmens nur peripher die Handlung widerspiegelt. Hier ging es mehr um das Nazideutschland, und um Eberhards Vater, der sich dem Geist der Nazis angeschlossen hatte. Die Kaffeedynastie kam hier überhaupt nicht zur Geltung. Es hätte, um dem Titel gerecht werden zu können, die Entwicklung eines Familienunternehmens, das aus drei Generationen besteht, mehr in den Vordergrund gerückt werden müssen, und das Nazideutschland, aus dem der Großvater kommt, eher an den Rand. Doch hier werden zwei Hauptthemen vorgestellt, wovon die erste Thematik die Existenzgründung der Corinne behandelt, während die zweite Thematik die Geschichte des Zweiten Weltkriegs mit dem Naziregime umfasst.

Der Hauptitel, Tage des Aufbruchs, passt lediglich in Corinnes Leben.

Das Cover selbst, von der Farbe her getragen einer Nivellierung jener Kaffeebohne, fand ich sehr ansprechend.

Zum Schreibkonzept
Das Schreibkonzept fand ich reizvoll
. Auf der ersten Seite ist eine Widmung zu entnehmen, auf den darauffolgenden Seiten findet man sämtliche Namen aller Figuren bzw. die unterschiedlichen Stammbäume und die Namen von Freund*innen einzelner Hauptfiguren. Anschließend geht es mit dem ersten Kapitel los. 22 Kapitel sind dem Buch insgesamt zu entnehmen. Quellennachweis und eine Danksagung schließen das Buch am Ende.

Die Handlung, die aus zwei Erzählsträngen besteht, wechselt zwischen Gegenwart und Vergangenheit kapitelweise einander ab.

Für alle Kaffeeliebhaber: Es gibt auch ein großes Geschenk an die Leser*innen. Man findet am Schluss der Geschichte jede Menge Rezepte rund um Kaffee und Gebäck.

Das fand ich sehr kreativ fürsorglich. Passt zu der Feinfühligkeit, die das Buch umschließt.

Einzige Bedingung: Man muss Kaffee lieben.

Meine Meinung
Ich finde den Roman nach meinem Geschmack viel zu seicht, obwohl er durchaus supergute Ansätze und wirklich große Themen wie z. B. auch Gegen das Vergessen und Gesellschaftsprobleme aufweist, die die Interaktionen und die Ereignisse zwischen den Figuren beeinflussen. Manche Szenen waren sehr gut und authentisch beschrieben. Vor allem die Szenen mit Isabella Pelzmann, die durch die Nazidiktatur massivste irreparable posttraumatische Störungen mit schwerwiegenden Folgen entwickelt hatte ... Leider konnte die Autorin diese Ebene an Tiefsinn im gesamten Roman nicht halten, weshalb sie immer wieder in dieses Seichte und Oberflächliche abgedriftet ist.

Mit wenigen Ausnahmen verlangten hartnäckige Probleme nach zu raschen Lösungen. Außerdem wurden Beziehungen viel zu schnell geschlossen, was ich als recht künstlich und zu unrealistisch empfunden hatte. Corinne lernt Noah kennen, der selbst auch ein eigenes alternatives Öko - Café besitzt. Schnurstracks waren die beiden ein Herz und eine Seele, und im Nu ein Liebespaar und im Nu lagen alle auch in Mutters Armen.

Die Figuren waren mir alle zu vernünftig, obwohl es in dem Buch große Themen gab, die die Geschichte begleitet hat. Die Fieslinge waren weg. Der Naziurgroßvater stirbt im Krieg. Corinnes dominanter Vater, der von jedermann als der Kaffeebaron bezeichnet wird, erleidet einen schweren Schlaganfall und wird dadurch in der Handlung auch ausgebremst. Der homosexuelle Alexander wird durch die Liebe seiner Schwester gefügig .... Der eifersüchtige Sebastian, der Corinne heimlich liebt, die sich aber für einen anderen Mann entscheidet, gibt sich zufrieden, wenn er schließlich in weiter Zukunft Patenonkel ihres ersten Kindes sein darf … Vermisste Personen aus dem Naziregime werden leicht wiedergefunden. Alles läuft glatt. Das meiste löst sich in kurzer Zeit in Wohlwollen auf und genau dies hat mich nicht überzeugen können. Nein, ich liebe Figuren, die Facetten haben und authentisch sind. Die Autorin hätte mehr aus ihrem Buch machen können.

Und dennoch war ich auch froh, dass das Buch nicht aus billiger Intrige bestanden hat, wie ich in meinen ersten Leseeindrücken befürchtet hatte. Ich präferiere keine Bücher, die mit schwarz-weiß, mit gut-böse Mustern gestrickt sind. Tiefe Facetten zeichnen nämlich den Menschen nicht zu reinen gut und böse, Engel-Teufel-Wesen aus, weil jeder Mensch auf seine Weise, auch wenn es schwer fällt, sich dies vorzustellen, mit diesen Un-Tugenden innerlich behaftet ist. 

Die Kaffeedynastie
Sehr interessant, sie war aber immer nur als eine Nebenthematik erfahrbar. Das Land Brasilien und das ganze Drumherum wurde viel zu wenig in die Geschichte verwoben.

Stereotypen
Die Deutschen hatten hier mit einer Ausnahme alle blonde Haare und blaue Augen. Obwohl die Autorin Nazigegnerin ist, hat sie bewusst / unbewusst genau den Deutschen porträtiert, den Hitler in seiner Rassentheorie als Arier bezeichnet hat, obwohl Hitler mit seiner Rassentheorie gescheitert ist. Manche wollen es immer noch nicht wahrhaben, dass es viele dunkelhaarige Deutsche gibt. Viele haben sogar von Natur aus einen olivfarbenen Teint. Mich wundert das nicht, denn seit eh und je sind Menschen rund um den Globus gewandert, längst sind alle Menschen vermischt. Selbst der sog. dunkelhäutige Urdeutsche kam einst aus dem Urwald, um das mal ganz platt auszudrücken. Was uns genetisch verändert hat, ist das Klima …

Mein Fazit
Wer einen einfachen Unterhaltungsroman sucht, der kommt hier voll auf seine Kosten, dafür hätte der Roman auch seine volle Punktzahl verdient. Wer aber mehr Anspruch sucht, wird eher enttäuscht werden.  

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Durch die Anfrage beim Verlag. Aufmerksam wurde ich durch den Buchtitel und durch Brasilien, in dem Land, in dem rund um die Kaffeebohne alles begann. Ich wurde neugierig auf die Kaffeeplantage. Ich dachte, dass Brasilien in der Geschichte einen großen Raum einnehmen würde. 

Meine Bewertung

1 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (einfach, fantasievoll)
0 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere; 
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur
1 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
1 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

6 von 12 Punkten

Ein herzliches Dankeschön an den Verlag von HarperCollins für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

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